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Eidbrecher

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  • Аннотация:
    Ein paar Worte zum Hintergrund der Veröffentlichung des Romans. Alle deutschen Verlage, und es waren 33, an die das Manuskript des Buches geschickt wurde, reagierten sehr positiv auf den Auftritt eines russischen Autors am literarischen Firmament Deutschlands. Das liegt nicht nur an seinem Talent, sondern auch an einem gewissen Interesse der Deutschen an der Gruppe der auf dem Gebiet der ehemaligen DDR stationierten sowjetischen Truppen. Das Buch wurde von deutschen Lesern positiv bewertet. ​ (ISBN 978-3-86440-192-2)

  
  
  
  
  
  Wladimir Welikij
  
  
  Eidbrecher
  
  
  
  (Автор издал свой роман 'Клятвоотступник' на немецком языке. Wladimir Welikij. Eidbrecher: Persimplex Verlag (Deutschland). - 2015 (März). - 353 s. (ISBN 978-3-86440-199-2).
  
  28.07.2017
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  Wladimir Welikij
  
  
  
  
  
  Eidbrecher
  
  
  Rоman
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  Die 'Gruppe Sowjetischer Streitkäfte in Deutschland (GSSD), die 'Westgruppe der Truppen' (WGT) - sollte der Sicherung des Aufbaues einer sozialistischen Staatsordnung in Europa dienen.
  In fast fünfzigjährigen Bestehen der allermächtigsten Streitkräfte der Welt haben in deren Reihen etwa sieben Millionen sowjetische Militärangehörige, davon 540 Tausend Offiziere und Generäle, 180 Tausend Fähnriche und mehr als fünf Millionen Soldaten und Sergeanten ihren militärischen Drill bekommen. In den verschiedenen Jahren haben in den Streitkräften mehr als 400 Tausend Arbeiter und Angestellte gearbeitet: Ärzte, Ingenieure, Krankenschwestern. Die Familien der Militärangehörigen sind ein zuverlässiges Hinterland für die Steitkräfte gewesen. Es waren eine Million 500 Tausend Menschen. Insgesamt haben auf dem Gebiet der DDR fast 8,5 Millionen unserer Landsleute gearbeitet. Alle sie haben ehrenhaft ihre Pflicht vor der Heimat erfüllt...
  Von ihnen gab es ganz wenige, etwa sechshundert Menschen, die ihre Pflicht verletzt haben. Sie sind nicht nach Hause zurückgekehrt. Sie sind im Westen geblieben... Man hat sie Verräter, Staatsverräter, Deserteuere, Fahnenfluchtige bezeichnet. Zu Hause wartete auf sie der Knast. Unter den ehemaligen Klassenfeinden haben sie einfach nur menschliches Glück gesucht...
  
  Dieses Buch handelt von einem von diesen, der auf eigenen Wunsch in die Fremde geraten ist.
  
  
  
   Auflage 1 (in deutscher Sprache)
  
  
  
  
  
  
  
  Autor bedankt sich herzlich bei Frau Gerda Krätzsch und Frau Berta Winterholler für die Übersetzung des Buches aus dem Russischen ins Deutsche.
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  Kapitel eins. Mache dem Andenken des Urgroßvaters keine Schande...
  
  'Ich, Bürger der Union der Sowjetischen Sozialistischen Republiken, trete in die Reihen der Streitkräfte der UdSSR, lege den Eid ab und schwöre feierlich, ehrlich, diszipliniert, wachsam sein..., schwöre gewissenhaft das Militärhandwerk zu erlernen, mit allen Mitteln das Militär- und Volkseigentum zu schützen und bis zum letzten Atemzug meinem Volk und meiner sowjetischen Heimat ergeben zu sein'. Die Worte aus dem Text des Militäreides konnte man überall auf dem großen Militärgelände hören. Das folgende junge Vervollständigen Komplettieren der 'Westgruppe der Truppen' (WGT), der Namen sie am 29 Juni 1989 von der 'Gruppe Sowjetischer Streitkräfte in Deutschland' (GSSD) geerbt hatte, hat feierlich die Treue seiner Armee und seinem Volk geschworen.
  Unter den jungen Soldaten war auch Soldat Alexander Kusnezow. Er hat ungeduldig und mit Angst auf den Befehl des Kommandeurs der Kompanie gewartet, der ihn bald den Eid ablegen lassen würde. Der Junge in Militäruniform bewegte immer wieder seine Lippen und wiederholte still den Text des feierlichen Eides, den er, wie auch viele seiner Kameraden, auswendig konnte.
  Seinen Name hörte der junge Soldat dann irgendwie unerwartet. Er schlug sofort kräftig mit der linken Hand auf die Schulter, des vor ihm stehenden Soldaten und trat im Exerzierschritt aus der Reihe heraus. Nachdem er drei Schritte nach vorne gemacht hatte, zögerte er und straffte sich. Der Hauptmann ging im Exerzierschritt zum Neuberufenen hin und übergab die Mappe, in der sich der Text des Eides befand. Danach gab er laut den Befehl:
   - Soldat Kusnezow, mit dem Ablegen des Eides beginnen...
  Der junge Soldat nahm die Mappe in die rechte Hand, die linke hatte er an das Gewehr gepresst. Er hatte erst zwei Absätze des Textes vorgelesen, als ein starker Windstoß kam. Die Mappe flog unverhofft aus der Hand des Soldaten und der gewaltige Windstoß fegte sie über das Gelände hinweg. Der Neuberufene hörte plötzlich ein Gelächter.
  Einer von den Militärangehörigen, höchstwahrscheinlich war es einer von den schon früher Berufenen, ein so genannter 'Alte', hat laut geschriehen:
   - Schau Mal, dieser Grünschnabel kann noch nicht menschlich den Eid ablegen! Und wie geht es mit ihm weiter? Den 'Alten' unterbrach die Befehlsstimme des Offiziers:
  - Soldat Makulow, mit dem Reden aufhören... Laufen Sie lieber nach der Mappe und bringen Sie sie mir schnellstmöglich...
  Aus der Reihe trat, ohne sich zu beeilen, ein Soldat heraus, der Grimassen geschnitten hatte, was die 'Alten', die in den Reihen standen, zum Lachen gebracht hatte.
  Kusnezow schaute von der Seite den herausgetretenen an, es war ein Kasache. An der Nationalität des militärischen 'Alten' hatte er keine Zweifel. In seinem Heimatdorf Neidjonowka gab es genug Kasachen. Besonders viele waren mit Beginn der Perestroika gekommen. Das Holen der Mappe dauerte nicht lange, vielleicht drei Minuten. Makulow trat mit beschleunigtem Schritt an den Offizier heran und berichtete, dass das Blatt mit dem Text des Eides an einigen Plätzen zerrissen und mit Dreck verschmiert wäre. Eine Ersatzmappe hatten die Offiziere nicht dabei. Der Stellvertreter des Kompaniechefs, ein Offizier mit einem sehr bleichen Gesicht, wahrscheinlich war er nicht gesund, ging rasch in die Kaserne, um eine Ersatz Mappe zu holen, die sich in der Einheitskanzlei befand. Die feierliche Atmosphäre hat sich einen Moment verflüchtigt, dieser und jener in den Reihen begann zu tuscheln.
  Den Ausweg aus dieser Situation fandt der Kompaniechef. Er lächelte und fragte den 'Pechvogel', der stramm stand und fast weinte:
   - Soldat Kusnezow, ich hoffe, dass Sie den Text des Militäreides auswendig kennen... Oder nicht?..
  Der Soldat reagierte am Anfang gar nicht auf die Frage des Offiziers. Nachdem er einen Moment still war, nutzte er die Möglichkeit, den Text des Eides auswendig aufzusagen und antwortete laut:
  - Zu Befehl, Genosse Hauptmann...
  Nach diesen Worten atmete er tief ein und aus. Danach, als hätte auf ihn die ganze Welt geschaut, begann er laut zu deklamieren:
  - Ich, Bürger der Union der Sowjetischen Sozialistischen Republiken, trete in die Reihen der Streitkräfte der UdSSR ein, lege den Eid ab und schwöre feierlich, ehrlich, diszipliniert, wachsam zu sein..., schwöre...
  Der Soldat Kusnezow, einziger Sohn der Bauern Antonida und Nikolaj Kusnezow, schwor wirklich aufrichtig und ehrlich, seiner Heimat und seinem Volk immer treu zu bleiben. Er war so aufgeregt, dass sein strenges Gesicht rosarot wurde. Auf der breiten und hohen Stirn traten große Schweißtropfen hervor. Von der Donnerstimme des großgewachsenen Dorfjunges in Militäruniform flogen sogar die Vögel davon, die bisher friedlich auf den Großen Kastanienbäumen saßen.
  - Wenn ich diesen meinen feierlichen Eid breche, dann soll mich die strenge Strafe des sowjetischen Gesetzes, gemeinsame Hass und Verachtung des sowjetischen Volkes treffen...
  Den letzten Absatz des Eides sprach der Soldat mit besonderer Begeisterung und Pathos, sein Herz begann schneller zu schlagen und im Hals kratzte es. Einen Moment war es still geworden. Auch er, der gerade mit Donnerstimme den Text des heiligen Eides vorgetragen hatte, schwieg. Kusnezow war nicht in der Lage, einzuschätzen, wie er den Text vorgetragen hatte, ob gut oder schlecht. Er atmete schwer und schaute gespannt auf einen Punkt vor sich. Wohin und warum der Soldat dorthin geschaut hatte, wusste keiner von seiner Kollegen. Auch Alexander Kusnezow selbst hatte nicht gewusst, warum er ausgerechnet dorthin schaute. Der junge Mann im Soldatenmantel presste mit beiden Händen die Maschinenpistole und schwieg. Aus seinen Augen liefen Tränen. Seine Aufregung und sicher auch seine Tränen hatte Hauptmann Makarow bemerkt. Er lächelte und befahl laut:
  - Soldat Kusnezow, zur Unterzeichnung des Eides herantretten!
   Der Befehl des Offiziers traf den Soldat wie ein Blitz.
  Kusnezow ging im Exerzierschritt zum Tisch, nahm den Kugelschreiber, neigte sich über die Mappe und fand mit Mühe seinen Namen. Vor Aufregung zitterte seine rechte Hand stark. Alexander überwandt mit Mühe seine Aufregung und leistete gut leserlich und schön seine Unterschrift. Er hatte zum ersten Mal ein Dokument so sorgfältig und sehr verantwortlich unterzeichnet, das erste Dokument, wie er jetzt meinte, das allerwichtigste in seinem Leben. Auch früher hatte er schon einige Sachen unterzeichnet, aber auf seine Unterschrift hatte er dabei nicht ernsthaft Wert gelegt. An diesem Tag hatte die Unterschrift für den jungen Mann aus einem kleinen sibirischen Dorf eine besondere Bedeutung. Und sie war nicht nur von großer Bedeutung, sondern verpflichtete ihn auch zu Vielem. Nachdem der Soldat die Unterzeichnung geleistet hatte, drehte er sich mit dem Gesicht zu den Reihen und stand wieder still. Er, der den Eid abgelegt hatte, wartete auf den weiteren Befehl seines Kommandeurs, aber er blieb aus. Und dies hatte den jungen Soldaten wieder in Aufregung versetzt. Überraschend hörte er den deutlichen Befehl des Hauptmanns:
   - Kompanie, stillgestanden! Für den Eifer, der während der Vorbereitung und dem Ablegen des Militäreides gezeigt wurde, spreche ich dem Soldat Kusnezow im Namen der Wehrleitung den Dank aus...
  Danach drehte der Offizier seinen Kopf zu dem fast zwei Meter großen Soldaten, der bestimmt noch nicht verstanden hatte, warum und wofür man ihm zum ersten Mal in seinem Leben einen Dank ausgesprochen hatte. Nachdem Kusnezow langsam und erstaunt seinen Kopf in Richtung des Kommandeurs gedreht hatte, sagte er laut:
  - Ich diene der Sowjetunion!
  Am Abend, nach dem 'Schlafbefehl', konnte der Soldat Kusnezow lange nicht einschlafen, obwohl er ein starkes Bedürfnis nach Schlaf verspürte. Die letzte Woche, bevor man ihn zum Wehrdienst in die erste Kompanie des ersten motorisierten Schießbataillons brachte, hatte er nur drei bis vier Stunden geschlafen. Der Kommandeur der ersten Abteilung, Sergeant Tonkonos, behandelte die jungen Soldaten sehr streng.
  Der Untergeordnete aus seiner Abteilung war nur dann frei, wenn er deutlich und fließend die Plichten des Soldaten und den Eidestext auswendig vortragen konnte. Der Unterkommandeur verschwendete seine kostbare Schlafzeit nicht für die Neuberufenen, für die 'Grünschnäbel'. Nach dem Schlafbefehl bemühten sich zwei, drei Neuberufene, die Zwischenprüfung abzulegen. Die Prüfung misslang in der Regel. Wenn der Soldat nicht fließend genug oder nicht deutlich ein Wort vorgetragen hatte, schwenkte er wie ein Prüfer die Hand. Das bedeutete, dass die nächste Prüfung erst in zwei Tagen stattfindet. Der Pechvogel ging bedrückt ins Leninzimmer, um die Dienstordnung zu lernen. Die nächste Kontrolle wurde auf eigene Initiative des zu prüfenden Soldaten durchgeführt. Wenn der Schüler von seinen Kräften überzeugt war, ging er zuerst zum Diensthabenden. Zu den inneren Diensthabenden bei den Neueinberufenen gehörten Soldaten des letzten Jahrdienstes. Der Diensthabende bemühte sich nicht so richtig zuhören, worüber sein Kollege sprach. Er saß einfach so auf einem kleinen Tisch und schaute mit Verachtung und vielleicht auch mit Bedauern auf den Jüngling in der neuen Uniform, der wie ein mechanisches Spielzeug fünfmal, aber auch zehnmal laut den Text des Militäreides sprach. Die Beurteilung des Diensthabendens war in der Regel nicht objektiv. Der 'Grünschnabel' ging wieder ins Leninzimmer und paukte die Dienstordnung. Das hat wieder paar Stunden gedauert. Unabhängig vom Ausgang der Prüfung, folgten für den 'Grünschnabel' zusätzliche Aufgaben: WC und Flure in Hochglanz bringen. Die zusätzlichen Aufgaben dauerten manchmal bis zu Morgendämmerung. Es gab Ausnahmen, diese Arbeiten konnte ein Offizier, der die Nachtruhe der Soldaten kontrollierte, unterbrechen. Nach der Information des Diensthabenden entschied der Offizier über die Bestrafung oder Begnadigung. Der 'Glückspilz' lief blitzschnell in den Schlafraum, um die letzte Stunden oder Minuten des langersehnten Schlafes zu schlafen. Der nicht begnadigte musste wieder um Rat den Führer der Oktoberrevolution (Leninzimmer) bitten...
  Den Wunsch, sich gut auszuschlafen, hatte auch der Soldat Kusnezow, der gerade dabei war, sich in der neuen Einheit und am neuen Platz einzuleben.
  Nach dem Befehl: ' Kompanie, schlafen!' hatte sich Alexander in den Schlafraum gestürzt. In zwei Minuten war er schon im Bett, sein Bett war im zweiten Rang. Der angenehme Geruch von sauberen Bettlaken hatte den Schlaf des jungen Soldaten günstig beeinflusst, im geräumigen Zimmer war es still. Nur hier und da hörte man ein leichtes Schnarchen und ein leises Flüstern. Bald wurde es auch im Flur ruhig. Der diensthabende Offizier hatte seine Untergeordneten in die Schlafräume gejagt.
  Die Stille hat dazu beigetragen, dass immer wieder neue Gedanken in den Kopf des 'Grünschnabels' flossen. Kusnezow lächelte, als er angefangen hatte nachzudenken, dass er, höchstwahrscheinlich zum ersten Mal in der Geschichte der Streitkräfte, meinetwegen in der Geschichte dieses motorisierten Schießregiments, in so einer kurzen Dienstzeit eine Anerkennung vom Kompaniekommandeur ausgesprochen bekommen hatte. Wenn man ihm für das Wissen des Eidestextes auch nicht mehr Geld gegeben hatte, aber so ein 'Aufschwung' hatte ihn auf den Gedanken gebracht, dass er in einem halben Jahr den Dienstgrad Untersergeant bekommt und eine ganze Gruppe kommandieren wird. Darauf den Dienstgrad 'Gefreiter' zu bekommen, hatte der Sibirer keine große Lust, der Soldat wollte nicht seine Kollegen grinsen sehen.
  Von dem Traum, Unterkommandeur zu werden, kamen dem Soldaten die Erinnerungen an sein Zivilleben, das er, wie es ihm vorkam, schon sehr lange verlassen hatte. Nachdem Kusnezow die Augen geschlossen hatte, sah er gleich sein Heimatdorf. Vor ihm erschien Petjka Sorokin, der ihm als Erster die Nachricht von der Einberufung zur Armee gebracht hatte. Der Fünftklässler war so schnell wie möglich von seinem Haus bis hin zum Dorfrand zu dem schiefen hölzernen Gebäude gelaufen, in dem sich die noch verbliebenen fünfzig Kühe des Sowchoses befanden. Sascha hatte seiner Mutter bei der Arbeit mit den Kühen geholfen. Als der Knabe den Einberufenen auf dem Heuboden sah, schrie er noch lauter:
  - Hej, Kusnez, du wirst heute zur Armee einberufen... Zur Armee einberufen...Du, Sanjka, hast gehört?
  Der Zwei-Meter-Riese, als ginge ihn die Information des Knaben nichts an, hatte gelassen weiter mit der Gabel das Heu aus einem großen Schober gezogen. Erst nachdem der Schüler ihm einen kleinen Zettel überreichte, wurde Kusnezow stutzig. Er hat nicht geglaubt, dass er diesen Herbst in die Armee einberufen wird. Über den Aufschub des Militärdienstes auf eine unbestimmte Frist hatte Alexander vom Militärkommissar des Rayons selbst gehört. Der Major hatte den Aufschub damit motiviert, so lange sein Vater nicht gefunden ist, würde er nicht in die Armee einberufen. Er war das einzige Kind seiner Mutter, darüber hinaus war sie oft krank. Mit Tränen in den Augen und einem ganzen Haufen von Bescheinigungen hat die Frau den Offizier gebeten, ihren Sohn nicht in die Armee einberufen, wenigstens so lange nicht, bis ihr Ehemann wieder da ist. Der jüngste Kusnezow weinte oft nach seinem Vater, verbarg aber seine Tränen von der Mutter.
  Von dem merkwürdigen Verschwinden des Vaters hatte der junge Mann noch in der technischen Berufsschule erfahren, die er ohne Lust besuchte. Letzten Endes beendete er sie nicht, er wurde wegen mangelhafter Leistungen und der vielen versäumten Stunden exmatrikuliert.
  Der Vater von Sanjka verschwandt Ende September unbekannt irgendwohin, gleich in einer Woche, als er mit seiner Frau im Rayon Zentrum Isumrudnoje seinen Stier verkauft hatte. Das Vieh wollten sie später verkaufen, aber das Leben zwang sie, es eher zu tun. Für das Fleisch, nach bäuerlichem Ermessen, bekamen sie viel Geld. Die hatte die Familie dringend nötig, denn im Dorf hatten die Menschen schon ein halbes Jahr keinen Lohn bekommen. Antonida hatte ihren Mann sehr sorgfältig auf die Fahrt ins Gebietszentrum vorbereitet. Sie hatte eine Liste mit den notwendigen Einkäufen geschrieben, zwei Blätter aus dem Schulheft voll. Der Hausherr, nachdem er die zahlreiche Bestellungen der Frau gelesen hatte, lachte und sagte schmunzelnd:
  - Na du, hast du es dir überlegt? Antonida, du möchtest, dass ich das alles auf einmal auf meinem Rücken nach Hause bringe. Behüte mich Gott, dass mache ich nicht. Notfalls fahre ich paar Mal oder bitte meine Bekannten in der Stadt, dir deine Bestellungen mit dem Auto zu bringen...
  Antonida nahm die Vorschläge ihres Mannes nicht begeistert auf. Sie sagte unter Tränen:
  - Ich kenne dich, Säufer. Du wirst mit deinen städtischen Trinker das ganze Geld vertrinken. Du lässt mich und den Sohn ohne ein Stück Brot und ohne Kopeke zurück. Ich hätte Saschka mitgeschickt, aber ich brauche ihn dringend auf der Farm. Du weiß doch, dass mein Rücken bald nicht mehr mitmacht. Und außerdem braucht man für zwei Fahrkarten viel Geld.
  Dem fügte die Frau ihrem Ehemann nichts weiter hinzu. Sie began bitter zu weinen und ging hinaus. In einer Stunde hatte sie auf der Farm zu sein, musste aber noch ihren zwei Meter großen Sohn suchen, der die letzte Zeit überhaupt den Eltern abhanden gekommen war. Nach einer gewissen Zeit kehrte die Frau ins Haus zurück, ihre Seele schmerzte wegen des Geldes, das mit Schweiß und Blut verdient worden war. Auf inständigem Bitten seiner Frau hatte Nikolaj das Geld zur Sicherheit ins Taschentuch eingewickelt und extra noch die Innentasche des alten Jacketts mit einer Sicherheitsnadel zugesteckt. Der Mann kehrte von dem Gebietszentrum Omino nicht nach einem Tag zurück, worüber ihn Antonida gebeten hatte. Er erschien nicht in Neidjonowka in zwei Tagen und auch nicht in einer Woche. Die Ehefrau alarmierte das Dorf, sie befragte alle Bewohner über ihren Mann. Niemand hatte ihren Mann gesehen, weder in der Stadt und noch im Dorf. Auch der Farmleiter hatte sich Sorgen gemacht, wenn auch der Verschwundene ein Säufer war, aber er hätte Ihn dringend gebraucht. Im Dorf, in dem vor fünf Jahren noch mehr als fünfhundert Menschen gelebt hatten, waren etwa hundert geblieben. Ein großer Teil von ihnen hatte keine Kraft mehr. Antonida hatte keine Geduld mehr, auf ihren Mann zu warten, sie hatte begonnen Briefe zu schreiben. In einer Woche hatte sie zehn Nahen- und Fernverwandte benachrichtigt, die in allen Ecken des großen Landes lebten. Sie hätte noch mehr Briefe geschrieben, aber sie kannte nicht die genauen Adressen und es fehlte das Geld für die mit Briefmarken versehenen Briefumschläge.
  Antonida war auch im Rayon Zentrum. Sie ritt mit dem Pferd dorthin. Das Rayondorf Isumrudnoje war etwa zwanzig Kilometer vom Dorf entfernt. Das spezifische 'Verkehrsmittel' hatte die Dorfbewohnerin nicht des guten Lebens oder ihrer Laune und ihres Wunsches gewählt, sondern weil sie kein Geld hatte. Dieses 'Verkehrsmittel' benutzten immer mehr und mehr Dorfbewohner. Nach der Ernte standen überhaupt alle Traktoren und Autos. Es gab keinen Sprit und keinen Treibstoff. Die Tankstelle im Dorf war geschlossen. Der Arbeitslose Tankwart Opa Matwej war oft betrunken und schlief im Wächterhäuschen. Inhaber von Motorädern brachten oft zu Fuß ihre eiserne 'Pferde' zur Zisterne und zapften sie an. Aber das laute Getöse verbesserte nicht ihre Laune. In den Jahren der Vollendung des Sozialismus kam der Bus abends und morgens ins Dorf, unter den Bedingungen der begonnen Demokratie kam er gar nicht mehr ins Dorf.
  Der Besuch der Rayon-Abteilung für Inneres hatte Antonida eine gewisse Hoffnung auf eine erfolgreiche Suche nach ihrem Mann gegeben. Nachdem sie sich vorgestellt hatte und dem Milizoffizier den Grund ihres Besuches nannte, begleitete er sie in ein Zimmer im zweiten Stockt. Der kahlköpfige Major, höchstwahrscheinlich war er irgendeinen Chef, hörte der weinenden Frau sehr aufmerksam zu. Während des Gesprächs vermerkte der Mann etwas in seinem Notizbuch. Im Zimmer und im Ausgang der ernsten staatlichen Institution beruhigte der Chef die noch relativ junge Besucherin und wiederholte dabei immer:
  - Antonida Petrowna, seien Sie beruhigt... Unsere sowjetische Miliz ist immer in Einheit mit unserem sowjetischen Volk... Wir finden bestimmt ihren Mann... Bei uns gibt es für solche 'Brüder' eine ganze Kartothek. Schon morgen werden alle Mitarbeiter der Miliz unseres Gebietes wissen, dass Ihr lieber Ehemann Nikolaj verschwunden ist...
  Der Offizier hatte einen Moment geschwiegen. Höchstwahrscheinlich hatte er den Vatersnamen des Verlorengegangenen vergessen. Antonida war schon im Begriff, den Mund öffnen und den Vatersname ihres Mannes zu sagen, aber der Offizier hatte schnell einen Ausweg aus der peinlichen Situation gefunden. Er sah sehr ernst die Frau an und sprach
  militärisch streng aus:
  - Wir finden auf jeden Fall Nikolaj... 'Vaterowitsch'... Die Besucherin hatte sich auch diesmal mit der Korrektur zurückgehalten. Ihre Seele füllte sich in diesem Moment mit Freude und Ruhe. Sie hatte den Offizier liebevoll angeschaut und nicht an einem Erfolg der Miliz gezweifelt.
  Morgen und vielleicht schon heute Abend wird ihr lieber Ausbrecher gefunden sein und nach Hause vom Chef gebracht werden. Der Major hatte es mehrmals versichert. Den verschwundenen Ehemann würde er eigenhändig nach Neidjonowka bringen.
  Auf dem Heimweg jagte die Frau ihr Pferdchen nicht mit der Peitsche, sie war von süßen Träumen gefangen. Antonida hatte sich vorgenommen, ihr Verhältnis zu ihrem nichtsnutzigen Mann vom Grund auf zu ändern. Sie träumte davon, dass sie morgen besser leben und süßer einander lieben würden als sie früher es getan hatten. Auch darüber hatte sie nachgedacht, wie man sich dem großen Chef erkenntlich zeigen könnte. Aber leider brachte man den Nichtsnutzigen nicht nach einem und auch nicht nach zwei Monaten...
  Der Sohn, der sein Heimatdorf verlassen hatte, um ehrenvoll seine Pflicht gegenüber dem Staat zu erfüllen, sah seinen Vater nicht mehr...
  Die schöne Erinnerungen des Soldaten an sein Heimatdorf unterbrach jemand in einer groben und unverschämten Weise. Er wusste es gleich, als ihm jemand in der Dunkelheit in den Unterleib schlug. Vor wahnsinnigem Schmerz schrie er auf, öffnete die Augen und stand schnell auf. Sofort blendete ihn der Strahl einer Taschenlampe. Alexander bedeckte sofort mit den Händen seine Augen. In diesem Moment schlug man ihn wieder kräftig, mit etwas Schwerem auf den Kopf.
  Er spürte gleich, dass am Scheitel sich eine Beule gebildet hatte. Er wollte sie betasten, aber er kam nicht dazu. Sogleich verspürte er einen schrecklichen Schmerz in der Schulter und zwischen den Beinen... Erst jetzt hatte er verstanden, dass man ihn verprügelte. Der Jüngling von zwei Meter Größe hatte nicht geglaubt, dass in seiner ersten Nacht und noch dazu in der ausgezeichneten Kompanie des berühmten Hauptmanns Makarow, man ihn prügeln würde. Und das hatte ihm Mut und Kraft gegeben. Alexander sprang schnell aus dem Bett und stürzte sich zum Ausgang. Er hatte es nicht geschafft, hinaus in den Kasernenflur zu laufen. Jemanden hatte ihm ein Bein gestellt und er ging wie eine abgemähte Garbe zu Boden. Blut strömte ihm aus der Nase. In diesem Moment flammte im Schlafraum die elektrische Lampe auf. Kusnezow lag in blutiger Unterwäsche zwischen zwei Reihen von Betten auf dem Boden und schaute mit trüben Augen mal auf die Decke, mal ringsherum. Plötzlich sah er in der Ecke am Fenster vier Jünglings, die Jogginganzüge anhatten. Das es die 'Alten' waren, daran hatte er keine Zweifel. Unter den auf dem Bett Sitzenden erkannte er gleich den 'Alten' Makulow. Der Kasache sah verächtlich auf den niedergeschlagenen Riesen und spuckte immer wieder aus irgendeinem Grund durch seine krummen Zähne. Endlich hatte er von dieser Beschäftigung genug und sagte boshaft:
  - Wie geht's 'Grünschnabel?' Warum begrüßt du uns nicht? Oder hast du vergessen, wer in unserer Armee regiert? Hat man dir, Missgeburt, nicht die Armeesubordination beigebracht? Mein Vater hat einst Gretschko Ehrenbezeigungen erwiesen...
  Eine gewisse Zeit schwieg der Kasache, geschwiegen haben auch die übrigen 'Alten', auch der 'Grünschnabel'. Er legte manchmal die Hand auf seine Nase und bemühte sich, das Blut zu stoppen. Das Schweigespiel hatten die 'Alten' satt. Einer von ihnen, der sehr mager war, stand plötzlich auf und lief zu dem liegenden auf dem Boden. Er gab ihm einen kräftigen Fußtritt. Kusnezow schrie vor Schmerz auf und rollte sich zusammen, immer neue Schläge folgten...
  Die darauf folgenden Schläge spürte er nicht mehr. Hass auf die 'Alten', auf diese Unmenschen, erfüllte ihn. Der Gedanken sich zu rächen, für seine Würde einzutreten, durchdrang plötzlich seine Seele und Besinnung. Einen Moment erinnerte er sich an die militärischen Memoiren seines Vaters. Er erzählte oft seinem einzigen Sohn, dass das Wichtigste in einer Prügelei ist, immer als Erster zuzuschlagen. Der Vater, der seinen Wehrdienst an der chinesischen Grenze geleistet hatte, hatte einem 'Alten' die Schöpfkelle auf den Kopf geschlagen, weil der seine zwei Stücke Weißbrot aufgegessen hatte...
   Alles was später passierte, konnte Kusnezow Junior nicht mehr begreifen. Er sprang blitzschnell auf und stürzte zu einem Nachttisch, auf dem ein Soldatenriemen lag. Er nahm den Riemen in die Hände und stürzte sich auf den 'Alten' Makulow, der friedlich seinen Rücken gekratzt hatte und ein ungezwungenes Gespräch mit seinen Kollegen führte. Zwei weitere saßen auch auf den Betten und hörten mit offenen Mündern dem militärischen 'Führer' zu. Der Magere stand immer noch beim 'Grünschnabel' und wartete auf die Anweisungen der 'Troika'. Er schaffte es nicht, mit den Augen zu blinzeln, als er das erschrockene Gesicht seines 'Führers' sah, um dessen Hals der Soldatenriemen fest lag. Der Versuch des 'Mageren', Makulow zu Hilfe zu kommen, hatte kein Erfolg. Er hatte noch keine drei Schritte in Richtung Bett machen können, als er einen kräftigen Tritt in den Bauch bekam. Davon ging er zu Boden. Nachdem die zwei auf dem Bett Sitzenden den schrecklichen Schrei des Kasachen gehört hatten, flohen sie schnell aus dem Raum. Wohin und warum die Zwei verschwunden waren, war dem jungen Soldaten egal. Er sah vor sich nur noch das dunkle Gesicht des Kasachen und seine krumme Zähne. Kusnezow zog mit seiner ganzen Kraft die Enden des Soldatenriemens zusammen und Schrie fürchterlich:
  - Du, Missgeburt, wenn du mich nur einmal noch anfasst... Ich bringe dich um, Dummkopf aus Misst... Hast du verstanden, du Missgeburt?
  Der Soldat des Zweiten Dienstjahres, Makulow, antwortete nicht, er röchelte nur stark. Aus seinen schmalen schwarzen Augen flossen Tränen. Irgendwie konnte er den Mund öffnen und die Zunge bewegen. Worüber Makulow sprach oder bat, verstand der zwei Meter große 'Henker' nicht, er wollte auch nichts verstehen. Er wollte nur noch Rache...
  Die Prügelei dauerte noch zehn Minuten. Der Einheitsdiensthabende, ein grauhaarige Major, war verblüfft über das Erblickte, als er die Tür des Schlafraumes öffnete. Im Raum befanden sich drei Soldaten. Zwei von ihnen, einer sehr kleinen, der andere langer und mager, lagen auf dem Boden. Zwischen ihnen hockte ein Soldat mit kurz geschnittenen Haaren und klopfte abwechselnd mit der Schnalle die nackte Hintern der liegenden. Während der versetzen von Schlägen haben die 'Alten' unmenschlich geschrien...
  Soldat Kusnezow wurde erst am Abend aus der Hauptwache abgeholt. Der Diensthabende der Einheit beschloss, dem Jungen Soldaten Zeit zum Überlegen zu geben. Den Soldaten hatte der Kompaniekommandeur abgeholt. Der Hauptmann war genau so groß wie sein Untergeordneter. Der Offizier war von der Figur her bedeutend kräftiger und sah daher wie ein echter Riese aus. An diesem Abend brennte im Büro der Kompanie das Licht bis in die Nacht hinein. Niemand von dem Personal der Einheit kannte den Inhalt des langen Gesprächs zwischen dem Offizier und dem jungen Soldaten. Auch die 'Alten' hatten keinen Versuch zur Aufklärung unternommen. Sie haben einfach Angst vor ihrem mächtigen Kommandeur, der schon viel zu lange in der ausgezeichneter Kompanie war. Das lange Gespräch war ein Spiel in ein Tor. Der Chef hatte Fragen gestellt und der Untergeordneter antwortete trocken. Alexander beobachtete aufmerksam, wie der Kompaniechef seine Informationen sorgfältig in ein dickes Heft eintrug. Manchmal warf er einen neugierigen Blick auf den Kommandeur. Einen kurzen Moment trafen sich ihre Blicke. Der Soldat schaute als Erster zur Seite...
  Nach dem Ende des langen Gesprächs stand der Offizier hinter dem Tisch auf und drückte seinem Untergeordneten die Hand. Nach einer Denkpause sagte er bestimmt:
  - Weißt du was, Sibirier... Nimm deine Matratze und bringe sie in die Zenitgruppe. Deinen Wehrdienst wirst du bei dem Sergeanten Dubrowin fortsetzen. Er ist ein gebildeter Kommandeur und auch seine Jungs sind ohne Fehl und Tadel. Ich habe diese Versetzung schon mit meinem Vertreter für politische Erziehung besprochen, er hat auch nichts dagegen... Es ist schade, dass unser Kommissar heute ins Spital gefahren ist...
  Nachdem sich der Offizier wieder auf den Stuhl gesetzt hatte, nahm er das dicke Heft an sich. Kusnezow, der stramm stand, las auf der Titelseite des Heftes:
  "Buch für individuelle Gespräche mit dem Personalbestand der Ersten Motorisierten Schießkompanie".
  Der Hauptmann lächelte und notierte etwas in seinem Heft. Er klappte das Heft zu, lehnte sich zurück und begann lebhaft zu sprechen:
  - Kusnezow, mir kam gerade so eine Idee... Bei uns im Regiment findet bald ein Boxwettbewerb statt. Unser Regimentsvater liebt sehr das Boxen. Mich hat er schon satt und auch mein Alter ist schon nicht mehr jenes... Das heißt, du erhälst von mir die Möglichkeit zu trainieren, aber nur in der Freizeit. Wie und wo du trainierst, das ist dein Problem... Bei den Organisationsfragen hilft dir Sergeant Dubrowin. Ich sage es ihm...
  Zum Abschied drückte der Offizier dem Soldaten fest die Hand und sagte stolz:
  - Hör auf mich, mein Landsmann... Ich sage dir ehrlich... Den ersten Angriff der 'Alten' der Kompanie hast du ehrenvoll überstanden. Du hast wie ein echter Sibirier gehandelt. Du 'Grünschnabel' kennst wahrscheinlich nicht die Bücher über den Heroismus unserer Landsleute. Sie gingen während des Krieges in den Angriff in voller Größe, die sibirischen Regimenter waren es, die Moskau retteten...
  Die zweite Nacht des jungen Soldaten Kusnezow in der ausgezeineten Kompanie verlief ohne Vorfälle, aber er hatte wieder die ganze Nacht nicht geschlafen. Die Ursache waren aber jetzt nicht die 'Alten', sondern die Gedanken an seine Eltern und nicht nur an sie, die in seinem Kopf waren, der gestern noch ein Zivilmensch war. Versunken in diese Gedanken wischte er ab und zu die Tränen ab...
  Nach der Schlägerei mit den 'Alten' und dem Gespräch mit dem Kompaniekommandeur empfand Alexander seine Vergangenheit ganz anders. Er bedauerte es, dass er die zehnte Klasse nicht abgeschlossen hatte. Sie hätte ihm den Weg zur Hochschule öffnen können. Die Zeit vor dem Wehrdienst in der Armee hatte er 'verpfiffen'. Sogar in der Berufsausbildung hatte er sich keine Mühe gegeben, keine Hausaufgaben gemacht und oft im Unterricht gefehlt. Aus diesem Grund wurde aus ihm kein Maurer. Man hatte inh einfach extmatrikuliert.
  Er machte sich auch keine Gedanken über die Tränen seiner Mutter, die immer geweint hatte, wenn sie Briefe vom Direktor der Bildungsstätte bekam. Im Haushalt war er auch keine große Hilfe: half nicht einmal den Eltern bei der Bereitstellung von Heu und Brennholz. Möglicherweise wollten es die Eltern selbst nicht, den einzigen Sohn zur landwirtschftlichen Arbeit zwingen. Das hatte Alexander ausgenutzt. Erst nach dem Verschwinden des Vaters hatte sich Sanjka zum Besseren verändert. Er half der Mutter auf der Farm. Der sorglose Jüngling besaß auch ein Herz. Seine Mutter hatte die ganze Nacht vor Schmerzen gestöhnt. Die relativ noch junge Frau hatte über die Rückenschmerzen geklagt. Antonida war paar Mal in der Kreispoliklinik, dort hatte man ihr aber nicht geholfen. Sie hatte auch ein Versuch unternommen, sich bei einer Heilerin im Gebietszentrum behandeln zu lassen. Sie hatte die Gebietszeitschrift mit der Anzeige, nach der die bisher unbekannte Heilerin alle vorstellbaren und unvorstellbaren Krankheiten geheilt hatte, mitgenommen und stürmte zu ihrer Retterin. Die junge Frau begrüßte sehr freundlich die Kranke und befragte sie über ihr Leben. Danach bat sie die Bäuerin, sich auszuziehen und auf einen abgenutzten Teppich, der auf dem Boden lag, zu legen. Das 'Bettlaken' roch sehr nach Katzenurin. Die Heilerin "vertrieb" die Krankheiten ohne Spritzen und Tabletten. In der Hand hatte sie einen Nagel oder ein Drahtstück und machte einige Kreise neben der liegenden Frau und schrie gebieterisch:
   - Du, Iwan, bringe die nächste Kranke... Die ist schon fertig...
  Iwan, ein Mann von vierzig Jahren, der Ehemann der Heilerin, vielleicht auch der Freund, öffnete schnell das Fenster und schrie in die die vor den Eingang stehende Menge:
  - Herrschaften! Wer ist der nächste? Bitte...
  Von dieser kurzer medizinischen Behandlung hatte es Antonida die Sprache verschlagen. Sie nahm ihre Kleider unter den Arm und ging zu der Heilerin. Die ließ Antonida nicht zu Wort kommen, lächelte nett und sagte:
  - Bei Ihnen, liebe Frau, wird jetzt alles in Ordnung kommen... Die Schmerzen verschwinden in paar Wochen... Ihre Geldspende legen Sie ins Buch, das auf dem Tisch am Eingang liegt...
  Eine Geldspende hatte die Patientin aus dem kleinen Dorf nicht, in die Stadt ist sie mit der S-Bahn 'schwarz' gekommen. Iwan wies aber nicht die zwei Gänsen ab. Die Schmerzen der Bäuerin verschwanden weder nach zwei Wochen noch nach einem Monat und auch nicht nach einem Jahr...
  Kusnezow hatte auch keine Braut in der Heimat zurückgelassen. Er wusste es jetzt auch selber nicht, warum. Saschka gehörte nicht zu den hässlichen Burschen. Es war gerade umgekehrt. Fast alle seine Mitschülerinnen und auch die Mädchen in der Berufsausbildung waren von den Kräften des Jünglings begeistert. Auf verschiedenen Tanzveranstaltungen war Saschka-Riesen immer im Zentrum des weiblichen Interesses, wenn er auch nicht so richtig tanzen konnte. Alexander hatte nie ein Mädchen zum Tanzen oder ins Kino eingeladen, er war schüchtern. Die Mädchen luden ihn selber ein. Einige Vertreterinnen des schwachen Geschlechts, unterschiedlich vom Alter und Aussehen her, hielten es für eine Ehrensache, mit dem zwei Meter großen Burschen zu tanzen. Die anderen baten ihn, sie nach Hause zu begleiten. Aber alles endete immer am Haus oder am Engang desWohnheimes. Er war bei keinem Mädchen zu Hause, geschweige denn schlief er dort. Die Mädchen wollten vielleicht nur mit ihm spielen, wie mit einem Wunder der Natur. Sanjka verstand auch selbst nicht, warum er so groß geworden ist. Mutter und Vater waren mittelgroß und alle Verwandte kleiner als er. Bevor er zu Wehrdienst einbezogen wurde, hatte er ein Mädchen geküsst, eine Deutsche. Vor einem halben Jahr war Polinka aus Kasachstan nach Neidjonowka gekommen. Ihre Eltern warteten auf den Aufnahmebescheid aus Deutschland. Das Mädchen hatte den ganzen Tag ihren Altersgenossen und nicht nur ihnen über das gute Leben in Deutschland erzählt. Ihrer Ansicht nach fuhren sogar die Sozialhilfeempfenger moderne Autos. Der Riese hatte damals keine große Lust auf all dieses Gerede. Aber dass Arbeitslose Aussiedler aus der Sowjetunion schon nach einem Jahr oder einigen Monaten Autos fuhren, rief bei ihm Neid und Respekt gegenüber denen hervor, die in diesem reichen Land lebten. In Neidjonowka hatte keiner ein Auto, außer Opa Semjon Konotop, ein Kriegsveteran. Der Opa liebte seinen 'Saporoshez' und hütete ihn sehr. So fuhr er mit dem Auto nur auf trockenen Wegen. Im Winter und bei schlechtem Wetter stand das Auto in einer aus Birkenbrettern gebauten Garage. Auch zu verschiedene Veranstaltungen, zu denen ihn die Kreisverwaltung einlud, fuhr er nicht mit seinem Auto. Den Opa, holte man in der Regel aus Isumrundnoje mit dem PKW ab. Zu den Schülern der Schule im Ort brachte den Veteranen der Geschäftsführer mit dem Dienstmotorrad Seitenwagen. Zu allen Veranstaltungen zog sich der alleinstehende Mann wie zu einer Militärparade an. Er war stets in einem strengen schwarzen Anzug gekleidet, den er wahrscheinlich schon fünfzig Jahre besaß. Der Opa putzte seine nicht zahlreiche Medaillen und den einzige Orden auf Hochglanz. Den Orden hatte der Opa in Friedenszeiten als Kriegsteilnehmer erhalten. Er zog auch seine Offiziersstiefel an, auf die er sehr stolz war. Woher der Soldat die Stiefel hatte, wusste keiner. Gerüchten einiger Dorfleute nach hatte der Opa vor zehn Jahren, vielleicht auch früher, diese Stiefel bei einem Offizier im Rayon- Zentrum gegen Pilze eingetauscht. Mal gab es Semjon zu, mal nicht...
  Die etwa zehn 'Alten', geleitet von Makulow, berieten sich den ganzen Tag über. Das freche Verhalten des 'Grünschnabels' beschäftigte sie auch während des Unterrichts. Am wahrscheinlichsten hätte auf Kusnezow nach dem Signal 'schlafen' wieder eine richtige Exekution gewartet, wenn es nicht den Kompaniekommandeur und seinen Stellvertreter gegeben hätte. Gerade diese beiden Offiziere hatten wirklich gegen die Methoden der 'Alten' gekämpft. Makulow und seine Umgebung waren froh, dass der Stellvertreter des Kommandeurs wieder einmal ins Spital gefahren war. Den politischen Mitarbeiter hatte der Magen gequält. Der Hauptmann nahm sich jeden Vorfall in seiner Kompanie schwer zu Herzen. Jeder Disziplinverstoß seiner Untergeordneten, besonders Misshandlungen gegenüber den jungen Soldaten, ließen ihm graue Haare auf dem Kopf wachsen. Am nächsten Tag kam Makarow gleich am frühen Morgen in die Kompanie und rief Makulow zu sich ins Büro. Der Dienstältere, als er erfuhr, dass ihn der Kommandeur bestellt hatte, beschloss sich wie ein Fuchs zu verhalten. Zwei Meter vor dem Büro des Kommandeurs ging er zum Exerzierschritt über, blieb stehen und klopfte leicht an die Tür. Danach öffnete er sie vorsichtig und fragte mit einem einschmeichelnden Lächeln:
  - Genosse Hauptmann, haben Sie mich bestellt?
  Der Offizier schaute ironisch den Soldat an. Er sagte auch leise erstaunt:
  - Und Sie, Soldat Makulow, Sie fühlen nicht, dass Sie heute unbedingt bestellt werden?
  Das Gespräch zwischen dem Kommandeur und dem 'Alten' verlief nicht freundlich. Makulow war vor den Augen des Offiziers Soldat geworden. Einige Momente seines Dienstes hatte Makarow bis ins kleinste Detail noch im Gedächtnis, etwas rief bei ihm sogar ein Lächeln hervor. Als Neueinbezogener hatte Makulow während der ersten Schießübungen aus der Maschinenpistole mit Gefechtpatronen die Luft verdorben. Er hatte die Luft so stark verpestet, dass der Leiter nicht nur den zusammenzuckenden Körper des Soldaten zwischen den Füssen festhalten, sondern auch noch seine Nase mit der Hand zuhalten musste. Dieses Mal dauerte die Besprechung nicht lange. Der Untergeordnete hatte seinen neuen Fehler verstanden und nahm eine niedergeschlagene Haltung an. Makarow schaute mit einigem Misstrauen auf den Kasachen. Er glaubte nicht an seine Aufrichtigkeit. Daran, das Makulow mehr als einmal die jungen Soldaten misshandelte, zweifelte der Offizier nicht. Er wusste auch genau, warum der Altdienstleistenden sich an denen rächte, die gerade in die Einheit gekommen waren. Der "Alte", der ergeben in den Mund des Offiziers schaute, woher er die Fortsetzung der Moralpredigt erwartete, sogar während des Gesprächs hatte er die Möglichkeit der Vergeltung über den großgewachsenen 'Grünschnabel' zugelassen. Makulow, eine Art Gebieter über die Altersgenossen im Wehrdienst, wollte nicht sein Ansehen bei ihnen verlieren. Die Autorität hatte sich der Soldat mit Schweiß und Blut verdient. Den Burschen aus einem kleinen kasachischen Dorf hatte man am ersten Tag des Wehrdienstes grausam verprügelt. Drei Monate lang nähte er fleißig einem "Alten" an die Jacken weiße Krägelchen an. Und das war noch nicht alles.
  Jeder "Alte" arbeitete seine Ordnung und Reglement des Schlafengehens aus. Nach dem Weggang des Offiziers der Kompanie fiel irgendeiner von den Jungen auf die Knie vor dem Bett des "Anten" und sang Lieder oder erzählte Märchen. Nachdem der junge Soldat dem "Alten" berichtet hatte, wie lange er noch zu dienen hatte, musste er dem "Alten' den Rücken kratzen und erst nachdem der "Alte" eingeschlafen war, ging der junge Soldat vorsichtig und "mäuschenstill" in sein Bett...
  An diesem Tag kam Hauptmann Makarow sehr spät nach Hause, um ein Uhr der Nacht. Die Ehefrau und Tochter schlifen schon fest. Er trank ein Glas Tee, zog sich schnell aus und legte sich auf das Sofa. Das Sofa hatte er in der letzten Zeit oft "bekommen". Die Frau und seine kleine Tochter gingen gewöhnlich um zehn ins Bett. Tatjana, so hieß die Offiziersfrau mit Vornamen, hatte die Tochter zu sich ins Bett genommen, wenn ihr Mann zu dieser Zeit noch nicht zu Hause war. Die Frau wachte oft früh am Morgen auf und warf einen Blick auf das Sofa, es war leer. Das bedeutete, dass ihr Saschenjka schon weggegangen war, um das Personal der ausgezeichneten Kompanie zu wecken...
  Alexander Makarow war in dieser Nacht sehr beunruhigt. Er dachte immer noch über den Inhalt des Gesprächs mit dem jungen Soldaten und über die, die ihn so misshandelt hatten, nach. Mit dem "Altertum" in seiner Kompanie kämpfte nicht nur er. Ihm und seinem Vertreter standen Offiziere und Sergeanten, Komsomolaktivisten zur Seite. Zur Erziehung der Untergeordneten wurden auch Mitglieder von Frauenräten herangezogen, die an Sonntagen den Soldaten Torten und anderes Backwerk brachten. Wiederholt waren alle Bemühungen umsonst gewesen. In der ausgezeichneten Kompanie von Makarow gab es auch besondere Vorkommnisse. Im Prinzip hatte das Verhalten des jungen Soldaten Kusnezow den Hauptmann sogar gefreut. Der große Junge hatte einen würdigen Widerstand gegen die "Alten " geleistet, dank seiner Größe und seiner Kraft.
  Hauptmann Makarow kam aus Daurija in das "chinesische" Regiment jenseits des Baikalsees. Der Absolvent der Omsker Offizierhochschule hatte nach zwei Jahren eine Kompanie bekommen und sie drei Jahre kommandiert. Danach kam er nach Deutschland, in das kleine deutsche Städtchen Dachbau. Und wieder erhielt er eine Kompanie, insgesamt acht Jahre in unmittelbarer Nähe des eigenen Personals.
  Für einen gescheiten und erfahren Offizier war es eine sehr lange Zeit. Alexander knirschte nur mit den Zähnen, als er erfuhr, dass seine Studienkameraden in dieser Zeit Bataillone befehligten, einige an der Akademie studiert hatten. Sorgte sich auch Tatjana, wenn ihr Mann aufgeregt nach Hause kam und über Personalumstellungen in der Einheit oder in seiner Kompanie sprach. Makarow hielt sich nicht für einen privilegierten Offizier, aber er hatte sich auf die Gerechtigkeit und Anständigkeit des Sozialismus verlassen. Die Eheleute hofften immer wieder aufs Neue auf eine bessere Zukunft. Der Kommandeur der ausgezeichneten Kompanie verbrachte immer mehr und mehr Zeit in der Kaserne, er sah nur selten seine Familie. Tatjana verstand das alles und ertrug tapfer ihre Einsamkeit.
  Alexander Makarow verstand sich im Prinzip immer mit seinen Untergeordneten und es hat alle gefreut. Die leitende Rolle Makarows, als ehrlichen und gerechten Menschen, haben nicht nur die Offiziere in ihm gesehen, sondern auch die Soldaten seiner Kompanie. Der Hauptmann war überall und immer der Erste. Der Riese sprang schneller als alle andere in die Kampfmasche hinein, und schoss immer ausgezeichnet. Keiner konnte wie er die Kampfmaschinen fahren. Auch seine untergeordneten Kommandeure standen ihm nicht nach. Als Rang- und Dienstgradältester hatte er seine Gefechtmeisterschaft mit jedem Untergeordneten geteilt...
  Die Erste technische Schießkompanie hatte nicht ihresgleichen auf dem Gebiet der Laienkunst. Der Kompaniechef sang so eindrucksvoll, dass einigen Offizieren und ihren Ehefrauen Tränen in den Augen standen. Mit Tränen in den Augen freute sich auch seine Frau über die Erfolge ihres Mannes. Tatjana weinte Tag und Nacht, als sie nach dem schweren Leben jenseits des Baikalsees erfahren hatte, dass ihr lieber Mann zur Wehrdienst in die DDR geschickt wird. Sie und ihr Mann hatten in ihrem Leben nicht so viel Gutes gehabt. Ihre Eltern hat Tatjana nie gesehen, sie ist im Waisenhaus aufgewachsen. Makarow hatte Eltern, sie wohnten auf dem Dorf und arbeiteten dort auf der Farm. Tatjana lernte den Offiziersschüler zufällig im Stadtpark kennen. Der große Militär hatte ihr gleich sehr gefallen. Schon in einem Monat begannen die jungen Leute, ihre gemeinsame Zukunft zu planen. Besondere Fortschritte in diesen Träumen machte der junge Offizier, als er zu der "Gruppe Sowjetischer Streikräfte in Deutschland" (GSSD) kam. Makarow kam im Herbst im Regiment an und schon nach einem Tag hatte er von sich hören lassen. Eine Kompanie mit bisher Vorkommnissen sollte bestimmt sein, eine ausgezeichnete zu werden. In einem Jahr waren die Verpflichtungen erfüllt, im Erfolg hatte ein großer Anteil der Ehemaligen von dem Baikalsee. Niemanden hatte es verneint, auch nicht der Regimentskommandeur, der ihn als Vorbild bezeichnete. Den fälligen Dienstgrad "Hauptmann" hatte der Kommandeur der führenden Einheit erhalten, aber mit dreimonatiger Verspätung. In demselben Jahr erhielten seine zwei untergeordneten Offiziere eine Beförderung in das Nachbarregiment. Es verging noch ein Jahr. Die "Makarowzy" hatten ihren Titel "Ausgezeichnete Kompanie" wieder verteidigt. Über den erfahrenen Kommandeur und Kommunisten Makarow brachte die Divisionszeitung eine große Reportage. Das Porträt des grauhaarigen Offiziers hing auch an der Ehrentafel des Regiments. Über den Boxkampf schrieb die Zeitung "Krasnaja Swesda". Aber mit allen diesen Ehrenbezeigungen zeigte sich der junge Mann immer noch nicht ganz zufrieden.
  Der gewissenhafte 'Diener' bei der Armee wusste genau, dass, wenn er in der nächsten Zeit nicht in seiner Militärkarriere weiterkommt, dann wird er ein 'Hineingeschobener' sein und zwar für immer. Alexander wollte nicht irgendwo in Stab sitzen und als Hauptmann oder bestenfalls als Major auf die Rente warten. Den seelischen Zustand des Ehemannes verstand auch seine Frau. Sie machte sich sogar noch mehr Sorgen um ihren klugen Saschka als der Riese selber. Die nervöse Anspannung der Eltern hatte auch Einfluss auf die Kleine gehabt, die die Eltern mehr als ihr Leben liebten. Wika hat die letzte Zeit Nachts nicht geschlafen und war die ganze Zeit launisch. Der Militärarzt des Regiments konnte dem Kind nicht helfen. Die jungen Eheleute beschlossen, sich an die Deutschen zu wenden. Ein Professor schaute sich die Kranke an. Nach einem Tag ging es dem Mädchen bedeutend besser und auch die Laune der jungen Eltern verbesserte sich. Aber leider hatte die Freude einen bitteren Beigeschmack. Der Kommandeur des Regiments erfuhr, dass die Familie Makarow die deutsche Klinik besucht hatte. Major Sljunkow rief gleich am nächsten Morgen in der Kompanie an und bestellte mit einer unzufriedenen Stimme den Hauptmann zu sich ins Büro. Der tüchtige und fleißige Offizier wurde in einem Augenblick für den Oberoffizier einen richtigen Feind geworden. Das spürte der Hauptmann sofort, als er an die Bürotür klopfte. Der Eingetretene hatte es noch nicht einmal geschafft, über sein Kommen sich melden, als der Chef, wie von einer Tarantel gestochen, durch die Zähne zischte:
  - Genosse Hauptmann, wer hat Ihnen erlaubt, deutsche Einrichtungen zu besuchen? Oder hatten Sie von ihrer Frau Angst?
  Die Fragen des Regimentskommandeurs machten den Untergeordneten stutzig, er schwieg deshalb und nahm Exerzierhaltung an. Er war rot wie ein Krebs geworden.
  Makarow bereute sogar einen Augenblick, dass er auf die Argumente seiner Frau gehört hatte. Tatjana hatte gesagt, dass an diesem Tag am Morgen der Regimentsmusiker Owetschkin seine Frau in die Klinik brachte. Und er wusste auch von mehreren Fällen, dass deutsche Ärzte Familienmitglieder der Oberen Offiziere behandelten.
  Jetzt aber, war ihm, der in der Mitte des Teppichs stand und aufmerksam die Moralpredig und die Anweisungen des Regimentskommandeurs anhörte, nicht danach, sich zu rechtfertigen. Makarow begriff, jetzt in diesem Büro, dass er bei diesem Chef, der nur fünf Jahre älter war als er, keine Karriere machen würde. Der Kommandeur der motorisierten Schißkompanie war dem Major zwei Jahre unterstellt und kannte alle seine Gewohnheiten. Über den Ehrgeiz des Kahlköpfigen erzählte man Legenden. Einer aus der Regimentsverwaltung erzählte, dass Sljunkow den Chef eines Lehrstuhles in der Militärakademie gebeten hatte, ihm ein Telegramm nach Sotchi zu schicken, wenn er den Dienstgrad 'Major' bekommt. Der überaus gepflegte junge Mann, alledings mit einem großen Kahlkopf, hatte sich schon Schulterstücke mit großen Sternen besorgt. Das Telegramm traf einen Tag vor seiner Abreise aus dem Urlaub ein. Es war sehr heiß an diesem Tag. Einige Leute am Strand schauten erstaunt den jungen Mann im grünen Hemd mit den Majorsschulterstücken an, auf dem Kopf des Militärs ein Strohhut war...
  Es gab auch nicht wenig Gerüchte, dass der Kahlköpfiger recht oft mit den Frauen was gehabt hätte... Auch über die Karriere des Regimentskommandeurs, darüber wie er seine Sterne und Orden verdient hatte, erzählte man in der Einheit Verschiedenes. Einige erzählten, dass er seinen Militärdienst nach der Parteischule begonnen hätte. Andere sahen seinen Karrierensprung auf Grund wichtiger Kontakte seiner Ehefrau. Makarow interessierte sich wenig für die Inhalte von Gerüchten, Klatsche und Gerede. Eines wusste er genau, dass Sljunkow gleich nach Akademieabschluss in das Regiment gekommen war. Für Ihn hat sich die Hoffnung, an der Akademie zu studieren, von Tag zu Tag verringert... Die letzte Weisung des Kommandeurs löste bei Makarow Tränen aus. Sie war für ihn demütigend und sehr dreist. Der Glatzköpfige, als hätte vor ihm irgendein Wesen gestanden, hatte die Augen zusammengekniffen und spöttisch gezischt:
  - Alles, das ich dir vorher gesagt habe, musst du zur Kenntnis nehmen... Und merke dir noch, dass ist das Wichtigste... Ich und nur ich bin in dieser Einheit der Chef für alle... Jeder Besuch bei den Deutschen, auch der von deinem Frauchen, kann nur mit meinem Wissen stattfinden...
  Der Vorrat von Kraft und die Lust in der Einheit zu arbeiten, vergingen nach dem Besuch des Regimentskommandeurs bei dem einst gewissenhaften Offizier nach und nach. Das bemerkte auch Tatjana. Deshalb weinte sie oft heimlich. In diesen kurzen Stunden, die die jungen Leute demeinsam verbrachten, listeten sie Alexsanders Verdienste und die Fehlschläge auf. Zu den Pechvögeln zählten sie sich nicht. Die Eheleute, ausgehen von dem, was sie gesehen und gehört hatten in dieser Einheit und in Sabajkalje, kamen immer öfter und öfter zu einem untröstlichen Schluss: Die aus den Arbeiter- und Bauerfamilien stammenden Offiziere würden nie Generäle. Zu diesem Schluss kamen sie erneut nach der Exerzierbesichtigung ihres Regiments. An diesem Tag war es schon morgens heiß. Sljunkow hatte das Regiment schon sehr früh aufgestellt, um die Bereitschaft seiner 'Chinesen' zu kontrollieren.
  Danach wartete man auf die Divisionschefs. Die Sonne stand schon im Zenit, als der Kommandeur der Einheit mit seinem Gefolge ins Militärstädtchen kam. Dieses Mal hatte Hauptmann Makarow seine Untergeordnete besonders sorgfältig auf den Exerzierappell vorbereitet. Alles war Okay, auch beim Offizier - die Paradeuniform und sogar die Frisur. Er hatte seine Haare beim Kompaniefriseur ganz kurz schneiden lassen, um die Divisionschefs nicht zu verärgern. Auf dem Familienrat hatte man beschlossen, dass für Alexander die Zeit gekommen war, beim Regimentskommandeur wegen seiner Militärperspektive nachzufragen. Gründe dafür gab es genügend. Drei Jahre trug seine Kompanie bereits den Titel 'Ausgezeichnete Einheit', in dieser Zeit wurden fünf Zugkommandeure befördert. Auch Hauptmann Makarow wurde geehrt. Die Kompanie besuchten vor einem Jahr deutsche Gäste aus Berlin. Zum dem Offizier mit mächtiger Gestalt trat einer von den Deutschen heran und sagte in russischer Sprache:
  - Sie dienen gut, Genosse sowjetischer Offizier...
  Diese Worte hatten beim Gefolge ein Lächeln ausgelöst. Der Kommandeur der Einheit hatte dem erfahrenen Offizier die Hand gedrückt und ihn umarmt. Nach diesem Erlebnis gab es bei Makarow und seiner Frau die berechtigte Hoffnung auf die nächste Stufe in der Militärkarriere...
  Der Regimentskommandeur in Begleitung des Einheitskommandeurs trat irgendwie unbemerkt an Makarow heran. Die helle Sonne, so schien es dem Hauptmann, hatte zu guten Laune beider Chefs beigetragen. Der junge General, ziemlich kleiner vom Wuchs, sagte lustig, als er den Riesen vor sich sah:
  - Sljunkow, schau mal, was für ein 'Adler' bei uns in der Infanterie dient. Ich habe nicht gedacht, dass so ein schöner Offizier mir untergeordnet ist...
  Sein Lächeln war ansteckend und auch der Einheitskommandeur strahlte mit einem Lächeln. Er bückte sich wie ein Fuchs vor dem oberen Kommandeur und sagte einschmeichelnd:
  - Hauptmann Makarow ist ein fehlerloser, fachmännischer und zuverlässiger Offizier. Seine Kompanie trägt schon drei Jahren den Titel 'Ausgezeichnete Kompanie'...
  Nach diesen Worten lächelte der Major breit, dabei zwei Reihen krummer Zähne zeigend.
  Der Hauptmann spürte die gute Laune seines Chefs und entschloss sich, ihm die Frage, über die er mit seiner Frau schon ein ganzes Jahr nachgedacht hatten, zu stellen:
  - Genosse Generalmajor, darf ich eine Frage stellen?', sprach der Offizier sehr ernst. Der General schaute verwundert den stattlichen Mann an, als er seine Donnerstimme gehört hatte und sagte leise:
  - Kein Problem, Hauptmann... Ich höre...
  Nach den Berichten des Zugskommandeurs darüber, dass die Waffen und der Personalbestand in Ordnung sind, beeilte sich Makarow nach Hause zu kommen. Er wusste genau, dass Tatjana ungeduldig auf die Antwort des Divisionskommandeurs wartete. In der Seele der Frau wurde es unruhig, als sie durch das Küchenfenster das strenge und sehr ernste Gesicht ihres geliebten Menschen sah. Und die junge Frau hatte sich in ihren Gefühlen nicht geirrt. Als die Eingangstür aufging, ging Alexander sofort ins Wohnzimmer und setzte sich auf das Sofa, ohne die Paradeuniform auszuziehen. Er schwieg und schaute irgendwohin an die Decke. Bald hatte auch die Frau auf dem Sofa Platz genommen. Der Offizier und seine Militärfreundin saßen nebeneinander und schwiegen. Jeder dachte für sich alleine nach, aber auch über das Gemeinsame, darüber, was sie schon einige Jahre nicht ruhig leben ließ. Das Gemeinsame war jetzt für sie furchtbar. Die Perspektivlosigkeit im Dienst war bedrückend nicht nur für Makarow auch für seine Frau. Tatjana hatte mit ihrem Mann schon genug vom 'entzückenden' Armeeleben bekommen, hatte begriffen, dass ihr Sanjka umfallen und abstürzen kann. In der Praxis bedeutete es Trunksucht und Verweigerung des Dienstes. So ein Protest gegen die Armeegrundsätze war schon bei einigen jungen Offizieren beobachtet wordet, die noch gestern Perspektiven hatten und ausgezeichnete Einheiten kommandierten, aber schon heuten richtige Eremiten in den Militärkräften waren. Viele 'hineingeschobene' Offiziere der älteren Generation hatten sich mit ihrem Schicksal abgefunden und warteten auf die Rente...
  Makarow ging am Nachmittag nicht in die Kompanie. Zu Hause aß er auch nicht, weder zu Mittag noch zu Abend. Er kam auch nicht zu seiner geliebten Frau, nicht am Abend und auch nicht in der Nacht ins Bett. Tatjana seufze ab und an, weinte aber nicht. Frauentränen konnten den psychischen Zustand des mächtigen Mannes verschlechtern, der für den Dienst nicht nur seine Seele und sein Herz eingesetzt hatte. Für verschiedene Farben u.a. hatte Makarow für die ausgezeichnete Kompanie hunderte DM aus der eigenen Tasche ausgegeben. Der Riese lag in dieser Nacht auf dem Sofa und weinte leise. Es war für ihn bis zum Schmerz im Herzen ärgerlich, was mit ihm vor einigen Stunden geschehen war. Der Hauptmann kam zu einem eindeutigen Schluss: der General und der Major waren weit weg von seinen Problemen. Der Divisionskommandeur hatte sich die Frage des Unteroffiziers angehört, aber sich nicht weiter um die Probleme irgendeines Offiziers irgendeiner ausgezeichneten Kompanie gekümmert. Er hatte einfach seinen Adjutanten gerufen und ihm befohlen, die Frage des Offiziers in das Heft einzutragen. Der hatte beim grauhaarigen Offizier nochmal höflich über seine Beschwerde nachgefragt und ins Heft eingetragen. Die oberen Chefs waren in dieser Zeit mit der Befragung ihren Untergeordneten schon fertig...
  In dieser Nacht hatte der Kommandeur der ausgezeichneten Kompanie, Hauptmann Makarow, zum ersten Mal in seinem Leben eine zwiespaltige Haltung zum Dienst in der Armee. Er war sich ganz sicher, dass er nie den Gipfel des Eisberges erreicht, der mit allerlei Beamtenseelen mit großen Sternen gefüllt ist. Um General zu werden, muss man nicht unbedingt ein Kommandeur einer ausgezeichneten Kompanie oder eines Regiments sein. Man muss etwas ganz Anderes haben, genau das fehlte dem Sohn eines Kolchosbauern...
  Alexander tauchte für einen Moment in seine jüngste Vergangenheit ein, die dem Burschen Hoffnung für eine große Zukunft gegeben hatte. Sanjka Makarow besaß noch von Kindheit an Besonderheiten, die ihn auffallend von den Altersgenossen im Dorf unterschieden.
  Im Unterschied zu den Jugendlichen las er viel, das Klubhaus besuchte er selten. Den Mädchen gegenüber war er auch gleichgültig. Er wollte sich schon von jungen Jahren an
  gründlich auf eine große Karriere vorbereiten. Der Junge aus dem kleinen sibirischen Dorf träumte oft von einem Besuch des wichtigsten Platzes des großen Staates. Der Rote Platz war für den Pionier etwas Majestätisches, Aufregendes. Nach dem Aufwachen am Morgen schaltete er sofort den Rundfunk an, um sich die Sendungen anzuhören. Besonders hatte es ihm der Schlag der Kremlturmuhr angetan. Der Schüler, wie auch die meiste Dorfbewohner, war noch nie in Moskau und auf dem Roten Platz. Dafür gab es viele Gründe. Die wichtigsten waren Geldmangel und keine Zeit.
  Der kurzfristige Urlaub der Eltern war in der Regel wegen der für das sowjetische Dorf üblichen ständigen Sorgen schnell vorbei. Die Einzelne, die das Glück hatten, den Roten Platz zu besuchen, erzählten begeistert darüber.
  Sanjka Makarow hatte sich seinen Traum erst nach dem Abschluss der Offiziersschule, gleich nach seiner Hochzeit erfüllt. Die Jungverheiratete hatten die Flitterwochen in der Hauptstadt sehr bescheiden verbracht. Für die Fahrt nahmem sie das Geld, das sie zur Hochzeit geschenkt bekommen hatten, es war nicht viel. Die Eltern hatten ihren Sohn überredet, in die Hauptstadt in Militäruniform zu fahren, auch die junge Ehefrau hatte nichts dagegen. Mit stockendem Herz betrat der zukünftige 'Sabaikalez' den majestätischen Platz neben dem Kreml. Dem Offizier kam es damals vor, als ob mit diesen majestätischen Bauten, mit diesem Platz nicht nur die Geschichte und das Leben des sowjetischen Volkes, sondern auch der gesamten progressiven Menschheit verbunden wären. Der Sibirier schaute sich aufmerksam die Steine an, mit denen der Hauptplatz des Landes ausgelegt wurde und in die Geschichte eingegangen ist. Vor ihm erschien eine ganze Epoche des Kampfes für den Kommunismus - eine glückliche Zukunft nicht nur für sowjetische Menschen, sondern auch andere Länder der Welt. Vor dem Dorfjungen lebten Bolschewikengestalten, erste Arbeiter- und Bauerregiments der Roten Armee, die zum Schutz von Interessen des einfachen Volkes sich erhoben haben, auf. Ihm kam es so vor, als wäre es vor einigen Sekunden gewesen, dass die Klänge des Parademarsches über den historischen Sieg des sowjetischen Volkes über den Faschismus zu hören waren. Standhafte, sichere Schritte des Siegenparademarsches hatten die Unerschütterlichkeit der sowjetischen Macht, die Macht gerechter und ehrlicher Menschen bestätigt...
  Sehr beeindruckt waren die Eheleute davon, wie schön und genau die Offiziersschüler des Kremls, auf Posten Nr.1 zur Wache des Leninmausoleums, angetreten waren. Dieser wichtigste Posten des riesigen Landes war für den jungen Absolventen der Offiziersschule nach seinem politischen Inhalt und seiner Bedeutung höchst international. Er symbolisierte die Größe und die Unerschütterlichkeit der Leninisideale nicht nur für die Bevölkerung des großen Landes und der ganzen fortschrittlichen Menschheit, sondern auch für ihn, den einfachen Junge aus einem kleinen sibirischen Dorf. Makarow erinnerte sich immer noch an den Moment, als er die Hand seines lieben Mädchens genommen hatte und erregt an den Glassarg Lenins herangetreten war. Damals zweifelte er nicht, dass in dieser Kolonne zum aller menschlichsten Menschen neben ihm Russen und Deutschen, Polen und Amerikaner, Weiße und Schwarze, Reiche und Arme, Junge und Alte gehen. Und jeder von Ihnen, der Iljitsch besuchte, nahm es auf seine Art sich zu Herzen. Die überwältigende Mehrheit von ihnen bedankte sich bei ihm für Alles, was er geschaffen und vollbracht hatte...
  Der junge Offizier sah zum ersten Mal in seinem Leben so nah den einbalsamierten Körper des nicht großen, kahlköpfigen Mannes mit zusammengelegten Händen auf der Brust. Makarow hatte sogar hier geglaubt, dass nur diesem Menschen und keinem
  anderen es gelungen ist, das Rad der Weltgeschichte zurückzudrehen. Und begonnen hatte er in Russland, im Lande von Gendarmen, von armen und reichen, ungebildeten und rückständigen Menschen. Der Sohn eines einfachen Bauern, der eine Offiziersuniform trug, war auf den Willen und die unversiegbare Energie des Verstorbenen neidisch, der trotz allen Schwierigkeiten dem Wind der Veränderungen entgegen getreten war, um den einfachen Menschen Glück zu geben. Gutmütig neidisch war Hauptmann Makarow auch auf die schöpferische Denkweise dieses Menschen. Er erinnerte sich an den Unterricht der KPdSU-Geschichte in der Offiziersschule, den Oberst Pastuchow führte. Der Oberoffizier war ein richtiger Führer von Lenins Ideen. Den Offiziersschülern kam es manchmal sogar so vor, als ob ihr Lektor alle Arbeiten des Führers auswendig kannte. Der Offiziersschüler Makarow hatte auch mit besonderer Aufmerksamkeit die Arbeiten Lenins studiert und konspektiert, hielt oft Vorträge. Gerade im Mausoleum hatte sich der Offizier das Wort gegeben, dass auch er so titanisch wie der Gründer der kommunistischen Partei arbeiten wird. Er hatte auch keine Zweifel daran, dass die Fortsetzer der Sache Lenins anständig und ehrlich sind...
  Die junge Ehefrau des Kompaniekommandeurs beobachtete ihren Mann von der Seite, ihr Herz und Seele jubelten. Sie hatte auch gute Laune und erhabene Gedanken. Sie hatte für einen Augenblick sogar nicht geglaubt, dass dieser junge und schöne Militär in Paradeuniform ihr Ehemann ist. Das Gesicht des Offiziers war göttlich, sogar sehr...
  Nach dem Besuch des Mausoleums von W. I. Lenin gingen Alexander und Tatjana zur Kremlwand. Alle Menschen, die in der Mauer beerdigt waren, waren für den jungen Offizier eine Art Symbol. Makarow bedankte sich bei denen, die ums Leben gekommen waren, für seine glückliche Gegenwart und bedauerte, dass sie zwar Helden auf ewig geworden sind, aber keine Möglichkeit hatten, heute zu leben. Der junge Mann ging langsam von einer Tafel zur anderen und war auch seinem Schicksal sehr dankbar dafür, dass er in dem Land wohnte, wo der dicke Geldsack nicht herrschte...
  Die Sibirier wollten sich auch noch die in den Granit eingemeißelten Namen ansehen. Jedoch das ernste Gesicht des Fähnrichs, der aufmerksam beobachtete wie sich die Besucher bewegten, zwang sie, die Revolutionsplätze zu verlassen. Das junge Paar verließ mit großem Bedauern den heiligen Platz des großen Landes...
  Von der Kremlwand aus gelangte der Offizier mit seine Frau auf die Straße, auf der die Autos 'Tschajki' aus dem Kreml hin- und zurückrasten. Der Hauptmann Alexander Makarow verfiel wieder ins Nachdenken. Er zweifelte nicht daran, dass die Menschen, die in den Autos saßen, seht beschäftigt sind und anstrengend arbeiten. Er, als einfacher sowjetischen Mensch, als Offizier der ruhmreichen sowjetischen Armee, begann erst auf diesem Platz so richtig die ganze Verantwortung der Partei- und Staatsleitung für das Schicksal der einfachen Menschen, der Arbeiter, zu begreifen. Der junge Kommunist stellte sich für einen Moment den anstrengenden Arbeitstag der Mitglieder des Politbüros des ZK der KPdSU vor. Von ihrem Verstand und Fähigkeiten, die Ideen Lenins zu realisieren, hing seine Zukunft, die Zukunft seiner geliebten Tatjana, ihrer Kinder und Enkel ab. Von diesen Gedanken, die immer noch nicht den Kopf des Riesen verlassen hatten, wollte der aus einfacher Bauerfamilie stammende, der auf Moskauer Strassen laufende, noch fester mit seinen neuen schwarzen Armeeschuhen auftreten. In der Hauptstadt des Großstaates hatte der Absolvent der Militärschule für Kommandeure keine Zweifel, dass er schnell General wird. Und nicht ohne Grund. Der Dorfjüngling hatte die Offiziersschule mit Auszeichnung absolviert, hatte sich selber den Militärbezirk ausgesucht. Der Offizier und auch seine junge Frau hatten von den sabaikalischen Steppen keine Angst. Sie gemeinsam und auch jeder allein glaubten an Ihre Kräfte. Sie glaubten, dass in der Armee des entwickelten Sozialismus jeder Mensch die gleichen Möglichkeiten hat, ein großer Chef zu werden. Man musste nur ehrlich arbeiten, dienen und das war es.
  Makarows kamen spät am Abend aus Moskau nach Hause. Den ganzen Tag waren sie durch die Stadt gebummelt. Im Zug schliefen sie lange nicht, besprachen das Gesehene. Die Jungverheirateten, nach dem sie auf dem Roten Platz waren und die Geschichte des Großstaates 'eingeatmet' hatten, strebten nach Osten. In diesem Zug beschlossen die Eheleute, vorläufig keine Kinder zu bekommen. Die Initiative kam vom jungen Mann. In Sabaikalje hatte er vor, möglichst schnell ein Bataillon zu bekommen und an die Militärakademie zu gehen. Tatjana war mit den Wunschträumen ihres Mannes einverstanden...
  Nach dem Eintreffen im Heimatdorf gingen der Offizier und seine Frau auf den Friedhof und legten auf das Grab vom Opa Michail, dem Kriegsteilnehmer des Großen Vaterländischen Krieges, einen Kranz nieder. Für den Enkel war er ein eingenartiges lebenswichtiges Vorbild. Dass Alexander sich entschlossen hatte Offizier zu werden, war auch der Verdienst des Reservehauptmanns Michail Makarow. Der Opa hatte keine Offiziersschule absolviert, vom Dorf aus ging er als Traktorist zum Krieg. Die Feuertaufe bekam er bei Moskau, aus der Kompanie blieben nur fünf am Leben. Darauf delegierte man ihn auf Kurse aus Mangel an Offizieren. Der Enkel war auf den Opa sehr stolz, der nicht nur im Dorf bekannt war, sondern auch weit außerhalb des Dorfes. Die letzten Jahre seines Lebens hatte sich Michail als Wachmann etwas zuverdient, hatte ein Laden bewacht. Er bewachte ihn gut, denn hier ging es auch nicht ohne Abenteuer ab. Alexander erinnerte sich an eins davon und lächelte.
  Es war im Winter, spät am Abend hatte man in den Laden Wodka mit einem Traktor mit Anhänger gebracht. In diesen Zeiten wurde Wodka zu jeder Zeit und in jeder Menge gebracht. Der Traktorist und Wachmann luden die Kisten mit Wodka schnell in Nebenraum aus, jeder bekam für die Arbeit eine Flasche. Michail trank während der Arbeit nie. Raetschka, so hieß die junge Verkäuferin, schloss schnell den Laden und lief zum Häuschen von Oma Njura, bei der sie als Mieterin wohnte. Der Frost wurde von Minute zur Minute immer stärker. Der Wachmann ging in sein Wächterhäuschen aus Holz, legte Holz in seinen Eisenofen, zog sich den Pelz an und legte sich auf die Holzbank. Neben sich hatte er die Flinte mit nur einer Patrone hingelegt. Alexandra, so hieß seine Frau, hatte ihm keine weiteren Patronen mitgegeben. Sie wusste, dass einige der Dorfburschen, ohne Wissen ihres Mannes oft in sein Häuschen eindrangen. Der schloss nie sein Häuschen ab.
  Der Wachmann wachte um zwölf Uhr in der Nacht wegen eines natürlichen Bedürfnisses auf. Er entschloss sich, auch gleich noch ein Rundgang zu machen, der auch das Kontor einschloss. Der große Bogen diente der größeren Munterkeit und Bedeutung. Bis zum Aufgang ins Büro der örtlichen Macht kam der Mann fast immer heran, manchmal ging er auch hinein, bemühte sich, seine Arbeit dem Verwalter zu zeigen. Obwohl der Chef noch ganz jung war, sprach der Opa ihn immer mit Vor- und Vatersname an. Diesmal hatte der Alte Glück. Viktor Jakowlewitsch war noch in seinem Arbeitszimmer. Sie plauderten ein bisschen, rauchten eine und gingen wieder ihren Geschäften nach. Sorokoumow begann etwas auf einem großen Blatt zu zeichnen. Makarow ging zu sich. Er hatte es noch nichtgeschafft, den breiten Weg zu überqueren und den Laden zu erreichen, als ein Schneesturm begann. Die einzige Petroleumstraßenlaterne, die auf einem Pfosten neben dem Wächterhäuschen hing, konnte man nicht sehen. Zur Sicherheit hielt der ältere Mann seine Flinte in Bereitschaft. Er glaubte, dass am Tag der Wodkalieferung dieser und jener Dorfbewohner bei so einem Unwetter einen Anschlag auf das Volkseigentum verüben könnte. Mit solchen kommunistischen Gedanken presste der Alte immer fester seine Flinte an sich. Zur Sicherheit erhöhte er seine Wachsamkeit und machte den nächsten Rundgang. Plötzlich hörte er neben den Lagerräumen ein Knarren oder Geräusch. Der Wachmann blieb stehen, lauschte und ging vorsichtig zur Tür. Zu seinem Staunen war die halb geöffnet. Aus Furcht vor möglichen Einbrechern bekam der Opa anfangs Angst. In den vergangenen fünf Jahren seines Dienstes auf diesem verantwortungsvollen Posten erlebte er noch niemals so eine Frechheit. Niemand im Dorf hatte einen Versuch unternommen den Laden auszurauben. Es gab einiges Anderes und dabei sehr oft. Manch Angetrunkene kam zum Wachmann zu Gast und der gab dem seine Bank zum Schlafen. Der 'Nüchterne' ging früh morgens nach Hause und bedankte sich beim Opa für den kostenlosen Hotelservice.
  Dieses Mal war die Geschichte ganz anders. Ohne Schießerei, wie es sich Makarow vorgestellt hatte, kam man nicht aus. Der Wachmann ging zur Tür, hielt den Atem an und lauschte. Drinnen ging jemand und atmete schwer. Der Alte atmete tief ein und schrie. Der Schrei gelang nicht so richtig, die Furcht zeigte ihre Wirkung. Diese Furcht holte ihn schnell von der weg. Zweifellos befanden sich im Lager mehrere Räuber, ihre Überzahl war offensichtlich. Von dieser Schlussfolgerung hat der Wachmann unverständlich warum für einige Zeit zusätzliche Tapferkeit und Optimismus bekommen. Er sah sich in der Gestalt eines Helden, über den Morgen alle Gebietszeitschriften schreiben würden, sogar die kommunistische 'Prawda'. In die Partei hatte man Hauptmann Makarow an der Front aufgenommen, innerhalb einer Stunde hatte seine Kompanie zwei deutsche Panzer zerstört und etwa zwei Zehntel 'Fritzen' vernichtet. Der Alte, eingetaucht in seine süße Träume über das vorstehende Heldentum in Friedenszeiten, schrie wieder etwas, dann wieder, danach hielt er das Gewehr hoch, spannte den Hahn und drückte ihn kräftig ab... Der Schuss gelang nicht, wahrscheinlich war das Pulver feucht. Alexandra, seine Frau, bewahrte die Patronen in der Küche unter dem Tisch auf. Der unbewaffnete Beschützer des sozialistischen Eigentums beschloss, das eigene Leben nicht mehr zu riskieren und rannte gleich ins Verwaltungsbüro. Die Lösung kam schnell und überraschend. Zwei Männer gingen so vor, als stünde ihnen eine ganze Gruppe von Banditen gegenüber. Der Opa hatte an der Front Erfahrungen gemacht, der Verwalter hatte vor fünf Jahren sein Wehrdienst absolviert, drei Jahre war er Koch in der Soldatenkantine. Die Schlussetappe des Fangens von Verbrechern erinnerte an die amerikanischen Cowboyfilme des vorigen Jahrhunderts. Der Verwalter hielt Opas Gewehr in den Händen und trat kräftig mit dem Fuß an die Tür des Nebenraumes im Lager und rannte in den Innenraum. Der Wachmann folgte ihm, in der Hand hatte er eine Holzschaufel. Mit der hatte er den Schnee neben dem Laden geräumt. Buchstäblich in paar Minuten erschallte im Raum ein lautes Lachen. Gelacht hatten drei Personen, zwei Männer und ein junges Mädchen. Die Verkäuferin Raja ist aus dem sonnigen Usbekistan nach Sibirien zum Berufspraktikum gekommen und hatte nicht damit gerechnet, dass es eine solche Kälte gibt. Deswegen, dass die Flaschen mit dem Wodka platzen könnten, hatte sie sich große Sorgen gemacht. In der Nacht platzte ihre Geduld und sie ging mit einem ganzen Haufen von Decken und Jacken zum Laden...
  Im Herbst belobigte der Verwalter den Wachmann für seine Wachsamkeit. Vom Sowchos erhielt er kostenlos zwei Sack Weizen und zehn Rubel Prämie. Das Geld gab Michail seinem Lieblingsenkel Alexander. Der Junge hatte sehr gute Lernergebnisse und hatte oft Opa und Oma geholfen...
  Hauptmann Makarow, der mit den Gedanken in der Vergangenheit seines Lebens war, schlief plötzlich ein. Er wachte am frühen Morgen auf, das leuchtende Zifferblatt des Weckers zeigte genau fünf Uhr. Der Kommandeur der ausgezeichneten Kompanie beschloss, nicht zum Wecken des Personals zu gehen. So einen Beschluss fasste er zum ersten Mal in seinem Leben. Der Mann drehte sich auf die Seite und zog die Decke über seinen Kopf, in seinen Augen waren Tränen. In der Seele sah es schlimm aus, zu dieser Zeit wollte er sogar nicht mehr leben. Mit der Absicht, irgendwie die plötzlich entstandene Apathie zu vertreiben, stand Alexander schnell vom Sofa auf und ging in die Küche. Er öffnete den Kühlschrank und trank gierig eine Flasche kaltes Bier aus. Den russischen Wodka, den er irgendwann aus dem Urlaub in Russland mitgebracht hatte, trank er nicht. Er war sich sicher, dass er heute unbedingt auf den 'Teppich' zum Kommandeur der Einheit gerufen wird. Makarow kannte gut die Manieren des Kahlköpfigen. Der Major mochte keine Untergeordneten, die dem höherstehenden Chef klagten. Der Kommandeur der ausgezeichneten Kompanie kam an diesem Tag auch nicht zur Aufgabenverteilung. Er war den ganzen Morgen, wie auch in der Nacht, in Nachdenken versunken. Je mehr er nachdachte, desto schlimmer ging es seiner Seele. Er hat manchmal von seinen Gedanken Angst. Eine bittere und schreckliche Schlussfolgerung war eindeutig. Die Offiziersjahren, die mit verschiedenen Manöver, Diensten, Unterrichtsstunden, Besuchen von Chefs gefüllt waren, verflogen wie Staub. Er war, leider, auch nur ein einfaches Schräubchen in dieser gesellschaftlichpolitischen Maschine des riesigen Landes geblieben.
  Ähnliche Gedanken hatte er schon voriges Jahres, als er mit der Frau und Tochter während des Urlaubes wieder den Roten Platz besucht hatte. Die Gedanken des ergrauten Mannes in Zivil, der vor der Kremlmauer stand, unterschieden sich frappierend von den naiven Gedanken des Absolventen der Offiziersschule. Der Zeitabschnitt von dem jungen Leutnant bis zum erfahrenen Hauptmann betrug fast zehn Jahre, es war Vieles passiert. Dem weinenden Riesen, der gerade dreißig geworden war, kam es so vor, als ob in seinem Kopf nie die Gestalt des jungen Menschen gewesen war, der mal voller Hoffnungen und Optimismus war. Makarow analysierte wieder und wieder, warum sein ganzes Offiziersleben an ihm vorbei gegangen war, wer und was ihn daran gehindert hatte, sein edelmütiges Vorhaben zu verwirklichen. Der Offizier hatte mit Eifer und Fleiß gedient und sich nicht geschont. Er erhielt viele Ehrenurkunden und sogar ein Geschenk, einen Wecker.
  Er hatte alles nach Vorschriften und Ordnungen gemacht, dabei überhaupt nicht über die Richtigkeit der Ideen der kommunistischen Partei nachgedacht. Zehn Jahre war er schon ihr Mitglied. Als Büromitglied des Bataillons hat er immer ohne Zweifel die Wahrheit gesagt, wenn irgendeiner versuchte, die leitende Rolle der großen Volkspartei zu bestreiten. Während seines letzten Urlaubs kaufte der Sibirier fast alle Zeitungen und Zeitschriften auf, las alles die ganze Nacht hindurch. Er erkannte sein eigenes Land nicht mehr, in dem man an allen Ecken über Perestroika redete, die Geschichte wurde umschrieben. Der Urlauber, sowohl Offizier als auch Kommunist, der der Sache des sowjetischen Volkes und der Partei ergeben und treu war, konnte lange nicht einschlafen. Alexander überlegte immer mehr, ist die Wahrheit in dem, worüber mit so einem Eifer die 'Perestrojer' und die Demokraten schrieben, die wichtige Posten gehabt hatten und auch immer noch wichtige Posten in unterschiedlichen Nischen der staatlichen- und Parteimacht besetzen. Aus den Kremlkammern kamen immer wieder noch Anordnungen, Anweisungen, Weisungen und Instruktionen, die dazu führten, dass die Gesellschaft ohne die Geschichte der Vergangenheit und der Zukunft geblieben ist. Makarow war ein sehr ehrlicher Mensch, in vielem war er mit den Schreibern nicht einverstanden. Besonders brachte ihn die 'bescheidene' Lebensweise der Partei- und Sowjetführer aus dem Gleichgewicht, die in der Wirklichkeit vor Fett strotzten. Gleichzeitig erlitten die einfachen Menschen in allem und überall ein großes Defizit. Die Ladenregale waren leer. Der einfache Bürger des großen Landes verlor die Geduld, er beschloss, etwas zu tun. Immer wieder und wieder las er die Zeitungen durch, schaute fern, suchte viele Dorfbewohner auf, befragte sie über das Leben. Die beschwerten sich wie aus einem Munde über die örtliche Macht. Der Urlauber hatte zwei Tage und Nächte im Elternhaus durchgemacht und Briefe an das ZK der Partei entworfen. Dem ehrlichen Menschen kam es so vor, als wussten die Oberen nicht, was unten an zahlreichen Plätzen und Provinznestern vorgeht. Er wollte die Beamten und Bürokraten, die die Menschen zu Elend und Armut, bis zur Räuberei auf den Straßen führten, bestraffen. Der Armeekommunist veränderte den Brief drei Mal, schrieb ihn um und dann klebte er den Briefumschlag zu. Tatjana verhinderte, dass er abgeschickt wurde. Sie bat mit den Tränen in den Augen ihren Mann, von der Durchführung dieses unnötigen Vorhabens Abstand zu nehmen. Endlich gab er nach und bereute es später auch nicht. Und auch jetzt, vertieft in die traurigen Überlegungen, bedankte er sich bei Gott, dass er so eine Frau und Tochter hatte. Ohne sie konnte er nicht mehr auf der Erde leben. Dabei lächelte Alexander aus irgendeinem Grund bitter...
  Der Kahlköpfige bestellte den Kommandeur der ausgezeichneten Kompanie zu sich auf den 'Teppich' erst am Abend. Statt des Boten kam zu Makarow in die Wohnung der Zugkommandeur Leutnant Babanin. Der junge Offizier klopfte vorsichtig an die Tür, niemand öffnete die Tür. Tatjana war zu dieser Zeit nicht zu Hause. Als sie sah, dass ihr Alexander schlief, beschloss sie, mit der Tochter im Militärstädtchen spazieren zu gehen. Irgendwelche Parks oder grüne Rasen gab es auf dem Territorium der Einheit nicht. Viele Ehefrauen, die auf ihre Männer vom Dienst warteten, hielten sich auf dem Spielplatz auf, es war für sie so eine Art von Kultur- und Erholungspark. Und nicht nur das. Hier besprach man verschiedene Neuigkeiten und Klatsch. Erst nach einigem Klopfen wachte der Wohnungsinhaber auf. Babanin erkannte heute sein Kommandeur nicht wieder, er war nicht rasiert, sein Gesicht war hohlwangig, unter den Augen lagen dunkle Ringe. Der Leutnant war zum ersten Mal in der Wohnung seines Kommandeurs, obwohl sie schon zwei Jahre zusammen in einer Kompanie dienten. Der Zugführer bemerkte gleich, dass Hauptmann Makarow mit seinen Untergeordneten höchst streng ist und keine Familiarität zulässt. Keine Ausnahme waren in diesem auch die anderen Offiziere der Kompanie. Das hartnäckige Klopfen an der Tür weckte Makarow, der früher nie tagsüber schlief, auch nicht während der stündlichen Mittagspause. Jede freie Stunde widmete der Offizier seiner Kompanie, die alles für ihn war. Mit einem Kopfnicken bat der Hausherr den ungebetenen Gast in den Flur und reichte ihm die Hand zur Begrüßung. Danach fragte er seinen Untergeordneten trocken:
  - Dich hat wahrscheinlich der Einheitskommandeur nach mir geschickt? Stimmt es?
  Der junge Offizier sagte nichts, er lächelte nur und nickte mit dem Kopf.
  Beim Kahlköpfigen klopfte der Hauptmann Makarow genau um sechs am Büro. Zu dieser Zeit hatte die Einteilung der Wache begonnen. In seiner Dienstzeit wurde der Kompaniechef nur zweimal auf Initiative von Major Sljunkow auf 'den Teppich' bestellt, bestellt nicht um Auszeichnungen zu bekommen, sondern um den Kopf gewaschen zu bekommen. Im Gedächtnis des Offiziers war der Besuch beim Vater der Einheit, der mit dem Besuch der deutschen Klinik zusammenhing, noch ziemlich frisch. An diesem Abend musste der ergraute Hauptmann wieder vor dem kahlköpfigen Menschen strammstehen und nur deswegen, weil er nach der Satzung eine Frage dem Divisionskommandeur gestellt hatte. Der Major benahm sich auch diesmal unverschämt. Er reagierte überhaupt nicht auf die Begrüßung des untergeordneten Offiziers und begann gleich spöttisch grob zu sein:
  - Makarow, was erlaubst du dir? Wie konntest du nur so eine dumme Frage dem General, dem Divisionskommandeur stellen? Weißt du es denn nicht, dass alle Kaderfragen nur ich löse und kein Anderer?
  Der Untergeordneter hinderte seinen Kommandeur nicht am Sprechen, er biss nur die Zähne zusammen und schaute noch 'ergebener' dem Vertreter der sowjetischen Macht in der Armee in die Augen. Darüber, worüber jetzt der wütende Chef sprach, wusste Alexander Makarow Bescheid. Er wusste, dass es beim Kommandeur der Einheit sogar eine spezielle Kommission gab, die berufen war, objektiv alle Kaderfragen sich anzusehen.
  Der Kommandeur der ausgezeichneter Kompanie wusste genau, dass nach besonderen Vorkommnissen bei den Militärkräften oder nach Beratungen 'der Oberen' plötzlich verschiedene Kommissionen gegründet wurden. Die bestanden in der Regel aus den Stellvertretern des Kommandeurs der Einheit, die dem Kahlköpfigen treu ergeben waren. Niemanden von diesen Leuten war prinzipiell. In Sabaikalje und auch hier hatte sich der Hauptmann mehrmals überzeugt, dass das Schicksaal der einfachen sterblichen nur der Kommandeur der Einheit bestimmt und kein Anderer. Ausnahme für den Militärkönig waren nur die Offiziere gewesen, die große Beziehungen hatten. Gegen die Kastenoffiziere war der 'Bestrafer' machtlos. Nach einem Anruf aus der Division, auch von einer noch höheren Instanz, bereitete der Kommandeur gleich in einem schnellen Tempo die Dokumente für seinen Schützling vor, der schon vor dem offiziellen Befehl seine Koffer gepackt hatte. Die Mitglieder der Kommission schwiegen. Makarow zählte sich nicht zu den Ausgewählten und Ergebenen des Kahlköpfigen und deshalb 'schluckte' er weiter fleißig alles, was er sprach. Das Schweigen des großen und stattlichen Hauptmannes freute den Kahlköpfigen sehr. Er war sogar verwundert über die Gehorsamkeit des ergrauten und dazu schon längst 'zugeschobenen' Kompaniechefs. Der Major war sich sicher, dass dieser Riese und tausende wie er, als einfache 'Diener' sterben, ohne den Geschmack der richtigen Macht zu kennen. Er war sich auch sicher, dass in einer 'dunklen' Ecke dieser schweigende Riese ihn einfach erstickt oder ihm die Fresse poliert hätte. Der belehrende Monolog des Kommandeurs der Einheit dauerte nicht lange, aber nicht wegen der fehlenden belehrenden Worte und Schimpfwörter. Buchstäblich zehn Minuten, bevor Hauptmann Makarow kam, hatte Sljunkows Frau angerufen. Sie teilte ihm mit Freude mit, dass auf ihn russische 'Pelmeny' warteten. 'Pelmeschki' so nannte der Kahlköpfige sie liebevoll, schmeckten ihm sehr. Während des Abendessens nahm der drohende Major in der Regel zwei Gläschen russischen Wodka zu sich zum Aufwärmen und für das Bett mit der Frau. Das bevorstehende Abendessen verminderte in gewisser Weise das Endergebnis des 'Kopfwaschens' des Kommandeurs. Der Kahlköpfige stand hinter dem Tisch auf und fasste philosophisch zusammen:
  - Weißt du, Hauptmann, dies wiederhole ich dir wieder und wieder...Es ist schon höchste Zeit, dass du endlich verstehst, dass du nicht dazu geboren bist zu fliegen, sondern zu kriechen... Und kriechen musst du sehr fleißig.
  Nach diesen Worten schwieg Sljunkow einen Moment. Vielleich wollte er noch etwas Klügeres sagen, tat es aber nicht. Er ächzte, holte aus der Tasche ein Taschentuch heraus, und putzte damit seine Glatze. Der Hauptmann der seinen Chef beobachtet hatte, dachte schadenfroh:
  - Gott sei Dank, dass Gott die Nichtigkeit wenigstens irgendwie bestraft hat.
  Der Kommandeur der Einheit setzte sich vorsichtig die Mütze auf den Kopf und ging schnell aus seinem Büro. Makarow stand noch einige Minuten gegenüber dem Tisch des Kommandeurs der Einheit im Zentrum des dunkelroten Teppichs und schwieg. In seiner Seele war es sehr unruhig. Der Monolog des Kahlköpfigen "tötete" den Offizier "auf der Stelle", der sein ganzes Leben an die Ideale des Sozialismus und seiner Partei geglaubt hatte. Mit der Partei hatte er nicht nur Vieles aus dem Leben der sowjetischen Gesellschaft verbunden, sondern auch Vieles aus seinem Privatleben.
  Der Offiziersschüler Makarow machte sich, während man ihm feierlich das rote Mitgliedsbüchlein der kommunistischen Partei der Sowjetunion überreichte, große Sorgen. Der junge Kommunist weinte sogar, weinte unter dem stürmischen Beifall der Mitglieder der Parteikomission. Der Armeeoffizier war immer ein aktiver Kommunist, nach Privilegien oder Geschenken hatte er nie gestrebt, den Mitgliederbeitrag rechtzeitig bezahlt. Das "Kopfwaschen' im Büro des Kommandeurs der Einheit bestätigte nur noch einmal die Richtigkeit seines Entschlusses, dieser Entschluss war durch das Leben und durch das System bestimmt... Die Überlegungen des Offiziers wurden durch das Klopfen an der Tür unterbrochen, in der Tür zeigte sich der Kopf des Stabsdiensthabenden, des Sergeanten. Er salutierte und sagte laut:
  - Genosse Hauptmann, ich muss das Büro des Einheitskommandeurs abschließen...
  Der Offizier erwiderte nicht. Er seufzte tief, drehte sich schnell um hundertachtzig Grad und ging auch schnell heraus. Am nächsten Morgen kam Hauptmann Makarow nicht zum Wecken des Personals der Kompanie, erst zur Dienstaufteilung. Die Kompanie war schon aufgestellt...
  Für Soldat Alexander Kusnezow wurde nach der Moralpredigt vom Kompaniekommandeur alles viel besser. Nach ein paar Wochen waren beim Schütze alle blauen Flecken vom Körper verschwunden. Der Dienst wurde für den jungen Soldaten ruhig. Die 'Alten' ließen ihn auch in Ruhe, keiner unternahm mehr einen Versuch. Der Sergeant Dubrowin hatte sich ihm gleichgestellt, auch wenn er bis zur Entlassung weniger als ein halbes Jahr hatte. Mit leichter Hand des Gruppenkommandeurs bekam der Neuling den bürgerlichen Namen 'Starker'. Bald schon wurde der Soldat diesen Spitzname nicht wieder los. Besonders in der Kompanie und vielleicht auch im ganzen Regiment erkannten auch die 'Alten' mit Makulow an der Spitze ihn an. Sie halfen ihm sogar bei der Einrichtung der Boxhalle auf dem Dachboden. Die Halle war ein kleines Zimmerchen, die mit Furnierholz von einem ziemlich großen Raum abgeteilt war, wo man verschiedene Ware lagerte, die für die Kompaniewirtschaft notwendig war. Der Kompaniezimmermann, Soldat Arutjunjan, fertigte in diesem Raum auch Kisten aus Presspappe für die Offiziere vor, die schon das Recht hatten, den Buchstaben 'E' zu tragen, was 'Ersatz' bedeutete. Es gab gewiss keine speziellen Dienstgradabzeichen für diese Offiziers- und Fähnrich-Kategorien. Diese Militärangehörigen warteten auf ihren Ersatz aus dem Militärbezirk. Der 'E'- Militär konnte sich erlauben, im gewissen Ausmaß seinen Dienst zu vernachlässigen, auch seitens des Kommandeurs behandelte man sie weniger streng. Aber, wenn einer aus dieser Kategorie übertrieben hatte, fiel er sofort in Ungnade des Kommandeurs der Einheit und seiner Stellvertreters. Aber die Mehrheit von ihnen änderte sich nach dem 'Kopfwaschen' kaum. Wegen eines Gläschens Wodka oder einer Flasche Bier wollte niemand von den Chefs die Papiere des Untergeordneten umschreiben. Der Erzieher und der Schwererziehende wussten genau ge, dass die Personalunterlagen des 'E'- Mannes schon irgendwo in 'Sabajkalje' oder im 'Ural' waren.
  Seinen ersten Brief nach Hause schrieb Kusnezow erst nach einem halben Jahr, obwohl er seiner Mutter versprochen hatte, sofort nach Ankunft in die Einheit zu schreiben. Der 'Grünschnabel' war mit alltäglichen Sachen beschäftigt, die Tage des Armeedienstes flogen nur so dahin. Er bemerkte die Zeit nicht, auch die Müdigkeit nicht. Sie ließ sich nur nach dem Schlusssignal erkennen, der Soldat schlief augenblicklich ein. In der Nacht träumte er manchmal vom Lernen auf dem Übungsplatz, von den Bereitschaftsdiensten und unnötigen Besichtigungen. Nach dem donnernden Befehl des Diensthabenden der Kompanie: 'Kompanie! Aufstehen!' rollte Kusnezow sich vor Angst zusammen und wurde augenblicklich in ein Klumpen zusammengepresst. Er wollte, wie auch viele seiner Kollegen, nicht zur Morgengymnastik und wie Pferde auf dem Platz marschieren und damit die Deutschen wecken, die buchstäblich in einem Abstand von drei Dutzenden Metern vom Militärstädtchen wohnten...
  Antonida Kusnezowa freute sich sehr über die erste Nachricht ihres Sohnes aus der Armee. Den Brief des nichtsnutzigen Saschka las sie mehrmals durch. Sie küsste auch Dutzende Male das Foto. Die Mutter schaute mit einem Lächeln und mit Tränen das Foto, auf dem ihr geliebter 'Dummi' in der Militärform drauf war, an. Auf der Brust hatte er schon zwei Orden oder zwei Medaillen. Der Viehpfleger Iwan Sawolokin, der auch nicht ohne Interesse die Fotografie des Landsmannes anschaute, bestimmte die "Auszeichnungen" des Soldaten sofort. Er erkannte, dass der Sohn in einer Gardeeinheit diente und sportliche Erkennungszeichen hatte. Antonida ließ wieder einmal den Tränen freien Lauf. Vor Freude lud die Mutter des Soldaten den Mann zu sich nach Hause ein, der nach einem Glas Selbstgebrannten die Landsfrau mit großem Vergnügen über alle Dinge des Armeedienstes aufklärte. Iwan war der gleiche Jahrgang wie die Frau und deshalb haute er heraus:
  - Tonja, das ist sehr gut, dass dein Sohn nach Deutschland geraten ist. Ich diente doch auch dort... Die Armee ist eine sehr gute Schule für die Faulenzer wie dein Saschka...
  Aber als er die plötzlich aufsteigenden Tränen der Gastgeberin sah, korrigierte sich der Gast augenblicklich, um sie zu beruhigen:
  - Antonida, rege dich doch nicht so auf, ich war doch auch selbst genauso einer... Erzählte dir dein Koljaschka nicht davon, wie wir gemeinsam die Gemüsegärten bei unseren Dorfgenossen leer geräumt haben? Wir haben es sehr richtig gemacht, ich diente doch in der Aufklärung, nicht in irgendwelcher Infanterie...
  Die Mutter des Soldaten schlief in dieser Nacht lange nicht, sie dachte an ihren Sohn und machte sich Sorgen um ihn. Sie bedauerte es überhaupt nicht, dass sie Iwan Sawolokin eingeladen hatte. Die Erinnerungen des Mannes an den Wehrdienst hatten die Sorgen der einsamen Frau sozusagen geglättet.
  Der Dorfbewohner bat Antonida nicht so viel zu trauern. Die Hauptsache ist, dass ihr Alexander die Schule "der Großväter" durchlaufen wird und als ein echter Soldat und richtiger Mann heimkehrt. Beim letzten Gedanken lächelte die Mutter des Soldaten und erinnerte sich an das Ende von Iwans Besuches. Der viel zu dicke Mann, unter dem Einfluss des Selbstgebrannten, stand langsam hinter dem Tisch auf und umarmte vorsichtig die gastfreundliche Hauswirtin. Dann sagte er, halb flüsternd:
  - Du Schöne, mach dir den Kopf nicht schwer... Dein Sohn wird nach Hause zurückkommen, ganz und unversehrt. Daran brauchst du überhaupt nicht zu zweifeln... Er wird allein zurückkehren, ohne Braut, davon bin ich hundert Prozente überzeugt. In Deutschland entlässt man unsere Soldaten nicht einfach, weil man sich davor fürchtet, dass sie mit allen deutschen Frauen schlafen werden...
  Als er den verwunderten Blick der Frau bemerkte, ergänzte der betrunkene Mann sofort:
  - Ich sehe, dass du vom Armeedienst nichts verstehst. Ich sage dir die reine Wahrheit... Uns, damit wir keine Hengste wurden, streuten sie jeden Morgen ein spezielles Pulver in die Nahrung. Nach meiner Entlassung konnte ich mit meiner Verka eine ganze Woche nicht schlafen, es klappte nicht... Das alles war schon vor langer Zeit und trotzdem ist es, als wäre es vor kurzem... Ich gehe davon aus, dass mein Landsmann jetzt diese Medizin auch bekommt...
  Auf den Brief ihres Sohnes antwortete Antonida Kusnezowa nicht sofort, obwohl sie gleich nach seinem Durchlesen begonnen hatte, den Inhalt der Antwort zu überlegen. Verschiedene Gedanken gingen im Kopf der Mutter des Soldaten hin und her, einer noch jungen Frau. Die Bäuerin erfreute es sehr, dass ihr Riese in das sozialistische Deutschland gekommen war. Aus Neidjonowka dienten dort zu verschiedenen Zeiten Dutzende Männer, die alle sehr zufrieden mit ihrem Dienst waren. Keiner von den ehemaligen Soldaten hatte ein schlechtes Wort weder über dieses Land noch über die Bewohner gesagt. Antonida las auch selbst Bücher und sah Sendungen über die DDR, alles gefiel ihr dort. Während des Nachdenkens über den Dienst des Sohnes und über das ferne Land nahm sie in ihre rauen Arbeiterhände den Armeebriefumschlag und das kleine Stück Papier. Dann roch sie daran. In diesem Moment schien es ihr, als ob dieser Briefumschlag und dieses Papier, die dort erzeugt worden waren, besonders riechen, nicht so rochen, wie hier, im Dorf. Die Mutter des sowjetischen Soldaten war stolz, dass ihr Sohn nach dem Willen Gottes im Zentrum Europas einige Tausende Kilometer von ihrer Neidjonowka diente. In den Nächten sah sie in ihren Träumen ziemlich oft, wie sie zusammen mit dem Sohn im Panzer saßen und nach den verhassten Kapitalisten schossen. Antonida entschied sich, dem Sohn einen Brief an ihrem Geburtstag zu schreiben. Ihr schien es, dass am Tag ihres Engels in ihren Kopf mehr Gedanken und zärtlichen Worte kommen würde. Frau Kusnezowa stand an diesem Morgen sehr früh auf, etwas früher als gewöhnlich. Sie frühstückte schnell und ging in die Farm, ihre Stimmung war gut. Draußen war kaltes Wetter, es war Ende April. Ganz am Ende der Melkerei fuhr der Verwalter an Antonida heran. Er war schon angetrunken. Dass der Vorgesetzte schon angetrunken war, erkannte sie an seiner Physiognomie. Auch diesmal hatte Iwan Lopuschkin ein rosa Gesicht, als ob er aus einer heißen Sauna käme. Der Verwalter krabbelte langsam aus dem Wagen und kam auch genau so langsam zur Melkerin. Die Frau begrüßte als Erste den Vorgesetzten, aber der antwortete nicht auf die Begrüßung. Er setzte aus irgendeinem Grunde das Schweigen fort und drehte den Kopf nach links und rechts. Dann schnatterte er laut und fragte fröhlich:
  - Antonida, Antonida Petrowna, wie hast du heute vor, deinen Geburtstag zu feiern? Oder hast du ihn vergessen?
  Nach diesen Worten schüttelte Lopuschkin den Kopf ein wenig und rieb die Hände. Dann lächelte er froh und redete wieder weiter:
  - Ich wusste, ehrlich gesagt, nicht von deinem Jubiläum... Davon erzählte mir Marija Ilinitschna Fedjunina, unsere Bibliothekarin. Du weißt doch sehr gut, dass sie bei uns der Buchführer der Neugeborenen und der Verstorbenen ist. Ich habe gestern von ihr erfahren, dass in unserer Neidjonowka in den letzten fünf Jahren zwölf Leute verstorben und nur drei geboren sind...
  Der Vorgesetzte wurde auf einmal still, die Melkerin schwieg auch. Der Verwalter gefiel Andonida, offen gesagt, überhaupt nicht, nicht als Mann, auch nicht als Verwalter. Während ihrer wenigen Arbeitstreffen hielt sie sich heimlich die Nase zu, um die Gerüche nicht einzuatmen, die von dem noch jungen Mann kamen. Die spezifischen Gerüche, wie es der Frau schien, waren manchmal stärker als der Geruch des Tiermistes. Die Melkerin meinte, dass der Grund seiner Sauferei die Probleme in der Familie des Vorgesetzten waren. Die Auseinandersetzungen waren dort ziemlich stark. Iwan regte sich sehr auf, als er erfahren hatte, dass seine Frau mit dem Leiter des Lagerhauses des Bezirkes Getreide-Elevators fremdgeht. Der Mann hatte den Liebhaber von Natalja noch nicht zu Gesicht bekommen, seine Versuche, sie zusammen aufzuspüren, blieben erfolglos. Der Verwalter bezog die Informationen über das Liebesabenteuer seiner Ehefrau von den Bauern, seinen Untergebenen. Die Menschen erzählten in diesem Zusammenhang verschiedenes. Einige, die den Vorgesetzten bevorzugten, bemühten sich, ihn möglichst wenig zu verletzen. Andere machten das Gegenteil. All diesem Klatsch wollte "der Hörnerträger" nicht glauben, tat es aber doch. Glaubte es dann, wenn Natka, so liebevoll nannte er seine Frau, immer wieder Gründe für die vorübergehende Abwesenheit fand. Dann setzte sie sich in den Bus und fuhr nach Isumrudnoje. Der Leiter des sterbenden Dorfes wurde als Folge der familiären Probleme zum Trinker, war ein richtiger Säufer geworden. Eine Folge des familiären Streites war nicht nur seine Trunksucht, sondern auch was ganz Neues, was man bis jetzt bei dem Mann nicht bemerkt hatte. Er fing an, sich an die Dorffrauen heranzumachen. Im Dorf ging kein Tag ohne Rederei darüber vorbei, mit wem und wo der Verwalter Sex hatte. Vor ein paar Jahren kannten die Männer und die Weiber die Bedeutung dieses Wortes noch nicht, aber jetzt kitzelte es fast jedem angenehm das Ohr, und nicht nur das Ohr... Die Schüler in Neidjonowka verwendeten schneller und öfter den Begriff im alltäglichen Kontakt, als die älteren Bewohner anfingen, das fremde Wort zu benutzen. Für einige Dorfbewohner ist das am meisten gebräuchliche russische Wort aus dem russischen Wörterbuch schnell verschwunden. Der Verwalter trieb es nicht nur mit den alleinstehenden Frauen seines Dorfes, sonst auch mit denen aus den benachbarten Dörfern. Die Zahl der alleinstehenden Frauen wuchs im Laufe der sogenannten Demokratisierung des Landes in den entlegenen Dörfern stark. Viele Männer sind von allerlei Selbstgebrautem zu Trinkern geworden oder wurden vergiftet, einige begingen Selbstmord. Sehr selten gelang es einigen aus den jungen und älteren Witwen, sich wieder in den Männerumarmungen zu befinden. Für viele wurde es ein unerfüllbarer Traum. Erst kürzlich prahlte vor Antonida die Nachbarin Nastja Abakumowa, eine Witwe. Ihr Mann hatte sich vor zwei Wochen erhängt, vielleicht wegen der Sauferei, oder vielleicht wegen der Hoffnungslosigkeit. Peter war zu kommunistischen Zeiten ein aktiver Kommunist. Aufgrund hoher Ernteergebnisse hatte man den Mähdrescherfahrer in die Hauptstadt eingeladen und mit einem Orden ausgezeichnet. Nastja öffnete ihre Seele der Nachbarin spät am Abend, nachdem ihr hinter dem Gemüsegarten Dutzende abgesägte Birken gebracht worden waren. Die hatte ihr der einzige Traktorist im Dorf, Witka Prudnikow, gebracht. Früher war die junge Witwe, die vier Kinder hatte, mit dem Verwalter auf seinem Wagen weggefahren. Lopuschkin brachte die Frau erst spät am Abend nach Hause, wo ihre hungrige "Meute" schon fest schlief...
  Das Schweigen des Verwalters und der Melkerin war von kurzer Dauer, als erster brach es Lopuschkin. Mit einem Lächeln schaute er die sympathische Frau an und sagte giftig:
  - Tonja, wieso lädst du mich nicht ein? Ich kann mich doch auch beleidigen... Und irgendwie ist es auch nicht gut, wenn man auf dein vierzigjähriges Jubiläum nicht anstößt.
  Das Geburtstagskind ließ sich nicht mehr lange bitten und quälte den Mann, der trinken wollte, nicht länger. Sie lächelte und ging zielgerichtet in Richtung einer kleinen Kammer, die an den zerstörten hölzernen Bau angebracht war. Bei Annäherung der Menschen an das baufällige Gebäude, fingen im Inneren die hungrigen Kühe laut zu brüllen an. Der Vorgesetzte und die höhere Verwaltung wussten sehr gut, dass nach einem oder vielleicht auch nach zwei Monaten in Neidjonowka das verbliebende Vieh abgeschlachtet wird. Das einst wichtige Objekt des agrar-industriellen Komplexes erlebte die letzten Tage...
  In der kleinen Kammer, die Alexander Kusnezow für seine kranke Mutter eingerichtet hatte, war es sehr warm. Der kleine eiserne Ofen, auf dem die Teekanne, schwarz vom Ruße, stand, summte ein wenig. Nach dem ersten Glas Selbstgebrannten zog der Verwalter die schmutzigen Stiefel aus, kurz danach kam zu Antonida der stinkende Geruch herüber. Ihr wurde sogar übel, ein Moment dachte sie, dass sie gleich spucken zu müssen. Damit dass nicht wirklich passierte, lief sie schnell hinaus und fing an tief zu atmen. Ein Gespräch zwischen der Melkerin und dem Verwalter ergab sich nicht. Und es war auch schon mit niemandem und über nichts zu sprechen. Der Mann hatte sich infolge des Überflusses an Selbstgebranntem und schlechtem Essen dazu sehr schnell betrunken. Bei dem Geburtstagskind ging der Selbstgebrannte nicht aus, aber mit den Lebensmitteln stand es schlecht. Im Hof muhte die halbhungrige Kuh, da das Heu ausging.
  Jemand von den Dorfbewohnern oder Vorbeireisenden hatte ihr die letzten zehn Hühner gestohlen. Um das Gut der einsamen Frau Tag und Nacht zu bewachen, hatte man niemanden. Der Sohn war zur Armee gegangen, der Mann lag auf dem Friedhof. Zum Abschied kaute der betrunkene Verwalter ein Stück Brot mit einer feinen Scheibe Speck und murmelte:
  - Weißt du, Tonja, ich habe mich entschieden, dir heute einen freien Tag zu geben... Mit einem Wort, komm erst morgen früh zur Arbeit. Für dich werde ich heute jemanden finden, oder im äußersten Fall, werde ich selbst deine mageren Kühe melken...
  Als er auf dem Gesicht der Frau ein Lächeln sah, zwinkerte der Mann ausgelassen lustig und flüsterte:
  - Und noch was, Tonetschka... Ich kann dir ein Fest auch spät am Abend bereiten... Siehe mal, auf den Hof rollt der Sommer...
  Frau Kusnezowa antwortete nicht auf den Vorschlag des Betrunkenen. Aber sie schwieg nicht mehr nach seinem nochmaligen Vorschlag, zu ihr am Abend auf das Licht rein zu kommen. Antonida zwinkerte auf ausgelassene Weise frech dem Verwalter zu und richtete an seine Adresse eine ganze Menge Flüche und Geschimpfe. Lopuschkin hatte offenbar so was von der Dorfbewohnerin nicht erwartet, er begann schnell, sich an die Seite des Pferdes zurückzuziehen, das vom Warten auf den Besitzer schon ganz ermüdet war. Der Mann fuhr ca. zehn Meter von der Kammer weg und schaute sich schnell um. Antonida stand noch immer und lachte, der Verwalter lachte dann auch...
  Den Brief in das ferne Deutschland begann die Mutter des Soldaten beim elektrischen Licht zu schreiben, beendete ihn im Licht einer Öllampe. In Neidjonowka schaltete man das Licht ziemlich oft ab. Wer es abschaltete und warum, wusste im Dorf niemand. Jemand von den Klugen versuchte der Sache auf den Grund zu gehen, aber erfolglos. Es gab eine ganze Menge Versprecher für ein besseres Leben in dem sterbenden Dorf. Besonders gut darin waren allerlei Kandidaten für verschiedene Räte, die nach Neidjonowka wie die Heuschrecken kamen, wenn es an einer Stelle heiß wurde. Die Landbewohner glaubten den Versprechen der Neuankömmlinge und gaben ihre Stimmen für sie ab. "Die Würdigen" bekamen in den Kabinetten der Macht weiche Sessel mit allerlei materiellen Zugaben. Damit ging die ganze Tätigkeit der Auserwählten zu Ende. Nach ein paar Jahren, manchmal auch früher, erschienen die Satten, die gerne und gut essen liebten, wieder im Dorf. Die Bewohner von Neidjonowka gerieten wieder an den Haken...
  Die Antwort der Mutter an ihren Sohn wurde nicht sehr umfangreich, obwohl sie den im Leben ersten Brief an einen lieben Menschen, an den Soldaten-Internationalisten fast zwei Wochen "durchdacht" hatte. Antonida schrieb den Brief mit einfachem Bleistift, weil sie nicht gern mit Kugelschreiber schrieb. Und jetzt hatte sie auch gar keinen. Füller gab es im ländlichen Geschäft nicht, ganz zu schweigen von irgendwelchen Tinten. Fast entstanden Probleme auch mit dem Briefumschlag. Die Mutter wusste, dass ihr Herzchen ganze zwei Jahre dienen wird, deshalb hatte sie beschlossen, sich im Voraus mit Briefumschlägen zu versorgen. Sie hatte sie in der Kreisstadt am selben Tag gekauft, als sie ihren Sohn ins regionale Militärkommissariat begleitete. Saschka, bevor er sich in die Bahn gesetzt hatte, stichelte seine Mutter, die vorhatte, sich gründlich mit Heften und Briefumschlägen zu versorgen. Die letzten waren sehr schön, jedoch konnte man sie schlecht zugekleben. Antonida schaute sie auch jetzt mehrmals durch. Von zwei Dutzend Briefumschlägen hatte ihr nur einer gefallen. Zur Sicherheit feuchtete die Frau die Rückseite des Briefumschlages gründlich mit der Zunge an und rieb sie noch mit einem Stück Kernseife ein. Aber bei Übergabe des Briefes an den ländlichen Briefträger bekam die Frau ein Problem. Das Weib Schura nahm "den veralteten" Briefumschlag nicht an, sie erklärte, dass in den Handel neue Briefmarken gekommen und sie teurer waren. Die Melkerin hatte kein Geld bei sich, und es war gut, dass die Briefträgerin ihr half. Die Rentnerin opferte einen neuen Briefumschlag für den Buben, der einst ihr half, die Kühe in den Schuppen zu treiben.
  Der Soldat Kusnezow diente in der Zenit-Abteilung der Ersten Motorschützeneinheit des Ersten Motorschützenbataillons jetzt ein halbes Jahr. In den sechs Monaten verwandelte sich der einfache Bursche vom Lande in einen kräftigen Burschen mit einer richtigen soldatischen Haltung. Nach jener ersten Nacht, in der man ihn grausam verprügelt hatte, berührte Kusnezow niemand mehr. Der junge Soldat konnte jetzt nun ruhig schlafen und brauchte nicht mehr die Kragenbinden einzunähen oder die Klobecken in der Toilette zu reinigen. Und die 'Alten' gaben ihm bei Begrüßung die Hand. "Der Starke" streckte allen die Hand entgegen, außer Makulow, der im Frühling entlassen wurde. Dieser Kasache gefiel dem Sibirier nicht, er war ja auch sehr ängstlich und feige. "Der Alte" fürchtete mehr als das Feuer den Kompaniekommandeur, der ziemlich oft vor der Kompanie seine mächtige Faust zur Physiognomie des alten Soldaten brachte und mit einem bösen Lächeln zischte:
  - Genosse Sowjetsoldat, ich hoffe, Sie haben es verstanden, was es bedeutet...
  Makulow drehte seine Augen zur Seiten und sprach einschmeichelnd schlau:
  - Jawohl, Garde Kapitän...
  Dann senkte er schuldbewusst, wie ein armer Kater, seinen Kopf nach unten. Nach ein paar Sekunden erklang ein mächtiges Gelächter. Alle Soldaten verstanden sehr gut, was die große Faust des mächtigen Offiziers bedeuten konnte. Es lachte auch der, den in der vorigen Nacht Makulow und seine Umgebung beleidigt hatten. Kusnezow wusste darüber sehr gut Bescheid, dass im ersten Zug in den Nächten "die Alten" allerlei Zwangsvollstreckungen an den "Jungen" manchmal veranstalteten, aber er schwieg. Alexander, wie er es 'überlegte', machte es richtig.
  Das Schikanieren durch "die Alten" blühte in der Einheit ziemlich stürmisch. Es ging auch kein Tag vorbei, in dem man auf den Truppenplatz die "Beleidigte" nicht herausführte, denen die " Alten" etwas angetan hatten. Die Offiziere, allerlei Kommissionen und Aktivisten kämpften gegen die, die den Fäusten freien Lauf ließen. Der Schütze sah ziemlich oft, wie nach dem Schlusssignal in der Kanzlei der Kompanie noch Licht brannte. Der Kommandeur oder der Vorgesetzte für politische Arbeit "erzogen" den nächsten "Schläger". In der Zenit Abteilung gab es keine Zwangsvollstreckungen, weder tags noch nachts. Die Abteilung war der Anzahl nach sehr klein und befand sich vor Augen der Verwaltung der Kompanie. Hauptmann Makarow bezeichnete die Abteilung des Sergeanten Dubrowin als die 'Militärintelligenz", deshalb, weil der jüngere Kommandeur das Abitur gemacht hatte. Und vielleicht auch deshalb, weil sie die Kompanie, weder bei dem Lernen, noch auf allerlei Übungen niemals anführten. Normalerweise zählte Kusnezow sich nicht zu "den Klugen", aber war stolz darauf, dass auch er sein Teil zum erfolgreichen Schießen beitrug. "Der Starke" fing an, sich mit Boxen richtig zu beschäftigen, aber erst im frühen Frühling, vorher hatte er keine Zeit. Die Einheit besuchten immer wieder verschiedene Vorgesetzte. Die verschiedenen Übungen und Besichtigungen machten die Soldaten und die Offiziere müde. Anfang April trat eine Erholungsphase ein und der Soldat entschied sich, richtig Sport zu treiben. Daran hinderte ihn niemand. Alle Bewohner des kleinen Militärstädtchens wussten sehr gut, dass der beste Boxer der Division eine Kompanie leitet und deshalb verfolgte man mit Interesse die Vorbereitung des würdigen Ersatzes. Es fand auch ein Wechsel des Anführers der 'Alten" statt. Nach der Entlassung Makulows in die Reserve hatte seinen "Thron" der Gruppenführer Sergeant Mjakischew eingenommen. Der verbarg von niemandem, dass er die "Grünschnäbeln" mit der Faust "erzieht" und das ziemlich oft. In den Minuten der Offenbarung erklärte er sogar dem Kompaniechef direkt:
  - Und warum darf ich, Genosse Hauptmann, nicht den erziehen, der nichts kann oder nichts machen will? Mich hat man auch geschlagen, und ich bin jetzt auch nicht dagegen...
  In den Beratungen der Sergeanten las Hauptmann Makarow sehr oft Mjakischew die 'Leviten'. Aber nach einiger Zeit ließ er wieder den Fäusten freien Lauf. Dem Sergeanten wurde auch vom Bataillonskommandeur "der Kopf gewaschen". Persönlich für ihn wurde im Stab des Bataillons ein besonderes Heft eingeführt, ein so genanntes Dossier, in dem die Rechtsverletzungen des Sergeanten vermerkt wurden. Hier waren auch Auszüge aus den zahlreichen Verordnungen, beginnend mit der Verfassung der UdSSR und endend mit den schriftlichen Befehlen der Offiziere des Bataillons und des Zugkommandeurs. Das ganze Heft war von den Unterschriften des Sergeanten bedeckt, das alles half aber nicht. Schließlich platzte die Geduld der Erzieher mit den Achselstücken, der Sergeant wurde zum Soldaten degradiert und von seinem Posten abgesetzt. Nicht zuletzt hatte daran der Kompaniekommandeur seinen Anteil. Kusnezow bemerkte sofort, dass "der Alte" gegen Hauptmann Makarow einen tiefen Hass hegte. Darin wurde er noch einmal bestätigt, als er anfing, sich mit dem Boxen zu beschäftigen. Schon während des ersten Trainings auf dem Dachboden des dreigeschossigen Gebäudes, wo einst die Soldaten der Hitlerwehrmacht untergebracht waren, kam zum Boxer, der mit großem Eifer die selbstgemachte Birne schlug, Soldat Mjakischew herauf und redete beiläufig:
  - Kusnez, du hast die Möglichkeit, die Schnauze unserem vornehmen Hauptmann zu polieren, sonst hält er von sich zu viel, dünkt sich als der Klügste und der Stärkste...
  Alexander antwortete nicht. Er schaute nur mit Verachtung den langen und mageren ehemaligen Sergeanten an und begann wieder hasserfüllt die Birne zu schlagen. In dieser Nacht trainierte der Soldat besonders eifrig, wie niemals vorher. Jeder Schlag, den der Boxer ausführte, wie es ihm schien, brachte er nicht ins Gesicht des Hauptmanns Makarow, sondern auf "die Schnauzen" jener "Alten", die die jungen Soldaten verprügelten. Mjakischew und die anderen "Alten" besuchten das Training des sibirischen Athleten mehrfach. Der Anführer gab dem jungen Boxer hinsichtlich des Kommandeurs keine Ratschläge mehr.
  "Der Alte" fürchtete, dass Soldat Kusnezow ihn verraten würde und verstand, dass selbst er, der eigentliche nächtliche "Schah" nicht nur der "Alten", sondern auch der ganzen Kompanie, machtlos war, diesem sehr großgewachsenen und starken Soldaten etwas zu tun, der gerade erst aufgehört hatte "ein Grünschnabel" zu sein.
  Einen Monat vor dem Tag des Sieges nahm man den Soldaten Kusnezow auf die dringende Bitte des Hauptmanns Makarow zu den Sportwettkämpfen mit. Der Leiter des Wettkampfes war sehr zufrieden, dass unter seine Fittiche ein solcher kräftige und schöne Bursche geraten war. Der Oberleutnant begrüßte den jungen Boxer froh und gleichzeitig klopfte er dem Kommandeur freundschaftlich auf die Schulter:
  - Also, Hauptmann, halt dich fest... Dieser "Grünschnabel" kann dich im Ring auch "schlagen"... Ich wette, dass du ihn nach einem Monat nicht wiedererkennst...
  Makarow antwortete nicht auf den giftigen Spruch des Kollegen. Er lächelte und streckte zum Abschied seinem Mündel die Hand hin. Fest die Hand des Soldaten drückend sagte der Offizier sicher:
  - Mach's gut, Kusnez... Bei dir wird sich alles ergeben, wenn du mit dem Kopf trainieren wirst...
  Dann drehte er sich heftig um und ging sicher aus der Turnhalle hinaus. Alexander Kusnezow sah noch lange auf die Tür, hinter der sein Kommandeur gerade erst verschwunden war. Die Wettkämpfe vergingen für den jungen Boxer blitzschnell. Der Soldat trainierte bis zur Erschöpfung, ihm tat alles weh: der Körper, die Hände und die Beine.
  Der Neuling war manchmal so müde, dass bei ihm während des Mittagsessen die Hände zitterten und er wie ein Kind den Borschtsch oder die Suppe vom Löffel verschüttete. Der Körper und die Seele des jungen Sportlers erholten sich nur während des Schlafes. Der Soldat wachte morgens nicht von allein auf, ihn weckte der Diensthabende oder der Leiter der Wettkämpfe, der einen sehr großen Wert auf den unerwarteten Fund legte. Oberleutnant Posochow verbarg das auch von keinem. Deshalb verpasste er keine Gelegenheit, seine Freude und die Erfolgen des jungen Boxers mit dem Kommandeur der Einheit zu teilen. Sljunjkow, der das zufriedene Gesicht des Trainers sah, lächelte nur und wiederholte:
  - Also, gut Freund, hör auf zu prahlen... Ich glaube nicht daran, dass aus meinem Regiment irgendein Boxer herauskommen wird... Wenn er ein Weltmeister werden würde, so konnte man dann auch über ihn sprechen...
  Nach dem Boxen lud der Kommandeur der Einheit die zukünftige Hoffnung der sowjetischen Armee nicht zu sich persönlich ein, er hielt es für nicht nötig. Dem Soldaten Kusnezow war es irgendwie egal. Posochow machte aber alles Mögliche, um durch die Siege des jungen Soldaten berühmt zu werden. Und es gelang ihm. Zum Wettbewerb der Einheit im Boxen war der zwei Meter-Riese außer Konkurrenz gewesen. Der "Starke" schlug seine Gegner schon in der ersten Runde. Alexander jedoch betrachtete seine Siege objektiver. "Die Schnauze" jemandem zu schlagen, gelang ihm nur auf Kosten seiner Größe, Kraft und der Wut. Die Letztere gab es beim Soldaten viel zu viel. Warum es so war und woher sie kam, wusste er auch selbst nicht...
  Den Wettkampf der Boxvereinigung verlor der Soldat Kusnezow, auch der soldatische "Starke" genannt. Verlor, wie man so sagt, "trocken" und in der ersten Runde. Der Champion der Division Hauptmann Makarow wollte zuerst bei diesem Wettbewerben nicht antreten. Er hatte ein für alle Male beschlossen, sich von den Boxhandschuhen zu verabschieden. An dem Offizier nagte die Kränkung der Regiment- und Divisionleitung, die ihn für etwas 'Niedriges' hielt. Makarow bezweifelte überhaupt nicht, dass gegen ihn sein Untergebener antreten würde. In allen Regimenten und in den einigen Bataillonen der Division gab es keinen Besseren als den Soldaten Kusnezow. Besonders leidenschaftlich ersehnte der Vorgesetzte der physischen Vorbereitung des Regiments, Oberleutnant Posochow, das Duell zwischen dem Hauptmann und dem Soldaten, zwischen dem Kommandeur und dem Untergebenen. Der Offizier hatte keinen Abschluss von Militärbildungseinrichtungen, zur Armee kam er nach dem Sportinstitut. Persönlich hatte er keine besonderen Erfolge im Sport. In der Einheit schwebten Gerüchte darüber, dass der Hauptsportler irgendeine Leistungsklasse in Skilaufen hätte. Aber im Lagerhaus des Sportinventars fehlten die Ski überhaupt. Auf dem Territorium des sowjetischen Militärstädtchens gab es im Winter manchmal überhaupt keinen Schnee. Deshalb drängte der Vorgesetzte der physischen Vorbereitung sehr energisch den jungen Sibirier auf den Box Olymp, auf diese Weise hoffend, im Hintergrund dessen Ruhmes und Erfolges selbst zu glänzen.
  Im Ring gegen den untergeordneten Soldaten anzutreten, überredete Makarow seine Frau, obwohl Tatjana auch zuerst gegen den Kampf ihres Mannes war. Je mehr sie über das bevorstehende Duell nachdachte, desto mehr kam sie zu dem Gedanken der Notwendigkeit des Kampfes für ihren Saschka. Nein, sie wollte nicht wieder irgendeinem Soldaten die Kraft und die Überlegenheit Ihres Mannes beweisen. Der Offizier hatte in seiner kleinen sportlichen Karriere keine Sterne vom Himmel geholt, er erlitt auch Niederlagen. Früher haben Sanjka Makarow und seine Ehefrau den Siegen oder den Niederlagen keine große Bedeutung geschenkt. Jetzt stand dem grauhaarigen Mann bevor, nicht nur zu siegen, sondern auch in erster Linie dem Divisionskommandeur zu beweisen, dass er auch ein echter Offizier und Mensch ist, der auf ein ehrenvolles Leben Recht hat. Makarow wurde auch von seiner kleinen Tochter unterstützt. Wika, nachdem sie den Arm des Vaters ungern verlassen hatte, flüsterte fröhlich:
  - Väterchen, du sollst siegen... Sie-gen, Vater...
  Mit den Gedanken an seine Tochter stieg der Hauptmann Makarow in den Ring. Nicht weit vom Ring war die Ehrenloge errichtet worden, in der der Divisionskommandeur und seine Stellvertreter saßen, unter ihnen auch Major Sljunkow.
  Der Meister wusste sehr gut, dass das Kommando immer mit Interesse die Kämpfe der Schwergewichtler beobachtete. Jetzt aber interessierte Alexander diese Umgebung nicht. Er wollte einfach nur schnell den Kampf beenden, um dann wieder im Kreise der Familie zu sein... Der Gong läutete. Makarow ging zielstrebig dem Gegner entgegen, jener bewegte sich nicht sehr geschickt im Ring. Nach einigen Sekunden hatte der erfahrene Boxer eine Schwachstelle in der Verteidigung des springenden Riesen gefunden und schlug kräftig mit der linken Hand von unten nach oben an dessen Kinn. Kusnezow stürzte auf den Fußboden, als ob ihn jemand mit einem Schwert umgelegt hätte... Der Sieger kroch ruhig durch die Seile und verließ die Sporthalle ruhig. Makarow wusste, dass nach solch einem Schlag der Besiegte nicht allein aufstehen und auch nicht mehr kämpfen konnte.
  Der Meister der Vereinigung in Boxen fuhr mit dem Fahrrad nach Hause. Der Stab der Division befand sich in einer Entfernung von dreißig Kilometern von der Stadt, in der Offizier Makarow und Soldat Kusnezow dienten. Tatjana, als sie vom Sieg ihres Mannes im Ring erfuhr, umarmt sie ihn fest. Dann küsste sie ihn auf den Mund und sagte mit Tränen in den Augen:
  - Saschenjka, in unserer Einheit tauchen Probleme auf, ja und noch was für welche! Heute verriet die Frau des Kommandeurs unserer Einheit, unser Regiment wird bald Deutschland verlassen... Jetzt sprechen alle nur darüber...
  Für Hauptmann Makarow und seine Frau, und für alle Bewohner des Militärstädtchens war diese Neuigkeit auch nicht besonders neu. Der Kommandeur der Kompanie interessierte sich immer für Politik, ganz besonders in letzter Zeit. Der Offizier, infolge seiner Beschäftigung, kam manchmal nicht dazu, zu verfolgen, was in seiner Heimat und auch hier geschah. Er, als Bürger der Sowjetunion, als Offizier der sowjetischen Armee konnte nicht daran glauben, dass die Führung der Millionenpartei der Kommunisten so schnell ihre Positionen abgeben würde, sie nicht nur abgeben, sondern auch die Interessen der Eroberungen des Sozialismus verraten. Davon wurde es ihm unheimlich. Während des politischen Unterrichtes stellten viele Sergeanten ihrem Leiter sehr "schwierige" Fragen. Makarow antwortete auf viele "schwierige", viele wimmelte er ab, aber auf einige konnte er auch selbst keine Antwort finden. Es gab auch keine Antworten darauf, was auf dem Territorium des sozialistischen Deutschlands geschah. Die deutsche Gesellschaft brodelte, forderte reale demokratischen Umgestaltungen. "Fatal" wurde für die sowjetischen Militärangehörigen das Jahr 1989, das Vierzigste Jahr der Gründung der DDR.
  Die Regierung feierte das Jubiläum in einem großen Ausmaß. Am 7. Oktober fand in Berlin die feierliche Versammlung, die diesem Ereignis gewidmet war, statt. An diesem Tag zog über das Land die nächste Welle von Demonstrationen. Epizentren der politischen Aktivität der Bevölkerung waren die Städte - Leipzig, Schwerin, Cottbus, Karl-Marx-Stadt und andere. Alle forderten Freiheit und Demokratie... Am 9. November öffnete die DDR die Grenze zur BRD. Am nächsten Tag begann die Zerstörung der Berliner Mauer...
  Der Oberleutnant Makarow kam zum Motorschießregiment aus Sabaikalien vor zwei Jahren, nachdem in der Sowjetunion unter Leitung der KPdSU die Perestroika begonnen hatte. Die Prozesse der Perestroika in der Heimat waren von der Armee, einschließlich von GSSD, untrennbar. Die Einigkeit der Armee und des Volkes prägte sich im Regiment in den Beratungen und anderen allerlei Veranstaltungen aus, die sehr oft durchgeführt wurden und nicht selten unter den Bewohnern des Militärstädtchens einige schrecklichen Gerüchte und Gerede bewirkten. Der Teil der Beratungen wurden streng nach "dem Rang" durchgeführt, das heißt die Informationen wurden nach dem Prinzip gestaltet, was wer nach den amtlichen Pflichten wissen "sollte". Trotzdem wussten alle Bewohner des kleinen Militärstädtchens mit den Achselstücken und ohne Achselstücke darüber gründlich Bescheid, was der Kommandeur der Einheit und seine Stellvertreter sagten. Es wurde nicht nur geredet, sondern einige wurden auch bestraft. Der größte Teil der Offiziere und der Fähnriche begab sich nach "der Gehirnwäsche" ins Café, wo "die Überarbeitung" der erhaltenen Informationen von den übergeordneten Vorgesetzten weiter ging, worüber und über wen man 'nachzudenken' hatte...
  Die Perestroika gab einen Impuls für allerlei friedliche Initiativen, die auf die Entspannung der internationalen Lage gerichtet waren. Es betraf in erster Linie die Gruppe der sowjetischen Truppen in Deutschland von der Westlichen Gruppe der Truppen, eine der mächtigsten Militärgruppierung in der Welt. 1989 waren auf Initiative der Sowjetunion einseitig aus der DDR zwei Panzerdivisionen und nach einer Weile noch eine Panzerdivision herausgeführt worden...
  Diese Informationen erfreuten die Motorschützen nicht, besonders die Offiziere, die "die Schwelle" des sozialistischen Deutschlands gerade erst betreten hatten. Dem Kommandeur der ausgezeichneten Kompanie, dem Hauptmann Makarow, blieben bis zur "Frist" zwei Jahre. Weder Alexander, noch Tatjana wollten diese Zeit vergeuden. Und nicht ohne Grund. Das junge Paar verstand, dass in der Sowjetunion Moskau oder Kiew ihnen auf keine Weise leuchteten. Dorthin würden die Kastenoffiziere fahren. Wieder hinter den Uralbergen zu dienen, hatten sie keinen offensichtlichen Wunsch, sie hatten bis zum Hals Sabaikalien satt. Für diese Sorge hatten die Sibirier auch materielle Gründe. Die ausgezeichnete Kompanie kostete dem Familienbudget nicht wenig Geld. Die Ehefrau des Offiziers hatte dieses "Loch" früher standhaft ertragen. Sie, wie auch ihr Mann, hoffte auf die nächste Dienstbeförderung des Ernährers. Es vergingen mehr als drei Jahre, doch Hauptmann Makarow blieb immer noch auf der gleichen Position... Die Eheleute Makarows saßen an diesem Abend ziemlich lange am Tisch. Ihnen schien es, dass sie alles gesagt und auch alles besprochen hatten.
  Und nicht nur das. Sie stießen auf den großen Sieg des großen Volkes an und tranken ihr Glas aus, vergaßen auch nicht auf das Wohl der sowjetischen Offiziere und ihrer Kampffreundinnen zu trinken. Hauptmann Makarow ging an diesem Abend nicht in die Kompanie...
  Am nächsten Morgen nach der Besichtigung der Einheit versammelte der Regimentskommandeur die Kommandeure der Unterabteilungen im Offiziersklub. Major Sljunjkow war diesmal aus irgendeinem Grund sehr bedrückt. Die im Saal Sitzende und auf den Glatzkopf Chef Schauende überzeugten sich wieder einmal in der Glaubwürdigkeit der Informationen "des weiblichen" Rundfunks. Der Regimentskommandeur, der möglichst viel Luft in seine Lunge einatmete, sagte ohne Lust laut:
  - Genossen Offiziere! Uns steht bald bevor, in Ehren den Befehl der Heimat auszuführen... Uns steht bevor, uns auf das Territorium unseres Landes - in die Sowjetunion zurückzuziehen...
  Nach diesen Worten war dem Hauptmann ums Herz beklommen, und nicht nur ihm. Die Männer mit den Achselstücken wollten diesen Informationen nicht glauben. Viele von ihnen begannen sofort, ohne sich zu verstecken, leise zu reden. Der Glatzkopf störte diesmal niemanden, er selbst war auch nicht in "der Paradeform". Sehend, dass die Beratung einem Bienenschwarm ähnlich wurde, schrie der Kommandeur der Einheit laut auf:
  - Genossen Offiziere! Wo befinden sie sich? Bei der Schwiegermutter zum Pfannkuchenessen oder in einer Beratung? Ich spreche mit Ihnen, Genosse Major...
  Sljunjkow zeigte mit der Hand in Richtung des kleinen und dicken Offiziers, der in der letzten Reihe saß und über etwas unzufrieden war. Jener bemerkte die Anrede des Kommandeurs der Einheit aller Wahrscheinlichkeit nicht und sagte lebhaft etwas dem Hauptmann, der einen ganzen Kopf größer als er war. Erst nachdem einer von den nebenan sitzenden Offizieren "den Redner" in die Schulter gestoßen hatte, drehte sich jener blitzschnell zur Seite des Kommandeurs der Einheit um.
  Als er das unzufriedene Gesicht Sljunjkows gesehen hatte, brummte der Major, wie gerade erst vom Mond gekommen, böse:
  - Ich verletzte die Disziplin nicht... Für mich ist es einfach kränkend, dass ich, der Major der sowjetischen Armee in einem Tag im Viehwagon mit einem Koffer fahren werde...
  Für einen Augenblick wurde der "Beleidigter" still. Danach sagte er, wie beiläufig, sehr leise:
  - Das betrifft unseren Kommandeur nicht. Er hat sich schon seit langem einen Wagen oder auch zwei gekauft... Und was soll ich ins Lieblingsland mitnehmen, Patronen oder?
  Nach diesen Worten zitterte der Saal vor lautem Gelächter. Die Menschen in den Achselstücken lachten so stark, dass es schien, das die ganze anschauliche Agitation, die alle aufruft, auf der Wacht der Eroberungen des Sozialismus wachsam zu stehen, gleich 'platzen' wird.
  Der Kommandeur der Einheit und seine Stellvertreter, die im "Präsidium" saßen, reagierten auf den Zwischenruf des bösen Majors auf keine Weise...
  Buchstäblich nach einer Minute nach der Beratung über "die Perspektiven" des Aufenthaltes der Motorschützen auf deutschem Boden leerte sich der Offiziersklub. Der Vorgesetzte des Klubs, dem bis zu Entlassung nur paar Monate blieben, schloss mit einer olympischen Ruhe die "Kultur" mit dem Schloss ab. Der graue Major bemerkte heute niemanden und nichts. Dem Politarbeiter war es jetzt nicht nach Filmen und nicht nach Büchern zu Mute. Er, wie auch alle andere, wollte von hier nicht 'die Beine fortbewegen'.
  Der zukünftige Militärrentner wollte die letzten Tage seines Dienstes nicht im heißen Sand oder in der weiten Taiga verbringen. Wann und wohin die Einheit herausgeführt würde, wusste niemand. Es wussten nur die von Oben und vielleicht auch sie nicht einmal. Viele vom Kummer 'Ermordeten" hofften in der Seele noch auf ein Wunder, das in der Sowjetischen Armee 'Bürokratie' hieß. Für den Abzug der mächtigen ausgerüsteten Armada würde sehr viel Zeit, mehrere Monate und sogar einige Jahre gebraucht... Jemand hoffte darauf sogar, dass bald von Oben ein anderer Befehl und mit einem anderen Inhalt kommen würde...
  An dieses Wunder glaubte in irgendeinem Maß auch Hauptmann Makarow. Der Kommandeur der ausgezeichneten Kompanie stürmte aus dem Klub sofort nach Hause, ihm war es nicht nach der Belegschaft zu Mute. Dazu war er nach 'der Begrebnissberatung' sehr hungrig geworden. Die Soldaten aßen an diesem Tag zu Mittag und speisten auch am Abend ohne die Verantwortlichen in den Untereinheiten.
  Die Bewohner der deutschen Stadt Dachbau hörten nicht am späten Abend den lauten Gesang von hundert Soldaten während des abendlichen Spaziergangs. In den Kasernen herrschte Stille, in den Offiziershäusern war es noch ruhiger. Die verheirateten oder auch unverheirateten Männer in der Militäruniform überlegten, was man weiter machen und was man noch auf deutschem Boden " beschaffen" könnte.
  Die zweite Überlegung zu entstandenen Lage war für das Ehepaar Makarows um vieles schwerer als die vorige. Die Gedanken waren nicht besonders freudig. Von den plötzlich erscheinenden Problemen klemmte Alexander das Herz, Tatjana weinte. Als der graue junge Mann auf seine Kampffreundin schaute, beschimpfte er sich immer wieder für den Eifer im Dienst, der der Familie drei Tausend Mark gekostet hatte. Jetzt hing das ganze materielle "Prestige" der jungen Familie an einem ausländischen Auto. Eine einheitliche Meinung über den Kauf gab es bei den Eheleuten nicht. Den Wunsch, ein anständigen "Mercedes" zu kaufen, tauchte auf und verschwand wieder. Makarow wusste nicht, wohin man ihn nach dem Dienst in WGT schicken würde. Mit dem Wagen durch die Gebirge Transbaikaliens sich zu schleppen wollte der Offizier nicht. Eine "feste" Heimat gab es weder für ihn, noch für seine Frau. Nach langen Überlegungen entschieden sich die jungen Leute immerhin, "eine Karre" auf alle Fälle zu kaufen. Sie schlossen auch die Möglichkeit ihres Verkaufes in Russland nicht aus, damit sie irgendwie existieren könnten. Nach mehrfachen Berechnungen der möglichen und unmöglichen Varianten kamen der Mann und die Frau zu einer unerfreulichen Schlussfolgerung. Für einen anständigen Wagen reichte bei ihnen das Geld nicht, für ein verhältnismäßig anständiges Auto vom 'Autoschrott' versuchten sie es zusammen zu kratzen. Sie schlossen auch die allerletzte Variante nicht aus.
  Zu dem Sportcafé, das sich nicht weit vom sowjetischen Militärstädtchen befand, brachte ein Teil der ortansässigen Deutschen alte Autos, damit sie sich mit der Suche des offiziellen "Friedhofs" nicht zu bemühen brauchten und das Geld für das Altmetall nicht zu zahlen müssten. Zu den Diensten des Autoschrottes griffen einige von den Soldaten oder den Fähnrichen, vielen gelang es, ein Auto umsonst zu bekommen.
  Die hochrangige Offiziere und die, die bei allerlei "Futterkrippen" waren, kauften teurere und solidere ausländischen Wagen. Makarow zählte sich zu jenen nicht, obwohl er die Glückspilze stark beneidete. Sie brachten es fertig während des Dienstes "die Karren" zu kaufen und auf die Große Erde eine, auch mehr wegzubringen. Den fetten Bissen bekamen die, die große Sterne hatten und Verstand zu stehlen.
  Alle Bewohner des Militärstädtchens erinnerten sich noch an das eindrucksvolle Beispiel vor zwei Jahren. In die benachbarte Einheit waren zwei Majore gekommen, einer auf den Platz des Regimentskommandeurs, der andere auf den Platz des Vorgesetzten des Autodienstes. Sie waren gleichzeitig angekommen und hatten die Einheit im gleichen Monat auch verlassen. In der Zeit des deutschen "Fünfjahraufenthalts" wurde der Kommandeur der Einheit zum Oberst und brachte mit Hilfe der Fähnriche drei teure ausländische Wagen in die Heimat. Einen brachte der Chef in die Hauptstadt, weil er "eine warme" Stelle im Generalstab der Streitkräfte der UdSSR bekommen wollte. Der Vorgesetzte des Autodienstes ist als Major "vertrocknet", in diesem Rang wurde er auch in die Rente entlassen. Der Reserveoffizier verabschiedete sich mit Tränen in den Augen von dem Kampfbanner der Einheit. Der fünfundvierzigjäriger Mann hatte eine Freude - zwei Autos. Einen hatte er schon für den Sohn in die Heimat gebracht, auf dem zweiten fuhr er sofort nach dem Abschied von Einheit in den Ural, wo er vorhatte, sich mit der Bienenzucht zu beschäftigen.
  Darüber, für welches Geld diese Offiziere die Wagen gekauft hatten, erzählte man Verschiedenes. Wenn sie 'Schrottautos' gekauft hätten, wäre aller Wahrscheinlichkeit nach in der Einheit Ruhe gewesen. Aber es waren ja allzu teure Karren bei den älteren Offizieren, deshalb schwätzte man auch so Einiges. Die Besitzer der ausländischen Wagen hatten die gleiche Geldquelle. Der Kommandeur schickte heimlich die Soldaten zu den Deutschen, um 'schwarz' zu arbeiten, der Vorgesetzte des Autodienstes verkaufte Benzin...
  An diesem Abend ging das Ehepaar Makarows sehr spät ins Bett. Der Mann und die Frau, wie es ihnen schien, hatten alles für die nächste Zukunft geplant. Alexander war in diesem Abend, wie noch nie, ausgeglichen. In der kleinen Wohnung herrschte nächtliche Stille und eine seelische Ruhe. Neben ihm lag seine geliebte Frau. Nicht weit von ihnen atmete friedlich ihre einzige Freude - ihre geliebte Tochter Wika. Als der Mann sich an dem schlanken Körper seiner Frau gesättigt hatte, geriet er wieder eine Zeit lang ins Nachdenken. In dieser Nacht kam er fest und endgültig zu einer weit unerfreulichen Schlussfolgerung. Seine Militärkarriere war zu Ende gegangen, es war die Zeit gekommen, sich auf die Erde herabzulassen und nicht in den Wolken zu schweben. In seiner Seele wurde ein anderer Mensch geboren, der erst jetzt endgültig anfing den Pseudopatriotismus jenen Systems zu verstehen, in dem er die ganze Zeit lebte und noch vor paar Stunden bereit war, es mit der Waffe in der Hand zu verteidigen. Bei diesen nicht ordinären Gedanken lächelte er aus irgendeinem Grund. Die Ruhe der Seele trug zu einem ruhigen Schlaf des starken und gesunden Menschen bei. Nach ein paar Minuten schnarchte Makarow ruhig. Im Schlaf träumte er von einem blendend schwarzen "Mercedes", mit dem er über die schmutzigen Straßen Tschitas, wo er vor paar Jahren ein Praktikum machte, jagt...
  Der Einfall der Eheleute Makarow, sich seit dem Morgen mit der Suche nach einer Karre zu beschäftigen, scheiterte mit einem Knacken. Um sieben Uhr morgens klopfte man bei ihm laut. Alexander zog schnell die Unterhose hoch und stürmte zur Tür. Nach ein paar Augenblicken erschien vor ihm der Kopf des Soldaten Imankulow. Der Bote, schwer atmend, sagte schnell laut:
  - Genosse Hauptmann, der Bataillonskommandeur ruft Sie schnellstens zu sich... Er war schon in unserem Büro. Er wartet auf Sie.
  Weiter konnte der Soldat nichts sagen. Er schaute nur aufmerksam in die Augen seines Kommandeurs und wartete auf eine Antwort.
  Jener, wie auch der Soldat, dachte nicht lange nach und sagte schnell:
  - Sage dem Major Siwyj, dass ich krank bin und mit hohem Fieber im Bett liege... In die Kompanie werde ich heute nicht kommen...
  Danach schloss der Offizier schnell die Tür und im Nu war er wieder im Bett. Tatjana hatte auf das Erscheinen des Boten nicht reagiert. Sie, wie auch das Töchterchen, schliefen ruhig weiter. Nach einer Weile klopfte es wieder an der Tür. Diesmal war Imankulow durch etwas oder jemanden sehr aufgeregt. Der Kompaniechef kam nicht dazu, die Tür zu öffnen, als der Bote, wie gelähmt, langsam und mit Stottern sagte:
  - Hauptmann Makarow, er ruft sie wieder zu Beratung... Er wird mich umbringen, wenn Sie, Genosse Hauptmann, in der Kompanie nicht erscheinen...
  Der Kommandeur kam zu seiner ausgezeichneten Kompanie nach etwa dreißig Minuten und begab sich sofort in das Büro. Major Siwolapow war nicht hier. Makarow ging in den Stab des Bataillons. Nach ein paar Metern bis zur Kanzlei blieb er stehen und lauschte. Hinter der Tür klang die donnernde Stimme des Majors 'Siwyj', so nannten die Soldaten und die Offiziere den Bataillonskommandeur in seiner Abwesenheit. Die Soldaten fürchteten wie das Feuer den Bataillonskommandeur, der nie ehrlich oder anständig war. Die Untergebenen rächten sich dafür, sie nannten den Vorgesetzten 'ein grauschwarzen Wallach'. Für diesen Spitznamen konnten sogar die Offiziere bestraft werden. Ein Beispiel dafür war ein Fall, der sich erst kürzlich ereignete. Der Vorgesetzte der Verbindung des Bataillons, Leutnant Gonoschilow, kam angetrunken in die Einheit. Als der Bataillonskommandeur davon erfuhr, beschäftigte er sich sofort mit der Erziehung des Untergebenen.
  Der junge Leutnant stand fast eine halbe Stunde stramm und hörte mit großer Aufmerksamkeit die Moralpredigt des Vorgesetzten an. Nach "Kopfwaschen' zog er sich schnell hinter die Tür zurück. Wenige Augenblicke danach hörte der Major durch die Tür:
  - Ich nieße auf diesen 'Grauschwarzen' und er kann mich Mal...
  Siwolapow hatte das berühmte russische Wort aus drei Buchstaben, das in allen Ländern und Kontinenten des Planeten Erde ohne Veränderungen übersetzt wird, deutlich gehört. Der Major riss die Tür auf und rannte hinter dem Nachrichtensoldaten hinterher, jener stieg langsam die Treppe zum Erdgeschoß herunter. Der Bataillonskommandeur, der ziemlich klein und schlang war, fasste mit der Kraft eines Löwen Gonoschilow am Kragen und zischte mit einer Boshaftigkeit:
  - Du, Missgeburt, wenn ich es noch einmal höre, werde ich dir die Fratze zerschlagen und ich werde dich einsperren lassen... Hast du, Leutnant, mich verstanden?
  Der junge Offizier war offenbar erschrocken von dem Bedrängen des Kommandeurs und konnte nichts sagen. Er blinzelte nur schnell mit seinen Augen, nur das und weiter nichts. Aller Wahrscheinlichkeit nach war das Schweigen des Untergebenen erzwungen, da der Major Gonoschilow ihn immer noch festhielt und mit einem erstklassigen Fluch belegte. Vor der wütenden Physiognomie und dem Fluchen des 'Grauschwarzen' wichen die Soldaten und die Offiziere, die nach oben und nach unten die Treppe hinauf und herunter liefen, zur Seite. Zur Mittagessenaufstellung wusste die ganze Belegschaft des Bataillons schon von dem Vorfall. An diesem Tag, sowie auch fast in allen nachfolgenden, hetzten die Offiziere, die sich im Rauchzimmer versammelten, "den Schuldigen' des außerordentlichen Vorfalls nicht selten auf. Leutnant Gonoschilow warf sich nicht auf die Offiziere und nahm es ihnen auch nicht Übel. Er lächelte nur traurig, manchmal wagte er es sogar bis ins Einzelne von der Heldentat zu erzählen...
  Mit einer erstklassigen Flucherei des Bataillonskommandeurs wurde auch Hauptmann Makarow empfangen. Siwolapow war nach "Kopfwaschen" der Untergebenen offenbar ermüdet und deshalb dauerte die "Wäsche" des Kommandeurs der ausgezeichneten Kompanie nicht so lange. Die kurze Dauer des erzieherischen Prozesses bestimmte auch der Verspätete sozusagen. Der Riese sah mit einem Lächeln auf den Bataillonskommandeur, der ihm kaum über seinen Nabel reichte, und schwieg. Schwieg nicht grundlos. Bevor er in die Einheit gegangen war, hatten sie auf dem Familienrat entschieden, weiter ruhig zu dienen, sich nicht "hinauszustrecken". Tatjana und Alexander hatten auf alles "draufgelegt", in der verbleibenden Zeit beabsichtigten sie, gelassenen zu werden und etwas für sich zu kaufen. Makarows hatten in der Heimat und auch hier keinerlei Ersparnisse. Nach der Beratung beim Bataillonskommandeur ging Hauptmann Makarow ins Büro. Es waren keine Offiziere dort, der Hauptfeldwebel der Kompanie war auch nicht da. In den Schlafräumen auf den Betten lagen ein Dutzend Soldaten, die anderen waren irgendwohin verschwunden. Im Haushaltszimmer und im Trocknerraum herrschte eine Unordnung. Der Stubenälteste begrüßte den Kompaniekommandeur lamm und berichtete, dass die Belegschaft der Kompanie sich nach den Plänen der Zugkommandeure beschäftigte. Der Offizier verließ mit einem Schmerz im Herzen seine ausgezeichnete Kompanie. Früher drehte sich in dieser Einheit alles, alles bewegte sich und wurde gereinigt...
  Eine Woche nach der 'Begrebnissberatung' verging, eine zweite kam... Bei den "Chinesen" geschah in dieser Zeit nichts Wesentliches. Das Regiment beschäftigte sich nicht mit Kampfvorbereitungen, und auch das war schon eine sinnlose Beschäftigung. Alle warteten auf den Befehl über den Abzug, aber er kam aus irgendeinem Grunde nicht. Die Menschen mit den Achselstücken und die Mitglieder ihrer Familien beunruhigte auch das, was in ihrer Heimat, in der Sowjetunion, geschah.
  Besonders verfolgte man die Informationen, die die Westliche Gruppe der Truppen betraf. Viele Motorschützen waren verzweifelt, als sie die russische Presse über die Sowjetische Armee lasen. Das Heiligtum wurde auf verschiedene Weise beschmutzt und in den Dreck gezogen, was ihre Kampfmacht sprengte. Besonders ereiferten sich allerlei "Schriftsteller" der Zeitungen und der Zeitschriften, die in der Mehrheit den Wehrdienst nicht rochen und keinen Brei aus dem soldatischen Kessel aßen.
  Ein bestimmtes Interesse für die Sowjetische Armee, für ihr alltägliches Leben begannen auch die Massenmedien der Bundesrepublik Deutschlands zu zeigen. Die Westdeutschen konnten es nicht erwarten, die Enkel und die Urenkel der Befreier Europas von der braunen Pest des Faschismus zu sehen und sogar "zu betasten". Im Sommer 1989 besuchte auf Einladung der westdeutschen Zeitung "Bild" und unter Mitwirkung des Verteidigungsministeriums der UdSSR und der Agentur der Pressenachrichten eine Gruppe der sowjetischen Militärangehörigen vom Soldaten bis zum Obersten, insgesamt zehn Personen, die Bundesrepublik Deutschland. Die Deutschen zeigten gegenüber den Gästen kein gespieltes Interesse, da viele von ihnen russische Soldaten zum letzten Male nur während des Krieges gesehen hatten.
  Hauptmann Makarow nahm an dieser Gruppe nicht teil und bedauerte es nicht im Geringsten. Er wusste sehr gut, dass jegliche Besuche oder Verhandlungen nur eine Erscheinungsform der Papierdiplomatie waren und mehr nicht. In Wirklichkeit geschah etwas ganz anderes, manchmal sogar Furchtbares. Das fühlten und sahen die Offiziere und die Soldaten des kleinen Militärstädtchens. Die ortsansässigen Deutschen hassten immer mehr ihre "Freunden", besonders "erklärten" das die jungen Männer. Am Tag fürchteten die Geiferer, die Nase gegen die sowjetische Militärgarnison hinauszustrecken, da die bis zu den Zähnen mit der modernen Kampftechnik und Waffen ausgerüstet war. Nach dem Fall der Berliner Mauer hatte jemand aus den Bewohnern Dachbau überhaupt keinen Halt mehr. Nachts glühte manchmal das Telefon des Diensthabenden der Einheit nach ein paar verschiedene Angriffe der Deutschen. Manchmal warfen sie mit Steinen auf die Wachen, die den Park der Kampftechnik beschützten, der sich nicht weit vom Waldrand befand. In die Fenster des Offizierswohnheimes, das ca. zehn Meter von der Straße der deutschen Stadt lag, flogen Steine und leere Bierflaschen. Den Bewohnern der dreigeschossigen Villa war es streng verboten, in irgendeiner Weise auf die illegalen Handlungen der Deutschen zu reagieren. Neben dem Kontrollpunkt der Einheit versammelten sich nicht selten Gruppen betrunkener Jugendlichen, die laut grölten und deutsche Lieder sangen. Man hörte oft aus der Menge russische Rufe: 'Russenschweine - raus' oder 'Russen - Bahnhof'. Es fehlte "die Freundschaft" auch während der Ausfahrt zu den Lehrzentren. Davon überzeugte sich auch Alexander Makarow, als seine Kompanie zur Durchführung des Schießens und der Durcharbeitung der taktischen Beschäftigungen fuhr. Während des Marsches warf jemand aus den Bewohnern der Orte Steine und Flaschen in die Kolonne der Autos. Es mehrten sich Fälle des Diebstahls, der Beschädigung der Ausrüstung und der Technik auf den Übungsplätzen.
  Nach Informationen der Führung der Westlichen Gruppe der Truppen stellte man 1990 163 Rechtsverletzungen seitens der Deutschen fest, 1991 verdoppelte sich fast diese Zahl. 1992 waren es über tausend. In 2,5 Jahre kamen durch diese Handlungen 23 russische Bürger um...
  Die Bosheit und der Hass der Deutschen riefen eine bestimmte Besorgnis beim Kommando WGT aus. Mehrere Direktiven und die wertvolle Hinweise von Oben erreichten die Einheit jeden Tag.
  Etwas 'Frisches' gaben auch die Offiziere des Komitees für Staatssicherheit. Alles wurden auf eins zurückgeführt - zur Erhöhung des Niveaus der Kampfbereitschaft und der Festigung der Disziplin. Der Kommandeur des Motorschießregiments Major Sljunjkow überbrachte mit großem Eifer das alles den Untergebenen. Er "setzte" ziemlich oft die Offiziere auf die kasernierte Lage, um seine Person von jeglichen außerordentlichen Vorfällen zu schützen. Sie reagierten darauf unterschiedlich. Die Mehrheit von ihnen schlief eifrig in den Nächten in den Büros auf den Soldatenmatratzen, jemand trank Wodka oder spielte Karten. Unter die besondere Kontrolle des Kommandeurs und seiner Stellvertreter zog man die ledigen Offiziere und Fähnriche heran, die, wie der Glatzkopf zu wiederholen liebte, 'den Samen des Internationalismus in den Leib der hiesigen Huren einbringen könnten'.
  Dem Auge des Kommandeurs entgingen auch nicht die Familie der Militärangehörigen, die Bekanntschaften oder Beziehungen mit den Ortsbewohnern hatten. Etwas "ergänzten" auch die Kommandeure der Unterabteilungen. Laut Befehl des Majors Siwolapow patroulierten zur Tageszeit zwei Soldaten mit den Bajonettmessern um die Kaserne herum. In der Nacht wurden zwei Paar Diensthabende eingeteilt, die nach zwei Stunden einander abwechselten.
  Die besondere Sorge forderten die Kinder und die Frauen der Militärangehörigen. Bis zum Fall der Berliner Mauer brachten die Vertreterin des schwachen Geschlechtes es fertig, ein paar Mal am Tag durch die Geschäfte des Städtchens Dachbau zu laufen, die erwachsenen Kinder standen den Eltern auch nicht nach. Es gelang ohne jegliche Probleme.
  Die offiziellen Informationen und allerlei Gerüchte über die schlechte Beziehung der Deutschen zu den Russen und sogar über Totschläge der Militärangehörigen, riefen echte Angst bei den Bewohnern der sowjetischen Garnison hervor. Außer dem Fahrer und des älteren des Busses zog man zu den Schülern des ältesten Klassen, die in der Schule der benachbarten Einheit lernten, noch ein Fähnrich hinzu. Die Mehrheit der Frauen war gezwungen, die deutschen Geschäfte in Begleitung von Männern zu besuchen. Es war auch ein Gesetz für sie, sich ins Registraturbuch am Kontrollpunkt der Einheit einzutragen. Die Kommandeure informierten regelmäßig die übergeordnete Leitung nicht nur über die Sachlage in den Unterabteilungen, sondern auch darüber, wie die verheirateten und ledigen Offiziere lebten, wie sie die freie Zeit verbrachten...
  Soldat Kusnezow kam zu Sanitätsstelle zu Fuß an. Die Gerüchte über die grausame Niederlage des jungen, aber sehr hoffnungsvolleren Boxers, waren auch hierher gelangt. Die Zimmernachbarn reagierten auf die Niederlage des Sibiriers unterschiedlich. "Der Alte" Petjka, von Geburt aus der Ukraine, riet ihm, nach der Armee ins Boxgeschäft einzusteigen, da jetzt im zivilen Leben die Kraft für das Geldherauspressen nötig wäre. Chusna, so nannte man in der Sanitätsstelle den rothaarigen Sergeanten, war aus irgendeinem Grunde anderer Meinung. Er empfahl Alexander überhaupt, mit dem Boxen aufzuhören, es würde sich kaum jemand an solch einem "Elefanten" vergreifen. Die natürliche Kraft und die Größe des jungen Patienten riefen eine gewisse Sympathie bei den Ärzten hervor. Der Vorgesetzte der Abteilung, Major des medizinischen Dienstes, sagte nach der Untersuchung des Eingetroffenen fröhlich:
  - Du, Boxer, denke ich, hast eine einfache leichte 'Erschütterung des Kiefers' und das ist alles...
  Als er das erstaunte Gesicht des Soldaten, der aus irgendeinem Grunde die Diagnose nicht verstehen konnte, sah, ergänzte der Offizier im Flüsterton:
  - Soldat Kusnezow, regen Sie sich nicht auf, alles wird in Ordnung kommen... Von solchen Schlägen ist noch niemand gestorben und ich denke, es wird auch niemand sterben...
  "Die Krankheit" des Neuen verlief ohne Komplikationen, der Arzt hat keine Brüche im Kiefer entdeckt. Der Patient bekam jeden Morgen irgendwelche Tabletten und Pillen. Wofür oder wogegen sie waren, wusste der Soldat nicht. Etwas über die Behandlung in Erfahrung bringen, wollte er nicht, hielt es für eine unnötige Beschäftigung. Das Leben in der Sanitätsstelle schien für den Besiegten wie das Paradies auf Erden. Im Krankenzimmer war alles sauber und bequem, im Bett war es noch besser. Hier gab es keine 'Alten' und auch keine strengen Kommandeure. Der Major, der in einen weißen Kittel gekleidet war, machte jeden Morgen Visite. Der Offizier stellte Kusnezow immer die gleiche Frage:
  - Also, Grünschnabel, wann wirst du den Kubaner Stevenson besiegen? Oder kennst du diesen Kubaner noch gar nicht?
  Der Patient antwortete auf die Frage des Majors nicht, er schwieg einfach. Schwieg deshalb, weil er von diesem Kubaner absolut keine Ahnung hatte. Manchmal war es ihm auch nicht danach. Sein Kopf war mit ganz anderem jetzt befasst. Der Aufenthalt in der Sanitätsstelle ergänzte die "Birne" des Sibiriers viel mehr als der Aufenthalt in der Kaserne. Kusnezow wurde jeden Tag, auch jede Stunde von den Informationen bereichert, die ihm bis jetzt unbekannt waren. "Hauptquelle" dabei war Fähnrich Tschernow, der schon mehr als ein Monat sich in Behandlung befand. Der Ureinwohner war von sehr geringer Größe. Er wurde wahrscheinlich auch in die Armee als eine Ausnahme genommen. Aber der Verteidiger der Heimat reagierte darauf nicht. Zu diesem "Riesen", kaum über dreißig, fühlten sich seltsamerweise alle Bewohner der Sanitätsstelle hingezogen. Der Mann mit dem vollen dicken schwarzen Haar zog buchstäblich alle wie ein Magnet an. Auch der Vorgesetzte der Abteilung bildete keine Ausnahme. Gerade von Fähnrich Tschernow erfuhr der junge Boxer sehr viel aus dem Leben in Deutschland. Und das alles regte den Verstand des Soldaten an, der mit offenem Mund zuhörte, wie der Fähnrich die deutsche Kneipen besuchte und auf 'Hurerei' ging. Diesen Menschen anschauend, konnte der Sibirier-Riese sich ihn irgendwie mit einer Deutschen im Bett oder in einem deutschen Kulturhaus sitzend nicht vorstellen. Die Zweifel Alexanders an allerlei Fähigkeiten des ehemaligen Fahrers aus der Autokompanie zerstreuten sich allmählich, von Tag zu Tag. Nach der Visite der Ärzte verschwand Tschernow nach einer knappen Stunde in unbekannter Richtung. Die Versuche des Riesen, den allgemein anerkannten Schäker zu finden, endeten in der Regel mit einem Misserfolg. Der Fähnrich war weder im Krankenzimmer noch im Rauchzimmer und auch nicht auf der Straße. Er erschien erst gegen Abend, zum Abendessen. "Der Selbstentlassene", gekleidet in einen blauen Pyjama, setzte sich schnell und behende an den Tisch und begann sofort von den Abenteuern in der deutschen Stadt zu erzählen. Buchstäblich in dem Augenblick erklang am Tisch lautes Lachen. Die zwei Offiziere, die hinter dem kleinen Tisch zusammen mit dem Fähnrich saßen, lachten manchmal so laut, dass Kusnezow gezwungen war - und auch wollte - etwas von den lustigen Geschichten zu hören. Er streckte seinen Hals zum entgegengesetzten kleinen Tisch mehrfach aus. In der Regel drangen an sein Ohr nur kleine Fetzen der Anekdoten oder irgendwelcher Abenteuer. Und der Grund dafür war der verächtliche Blick des Major-Kraftfahrers. Einmal litt der nicht gewordene Meister der Division im Boxen fast an seiner Neugier. Der Offizier, als er die halbgebogene Lage des jungen Soldaten sah, drehte sich heftig zu ihm um und sagte laut:
  - Also, du, neugierige Affe! Wieso reißt du, Boxer, deine Augen so weit auf? Oder hast du vergessen, wie man in der Küche Kartoffeln schält? Ich kann dir in dieser Hinsicht schnell helfen.
  Der Neugierige rutschte augenblicklich mit dem ganzen Körper auf die vorige Stelle und errötete total. Von diesem Moment an bemühte sich Kusnezow nicht mehr, den Kopf zur Seite des benachbarten Tisches umzudrehen. Der Kraftfahrer wurde nach einer Woche nach der strengen Bemerkung zu dem Soldaten entlassen. Bald entließen sie auch den anderen Offizier, Tschernows Nachbar. An diesem Tag lud der Fähnrich den Boxer zu sich an den Tisch ein. Der Soldat verzichtete zuerst darauf, der kleine Tisch war für die Offiziere bestimmt. Aber Widerstand zu leisten war zwecklos. Tschernow stand schnell vom Tisch auf und lief zu Alexander. Dann ergriff er ihn an der Hand und flüsterte ganz leise:
  - Du, Freund, schäme dich nicht, nimm von diesem Leben alles, was du nehmen kannst... Hast du wirklich den Sinn des Menschenlebens noch nicht verstanden? So-o groß, aber auch noch so dumm...
  Die philosophischen Überlegungen des nach Alter und Titel Älteren hörte sich Soldat Kusnezow nicht weiter an. Er eilte dem Fähnrich nach und setzte sich gehorsam an den kleinen Tisch. Die Unterhaltung mit Tschernow veränderte im Grunde genommen den weiteren Aufenthalt Alexanders in der Sanitätsstelle. Und er bedauerte es überhaupt nicht. Der Kleine erwies sich als ein Landsmann des Vorgesetzten der Abteilung. Der Major und der Fähnrich stammten aus einem Dorf in Gebiet Kustanai. Der Vorgesetzte drückte bei allem, was sein Landsmann machte, ein Auge zu. Der machte sehr vieles nicht nach der Vorschrift. Tschernow trug einen Sportanzug und konnte jederzeit in der Stadt bummeln oder in Kneipen gehen. Manchmal fuhr er in seine Truppeneinheit und ging ins Offizierswohnheim, in dem er wohnte. Nicht selten brachte er auch Spirituosen, die er am Abend mit dem Major-Kraftfahrer und dem alten Minenwerfern trank. Als Kusnezow davon erfuhr, lachte er laut. Natürlich konnte sich niemand von den Patientinnen vorstellen, dass in der kleinen Teekanne anstelle des Kompotts Bier oder andere Spirituosen waren. Die zwei Offiziere mit dem Fähnrich saßen ruhig am Tisch und erzählten salzige Anekdoten, vergaßen nicht gleichzeitig auch "den Tee" zu trinken.
  Schon am ersten Abend seines Aufenthaltes am kleinen Tisch erfuhr Alexander etwas aus der Biografie des unerwarteten Götzen, den er im eigentlichen Sinne bewunderte. Ihm gefiel auch die Art des Verhaltens des älteren Genossen. Während des Gespräches hob der Fähnrich den Zeigefinger zur Seite des Zuhörers und schnatterte wie aus dem Maschinengewehr. Manchmal stieß er mit diesem Finger in die Schulter des Sitzenden, dabei sehr kräftig.
  Kusnezow reagierte nicht auf diese Seltsamkeiten, da die Informationen Tschernows sehr interessant waren. Der Gast rührte am ersten Abend die Teekanne nicht an, sogar ungeachtet der Befehlsstimme der Ermahnungen des Fähnrichs. Am zweiten Abend gab der Boxer nach. Kusnezow trank deutsches Bier zum ersten Mal im Leben, es schmeckte ihm sehr. Dieses Schaumgetränk unterschied sich sehr stark von dem Bier, das er in seiner Kreisstadt trank, als er gelernt hatte. Er hatte damals und auch jetzt den Wunsch, sich in irgendeine Kneipe "zu setzen", aber er hatte kein Geld.
  Zur Gaststätte gingen die Männer ruhig durch den Kontrollpunkt der Sanitätsstelle und befanden sich sofort in der Stadt. Als Tschernow den verwunderten Ausdruck im Gesicht des Soldaten bemerkte, lächelte er und sagte durch die Zähne:
  - Du, Boxer, denk nicht darüber nach. Mach dir keine Gedanken. Den Räten ist jetzt nicht nach Kontrolle zu Mute... Ihnen allen droht bald der Bahnhof und der Weg nach Hause in die Heimat... Ich gehe durch den Kontrollpunkt in meiner Einheit ohne Probleme dann, wenn mein Bekannter Dienst hat. Er hat auch nichts dagegen, abends mit seiner jungen Frau noch mehr als ein Fläschchen des deutschen Bieres zu sich zu nehmen. Und hier in unserem Armenhaus sind auch solche Menschen... Für alle enden bald die guten Zeiten... Hier will ich meinen Landsmann nicht hinführen... Er hatte es so wieso nicht leicht in diesem Leben und auch im Dienst nicht.
  Kusnezow senkte erzwungener Maßen den Kopf, um besser das Gesicht des älteren Genossen zu sehen, und ebenso fragte er:
  - Und was, hat unser Major irgendwelche Probleme? Ich glaube, er ist doch noch ganz jung und schon ein Major... Bei uns im Bataillon ist der Stabschef nur Major und geht im nächsten Jahr schon in die Rente...
  Tschernow vernahm die ersten selbständigen Überlegungen des neuen Tischgefährten, lächelte sauer und sagte leise:
  - Ach, Bursche! Ich sehe, du hast im Kopf nur die Überlegungen eines Bauern darüber, wie viel Liter Milch die Kuh Burjonka gibt oder wie viel Laibe Brot deine Mutter im Geschäft gekauft hat, damit der Bauch nicht leer ist... Aber die Menschheit bewegt sich schon seit langem nach anderen Gesetzen und will schon seit sehr langem nicht nur einen Stück Brot kauen.
  Nach diesen Worten lächelte der Fähnrich wieder sauer und beschleunigte seine Schritte. Nach ungefähr fünf Minuten befanden sich der Knirps und der schlanke Riese in einer kleinen Kneipe, die sich am Ufer des Flusses Elbe befand. Tschernow setzte sich schnell an einen kleinen Tisch und klopfte laut mit den Knöcheln der Hand auf den kleinen Tisch. Was es bedeutete, verstand Alexander nicht. Nach ein paar Minuten kam der Kellner und nahm die Bestellung entgegen. Der Soldat hörte zum ersten Mal in seinem Leben, wie ein sowjetischer Militärangehörige deutsch sprach. Obwohl er nicht ein Wort verstand, es schien ihm, dass Tschernow perfekt die deutsche Sprache beherrschte. Und selbst der "Kleine", als er das Entzücken des Gesprächspartners bemerkte, entschied sich, ihm zuvorzukommen. Der Fähnrich legte die Speisekarte zur Seite, lachte fröhlich und sagte kindisch:
  - Also, du verwunderst, Boxer, Boxerchen, mich wieder einmal... Diese drei Wörter, und drei Sätze werden bei uns vererbt... Du denkst, dass die hiesigen Deutschen uns nicht erkennen werden? Da irrst du dich stark, mein lieber Freund. Sie erkennen uns an kurz geschnittenem Nacken und unseren Schnauzen schon von weitem. Früher respektierten sie uns, erwiesen uns Ehre, aber jetzt schenken sie uns keine Aufmerksamkeit mehr... Sie haben verstanden, dass wir bald gehen werden und wir werden für immer weggehen, wir werden für immer verschwinden...
  Weiter musste Tschernow nichts mehr sagen. Der Kellner brachte zwei volle Bierbecher, eine kleine Plastiktüte und verabschiedet sich nett. Der Knirps prüfte sofort mit der Handfläche den Bierbecher, das Bier war kühl. Er schnatterte gern und hob den Bierbecher zu Alexanders Becher. Dann sagte er laut:
  - Ach, Freundchen, stoßen wir an und trinken auf uns... Ich, mein Brüderchen, bin doch sehr glücklich, dass ich in diesem Land gewesen bin. Denn nur hier habe ich es gesehen, wie Leute leben können...
  Tschernow führte den Bierbecher an die Lippen und trank ein paar große Schlucke. Dem Beispiel des älteren Genossen und des Lehrers folgte auch Kusnezow. Das kräftige und auch kühle Bier hatte in seinem Kopf augenblicklich Wirkung. Irgendwelche unerwartete Flut von Kraft und Tapferkeit durchbohrte seinen jungen und starken Körper. Dann machten sich die Männer an die Salzstangen, die sehr salzig und gleichzeitig ungewöhnlich lecker waren. Der Riese steckte verstärkt die Salzstangen in den Mund und ebenso verstärkt bewegte er seine Kiefer. Das alles verblüffte auf einen Augenblick den Fähnrich, er packte augenblicklich den Gesprächspartner an die Hand und sagte:
  - Also, Bursche, halt an. Stopp. Bist du, mein Landsmann, vom Mond gefallen oder von einer unbewohnten Insel gekommen? Auf diese Weise werden wir so schnell alles austrinken und werden dann wie taubstumme Dummköpfe da sitzen... Du, Grünschnabel, schaue diese netten Deutschen an, die für einen Schluck Bier einen ganzen Abend sitzen und sich unterhalten... Mache es auch sowie sie...
  Sofort errötete Kusnezow und blickte sich um. An den kleinen Tischen saßen etwa zehn Besucher und unterhielten sich leise. Alexander kam auch der Gedanke, dass man für das Bier und die Salzstangen bezahlen musste. In den Taschen seines Pyjamas sowie auch in seiner Kammer gab es keinen Pfennig, ganz zu schweigen Geldscheine. Der Soldat ließ den Kopf sinken und schwieg. Solches musterhafte Benehmen des großen Burschen erfreute Tschernow nicht nur, sondern brachte ihn auch zum Lachen. Er griff wieder seine Hand und beruhigte ihn freundschaftlich:
  - Du bist in der Wahrheit ja sehr diszipliniert und sogar ehrlich. Jetzt vergessen wir in diesem Augenblick das alles. Sprechen wir lieber über unseren Major. Udalzow ist doch ein kluger Mann. Er diente in der Mongolei, ein paar Schritte von unserer Grenze entfernt. Der junge Leutnant war Junggeselle und schlief damals mit vielen jungen mongolischen Mädchen. Zu ihm kamen sogar die Männer und baten, dass er mit ihren Frauen schlafen soll. Weil allen ja sehr alles Russische gefallen hat... Unser Vorgesetzter verliebte sich tatsächlich ein bisschen später in die Tochter eines Parteibeamten im Ort. Der Beamte hatte als Frau eine Russin, die er noch während des Studiums in Moskau geheiratet hatte. Der Mann war hässlich, aber die Frau war eine Schönheit, die die meiste Zeit in den Hauptstädten verbrachte. Mein Landsmann verliebte sich sehr in die Tochter. Und sie war auch nicht gegen eine Ehe mit dem jungen Offizier, der all sein Geld für Geschenke für die Schöne ausgab. Er schlief sogar mit ihr...
  Nach dem Gesagten lachte Tschernow aus irgendeinem Grund fröhlich und nahm einen großen Schluck Bier. Dann schaute er zu dem kleinen Tisch gegenüber, an dem eine schöne Deutsche mit einem viel älteren Mann saß und sagte mit einem Seufzer:
  - Leider ging bei unserem Major alles Weitere schief... Der Vater der Schönen war nicht von dem großen Wunsch beseelt, die Tochter dem schlanken, aber bettelarmen sowjetischen Offizier zu geben. Der Alte hatte seine Pläne. Er wollte die Tochter mit dem Deutschen aus sozialistischem Deutschland verheiraten, der in ihrer Gegend Wasser suchte. Der Deutsche war vollschlank und rot wie eine Möhre, aber ohne jeden Zweifel reicher als der Leutnant. Der Parteiboss kam nicht selbst zum Offizier ins Wohnheim und zu sich auf den Teppich rief er ihn auch nicht herbei. Für Alle und Alles entschied der Vorgesetzte der Abteilung für politische Arbeit der Vereinigung. Nach dem belehrenden Gespräch und den wertvollen Hinweisen klopfte der Oberst auf den Tisch und sagte böse:
  - Leutnant, vergiss nicht, dass auf dem Territorium der sozialistischen Mongolei wir die internationale Pflicht erfüllen sollen und nicht Kinder zeugen...
  Udalzow, strammstehend vor dem Vorgesetzten, versuchte etwas zu stottern:
  - Genosse Oberst, ich liebe dieses Mädchen, sie ist doch eine Russin, und ihr Namen ist Tanja.
  Das Unverständnis seitens des Untergebenen brachte den Politarbeiter aus der Fassung. Er stampfte mit dem Bein und ging im Truppenschritt zur riesigen Karte, die in seinem Kabinett gegenüber dem Tisch hing. Der Vorgesetzte drehte sich um hundertachtzig Grad zu der schwererziehbaren Person um, mit dem Finger nach unten auf die Karten zeigend und knurrte boshaft:
  - Genosse Bräutigam, soll ich sie hierher schicken, aber ohne Braut, hierher, wo es keine schönen Weiber gibt... Hier in diesen Sand- und Gebirgswüsten wird es dir nicht zumute sein, von Frauen zu träumen...
  Der junge Arzt neigte den Kopf ein bisschen zur Karte und schwieg. Er schwieg nicht aus Angst oder Feigheit, im tiefsten Winkel des verherrlichten Transbaikalischen Militärbezirkes einige Zeit zu sein. Er hatte jetzt verstanden, dass seine liebste Tatjana niemals seine Frau werden würde. Die Gesetze der Partei, die Gesetze der Sowjetischen Armee würden es ihm niemals gestatten. Der nicht werdende Bräutigam seufzte schwer, streckte sich und stand stramm auf den Absätzen seiner glänzenden Stiefel und sagte laut:
  - Genosse Garde Oberst, ich habe Sie verstanden... Alles wird erfüllt werden...
  Als der Politarbeiter das ergebene Gesicht des Arztes sah, lächelte er lustig und ging langsam zum Offizier. Dann klopfte er ihm leicht auf die Schulter und flüsterte:
  - Es ist sehr gut, dass Genosse Udalzow die Politik unserer Partei und der Sowjetischen Regierung richtig versteht... Ich bin sehr froh, dass ich daran auch meinen Anteil habe...
  Vor Vergnügen fing der Oberst an, sich die Hände zu reiben, wie beiläufig ergänzte er mit einem Schmunzeln:
  - Ich weiß, dass in Ihrer Einheit nur eine Köchin frei ist, aber man muss es ertragen oder seine Frau holen.
  Udalzow gab keine Antwort. Er presste die Zähne fest zusammen, schnalzte mit den Absätzen der Stiefel und ging schnell aus dem Kabinett hinaus.
  Der Erzähler schwieg eine gewisse Zeit und nahm wieder ein Schluck aus dem Bierbecher. Der Zuhörer trank auch einen Schluck. Er wollte wissen, was mit dem jungen Leutnant weiter geschehen war. Kusnezow starrte Tschernow an und wartete auf die Fortsetzung dieser aufregenden Geschichte. Jener beeilte sich aber nicht mit der Antwort, schwieg weiter. Erst, nachdem der Fähnrich seinen Becher leer getrunken und noch ein paar Bier bestellt hatte, sagte er mit einem Lächeln:
  - Also, und weiter? Mein Heimatsfreund ging leer aus... Nach einem halben Jahr fand in Ulan-Bator die Hochzeit statt, schon nach einem halben Jahr siedelte der Deutsche mit der Mongolin in die DDR um. Jetzt leben sie irgendwo in Dresden. Vielleicht kennt unser Chef ihre Adresse, aber vielleicht auch nicht... Eins weiß ich genau, dass nach der Mongolei unser Arzt in Sibirien diente, danach gelangte er durch Schmiergeld hierher.
  In der Nacht nach der ersten "Selbstentlassung" in der ganzen Zeit seines Dienstes schlief der Soldat Kusnezow nicht. Das Zivilleben, besonders in Deutschland, hatte ihn gezwungen, jetzt Vieles neu zu definieren. Das Leben, das er früher führte, schien ihm aus irgendeinem Grunde unverständlich. Er lebte in seinem Heimatdorf Neidjonowka und anscheinend ganz normal, ohne besondere Probleme. Als Schüler war er nicht besonders fleißig, lernte nur so, dass seine Eltern nicht schimpften. Aus seinem Dorf wurde niemand berühmt oder reich. Alle jungen Leute aus Neidjonowka hatten es nur bis zu Medizinischer Fachschule oder anderen Berufsschulen geschafft. Alexander strengte sich an, um sich an jemanden von seinen Dorfgenossen zu erinnern, der studiert hatte oder in einer Militärbildungseinrichtung war. Niemand erschien in seinen Gedanken. Der junge Mann lebte streng nach den Regeln und Sitten seiner kleinen Heimat. Er ging ebenso, wie auch alle anderen Leute, entlang der einzigen Straße ins Geschäft, um den billigste Wein zu kaufen. Ebenso, wie auch alle anderen, zog er im Klub die Mädchen an den Zöpfen. Ebenso, wie auch Alle, schwänzte er die Arbeit, besonders im Sommer, wenn die Sonne bis zu dreißig Grad brannte. Was außerhalb des Dorfes oder in Omsk geschah, oder in anderen Städten des großen Landes, interessierte ihn nicht. Er sah, wie auch alle Dorfgenossen, mit Entzücken die Militärparade in Moskau. Ihm, wie auch der Mehrheit, lief Gänsehaut über den Rücken, wenn er die Porträts der ernsten und klugen Mitglieder des Politischen Büros des ZK der KPdSU aufmerksam betrachtete, die in der Dorfbibliothek an der sichtbarsten Stelle hingen... Von irgendwelchen Überseedelikatessen träumte der junge Mann ebenfalls nicht. Er konnte ja sie sich nicht vorstellen. Im Dorfgeschäft gab es nur eine Sorte billiger Wurst und Graubrot, das schon gegen Abend, mitunter auch schon zur Mittagszeit ausgegangen war. Die Leberwurst verschwand augenblicklich... Hier war das Leben vollkommen anders...
  Der nächste Ausflug in die Stadt mit Tschernow fand buchstäblich am nächsten Tag statt. Er begann, wie es für Alexander schien, mit einer Eleganz auf allen Stufen. "Die Selbstentlassung" geschah wieder auf Initiative des Fähnrichs, der aus irgendeinem Grunde geheimnisvoll war und den Grünschnabel noch während des Frühstücks rätselhaft ansah. Erst, nachdem die Männer aus der Gaststätte hinausgegangen waren und sich auf die Bank gesetzt hatten, damit der Inhalt des Soldatenfrühstücks sich auf das "Meergrund" ruhig legte, verriet Tschernow das Geheimnis. Er klopfte seinem jungen Freund leicht auf die Schulter, danach lachte er hinreißend und sagte leise:
  - Also, junger Mann, heute werden wir spazieren gehen, wie die richtigen Menschen. Morgen muss ich mich schon abmelden. Und ehrlich gesagt, habe ich es schon satt, hier die Zeit zu vergeuden... Obwohl ich ledig bin, bin ich doch auch ein Mensch und möchte aus diesem Land schöne Klamotten und wertvolle Sachen mitnehmen... Und dafür braucht man Zeit...
  Nach einer Stunde gingen die zwei Männer durch den Kontrollpunkt hinaus, beide waren in Jogginganzügen. Der eine, der wesentlich größer als der anderen war, trug eine Angel und eine Tasche. Nach zehn Minuten befanden sich die Freunde auf dem Bahnhof. Kusnezow betrachtete neugierig Alles, was ihn umgab. Besonders gefielen ihm die von Sauberkeit glänzenden Züge, die beim Einfahren in die Station Feldhaus laut bremsten. Aus den Wagen stiegen die Passagiere aus, die Mehrheit war in Sommerkleidung. Alexander spazierte langsam auf dem Bahnsteig entlang und verfolgte manchmal mit den Augen fixierend die jungen Mädchen, die leicht wie Libellen von den Trittbrettern des Wagens sprangen und sich sofort in der Menge auflösten. Es war aufregend für Alexander, wenn er die schönen und schlanken deutschen Mädchen sah. Tschernow bemerkte die gierigen Blicke des jungen Mannes und stichelte:
  - Morgen werde ich dem Vorgesetzte der medizinischen Abteilung sagen, dass er dir dein großes Teil abschneiden soll, sonst werde ich noch beschuldigt, Jugendliche zu verführen... Hörst du mich, Sanjka?
  Sanjka hatte das alles gewiss gehört, aber nicht reagiert. Dem jungen Mann gefielen ja allzu sehr einige deutsche Mädels, diese zu verführen wäre wünschenswert gewesen. Ihm schien es jetzt sogar, dass sie selbst von ihm ohne Verstand wären. Jedoch machten sich nach einigen Augenblicken im Kopf des Soldaten andere Gedanken breit, dabei ziemlich furchtbare. Er stellte sich das böse Gesicht des strengen Kommandeurs vor und seine Unterlagen, in denen die Unterschrift des Schützen stand, dass er über das musterhafte Benehmen im Laufe des Aufenthaltes in der deutschen Stadt unterwiesen worden war. Für schlechte Taten streichelte man die Straftäter nicht über den Kopf...
  Nach dem die Freunde einen Hauch des bürgerlichen Lebens und den weiblichen Geruch eingeatmet hatten, gingen sie zum Fluss. Tschernow, wie auch Kusnezow, beabsichtigten zum ersten Mal im Leben zu fischen. Natürlich hatten sie keine Ahnung von diesem Handwerk. Damit sie nicht von dem Militärstreifen erwischt würden, wählten sich die Freunde eine Stelle, wo Elbe eine Biegung machte, wo es mehr Gebüsch gab. Dann rollten sie langsam eine Soldatendecke aus und zogen sich aus. Als Kusnezow die schöne Badehosen bei seinem Lehrer sah, rollte er seine schwarze Soldatenunterhosen höher herauf. Nikolaj, so hieß der Fähnrich, lächelte nur als Antwort darauf und ging die Angel auszuwerfen. Die Anfängerfischer haben am Ufer mehrerer Stunden gesessen, aber keinen einzigen Fisch gefangen. Alexander wurde nervös. Er hatte nicht geglaubt, dass man an so einem sonnigen Tag und noch dazu in einem deutschen Fluss keine Fische fangen konnte. Aus dem Gespräch der Offiziere der Kompanie und des Bataillons wusste der Soldat, dass es in der Elbe viele Fische gab. Eine weitere Stunde verging. Der Fisch biss an, aber am Haken ihn zu fangen, gelang nicht. Keiner von den Fischern beschwerte sich, jeder schob es auf seine Unerfahrenheit. Bestätigung dafür war ein deutscher Bub, der nicht weit von ihnen saß und zum Neid der Erwachsenen aus dem Wasser ziemlich oft Fische herauszog. Noch eine weitere Stunde verging, aber es gab keinen Fang. Solch ein "Erfolg" ärgerte Tschernow schließlich und er seufzte mühsam und sagte sanftmütig:
  - Kusnezow, wirf diese Angel zum Teufel ... Ich hab es schon satt, die Würmer und den Teig auf den Haken zu stecken... Lieber werden wir in eine Kneipe gehen und die Kehle anfeuchten... Und mir knurrt auch schon der Bauch... Dir wahrscheinlich auch?
  Alexander reagierte nicht auf Nikolajs Vorschlag und schaute weiter böse auf die Angel, die ohne jede Bewegung schon zwanzig Minuten im Wasser lag. Der Soldat reagierte auf den Vorschlag Tschernows auch dann nicht, als jener ihm leicht auf die Schulter klopfte. Er starrte weiter aufmerksam auf die Angel. Erst, nachdem er von seinem Lehrer nachdrücklich ausgeschimpft worden war, stand der Fischer auf und sagte faul:
  - Brüderchen, du weißt es doch nicht, dass bei mir hinter der Seele nichts ist, nicht ein Pfennig... Diese Kneipe bedeutet Für mich nichts...
  Der Fähnrich antwortete mit einem Lachen und sagte fröhlich:
  - Ach du, Grünschnabel! Sanjka, du denkst, dass ich so dumm und naiv bin... Ich weiß auch ohne dich, dass die Taschen der sowjetischen Soldaten leer sind, dass sie keinen Groschen besitzen. Meine Finanzen singen auch schon seit langem Romanzen. Du weißt doch nicht, warum ich noch immer hier bin. Ich kenne mich ein wenig mit Autos aus. Der Major versteht von dieser Technik überhaupt nichts... Ich fahre zusammen mit ihm zu den Deutschen und suche ihm ein Auto aus... Er steckt mir deshalb etwas zu. Woher er das Geld nimmt, ist mir unbekannt, ich brauche es auch nicht wissen. Für Bier reicht es mir und in der Einheit habe ich auch ein Weib...
  Vom Standort der Fischer bis zu der Kneipe war es etwa fünfhundert Meter, nicht mehr. Kusnezow bewunderte den kleinen hölzernen Bau, der in den Kiefernwald im eigentlichen Sinne hineingedrängt war und sich in fünf Meter, vielleicht auch weniger, vom Fluss befand. Die Freunde wunderte die Stille in dem großen Raum, der durch echte Blumen in zwei Räume geteilt war. Ein Teil der Blumen befand sich in den speziellen hohen Ständern, der andere Teil hing aus kleinen Töpfchen herunter, die an der Decke befestigt waren. An den kleinen Tischen saßen nicht so viele Besucher. Ihnen, wie es Alexander schien, schenkte niemand Aufmerksamkeit. Der Kellner, ein ziemlich dicker Mann mit braungebrannter Haut, kam träge an ihren kleinen Tisch. Die Bestellung war nicht sehr kompliziert. Nach fünf Minuten stellte man den Russen zwei Gläser mit Bier und zwei Würstchen mit Brötchen auf den kleinen Tisch. Von dem angenehmen Geruch musste Alexander schlucken, er hatte schon seit langem Hunger und Durst. Kaum hatten die Fischer das Bier angerührt, als sie hinter sich eine hysterische laute etwas zitternde Stimme hörten:
  - Russe, Schweine, raus, raus...
  Die Russen schauten sich um und sahen in der Ecke des Raumes einen nicht sehr großen Mann. Dem Aussehen nach war er etwa dreißig Jahre alt, oder vielleicht auch etwas älter. Er saß an einem kleinen Tisch allein und schlürfte das Bier aus einem kleinen Bierglas. Neben ihm auf dem Fußboden saß ein riesiger Hund mit einer schrecklichen Schnauze. Kusnezow hatte noch nie so einen Hund gesehen und deshalb strengte er sein Gehirn nicht an, um nachzudenken, zu welcher Rasse dieses ziemlich mächtige Tier gehört. Die Freunde waren sogar einige Zeit geschockt von dem hysterischen Schrei des Deutschen und von seinem furchtbaren Hund. Besonders erschrocken war Alexander. Er konnte nicht glauben, dass die Deutschen der DDR ihn so frech aus der Kneipe hinauswerfen könnten, die er zum ersten Mal im Leben besucht hatte. Der große junge Mann hätte sich nichts daraus gemacht, diese Einrichtung und diese Deutschen könnten ihn mal, wenn man ihn, wie auch Hunderttausende anderer junger Leute, nicht zum Schutz der Eroberungen des Sozialismus gerufen hätte. Als Erster erwachte Tschernow aus der Erstarrung. Er stand langsam vom Tisch auf und schaute von seiner "Höhe" den Deutschen verächtlich an, der wie aufgedreht fortsetzte zu schreien:
  - Russe, Schweine, weg, raus...
  Der Fähnrich entschied sich aller Wahrscheinlichkeit nach, den Stolz und die Unabhängigkeit dem Deutschen vorzuführen, dessen roter Bart an einen kleinen sumpfigen Erdhaufen erinnerte. Nikolaj presste die Schulter des Gesprächspartners stark zusammen und sagte laut russisch:
  - Sanjka, ich werde noch eine Packung Zigaretten zum Trotz dieser Missgeburt nehmen... Er soll wissen, dass von ihm niemand Angst hat und niemals fürchten wird...
  Für eine gewisse Zeit war der Lehrer des Armeegrünschnabels still geworden und schaute abwechselnd den Deutschen und seinen großen Hund an. Dann klopfte er mit der Hand auf die Schulter des Riesen und sagte leise:
  - Kusnezow, nimm unsere Lebensmittel. An der frischen Luft wird der Appetit besser sein.
   Danach ging Tschernow entschlossen zur Restauranttheke nach den Zigaretten. Die Besucher der Bierkneipe reagierten auf den Zwischenfall in keiner Weise, alle saßen und schwiegen. Der Schreier wurde auch still.
  Die Vorgänge im Sommerrestaurant am Ufer der Elbe drangen tief in die Seele der Militärzugehörigen ein, ihnen war es nicht mehr zum Fischfang zumute. Jedoch hielt der Stress die Männer nicht davon ab, sich zu sättigen. Mit riesigem Vergnügen verspeisten sie alle Essenreste in kürzester Zeit. Kusnezow gefiel der Senf, den er auf das Würstchen schmierte. Er bemühte sich, das Vergnügen zu verlängern, er biss kleine Stückchen von der Wurst ab und aß sie mit Genuss. Dem jungen Soldaten der Westlichen Gruppe der Truppen schien es jetzt, dass er solche Wurst noch niemals in seinem Leben gegessen hatte. Die nicht erfolgreichen Fischer, die am Ufer des deutschen Flusses saßen, besprachen an diesem Tag sehr Vieles. Sie kamen sehr spät in der Sanitätsstelle an, in den Kammern schliefen schon alle.
  Fähnrich Tschernow wurde am folgenden Morgen entlassen. Er frühstückte ein letztes Mal und drückte fest die Hand des Riesen. Dann stand er blitzschnell auf, zog die Uniformjacke gerade und sagte streng auf militärische Art:
  - Lebe wohl, Gardesoldat Kusnezow, der Namensvetter des verherrlichten sowjetischen Aufklärers, denke an mich nicht im Bösen... Und noch etwas will ich dir sagen. Vergiss das alles nicht, worüber wir gestern den ganzen Tag gesprochen haben...
  Vor Aufregung verschluckte sich der Militär unerwartet und hustete laut, dann lief er stürmisch hinaus. Tschernow kam nach fünf Minuten zurück, in den Händen trug er Boxhandschuhe. Er umarmte Alexander fest und streckte sie dem verblüfften Soldaten hin.
  - Sascha, nimm diese Boxhandschuhe... Das ist für dich ein Geschenk von mir und von unserem Vorgesetzten, - redete er singend, - und in diesem Zusammenhang will ich dir, mein Grünschnabel, noch Folgendes sagen...
  - Der Gott hat mich in Bezug auf Kräfte benachteiligt, aber dich hat er damit belohnt. Und deshalb merke dir eins... Schlage auf die Schnauze stark dem, der es verdient. Gleichzeitig beleidige nicht den, der noch nicht Abschaum wurde... Beleidige keine Schwache, darin liegen die Kraft und die Würde der starken Menschen... Vergiss es niemals und nirgendswo...
  Nach diesen Worten klopfte Tschernow noch einmal seinem jungen Freund auf die Schulter und allen, die im Speisesaal saßen, winkte er mit der Hand zu. Nach einigen Augenblicken war der Schäker und lustige Mann hinter der Tür verschwunden...
  Der Abschied von Tschernow berührte die Seele des Sibiriers sehr schmerzhaft. Ihm war es noch niemals im Leben so schwer gefallen, sich von einem Menschen zu trennen, den er tatsächlich erst gestern richtig kennen gelernt hatte, als sie in "die Selbstentlassung" gingen. Leider, ging "die Selbstentlassung" nicht ohne Abenteuer vorüber. Fast den ganzen Tag bummelte Alexander auf dem Territorium des kleinen Militärstädtchens. Hier war alles genau so wie in dem Motorschießregiment, das er vor drei Wochen aus 'technischen Gründen' verlassen hatte. Während des ziellosen Bummelns kamen dem jungen Soldaten verschiedene Gedanken. Aber im Gedächtnis tauchte tatsächlich jede Minute das wieder auf, was ihn gestern der Lehrer, der die Sanitätsstelle verlassen hatte, gelehrt hatte. Gerade, dank Tschernow, machte er Versuche, diese Welt ganz anders zu sehen, die ihm bis jetzt rein und regenbogenfarbig schien. Alexander, darüber nachdenkend, war gleichzeitig begeistert vom Verstand des einfachen Menschen, der alles in allem zehn Jahre älter war als er...
  Das Abenteuer in der Bierkneipe führte auf nichts die Fischleidenschaften Fähnrichs Tschernow. Er rührte die Angel, die friedlich am Ufer des Flusses schimmerte, nicht mehr an. Nikolaj "kochte" ganz und gab die Weite seinen Gedanken:
  - Vor einem Jahr ging ich mit diesen Deutschen durch die Stadt, sie feierten das vierzigste Jubiläum der Stadt. Alle Straßen und Plätzen waren mit den Fahnen der DDR und der Sowjetunion behängt. Alle schrien: " Freundschaft-Drushba"... Und ich schrie... Ich denke, auch dieser roter schrie aus voller Kehle... Jetzt haben sie gewittert, dass wir weggehen, und sich entschieden, auf uns Schmutz auszugießen...
  Kusnezow mischte sich in den Strom der Gedanken und Aussprüche des älteren Lehrers nicht ein. Er sah nur manchmal aufmerksam den lebendigen "Samowar" an, ab und zu stimmte er zu, senkte den Kopf nach unten, wie schuldige Schüler ziemlich oft ihn sinken. Je mehr Tschernow kochte, desto mehr wurde sich der Soldat über das Leben der WGT und der DDR klar und schrieb es sich hinter die Ohren.
  Gerade in diesen Abend am Ufer der Elbe hörte der junge Soldat vom Lehrer von den sowjetischen Soldaten-Fahnenflüchtigen zum ersten Mal, die die Truppeneinheiten aus irgendeinem Grunde verließen, jemand verließ sie sogar mit den Waffen in den Händen.
  Die Informationen darüber erschreckten den Sibirier sozusagen. Er hatte nicht daran geglaubt, dass in irgendwelchem Regiment aus dem Bataillon der junge Hauptmann fortgelaufen war und den Automat und die Pistole mitgenommen hatte. Den Offizier konnten die älteren Soldaten nicht schikanieren! Der flüchtige Offizier hatte natürlich eher mehr Möglichkeiten als die einfachen Soldaten, tatsächlich das zivile Leben der Bewohner der deutschen Stadt und ganz Deutschlands anzuschauen... Mit diesen ziemlich "trüben" Gedanken schlief der Patient ein. Der Soldat Kusnezow wurde nach einem Monat entlassen, nachdem er die Tür der Sanitätsstelle geöffnet hatte. Major Udalzow lud nach der Erledigung der Entlassungspapiere den Soldaten persönlich zu sich ins Arbeitszimmer ein und bat ihn freundschaftlich an den Tisch. Danach blätterte er in seiner Krankengeschichte und sagte fröhlich:
  - Also, ich sehe, dass du jetzt ganz Gesund bist... Das ist sehr schön... Ich würde dich noch ein paar Tage hier lassen... Du bist ein ruhiger Bursche und anscheinend kein Dummkopf... Aber leider, Brüderchen, der Dienst ruft... Er fordert nicht nur ausgezeichnete Schießerei, sondern auch mehr Patienten...
  Auf die Worte des Offiziers reagierte der Soldat nicht, er schwieg einfach und lächelte. Zum Abschied drückte der Arzt Alexanders Hand fest und sagte leise:
  - Also, Landsmann, verschwinde nach Hause... Ja, an dich ein schönen Gruß von Tschernow...
  Zum Mittagessen war Alexander schon in seiner Einheit. In seinem Soldatenrucksack, den ihm Udalzow gegeben hatte, waren nur die Boxhandschuhe, das wertvolle Geschenk vom Fähnrich-Autofahrer und dem Major des medizinischen Dienstes.
  Während der Abwesenheit des Soldaten Kusnezow in dem Motorschießregiment waren da große Veränderungen geschehen. Das hatte er gesehen und gefühlt, kaum dass er die Schwelle des Kontrollpunkts überschritten hatte. Der Schütze erkannte seine Kollegen nicht mehr, vor einem Monat bewegten sie sich durch das Städtchen in der Kolonne oder in kleinen Gruppen und gingen nur mit Truppenschritt. Jetzt waren vor ihm ganz andere Soldaten, die vor dem Diensthabenden in der Einheit, wie Militärbauarbeiter im eigentlichen Sinne, schlenderten. Bei vielen hing der Riemen bis "zum Nabel" herunter, einige von ihnen spuckten herum. Ein ähnliches Bild war auch neben dem Eingang in die Kaserne des ersten Motorschützenbataillons zu sehen. Ein Teil der Soldaten saß auf der Haustreppe und rauchte, einige lagen auf einen Liegen nicht weit vom Sportplatz und spielten Karten. Ab und zu hörte man, wie jemand fluchte.
  Als Erster bemerkte Soldat Iljassow aus der benachbarten Granatwerferbatterie den zwei Meter großen Boxer. Die Batterie befand sich auf einem Stockwerk mit den Motorschützen. Mit einem breiten Lächeln schrie der Granatwerfer laut:
  - Kerls, unser Regiment hat sich vergrößert... Unser Boxer ist aus der Sanitätsabteilung zurück! Freund gib deine Pfote...
  Die Gaffer in der Militärform reagierten nicht auf das Erscheinen des Boxers. Deshalb entschied sich Kusnezow, anstelle der ausgestreckten Hand dem Kameraden den Stinkfinger zu zeigen und sagte durch die Zähne:
  - Geh weg, du Scheißkerl, damit ich mir nicht wegen dir die Hände waschen muss...
  Die Suche der Offizieren oder des Hauptfeldwebels der Kompanie erwies sich für den Neuankömmling als erfolglos, von der örtlichen Leitung war niemand zu finden. Der Diensthabenden der Kompanie zeigte sich auch in der Einheit nicht. Der Stubenälteste, der auf dem Nachtschränkchen saß und aufmerksam einen Brief las, sagte faul zu dem Kollegen:
   - Also, du Grünschnabel, gehe ins Zwischendeck und warte auf das Mittagessen... Bei uns ist jetzt überall Ruhe und wir werden bald entlassen... Bald tragen uns die Beine in die Heimatländer fort... Freilich, wohin und wann, müssen wir nicht wissen... Erst am Abend nach dem Schlusssignal im Rauchzimmer hatte Alexander tatsächlich begriffen, wie das Leben in der Einheit lief. Ihr Motorschießregiment sollte als eines der ersten Regimenter Deutschland verlassen, daran zweifelte schon niemand mehr. Es waren nur die Ladefristen in den Staffeln und die Zeit ihrer Abfahrt unbekannt. Für viele Soldaten, zu denen auch der Boxer gehörte, war die Rückkehr in die Heimat eine große Überraschung. Er wollte das reiche Land auf keine Weise verlassen. Bei ihm war der Wunsch, noch mehrmals durch die sauberen deutschen Straßen zu bummeln, kühles Bier zu trinken und ein Paar Würstchen zu essen, noch größer geworden. Diese Leidenschaft war bei dem Riesen noch zehn Mal größer geworden, nachdem er mit Tschernow zivile Luft eingeatmet hatte. Und nicht nur deshalb. Auch die Neuigkeit, dass aus ihrem Regiment zwei älteren Soldaten entlaufen waren, die um politisches Asyl bei den örtlichen Behörden gebeten hatten, regte den Soldaten auf. Ob es die Wahrheit war oder nicht, hatte niemand im Rauchzimmer behauptet, aber auch nicht abgestritten. Unter den Zweiflern war auch Kusnezow. Er wusste sehr gut, dass der "Soldatenrundfunk" nicht so viel wissen konnte. Den Kommandeur des dritten Zuges, der in der Kompanie verantwortlich war, traute sich Alexander nicht zu fragen. Dem Offizier war es wahrscheinlich nicht nach den Fragen des Soldaten zumute. Der Leutnant war von etwas aufgeregt und rannte sofort nach Hause, kaum er den Befehl des Diensthabenden 'Die Kompanie! Das Schlusssignal!' gehört hatte. Das Treffen des Meisters der Vereinigung nach dem Boxen mit dem Verlierer fand am nächsten Tag nachmittags statt. Der Hauptmann Makarow erwartete mit Ungeduld seinen besiegten Schüler. Kusnezow war noch nicht dazugekommen, sich auf das Bänkchen im Raucherzimmer zu setzen, als zu ihm der Diensthabende in der Kompanie, Sergeant Nikodimow, gelaufen kam und mit Befehlsstimme schnell sagte:
  - Kusnezow, du sollst zum Kommandeur auf den Teppich kommen... Beeil dich, er hat heute wieder schlechte Laune...
  Dass der Diensthabende richtig die schlechte Stimmung des Kommandeurs gespürt hatte, merkte Alexander sofort. Der Hauptmann reagierte nicht auf das Klopfen an der Tür und las weiter am Tisch die Zeitung 'Roter Stern'. Erst, nachdem der schlanke zwei Meter-Riese auf dem Parkett laut herein marschierte und sich dem Tisch näherte, hob der Offizier den Kopf und sagte leise:
  - Also, endlich ist auch Boxer Kusnezow angekommen... Ich dachte aus Versehen daran, dass du irgendwohin entlaufen bist... Jetzt sprechen die Deutschen nur darüber, dass in ihren Wäldern Zehntausende sowjetischer Soldaten mit Waffen sich verstecken und alles ausrauben...
  Kusnezow hob die Handfläche zur Schläfe und sagte fröhlich:
  - Keinesfalls, Genosse Hauptmann... Ich will unserem Vaterland und unserer Armee ehrlich dienen...
  Der Offizier vertiefte sich für einige Augenblicke wieder in die Zeitung. Dann lehnte er sich auf dem Stuhl zurück und klopfte mit den Fingern auf den Tisch, danach bemerkte er lebhaft:
  - Also es ist gut, dass mein Landsmann nicht weglaufen möchte... Er ist voll entschlossen, seinen eigenen und auch den fremden Herd zu schützen...
  Zwischen dem Soldaten und dem Offizier ergab sich diesmal kein vertrauliches Gespräch.
  Der Untergebene wurde sogar nicht gebeten, sich an den Tisch zu setzen, und blieb stramm vor dem Vorgesetzten zu stehen. Jeder von ihnen fühlte diese Entfremdung, aber keiner unternahm etwas für den Beginn eines vertraulichen Gespräches, wie es zwischen ihnen vor kurzem stattgefunden hatte. Der Soldat schaute ins Gesicht seines Kommandeurs und in seinen Augen sah er keine Flämmchen des Übermuts und der Überzeugung, die bei ihm früher waren. Er fürchtete sich jetzt sogar etwas vor dem kalten und gleichgültigen Blick des Landsmannes. Kusnezow erzählte dem Kommandeur vom monatlichen Aufenthalt in der Sanitätsstelle, verheimlichte aber Vieles. Er sagte nichts von Fähnrich Tschernow, der ihn anders auf die Welt schauen zu lehrte. Und der Offizier bestand auch nicht auf einer Suche nach Gründen eines so einen langes Aufenthaltes des Untergebenen außerhalb der Einheit.
  Es vergingen noch zwei Monate des Armeedienstes. Der Schütze wurde in der so kurzen Zeit kräftiger und in den Schultern breiter und wuchs sogar um fünf Zentimeter. Alexander war darauf sehr stolz, dass die Mütterchen - Natur ihm eine ausgezeichnete Figur und ein sympathisches Gesicht gegeben hatte. Er tauchte oft vor dem Kommandeur auf und stellte sich innerlich wie ein Riesen gegen ihn. Der Offizier reagierte auf das mehrfache Erscheinen seines Landsmannes in keiner Weise. Aller Wahrscheinlichkeit nach wollte Hauptmann Makarow niemanden sehen. Seine Untergebenen verstanden auch, dass mit ihrem Kommandeur etwas Beunruhigendes geschah. Alle wussten, dass er ziemlich lange in der Kompanie "saß". Man meinte, dass der Grund der Gleichgültigkeit zum Dienst des Offiziers in der unerwarteten Rückkehr des Regiments in die Sowjetunion war. Eine ähnliche Einstellung zum Dienst war bei der Mehrheit der Offiziere und der Fähnriche zu spüren. Für die Soldaten zerbrach diese Rückkehr keine Pläne auf eine reiche Zukunft, sie bauten diese Pläne nicht. Alle kannten das nicht festgeschriebene Gesetz der Armee: "der Soldat schläft - der Dienst geht". Für jeden von ihnen lag das Ende des Dienstes nicht in der Ferne...
  Der Sommer ging seinem Ende entgegen. Irgendeine Gefechtsausbildung fand in der Einheit nicht statt. Die Gerüchte über "das Hinaustragen" verflüchtigen sich manchmal, dann tauchten sie erneut verstärkt auf. Davon hing auch der Zustand des kleinen Militärstädtchens ab, in dem sich fast zwei Tausend Soldaten und Offiziere vor Langweile quälten. Auf Befehl von oben wurde auch die Kaserne nicht renoviert. Es blieb alles liegen. Über das Schicksal der ziemlich alten Ziegelbauten hatten die Behörden der Stadt Dachbau bestimmt. Die übrigen anderen Gebäude rissen speziell geschaffene Brigaden der Soldaten ab und machten sie zu Schutt. Alles, was brannte und kein giftiges Gas oder Rauch verursachte, wurde auf einem speziellen Platz hinter dem Parkplatz der Kampftechnik verbrannt.
  Kusnezow nahm an dieser "Schaubude" nicht teil. Hauptmann Makarow beschäftigte seinen Landsmann mit nebensächlichen Arbeiten der Einheit. Die Schützen reinigten die Keller und Dachböden, manchmal wurden sie zu Wirtschaftsarbeiten in den Park der Kampffahrzeuge geschickt. Sehr oft wurde der Sibirier zum Patrouillieren auf dem Territorium des Militärstädtchens sowie auch außerhalb seiner Grenzen herangezogen. Fast den ganzen Sommer fanden zwischen dem Hauptmann Makarow und Soldaten Kusnezow keine Treffen unter vier Augen statt. Eine Ausnahme trat gleich Anfang Oktober ein, als sich die Kompanie auf das Mittagessen vorbereitete. In den kleinen Schlafraum der Schützen kam der Stubenälteste der Kompanie hereingelaufen und sagte zu Kusnezow:
  - Hauptmann Makarow ruft dich zu sich... Lauf schnell, sonst wird er gleich zu Mittagspause verschwinden...
  Der Offizier war wirklich schon auf dem Weg zur Mittagspause. Der Soldat kam gar nicht richtig dazu, die Tür zu öffnen, als jener schnell sagte:
  - Ach, Mist, fast hätte ich von deinem Brief vergessen... Ich habe gestern die Bettschränkchen und die Betten im ersten Zug geprüft. Und ganz zufällig habe ich den Brief für dich bei dem älteren Soldat Ischakow, dem Landsmann des entlassenen Makulow gefunden... Ein Brief von deiner Mutter... Ich weiß nicht, wieso er dort war...
  Der Hauptmann drehte sich auf dem Stuhl geschickt um und streckte die Hand zum kleinen Schrank, der an der Wand hing. Aus dem Bücherstapel zog er die Unterstützung für das politische Studium der Soldaten schnell heraus und schüttelte sie. Aus dem dicken Buch fiel ein zerknitterter Briefumschlag heraus. Makarow streckte ihn sofort seinem Soldaten hin, der mit Ungeduld auf eine Nachricht aus seinem Heimatdorf wartete. Als er die unerwarteten Tränen seines Untergebenen sah, sagte der Offizier traurig:
  - Ich hatte mit Absicht den Brief in das Buch gelegt. Weil ich wusste, dass die Soldaten diesen Quatsch nicht lesen. Meine Kanzlei wurde in der letzten Zeit wie ein Durchgangshof... Besser man lässt nichts liegen, sonst wird es geklaut...
  Kusnezow beschloss, den Brief von seiner Mutter etwas später zu lesen. In ihm brannten Bosheit und Hass auf den, der gewagt hatte, den Brief von seiner Mutter, auf den er mit solcher Ungeduld fast ein halbes Jahr gewartet hatte, zu verstecken. Gleichzeitig war der Soldat dem Hauptmann Makarow sehr dankbar, dass er den Brief zufällig gefunden hatte. Die Suche nach Ischakow war kurz. Er saß im Raucherzimmer und rauchte vergnüglich eine Zigarette. Der Alte reagierte auf den sich ihm rasend nähernden Riese nicht. Ischakow kam noch gar nicht dazu, in das Gesicht des Schützen zu blicken, als er sich schon in seinen mächtigen Armen befand. Der Boxer fasste mit all seiner Kraft, wie ein Stier, mit beiden Händen den kleinen Kasachen am Kragen und am Hintern, und warf ihn dann blitzschnell mit dem Kopf nach unten um. Den Kopf des Opfers an den Autoreifen drückend, der als eigentümlicher Aschenbecher diente, schrie er laut:
  - Du Missgeburt, Hund, wer bat dich meinen Brief zu nehmen und zu lesen? Wer, frage ich dich? Wer, du Hund?
  Ischakow, der offenbar nicht auf solchen Geschehnisse vorbereitet war, brummte bei jeder Berührung des Kopfes mit dem Aschenbecher erschrocken:
  - Freundchen, Kusja, mich hat der Teufel verwirrt... Genau, er hat mich verwirrt...
  Solch eine Erklärung ärgerte "den Henker" noch mehr. Er begann, den Kopf des Kasachen noch stärker ins Gummirad zu drücken und noch lauter aus vollem Halse zu schreien:
  - Ach, du Schwein, Missgeburt, wieso lügst du... Oder hast du vergessen, wie deine Mutter heißt? Ich frage dich... Wie heißt deine Mutter, du Hund?
  Er schlug Ischakow mit dem Kopf an den Gummireifen, manchmal auch auf die Erde. Der hatte die Lüge aller Wahrscheinlichkeit nach verstanden und sich entschieden, die Wahrheit zu sagen. Er schützte manchmal mit der Hand den Kopf und schrie auf die mehrfach wiederholende Frage des Gewalttäters aus vollem Halse:
  - Genosse Kusnezow, meine Mutter heißt Raisa, und deine Mutter heißt Antonida... Тоnja, Tonetschka...
  Der Taumel der Gerechtigkeit über das Übel und die Lüge dauerte nur kurz. Der Athleten war es schließlich von der Zwangsvollstreckung leid. Wahrscheinlich hätte sie noch einige Augenblicke gedauert, wenn nicht ein erstickender und stinkender Geruch unerwartet von dem Opfer ausgegangen wäre. Der Boxer ließ den Körper des Soldaten fallen und trat mit dem Stiefel in Ischakows Bauch mit voller Kraft. Jener schrie vom starken Schmerz auf und begann sich auf dem Boden zu wälzen. Kusnezow reagierte nicht auf das Stöhnen des Kollegen. Er schaute mit der Verachtung auf den Liegenden herunter und spuckte ihm ins Gesicht. Dann ging er in die Richtung des kleinen Waldes, der den Park der Kampftechnik umgab...
  Auf dem Weg zum Wald beruhigte sich Alexander wieder und begann, eine Stelle zu suchen, wo man sich ausziehen und den ersten Brief von seiner Mutter lesen konnte. Es war sehr schwierig, eine saubere und nicht stinkende Stelle zu finden.
  Der kleine Wald war ganz verdreckt und verunreinigt. Überall lagen leeren Konservendosen und Bier- oder Wodkaflaschen herum. An vielen Stellen ruhten friedlich die "Haufen" menschlichen Drecks. Für Kusnezow war es klar, dass das alles ein Ergebnis der Gardisten des Motorschießregiments war. Nur am Rand des Waldes, nicht weit vom Feldweg, fand er einen Platz unter einer einzelnen Kiefer, wo er beschloss, sich hinzulegen... Der Soldat ließ sich schwer auf den Boden fallen und zog aus der Jackentasche vorsichtig den zerknitterten Briefumschlag heraus, dann entnahm er ihm zwei Blätter des Schulpapiers, die von der mütterlichen Hand klein beschrieben waren. Der junge Mann zog den Brief an die Lippen und küsste ihn vorsichtig.
  In diesen Augenblick erschien vor ihm die Gestalt seiner geliebten Mutter, die er jetzt so vermisste. Es vermisste auch seinen Vater. Von lauter Gefühlen zu seinen Eltern hat Alexander, der Sohn begonnen zu weinen, er weinte sehr bitterlich. Danach lächelte er froh und lachte laut. Wieso er es getan hatte, konnte er sich selbst nicht erklären. Es konnte sein, dass der Grund der Freude dieser Brief von seiner Mutter war, den er zum ersten Mal im Leben bekommen hatte. Früher schrieb in der Familie keiner jemandem Briefe. Die Mutter oder der Vater gaben dem nichtsnutzigen Riese alle Hinweise und Klapse ohne jeden Brief. Der Sohn reagierte auf alle Elternhinweise und Bemerkungen meistens ganz normal. Aber nicht selten antwortete er auch bissig, besonders dann, wenn seine Freunde zu Besuch da waren.
  Der Sohn entfaltete sehr vorsichtig das erste Blatt des Briefes und begann langsam zu lesen. Die Mutter schrieb:
  'Guten Tag mein teurer und geliebter Sohn Saschenjka, guten Tag mein Herz!!! In den ersten Zeilen meines Briefes möchte ich dir mitteilen, dass ich noch lebe und gesund bin, was ich auch dir hundert Mal wünsche. Ich möchte dir, mein Sonnenschein, alles der Reihe nach beschreiben. Unser Dorf Neidjonowka steht wie immer noch am selben Platz. Das Leben in unserem Gebiet ist aber sehr schwer und sogar schrecklich geworden. Viele Männer und Frauen auf dem Lande sind arbeitslos, es gibt keine Arbeitsplätze, fast das gesamte Vieh in der Sowchose wurde abgeschlachtet. Der Herr Gott gibt mir noch Arbeit, dein Anbau wärmt mich. Die übrigen Viehställe haben die Menschen abgerissen und das Baumaterial weggeschleppt. Im Dorf ist die ganze Technik kaputt, es gibt kein Benzin, es ist sogar nichts da, um Brennholz zu holen.
  Dein Vater ist immer noch verschollen, ich kann schon nicht mehr um ihn weinen. Das Weib Pelageja, du kennst sie, die am Rande des Dorfes lebte, erzählte mir einen Tag vor ihrem Tod davon, dass sie von Nikolaj träumte als ob ihn irgendein Teufel festhielt. Um über deinen Vater was zu erfahren, bin ich dreimal nach Isumrudnoje gefahren, aber sie haben mir dort auch keine Auskunft gegeben. Ich habe verstanden, dass alle Vorgesetzte sich nicht um unseren Vater kümmern, sie machen sich überhaupt keine Sorgen um die einfachen Menschen. Vor einigen Tagen hörte ich, dass sie einen hochrangigen Milizionär eingesperrt haben, weil seine Frau in Geschäften stahl...
  Ich möchte auch, mein liebster Sohn, dir über unsere Landsleute schreiben. Seit deiner Abwesenheit in Neidjonowka ist das ganze Leben durcheinander geraten. Das Gehalt wird nicht ausgezahlt, es gibt auch keine Arbeitsplätze. Anstelle des Gehaltes Teilen der Sohn und die Tochter des Direktors der Sowchose an uns Lebensmittel aus. Ich weiß nicht, was die Kinder des Direktors mir morgen geben werden. Wahrscheinlich nichts. Alle beklauen einander und betrinken sich. Die Miliz kommt mit den Betrunkenen nicht zurecht. Sie erscheint nur dann, wenn es im Dorf Ermordete gibt. Nach Silvester hat Witjka Chutorows Frau ihn mit der Axt wegen seiner Sauferei und Hurerei erschlagen. Schurka hat ihren Ernährer umsonst umgebracht, sie ist selbst untreu. Jetzt haben wir niemanden, um das Wasser auf dem Turm zu schwingen, zu uns muss eine Fachkraft aus dem benachbarten Dorf kommen. Alle Männer aus unserem Dorf sind Alkoholiker geworden, niemand will mehr den Kopf gebrauchen.
  Jetzt möchte ich dir ein wenig über das Leben deiner Kumpel und Mädchen berichten. Sanjka Kurkin ist vor kurzem verstorben. Er fiel betrunken vom LKW КАМАZ, mit dem die Jugendliche aus der Stadt kammen. Beerdigt wurde deinen Mitschüler vom ganzen Dorf. Witjka Prygunow dient in der Armee, wo er dient und wie er dient, weiß niemand. Einige sagen, dass er irgendwo an einem heißen Ort kämpft. Was es bedeutet, weiß ich auch nicht. Seinem Vater hat er aus irgendeinem Grund auch noch nicht geschrieben. Iwan Sawolokin hat mal nach dir gefragt. Ich habe ihm sogar deinen Brief vorgelesen. Ihm sind sogar die Tränen gekommen, obwohl er ein starker Mann ist. Polinka Kraut ist nach Deutschland ausgewandert und hat schon einen Brief an die Schule geschickt. Sie schreibt, dass dort bei ihnen es sehr gut ist. Sie haben schon eine Wohnung bekommen und ein Auto gekauft. Polinka hat auch Nadjka Petrowa verrückt gemacht, der hat sie versprochen, einen Bräutigam in Deutschland zu finden. Das Mädel hat schon unsere Briefträgerin mit Fragen über die Briefe von den Bräutigamen tot gequält. Unsere neue Lehrerin hat für Nadjka in der Zeitung einen Artikel gefunden, in dem ein alter Mann junge Mädels im Ausland sucht. Ich weiß nicht, ob das Geld bei Petrows dazu ausreichen wird. Ich denke, mit Gottes Hilfe werden sie das Geld für ihre einzige Tochter finden. Es gehen die Gerüchte herum, dass Nadjka schon selbst in Omsk einen Mann gefunden hat, der versprach ihr zu helfen, zu ihrer Freundin zu fahren. Bei mir, mein Söhnchen, gibt es keine Neuigkeiten mehr.
  Am Ende meines Briefes möchte ich dich auch etwas fragen. Wie dient es sich in der Fremde? Beleidigt dich jemand? Schreibe mir, mein Sonnenschein, ich warte auf eine Nachricht von dir. Mein Sohn, entehre nicht das Andenken an deinen Urgroßvater...
  Ich verbeuge mich tief, küsse und umarme dich ganz fest.
  Antonida Petrowna, deine Mutter... '.
  Ein Absende Datum stand nicht im Brief. Und es verwunderte den Soldaten überhaupt nicht. Er wusste sehr gut, dass es in letzter Zeit sehr schwierig war, einen Brief aus Neidjonowka abzusenden. Dazu hatte seine Mutter mehr als genug Sorgen.
  Der Sohn, die Stille des deutschen Waldes genießend, las den Brief der Mutter noch mehrmals durch. Während des Lesens sah der junge Mann die Zeilen, die mit Tintenstift geschrieben waren, sehr aufmerksam an... Einige von ihnen waren mit violetten Farbflecken, dass bedeutete, dass die Mutter geweint hatte. Die Stellen der getrockneten Tränen seiner Mutter streichelte Alexander mit der Hand und drückte sie oft zärtlich an die Lippen. Der Soldaten hätte in dieser Zeit gerne die Schwierigkeiten und Probleme seiner Mutter abgenommen...
  Antonida Kusnezowa hatte im Brief an den Sohn nur den Bruchteil der Wahrheit geschrieben. Sie wollte ihm, der immer und in diesen Augenblick seines schwierigen und noch kurzen Lebens für sie der naheste Mensch auf dieser Erde war, keinen Schmerz zufügen. Und das Schicksal brachte ihr in der Zeit seines Armeedienstes keine frohen Geschenke. Sie verheimlichte vor dem Sohn den Tod ihres Mannes, Alexanders Vater. Den enthaupteten Körper des älteren Kusnezows hatte man am Rande des regionalen Zentrums buchstäblich drei Tage vor Silvester zufällig gefunden. Man hatte ihn im Schneehaufen neben der Endhaltestelle des Stadtbusses gefunden. Die Miliz suchte ziemlich lange nach den Verwandten des Ermordeten. Bis Isumrudnoje in der Reihe war, vergingen noch drei Wochen. Und Antonida hätte im Verstorbenen nicht ihren Mann erkannt, wenn nicht das Mal gewesen wäre. Die Zweifel an "der Glaubwürdigkeit" des Mannes verschwanden teilweise, als sie auf dem linken Bein den abgehauenen Zeh gesehen hatte. Der Mann hatte sich diese Verstümmelung noch in der Schule während der Kartoffelernte in der Sowchose zugezogen. Schüler der sechsten Klasse Koljka Kusnezow hat sich während der Pause den halben Zehe unabsichtlich abgehauen, die Buben hatten gewettet, wer mit der Schaufel in kurzer Zeit mehr Kartoffelknollen zerhaut. Antonida schrie in der Leichenhalle wie eine Wölfin, so sehr tat ihr es weh und Leid für ihren Mann. Ihr Zusammenleben war nicht perfekt, aber es gab auch Gutes in ihrem Leben. Die junge Witwe meinte, dass sie überhaupt nicht schlechter als andere Dorfbewohner lebten.
  Antonida schrieb dem Sohn den Brief, in dem sie vor ihm den Tod des Vaters verheimlicht hatte und bereute es später auch nicht. Die fast verweste Leiche war an manchen Stellen so entstellt, dass die Frau selbst an den Tod ihres Ehemannes manchmal nicht glaubte. Von den Bewohnern Neidjonowkas sah auf dem Friedhof niemand die Leiche des Verstorbenen, auch die Witwe nicht. Den hölzernen Sarg mit dem zugeschlagenen Deckel hatte man aus der Kreisstadt gebracht und sofort in die Grube heruntergelassen. Viele von den Frauen und den Kindern kamen nicht auf den Friedhof. Sie waren erschrocken, dass die Leiche des Dorfbewohners enthauptet war. In der ganzen Zeit der Existierung des Dorfes kam so etwas noch nie vor. Nach einer Weile nach der Beerdigung des Vaters des Sohnes-Internationalisten versammelte sich ein Teil der Bewohner Neidjonowkas wieder auf dem Friedhof. Diesmal beerdigten sie den Elektriker Witjka Chutorow auch fast "kopflos". Die Frau hatte den Mann fürs Fremdgehen grausam bestraft, sie hatte ihm seine Axt auf den Kopf geschlagen. Den Betroffenen hatten sie nur bis nach Isumrudnoje gebracht. Der Mann verstarb im Krankenhauszimmer noch vor Ankunft des Chirurgen. Die Mutter des Soldaten hatte sich ausgeweint, ausgeschrien über den Tod ihres Mannes und den Schmerz für immer in ihrem weiblichen Herz verborgen. Nach dem Tod des Ehemannes ereilten die Witwe die nächsten Unglücke. Im Spätsommer hatte jemand bei der schon arbeitslosen Frau in der Nacht ihre Kuh weggeholt. Im Dorf hatte man in dieser Nacht fünf Kühe und zwei Stiere gestohlen. Nach dem Verschwinden ihrer Kuh entschied sich die einsame Frau, sich überhaupt kein Vieh mehr anzuschaffen, es hatte kein Sinn. Die Dorfbewohner bestahlen sich gegenseitig Tag und Nacht, stahlen fast alles, was ihnen unter Hände kam. Die Überfälle der Stadtbewohner auf das kleine Dorf verringerte auch gründlich die Vielzahl bei den Bauern. Antonida quälte sich mit ihren alten Krankheiten, der Rücken schmerzte Tag und Nacht, die Arme durchbohrte auch der Schmerz. Sie fuhr ein paar Mal zum Arzt nach Isumrudnoje, aber der konnte ihr nicht helfen, war nur ratlos. Sie fuhr noch einmal ins regionale Zentrum, in der privaten Praxis halfen sie ihr auch nicht. Der Arzt zog die Frau bis zum Slip aus und legte sie auf die Liege. Dann begann er mit den riesigen Händen den Rücken zu kneten und auf die Wirbelsäule zu klopfen, dabei murmelnd: 'Ja, hilf doch mir und ihr, mein Herrgott'. Viel Geld hatte er genommen, aber sie nicht geheilt. Nach dem Heiler lag die Bäuerin einen ganzen Monat im Bett, stand nur auf, um im Geschäft ein Laib Brot zu kaufen. Die kranke Frau bekam keine Hilfe weder von der Verwaltung der Sowchose noch von den Dorfbewohnern. Jeder lebte schon im Kapitalismus mit der sowjetischen Färbung. Die ehemalige Parteigenossen, die frischgebackenen Demokraten, teilten nicht nur die Macht in den warmen Kabinetten, sondern auch den Volksbesitz.
  Die nicht besonders gebildete Frau verstand und sah das alles. In Isumrudnoje hatte der Hauptbezirksvorgesetzte sich ein großes Haus gebaut, in das mehr als zwanzig Bewohner von Neidjonowka gut hereingepasst hätten. Der Direktor der Sowchose, der ehemalige Biologielehrer, zeigte auch keinen Ehrgeiz und keine Sorge um die Dorfgenossen. Er verbrachte die ganze Zeit bei Omsk, der Chef baute sich dort ein Haus und noch ein Wochenendhaus nach europäischem Standard...
  Die einfachen Menschen sahen die Machenschaften allerlei Vorgesetzten, aber sie wehrten sich nicht dagegen. Alles war vergeblich, die Macht hatte die Andersdenkenden grausam fertig gemacht. Der Rentner Fjodor Makejew, früher arbeitete er in der Sowchose als Buchhalter, versuchte gegen die Ungerechtigkeit zu kämpfen. Mit den Klagen war der Alte bis zur Bezirksleitung gekommen. Dort hatten sie ihn angehört, versprachen alles zu verbessern. Sie versprachen es, aber taten nichts. Aber dafür litt 'der Gerecht suchende' selbst grausam. Seine kleine Rente kürzten sie dem Mann überhaupt mit Begründung, dass die Berechnungen früher im Bezirk bei ihm falsch gemacht worden waren. Es war noch nicht alles. Allen Rentnern im Dorf, wenn auch mit einer großen Verzögerung, brachte der Briefträger die Rente, aber am Haus des ehemaligen Buchhalters ging das Weib Schura vorbei. Der Direktor der Sowchose hatte der Alte aufs allerstrengste verboten, ihm das Geld zu bringen. Makejew war gezwungen nach seiner winzigen Rente in den Bezirk zu fahren und oft kehrte er ohne sie zurück. Die Geduld des Kämpfers um die Wahrheit platzte letzten Endes und er zog ins benachbarte Kasachstan um, dort wohnte sein ältester Sohn...
  Den Inhalt des Briefes von der Mutter ging der Soldat im Kopf mehrmals durch und jedes Mal kam er zu einer unerfreulichen Schlussfolgerung. Die Mutter ohne den verschwundenen Vater würde es sehr schwer haben. Er verstand auch sehr gut, dass sie vieles Schlechte aus ihrem Leben vom Sohn verheimlichen konnte. Das machten fast alle Eltern immer und überall, um die Kinder von den zahlreichen Problemen nicht zu verwirren. Jetzt kränkte sich der junge Mann, dass er in der ganzen Zeit seines Dienstes nicht richtig an die Mutter gedacht, sich nicht in ihre Situation versetzt hatte. Alexander hatte sich als Junge niemals um die Sorgen und Probleme seiner Eltern gekümmert. Auf dem Familientisch gab es immer ein Stück Brot, Milch und Kartoffeln. Es war ein Haupt- und ständiges Gericht für alle und jeden. Bei ihnen zu Hause gab es keine Delikatessen, dafür fehlte das Geld, aber hungrig war auch niemand.
  Alexander, der Sohn von Antonida Kusnezowa hungerte in der Armee auch nicht. An die Soldatenmahlzeit, die aus Brei und Fisch hauptsächlich bestand, hatte er sich sehr schnell gewöhnt. Nachdem er nicht mehr der "Grünschnabel" im Dienst war, ernährte er sich noch besser als früher. Ziemlich oft lag auf seinem Tisch "Zusatz", wie Zucker, Butter oder andere Delikatessen des nicht sehr reichen soldatischen Menüs. Eins wusste er sicher, dass die Vorschriften der Sowjetischen Armee weder seinen nächsten "Titel", noch diesen "Zusatz" vorsahen. Wer das alles erfunden hatte und warum, verstand der Sibirier nicht. Fast alle schmeichelten sich bei ihm ein, einschließlich der Brotschneider. Ihn schubste auch niemand herum. Ihm gab der Bataillonskommandeur, Major Siwolapow, die Hand zur Begrüßung. Der Offizier war stolz, dass in seinem Bataillon der beste Boxer im Schwergewicht der Division diente und deshalb interessierte er sich jeden Morgen für die Laune der Berühmtheit. Der Meister gab nach seinem Sieg in jenem unglücklichen Duell ihm nicht mehr die Hand. Alexander bemerkte die Gleichgültigkeit des Hauptmanns Makarows ihm gegenüber sofort. Wieso das passierte, welche Katze zwischen ihnen durchgelaufen war, verstand der Untergebene nicht...
  Mit seinen Gedanken beschäftigt, merkte der Soldat nicht, wie die Zeit schnell vergangen war. Kusnezow schaute auf die Uhr und seufzte schwer, zum Mittagsessen hatte er sich schon verspätet. Das entstehende Hungergefühl milderte in irgendwelchem Maß das gute Wetter, über dem Wäldchen schien die Sommersonne. Dem Liegende auf dem Gras war es warm und gemütlich und er war sogar kurz eingeschlafen. Der Soldat wachte von einem unerwarteten Lärm und Gepolter auf. Als er die Augen öffnete, sah er vor sich mehrere Soldaten mit Schaufeln und Tragen. Sie begannen vor ihm die Haufen des Krams und des Mülls zu entfernen, die im Wald und um ihn herum lagen. Alexander überlegte nicht lange, stand schnell auf und zog sich an. Dann nahm er den Brief seiner Mutter und steckte ihn in die Jackeninnentasche.
  Es war für ihn egal, wohin er ging und deshalb lief er langsam in Richtung zu dem Weg, der sich zehn Schritte vom Wald befand. Die frische Luft, die Idylle der Natur tauchten Alexander in die lebenswichtigen Überlegungen wieder ein. Der Grund dafür war aller Wahrscheinlichkeit nach der Brief seiner Mutter. Irgendwelche philosophischen Gedanken gab es im Kopf des Soldaten nicht. Er brauchte sie auch nicht. Er war sehr besorgt um seine Mutter, die in einige Tausende Kilometer von ihm entfernt, im kleinen sibirischen Dorf lebte. Der Sohn, der langsam zum Weg ging, wollte jetzt alles hinschmeißen und zu Fuß durch den Wald und durch die Flüsse zu seiner Mutter gehen, die er noch vor kurzem oft beleidigt hatte. Er hatte sie ganz umsonst gekränkt. Die Gedanken an seinen Vater, über den die Mutter tatsächlich nichts mitteilte, regten den jungen Burschen sehr auf. Er ertrug es nicht und weinte bitterlich. Der Gehende konnte nicht glauben, dass sein Vater irgendwo umgekommen sein könnte. Irgendwelche Sünden hatten weder sein Vater noch seine Mutter und er selbst vor dem Herrgott nicht. Und dass der Vater oft getrunken hatte, beunruhigte ihn nicht sehr. In Neidenowka tranken fast alle, keine Ausnahme war auch die überwiegende Mehrheit der Bewohner des riesigen Landes. Halt vor den Spirituosen machten auch die Offiziere der Sowjetischen Armee und die hiesigen Deutschen nicht...
  Am Straßenrand sah der Reisende auf dem Schild, dass es bis zum deutschen Dorf Kronstadt noch drei Kilometer waren. Nicht weit vom Schild beschloss der Militärangehörige, sich zu erholen und setzte sich ins Gras. Am Sitzenden flitzten Autos immer wieder vorbei, einige der Fahrer hupten oder riefen etwas. Kusnezow reagierte auf diese Störungen nicht, ihm war es jetzt nicht nach den Menschen, nach deren Problemen, großen oder kleinen. Die Sonne und das Gehen hatten den Burschen gründlich 'aufgewärmt', er nahm seine Kopfbedeckung ab und legte sich hin. Irgendwann verebbte der Verkehr. Unerwartet trat Stille ein, eine mörderische Stille. Der Soldat hörte sogar das Klopfen seines Herzen. Er stand gezwungenermaßen auf und schaute sich um. Die abgeräumten Felder, kleine Wäldchen, die Obstbäume entlang des Weges luden zum Leben ein, zu einem menschlichen Leben. Kusnezow weinte wieder. Er verstand es selbst nicht, warum ihm die Tränen liefen. Nur tief in seiner Seele war es dem jungen Mann bewusst, dass er heute oder morgen dieses Land verlassen würde, für immer verlassen. Alexander, wie es ihm jetzt schien, hatte sich mit diesem Land angefreundet, wenn auch diese Freundschaft nur auf Entfernung war, durch die Betonwand, durch Stacheldraht. Kronstadt stellte eine kleine Siedlung dar, mit etwa zwanzig Häusern oder sogar weniger. Der Soldat-Internationalist traute sich, durch die Hauptstraße des Dorfes spazieren zu gehen, die Angst war diesmal für "den Selbstentlassenen" in den Hintergrund verschwunden. Früher dürfte der Soldat nicht allein in den deutschen Siedlungen spazieren gehen, es bestand keine Möglichkeit. Jetzt wusste er sehr gut, dass es sein letzter Besuch des deutschen Dorfes war. Deshalb bemühte sich Alexander sehr aufmerksam, alles zu betrachten, was er auf dem Weg traf. Der Riese ging die Straße sehr langsam entlang und laste sich Zeit um sich umzuschauen. Hier gefiel ihm alles sehr, die gepflegten Häusern, die grünen Rasen, die kleine Bierstube vor der drei mächtige Kastanienbäume standen. Das kleine Geschäft, buchstäblich angeklebt an der hölzernen Brücke, die wie über den breiten Bach hinübergeworfen wirkte, zog mit seinem Aussehen auch die Aufmerksamkeit auf sich. Die Besichtigung der Sehenswürdigkeiten dauerte ungefähr dreißig Minuten, nicht länger.
  Am Ende des Dorfes stieß Kusnezow unerwartet auf einen Friedhof, der sich wie ein dünnes Band zu einem kleinen Wald, aber einem sehr dichten, erstreckte. Den Auftrag der Mutter, das Grab seines Urgroßvaters auf dem Territorium Deutschlands zu finden, hatte das Gehirn und die Seele des jungen Mannes buchstäblich "durchbohrt". Alexander war bis jetzt noch nie auf einem deutschen Friedhof gewesen und sein Interesse erwachte. Vor dem Eingang blieb er gezwungen stehen und erstarrte. Das, was er eigentlich sah, erinnerte ihn an ein paradiesisches Stückchen Erde. Es gab in den geraden Reihen nicht so große Gräber, die mit märchenhaftem Meer von Blumen bedeckt waren. Diese Blumen befanden sich in kleinen bunten Töpfchen. Die Reihen der Gräber wurden mit grünem Rasen voneinander abgetrennt, was dem Friedhof die Art eines göttlichen Museums gab oder an ganz etwas anderes erinnerte, dass der Neuankömmling sich niemals im Leben vorstellen konnte. Der Soldat huschte schnell unter den grünen Bogen, das Tor durch, und gelangte auf einen gepflasterten Gehweg. Nach ein paar Metern blieb er wieder stehen. Die ideale Sauberkeit und die Stille, die auf dem Friedhof herrschten, erschütterten ihn. Der Soldat nahm die "Schirmmütze" nicht vor Angst und nicht von etwas anderem beeinflusst ab und begann sich rückwärts zurückzubewegen. Jetzt steuerte seinen Körper nicht sein Kopf, und nicht seine Körperkraft, sondern etwas Anderes, das, wie es Alexander schien, nicht aus der Welt des Irdischen, sondern aus der Welt des Geistigen gekommen war. Und dieses Unverständliche zwang den jungen Mann, sich immer weiter und weiter zu bewegen, bis er sich schließlich außerhalb des Friedhofs befand. Kusnezow hatte den Kopf nach unten gesenkt und sich von "der Sauberkeit" seiner Stiefel erschrocken. Der junge Mann fing an, mit den Händen die Stiefel, auf deren Sohlen Reste des Drecks und des grünes Grases waren, zu reinigen. Das alles klebte von seinem heutigen Waldspaziergang an den Stiefeln. Jetzt schämte er sich für die schmutzigen Stiefel. Er konnte immer noch nicht verstehen, wie er es fertiggebracht hatte mit solchen schmutzigen Armeestiefeln das Gelände des Friedhofs zu betreten. Bei diesen Gedanken errötete der Soldaten, einen Bruchteil des Gewissens ergänzte auch noch eine Besucherin des Friedhofs. Die graue Deutsche, die durch den Bogen gekommen war, sah aus irgendeinem Grunde den mächtigen und großen jungen Mann in der Militäruniform erschrocken an und bekreuzigte sich verzweifelt. Der Riese zog sich gezwungenermaßen zusammen, dann entspannte er sich wieder. Die Spur der Alten war schon verwischt... Nach fünf Minuten hatte Kusnezow sich beruhigt und betrat das Friedhofsgelände. Er nahm sich vor, sehr aufmerksam die Grabobelisken und die Grabsteine zu betrachten. Die Namen des Gestorbenen waren deutsch geschrieben. Auf einigen Grabsteinen waren mehrere Familiennamen, hier haben die ewige Ruhe Familien oder die Vertreter vieler Generationen gefunden. Der Besucher in der Militäruniform fand bedauerlicherweise kein Grab von sowjetischen Menschen bis er am Ende des Friedhofs war. In der entferntesten Ecke erblickte er zwei kleine hellrote Grabsteine, jeweils in der Mitte waren die fünfspitzigen Sterne eingemeißelt. Der Soldat ging sofort zu den Begräbnisstätten und blieb vor ihnen wie angewurzelt stehen. Auf jeder Platte waren zwei gleiche russische Familiennamen "Krasnosselski" eingemeißelt, die Familiennamen waren ohne Initialen. Unter jedem Familiennamen standen auch die gleichen Geburts- und Todesdaten '1922-1944'. Alexander ließ sich langsam auf die Knie herunter und berührte vorsichtig mit der Hand die Marmorplatte. Er konnte sich nicht erklären, wieso die Gräber der zwei Männer mit den russischen Familiennamen auf diesem Friedhof und in diesem Land sich befanden. Der junge Mann fand keine Antwort auf seine Fragen. Erst gegen Abend verließ der Soldat den deutschen Friedhof, verließ ihn dankbar und mit Bedauern. Er dankte den Deutschen, dass sie ein halbes Jahrhundert nach dem Ende des Krieges nicht nur die zwei Gräber bewahrt, sondern sie auch gepflegt hatten. Er bedauerte, dass er das Grab seines Urgroßvaters nicht gefunden hatte. Das junge Ehepaar Kusnezows gab dem einzigen Sohn den Vornamen Alexander zu Ehren des Urgroßvaters, der auf ewig in der fremden Erde liegen blieb. Der ältere Kusnezow hatte mehrmals den Wunsch, das Grab seines Vorfahren zu finden, aber leider war es unmöglich... Nikolaj konnte sein Wunsch nicht verwirklichen. Er hatte kein Geld für die Reise, und die Behörden erlaubten es auch nicht... Der Soldat marschierte zum sowjetischen Militärstädtchen los, den Namen des Urgroßvaters wusste er, aber an den Vatersnamen konnte er sich aus irgendeinem Grunde jetzt nicht erinnern... Sanjka war auf den Namensvettern stolz und schrieb nicht selten von ihm in den Schulaufsätzen. Die Lehrerin las mit großer Freude der Klasse die kurzen Erzählungen des Schülers vor, dann kam sie zum jungen Autor und umarmte ihn fest. Mit Tränen in den Augen dankte sie dem Schüler dafür, dass sein Urgroßvater alles Mögliche für ein besseres Leben der sowjetischen Menschen und für alle Arbeiter des Planeten getan hatte.
  Bei diesen Erinnerungen kamen Alexander Tränen, Tränen der Freude und Hoffnung. Er zweifelte überhaupt nicht daran, dass er den Urgroßvater ganz bestimmt finden und einen Blumenstrauß aufs Grab des Befreiers Europas legen würde. Dass die Suche schwierig und lang werden würde, erschreckte Alexander nicht...
  Auf der deutschen Erde befanden sich 837 Massengräber und einzelne militärische Begräbnisstätten und Militärfriedhöfe. Hier haben fast 500 Tausend sowjetische Soldaten und Offiziere ihre Ruhe gefunden, die in der Schlacht gegen Faschismus fielen. Der Besuch des deutschen Friedhofs und der entstehende Wunsch, um jeden Preis das Grab des Verwandten zu finden, zwangen den Soldaten, sich an den Kompaniechef zu wenden. Der Kommandeur fehlte wegen seiner Krankheit. Hauptmann Makarow nahm die Idee des Untergebenen ziemlich vorsichtig und ohne jeden Enthusiasmus an. Der Offizier hielt die Suche nach dem Grab des Urgroßvaters für eine sinnlose Beschäftigung, war jetzt dem Soldaten nicht danach zu Mute.
  - Kusnezow, hör mal aufmerksam zu, - sagte der Kompaniechef ruhig. - ich, sowie auch du, haben jetzt dafür keine Zeit... Wir könnten die Einheit heute Abend verlassen, und vielleicht auch erst nach einem Monat... Niemand weiß es. Ich denke, dass die Obersten die Zeit des Rückzugs selbst noch nicht bestimmt haben... Und wieso brauchst du das alles. Komm nach einem Jahr hierher als Tourist und suche dann so lange du möchtest...
  Weil er keine Unterstützung in solch einer edlen Sache vom Hauptmann Makarow bekam, entschied sich Alexander, selbst aktiver und hartnäckiger zu werden. Am nächsten Tag sprang er im Jogginganzug behände über den Zaun und ging in Richtung Stadt.
  Den Park, in dem sich das Massengrab der sowjetischen Kämpfer befand, fand der Soldat sofort. Kusnezow näherte sich mit stockendem Herzen dem großen Obelisken mit der Hoffnung den bekannten Familiennamen zu finden. Die Enttäuschung machte sich buchstäblich nach einer Minute breit, als er das lange Verzeichnis der Familiennamen, die auf der Gedenktafel eingemeißelt waren, überflogen hatte. Kusnezows gab's hier nicht...
  Es verging noch eine Woche. Der Boxer, wie auch der größte Teil der Soldaten,
  reagierte nicht auf die Geschehnisse in der Kompanie. Um Autos oder irgendwelche Klamotten zu kaufen, hatte der Soldat das Geld nicht. Die Käufe machten die Offiziere und die Fähnriche mit ihren Familien. Zugleich konnte er bemerken, dass viele Soldaten in erster Linie die, die länger im Dienst waren, ganze Tage irgendwohin verschwanden und später wieder auftauchten. Aus der Kaserne waren einige auch nachts verschwunden. Kusnezow entschied sich "die Ohren zu spitzen", herauszufinden, was in ihrer Kompanie und im ganzen Regiment geschah. Schon nach einem Tag kam er zu einer eindeutigen Schlussfolgerung. Die Soldaten verkauften den Deutschen alles, was ihnen in die Finger gekommen war. "Die Könige" in dieser Richtung waren die Autofahrer und wer mit Benzin, Munition, mit Soldatenklamotten und Lebensmitteln in irgendeiner Weise verbunden war.
  Den Armeemarkt kennen zu lernen, half Kusnezow der Soldat Ischakow, der von ihm erst vor kurzem einen richtigen Tritt bekommen hatte. Nach der feierlichen Versammlung, die dem Tag der Verfassung gewidmet war, stürmten einige Soldaten ins Café.
  Alexander wollte auch etwas Süßes trinken. Die deutsche Limonade schmeckte dem Sibirier nicht und deshalb trank er an der Flasche sehr lange. An den kleinen Tisch hatte sich Ischakow gesetzt und gesagt:
  - Freund, nihm von mir ein Stück Kuchen, schäme dich nicht... Ich, wie du siehst, habe ganze fünf Stück gekauft... Für mich reicht es auch... Bediene dich...
  Dem Riesen musste man es nicht zweimal sagen. Er hatte nur einmal in der ganze Zeit
  seines Dienstes Kuchen gekauft. Der Soldat legte von seinen fünfzehn Mark ein wenig zur Seite, für das Gesparte wollte er der Mutter eine Decke aufs Bett kaufen...
  Nach dem Cafébesuch sprangen die zwei jungen Leute auf Initiative Ischakows über den Drahtzaun und nach fünf Minuten später befanden sie sich neben einem kleinen Häuschen. Es war eine Gaststätte. Davon überzeugte sich Kusnezow sofort, als er am Haus ankam. Über dem Eingang in den Raum hing ein Schild aus Glas mit Beleuchtung, darauf ein großes Bierglas. Die Soldaten gingen hinein. Ischakow als Führer nahm den Riesen am Arm und führte ihn schnell in die Ecke zu einem kleinen Tisch. Dann verschwand der Führer irgendwohin. Kusnezow blieb nichts anderes zu tun als zu sitzen und sich um zuschauen. An der Decke und an den Wänden des kleinen Raumes waren Bilder mit Jagdszenen gemalt. Auf seinem Tisch war auch ein Wolf, der den Hasen verfolgte, dargestellt. Nach fünf Minuten erschien Ischakow mit zwei großen Biergläsern. Aus der Tasche zog der Soldat eine Packung Zigaretten und zwei Päckchen Kaugummis heraus.
  Auf den verwunderten Blick des Kollegen sagte der Kasache:
  - Also, du bist ja einer... Ich siehe, dass du wie ein richtigen Kommunist oder Komsomolze dienst... Obwohl jene und andere trinken und mit den Weiber schlafen. Und sind sie
  etwas Besseres als wir?
  Kusnezow reagierte nicht auf die Sprüche des Regimentskameraden. Er konnte nicht verstehen, woher ein einfacher Maschinenpistolenschütze so viel Geld für das Bier und für das ganze Übrige nehmen könnte. In der Jägergaststätte fühlte er sich auch als gehöre er zu ihnen. Die zwei Stunden in der Bierkneipe verflogen für die jungen Leute sehr schnell. Kusnezow rauchte zum ersten Mal im Leben eine Zigarette ausländischer Produktion, früher wurde er nur mit denen der heimischen manchmal verwöhnt. Von dem Import wurde es dem Burschen ein wenig übel. Und das Bier erwies sich auch als hochprozentiges. Es stieg ihm sofort zum Kopf. Der Sibirier saß am Tisch und konnte sich selbst nicht erklären, wie die zwei Liter der kühlen Flüssigkeit in seinen Magen gelangten. In der ganzen Zeit ihres Aufenthalts in der Gaststätte besuchten die Leute nur ein paar Mal die Toilette, die sich von der Sauberkeit und dem Geruch von der Toilette in der Kaserne sehr unterschied. Während des Gespräches richteten die Soldaten ihre Blicke sehr oft zu dem kleinen Tisch, an dem die deutschen Besucher saßen. Sie bemerkten eine junge und schlanke Blondine. Die Deutsche saß ein paar Tische von ihnen weg und warf ziemlich oft Blicke auf die russischen Soldaten, die über etwas in ihrer Sprache schwatzten. Daran, dass gerade Kusnezow ihr sympathisch war, zweifelte Alexander überhaupt nicht. Davon überzeugte er sich, nachdem das Mädchen mit dem langen blonden Haar zur Theke gegangen war und etwas dem Kellner ins Ohr flüsterte.
  Der Mann kam nach einer Weile zu ihnen und stellte zwei kleine Weingläser mit Bier auf den Tisch. Alexander schaute den lächelnden Deutschen fragend an, dann richtete er die Blicke auf den Kollegen. Ischakow sagte mit besoffener Stimme:
  - Mein Freund, du kannst dir das nicht vorstellen, dass jemand von den Deutschen in uns sich verliebt... Das ist sehr gut...
  Kusnezow hob blitzschnell den Kopf und schaute zu dem kleinen Tisch, wo die junge Person gerade erst gesessen hatte. Die Blondine war nicht mehr da...Das Gespräch in der Bierkneipe war auch diesmal sehr lehrreich für den Boxer. Er fand viel Gemeinsames in den Gedanken und im Verhalten des Fähnrichs Tschernow und dem schon länger dienenden Soldaten Ischakow. Der vergeudete die Zeit nicht in Erwartung der Entlassung und des Transports nach Hause. Er verkaufte den Deutschen buchstäblich alles, was ihm unter die Hände kam, auch für seine Landsleute.
  Horst, so hieß der Kellner, war ein guter Vermittler. Durch ihn kauften die Deutschen in der Bierkneipe Uniformen, Jacken, allerlei Erkennungszeichen der Offiziere und der Soldaten der Sowjetischen Armee. Hier verkauften sie auch die Stücklebensmittel (Konserven), Pistolen und Patronen. Sehr gut verkaufte sich auch das Benzin, das die sowjetischen Militärangehörigen in den Kanistern brachten, der Handel ging hier oder die Käufer nannten andere Treffpunkte. Bezahlt wurde sowohl mit Geld als auch mit Spirituosen...
  Der Dienstkollege Alexanders erzählte bei Bier überhaupt alles, womit die Phantasie "der Armeealten" auf dem Gebiet des Handels reich war. Gerade vom frischgebackenen Freund erfuhr Kusnezow davon, dass vor drei Jahren aus dem Leninzimmer der zweiten Kompanie die Büste Lenins gestohlen worden war und von der Wand alle Porträts des Politischen Büros des ZK der KPdSU abgenommen worden waren. Der Stellvertreter für politische Arbeit bekam davon fast einen Infarkt. Den jungen Leutnant hatte der Politstellvertreter anlässlich der nicht ordinären Situation in der Einheit mehrmals zu sich auf den Teppich gerufen, darauf hoffend, dass es dem Offizier schließlich gelingen wird den "Fisch" zu fangen, der so gemein gehandelt hatte. Die Versuche verschiedener Vorgesetzter, die Spuren des Verschwindens der Parteireliquien zu finden, waren erfolglos, obwohl viele Soldaten in der Kompanie und im Bataillon wussten, wer es getan hatte. Der Usbeke Toschbaew verkaufte das "Heilige" für drei Kisten Bier dem ziemlich alten Deutschen, der mit einem alten "Moskwitsch" gerade zum Kontrollpunkt des Motorschießregiments gekommen war.
  Die Gleichgültigkeit dem Dienst bei der Mehrheit der Offiziere, die sich mit einem legitimen Flohmarkt beschäftigten, wirkte sich negativ auf den politischen-moralischen Zustand der
  Militärausbildung und der Kampfvorbereitung der Einheit. Die Soldaten waren sich selbst überlassen, das heißt, jeder war nach seinen Vorstellungen beschäftigt. Eine Kampfvorbereitung gab es nicht. Einige der Kommandeure des Unterabteilungen, besonders wenn ein weiterer Mythos über den morgigen Rückzug zerstreut war, führten die Untergebenen zur Truppenvorbereitung hinaus oder in Klassenzimmer zum Politunterricht. Die Verfügbarkeit von freier Zeit war auch aufgrund der Tatsache bedingt, dass die deutschen Behörden die russische Kaserne zur weiteren Verwendung als ungeeignet anerkannten.
  Solche eine "Armeeschaubude" gefiel dem Soldaten Kusnezow ganz gut, eine Hauptstelle seines Dienstes wurde das Bett und die Gaststätte. Sich mit dem Boxen zu beschäftigen hatte er aufgehört, die Fäuste zu schwingen und zu schwitzen hatte er keine Lust mehr. Die Boxhandschuhe des Sportasses lagen im Schrank zusammen mit der Galauniform, die er während der großen zivilen und Armeefeiertage trug, und verstaubten. Und nicht nur das. Zu seinem früheren Lieblingsportgerät, der selbstgemachten Birne, die sich auf dem Dachboden der Kaserne befand, stieg der Soldat erst nach drei Monaten nach "der Krankheit" hinauf. Alexander beschloss, auf eigenen Wunsch etwas mit seinen "Fäuste zu klopfen", vom Liegen im Bett hatte er schon genug. Der Besuch auf den Dachboden des Sibiriers übertraf alle seine Erwartungen. Als er die Tür, die ohne den mächtigen Riegel aus irgendeinem Grunde war, geöffnet hatte, erstickte der Boxer fast von einem ziemlich unangenehmen Geruch, der unter dem Dach sich gesammelt hatte. Der ganze Dachboden, in zwei Teile von einer Trennwand aus grünem Tarnnetz getrennt, war vermüllt und verdreckt. Besonders dreckig war es in "der Tischlerabteilung", wo gewöhnlich die Zimmermänner allerlei Bestellungen der Offiziere und der Fähnriche ausführten. Auf dem ganzen Fußboden lagen Stücke der Presspappe herum, aus ihr wurden die Kisten für den häuslichen Hausrat für die Weggehenden und die neu Ankommenden gefertigt. Und jetzt waren auch etwa zehn der Kisten aufeinander entlang der Wand akkurat zusammengelegt und warteten auf die Besteller. In der hinteren Ecke, nicht weit von den Kisten, ruhte friedlich ein großer Haufen allerlei Mülls und Krams. In der Ecke gegenüber lagen leeren Flaschen von Wodka, Dosen von Bier und Lebensmitteln herum. Hier sah der Militärangehörige auch Konservenbüchsen mit Kippen. Viele den Kippen brachten es in irgendwelcher Weise fertig, sogar auf den Brettern "zu hängen", auf denen die Dachziegel lagen...
  Der Soldat hob mit der Hand das Tarnnetz hoch und wollte sich den zweiten Teil des Dachbodens anschauen. In der Ecke, wo er sich früher mit dem Boxen beschäftigte, war es verhältnismäßig sauber. Kusnezow freute sich über diese Sauberkeit sehr und trat schnell an die selbstgemachte Birne heran. Ein paar Mal klopfte er mit der Faust stark darauf. Plötzlich hörte er Stimmen. Alexander drehte den Kopf herum und sah ganz am Ende des Dachbodens ungefähr Zehn Soldaten. Sie saßen an einem großen Tisch und sprachen über etwas angeregt. Der Riese lächelte und begab sich zu ihnen, dann begrüßte er die Sitzende laut und blickte auf den Tisch. Die Militärangehörigen aßen Schaschlik und tranken Bier. In etwa drei Metern vom Tisch stand ein selbstgemachter Grill, auf dem Fleischspießen mit großen Stücken Fleisch gebraten wurden. Der Rauch vom Grill entwich durch das kaputte Dachfenster. Der Geruch des gebratenen Fleisches kitzelte angenehm in der Nase, der Riese musste schlucken. Den Versuch Alexanders, das Erstaunen über das anständige Essen mit durchaus nicht anständiger Sprache zu äußern, unterbrach die bekannte Stimme Ischakows. Der stand beim Erscheinen der Berühmtheit vom Essen auf und ging ihm schnell entgegen. Dabei redete er wie aus dem Maschinengewehr:
  - Meine Herren, Genossen, Kameraden... Es ist unser Mensch, es ist mein Freund und ein guter Landsmann... Unser Kusnez ist ein sehr guter Mensch, sehr...
  Auf das Lob an seine Adresse reagierte Kusnezow in keiner Weise. Er schwieg und folgte tapfer Ischakow, der einen Platz am Tisch für seinen Freund suchte. Der spezifische Geruch des Schaschliks zusammen mit dem Zwiebelgeruch rief bei Alexander einen unheimlichen Hunger herbei. Er konnte sich fast nicht mehr zurückhalten, ihm lief schon das Wasser im Munde zusammen, dann klammerte sich Kusnezow mit den Zähnen an das weiche Stück Rindfleisch fest und verschluckte es augenblicklich mit unbeschreiblichem Genuss. Die Saufparty dauerte bis in die Nacht hinein, sie tranken bis zum Umfallen. Die, die auf dem Dachboden waren, wussten sehr gut, dass heute die abendliche Kontrolle der Hauptfeldwebel der Kompanie hatte. Fähnrich Nasarow kam zur Gliederung ziemlich oft, besonders in letzter Zeit, selbst unter dem "Gas". Aus diesen bekannten Gründen konnte der Vorgesetzte nicht feststellen wer in der Kompanie die Spirituosen getrunken hatte und wer nicht. Und heute während der abendlichen Durchsicht standen alle Untergebenen gerade und niemand wackelte, es kam auch nicht zu anderen Ausschreitungen. Die Information des Diensthabenden über die Kompanie, dass auf dem Dachboden fünf Soldaten eine spezielle Bestellung des Stellvertreters des Regimentskommandeurs erfüllen, nahm der Fähnrich persönlich zu Kenntnis. Guten Kisten aus der dicken Presspappe, die bei den Deutschen gestohlen worden war, brauchte auch der Oberstleutnant. Die erste Motorschützeneinheit innerhalb der mächtigen Gruppierung der sowjetischen Truppen setzte fort, in Ehren ihre internationale Pflicht zu erfüllen...
  Internationalist Kusnezow erschien nicht zum Frühstück, ihm schmerzte furchtbar der Kopf. Im Mund war es so unangenehm, dass es ihm schien, als ob dort jemand oder etwas Unerlaubtes gemacht hätte. Er zog die Decke vom seinem Kopf und führte langsam den Blick durch den Schlafraum. Niemand war da, das freute den Soldaten. Er streckte sich kräftig und schlief wieder ein, er schlief sehr fest. Alexander weckte man erst zum Mittagessen. Das tat Sergeant Pogossow, der vor kurzem den entlassenen Dubrowin ersetzte. Der Kommandeur hatte eine nicht zu verbergende Angst vor dem mächtigen Riesen. Er schüttelte den Schlafenden leicht an der Schulter und sagte leise:
  - Genosse Soldat Kusnezow, wach auf, wach auf... Bald ist die Besichtigung zum Mittagessen und du hast noch gar nicht gegessen...
  Die hellblasse Suppe, in der einen winziges Stückchen Fleisch und Teilchen von Kohl
  oder Kartoffeln von verdächtig dunkler Farbe schwammen, weckten beim Hungrigen keinen Appetit. Den Brei, der einen merkwürdigen Geruch hatte, schob er weg. Kusnezow schluckte ein Stück Brot und einen Becher Kissel hinunter und ging schnell aus der Kantine hinaus. Buchstäblich nach ein paar Minuten kam Ischakow zu ihm. Im Unterschied zu dem Riesen war der schlanke Kasache voller Kräfte und sah ganz frisch aus. Die Freunde warteten nicht auf die allgemeine Besichtigung der Kompanie, sie entschieden, sich ins kleine Raucherzimmer neben dem Haus der Offiziere zurückzuziehen. Die Bänkchen waren leer und deshalb ließen die "Landsmänner" ihren Gedanken freien Lauf und redeten über die gestrige Saufparty. Kusnezow erinnerte sich zu seinem Erstaunen nicht an alles vollständig. Die Mischung aus Wodka, Bier und Wein war vermutlich der Grund seiner "trüben" Erinnerungen. An die Szene der Schießerei aus dem automatischen Kalaschnikow Gewehr konnte sich der Riese nicht mehr erinnern. Etwas von gestern erzählte Ischakow dem Boxer. Dem Kasachen gefiel "die Lücke" des Sibiriers sehr, er hielt sich manchmal mit beiden Händen seinen Bauch vor Gelächter. Dabei schnalzte er laut mit der Zunge und sprach vertraulich:
  - Du bist ja einer, mein Freund... Ich füllte dir persönlich Patronen nach... Ich kann beschwören, dass du nach der Schießerei zur Zielscheibe gegangen bist und deinen Mund bis zu den Ohren hochgezogen hast, wenn eines der Geschosse ins Auge des Frosches getroffen hat...
  Dem von der Sauferei noch nicht zu sich gekommenen Riese sagte auch das nichts. Kusnezow sah den Kollegen angeschlagen an und seufzte mühsam. Manchmal nickte er unpassend mit dem Kopf, was bedeutete, dass seine Teilnahme in der Schießerei stattgefunden hatte oder vielleicht auch nicht. Nachdem sie genug geplaudert hatten, kehrten die Soldaten in die Anordnung der Kompanie. Vor dem Eingang in die Kaserne blieb Ischakow stehen und flüsterte froh lächelnd dem Riesen ins Ohr:
  - Sanj, höhr mal Sanj, am Sonnabend wird ein nicht schlechter Markt geöffnet... Wirst du hingehen? Und?... Ich werde gehen, weil wir bald 'die Beine fortbewegen' werden...
  Kusnezow gab keine Antwort, er lachte nur und nickte mit dem Kopf. Bis zum Freitag hatte der Riese geschuftet, er trug ohne jeden Eifer und Wunsch die Kisten mit der Munition aus dem Lagerhaus und lud sie auf den Wagen. "Den Dudelsack zogen" auch andere Militärangehörige, keine Ausnahme war auch der Älteste der Mannschaften in dieser Hinsicht. Der Fähnrich verbarg sogar seine Unzufriedenheit von den Untergebenen nicht. Der wohlgenährte "Diener" verschwand immer öfter in unbekannte Richtung, sein Vertreter war Soldat Kusnezow. Während der seltenen Anwesenheit schimpfte der alte Mann ständig nachdrücklich und dabei fluchte er auf die Leitung, die seiner Meinung nach schon seit langem den Befehl des Divisionskommandeurs von der Säuberung des Lagerhauses ausführen sollte.
  Der nächste Wunsch, den Dachboden zu besuchen, um die Birne zu klopfen, entstand bei Alexander erst am Freitagnachmittag. An diesen Tag und zu dieser Zeit beruhigte sich das Regiment augenblicklich, stand sogar still. "Die Sternchen" liefen nach Hause noch zum Mittagessen weg. Einige von ihnen verließen augenblicklich die Belegschaft und gingen mit den Frauen, manche auch allein in die deutschen Geschäfte. Die Soldaten liefen auch auseinander. Die Bewohner des Militärstädtchens konzentrierten sich in den Kasernen und in den Wohnungen erst spät am Abend. Auf dem Dachboden war niemand, das erfreute den jungen Mann sehr, er zog sich bis zu den Unterhosen schnell aus, schlüpfte in die Handschuhe und begann mit ganzer Kraft auf die Birne einzuschlagen. "Das Duell" war sehr kurz, Kusnezow "verreckte" blitzschnell. Seine Atmung setzte aus, ein unbekanntes Stechen in der Brust erschien, er beschloss, sich ein wenig auszuruhen. Er setzte sich auf einen leeren Kasten der Panzerabwehrgranaten, dann warf Alexander einen Blick in die Ecke, wo ein großes Schild aus dicken Kieferbrettern stand. Auf dem Schild war mit Kreide und Kohle ein großer Frosch gemalt. Den Soldaten interessierte die Zielscheibe sehr und er ging näher an das Schild heran. Der Versuch, eines der Geschosse aus den Augen des Frosches herauszuziehen, gelang nicht. Der Boxer, in der Hoffnung etwas Spitzes, vielleicht einen Nagel zu finden, blickte nach oben und erstarrte augenblicklich. In der Lücke zwischen einem breiten Brett und einem Dachziegel befand sich eine Patronentasche von einer Maschinenpistole. Der Soldat streckte sofort die Hand nach der Tasche aus, die war voll mit Patronen geladen. Der Riese schaute mit den Augen rundherum, auf dem Dachboden war niemand. Er überlegte nicht lange, zog seine Jacke an und steckte die Patronentasche sich schnell in die Hose...
  Am Samstag, eine Stunde nach dem Frühstück, verschwanden Ischakow und Kusnezow aus der Einheit. Keine Offiziere waren da und deshalb sprangen "die Selbstentlassene" ohne jede Probleme leicht über den Zaun. Zum Erstaunen des Sibiriers, einen Markt hinter dem Stacheldraht, wie er ihn von Isumrudnoje kannte, gab es hier nicht. Aber das entmutigte ihn anfänglich sogar sehr. Er hätte wahrscheinlich das alles aufgegeben, wenn nicht der Freund da gewesen wäre, der als Führer sicher galt. Die Soldaten schauten mit den Augen in alle vier Richtungen und wechselten von einem leichten Trab in den Lauf und bald befanden sie sich auf einem kleinen Weg, der sie zu einem ziemlich großen Wald brachte. Von ihm bis zur Einheit waren es etwa zwei Kilometer. Während des Laufes durch den Wald sprachen sie nicht. Ischakow als Führer, wie auch früher, ging voraus. Je weiter sie sich von der Einheit entfernten, desto unruhiger schlug Alexander das Herz. Der Soldat verstand bis zum Ende selbst seine Unruhe nicht. Aller Wahrscheinlichkeit nach war es die Angst vor der Möglichkeit, der Militärstreife in die Hände zu fallen. Das Kommando der Einheit und der Vereinigung war erschrocken wegen des steigernden Ausmaßes des Handels und der Landstreicherei der Untergebenen mit den Deutschen und deshalb vergrößerten sie fast jeden Tag die Anzahl der Streifen. Sie patroulieren innerhalb des Militärstädtchens und auch außerhalb seiner Grenzen. Die Selbstentlassenen wussten das sehr genau. In der Einheit gab es nicht eine Kontrolle, auf der man allerlei Spekulanten oder Schläger zur "Erziehung" nicht herausführte. Ein schlechtes Gewissen in der Seele des Sibiriers machten auch "die Spuren" von den Befehlen und den Instruktionen der Offiziere, die den Militärangehörigen streng verboten, Militäreigentum und Munition der deutschen Bevölkerung zu verkaufen. Kusnezow kannte den Inhalt der Befehle, wie auch wie viel wofür ihm droht. Aber gleichzeitig wusste er auch, dass es nicht immer so war. Jetzt kam ihm ein einzigartiger Fall in den Sinn. In der benachbarten Granatwerferbatterie hatte der Kommandeur während der Arbeiten auf dem Schießübungsplatz es fertiggebracht aus dem Automaten zwei Wildschweine zu erschießen. Die Soldaten ernährten sich mit dem Wildschweinfleisch eine ganze Woche. Ein Stellvertreter des Regimentskommandeurs kostete es auch und schmeckte ihm sehr. Aber als er von dem eigenmächtigen Abschuss der Wildschweine und noch dazu im deutschen Naturschutzgebiet erfahren hatte, rastete der Major sehr stark aus. Am Morgen stellte er die Minenwerfer zur Besichtigung auf und 'schiss' sie zusammen. Den Soldaten passierte nichts, aber der Zugführer wurde verwarnt. Dieser Fall brachte den Riesen auf den schlauen Gedanken: wenn man alle, die Gesetze der Sowjetischen Armee verstoßen, einsperren und bestrafen würde, so würden die führenden Grenzen des Sozialismus schon längst die Afrikaner schützten. Er zweifelte daran überhaupt nicht. Jetzt gab ihm dieser philosophische Gedanke Tapferkeit und Entschlossenheit. In seiner Entschlossenheit bestärkten ihn auch die sicheren Handlungen "Iwans Sussanins', der es fertig gebracht hatte, sich etwas anzuschaffen. Der Kasache hatte in seinem Kasernenzimmer für 'die Alten' einen anständigen Videorecorder und ein Paar neue Jeans. Kusnezow hatte bis jetzt von so einem "Wunder" überhaupt nicht geträumt. Bevor sie aus dem Wald hinausgegangen waren, blieb Ischakow stehen und lauschte. Dann flüsterte er leise zum Freund:
  - Kusnez, versteck dich hinter dem Busch und warte auf mich... Hast du mich verstanden, Landsfreund? Alles andere werde ich selbst machen... Einer bekommt weniger für das Verbrechen als wenn man es in Gruppe tut...
  Dem Riesen blieb bei diesen Worten 'des Sussanins' fast das Herz stehen. Der einst großen Optimismus war wie mit der Zunge einer Kuh weggewischt. Den breiten Rücken überzog Gänsehaut. Kusnezow wollte den Kollegen an der Hand greifen und ihn bitten, auf die Idee mit diesem Markt zu verzichten. In diesem Wald sah er aus irgendeinem Grunde weder Verkäufer noch Käufer. Nachdem der Kasache die Verwirrung des Landsmannes gespürt hatte, verwandelte er sich ins Gegenteil, wurde sogar mobilisierter. Er, wie ein Führer irgendwelchen Stammes, machte ein mutiges Gesicht und sagte mit Mahnung halblaut:
  - Du, Meister, hab keine Angst. Wir und die Deutschen haben seit langem alles im Griff... Früher war es einfacher, jetzt ist es etwas schwieriger... Unsere Mündel, wenn sie auch in den Bierkneipen über die Demokratie rumschreien, verpassen die Möglichkeit jedoch nicht, sich an der kostenlosen russischen Futterkrippe zu bereichern... Ich sage ihnen dafür trotzdem Danke...
  Danach lächelte er und ging entschlossen in Richtung eines kleinen Häuschens, das schon deutlich zu erkennen war. In der linken Hand trug Ischakow ein schwarzes Plastesäckchen, in dem sich die volle Patronentasche vom der Kalaschnikow befand. Was der Organisator des Handels persönlich für den Verkauf dabei hatte, wusste der Riese nicht. Und wollte es auch nicht wissen. Eine halbe Stunde verging. Ischakow war verschwunden. Kusnezow fing an nervös zu werden, er schaute aufmerksam auf den schmalen Weg, auf dem sein Kollege weggegangen war. Manchmal hielt er den Atem an und lauschte jedem Geräusch, das im Wald erklang. Ischakow kam zur verzweigten Kiefer lautlos wie ein Luchs. "Der Händler" kam mit einer großen roten Tasche, die etwas an einen Soldatenrucksack erinnerte. Er erholte sich ein wenig, danach ließ er sich langsam auf die Knie herunter und zog aus der Tasche ein kleines Tonbandgerät heraus. Als er die erstaunten Augen des Riesen bemerkte, der sich von solcher Wundertechnik sogar gesetzt hatte, sagte der Kleine ruhig:
  - Mein Landsfreund, du hast sehr viel Glück gehabt... Der Hausherr war heute nicht zu Hause, es war nur sein Sohn da, der wahrscheinlich die Kunst des Handels noch nicht begriffen hat... Mit einem Wort, du bekommst das Tonbandgerät... Später, irgendwann wirst du mir noch zuzahlen.
  Kusnezow konnte nichts antworten, er schwieg und streichelte zart mit den Händen das schwarze Tonbandgerät. Er hielt so ein "Märchen" zum ersten Mal in seinem Leben in den Händen...
  Nach einem Monat hatte Soldat Kusnezow in seinem Versteck schon neue Jeans, neue Schuhe und sogar ein braunen Anzug. Er hatte diese Klamotten eines Tages auf dem Markt bei einer dicken Deutschen gekauft. Die Frau verkaufte mit großen Vergnügen die guten Sachen des verstorbenen Sohnes an zwei Burschen in Jogginganzügen, die anstelle des Geldes ihr einen ganzen Rucksack Büchsenfleisches sowjetischer Produktion angeboten hatten. Daran, dass die Verkäufer von Nahrung russische Soldaten waren, zweifelte die Frau überhaupt nicht. Wie sie auch wusste, dass sie für ihre Klamotten von Deutschen nur Zehn Mark bekommen hätte, und das war auch noch die Frage... Diesen seinen Kauf, wie auch alle nachfolgenden, machte Alexander nicht ohne die aktive Beteiligung Farids, der niemals vergaß, vor ihm mit dem "kommerziellen" Verstand zu prahlen. Gerade am Tag des erfolgreichsten Kaufes erfuhr Alexander den Namen seines Freundes zum ersten Mal. In Neidjonowka und überhaupt während seines Zivillebens nannte er sehr selten irgendjemanden mit dem Namen. Unter der Jugendlichen war es aus irgendeinem Grunde nicht üblich. Tatsächlich hatte jeder einen Spitznamen, auch wenn er einem nicht gefiel. Aber Kusnezow hatten alle seine Spitznamen gefallen. Wie man ihn im Zivilleben nur nicht genannt hatte! Er war Kusja, der Schmied, der Starke, der Riese und sogar der Idiot. Den letzten Spitznamen hatte ihm noch in der Schule die Klassenschönheit Nadjka Sidorowa während einer Kontrollarbeit in Mathematik versucht anzuhängen. Sie hatte die Arbeit schon geschrieben und saß mit einem klugen Ausdruck des Gesichtes und wartete auf das Klingeln. Auf die Bitten von Sanjka, dem Riesen, die Lösung der letzten Aufgabe abzuschreiben zu lassen, reagierte die Schülerin gar nicht. Er ertrug es nicht und zog sie boshaft am Zopf. Die Beleidigte drehte sich mit Tränen in den Augen zu dem Buben, der auf der Schulbank hinter ihr saß, um und sagte laut:
  - Genosse Kusnezow, ich dachte nicht, dass du in der Tat ein Vollidiot bist... Nicht umsonst sagten mir das meine Eltern...
  Sanjka sprach mit der besten Schülerin eine ganze Woche nicht, aber er veranstaltete auch keine Auseinandersetzungen mehr mit ihr. Den Buben ließ man am selben Tag in das Direktorenzimmer kommen. Hier prüfte die Mathelehrerin seine Kontrollarbeit und bewertete sie mit einer fetten Zwei.
  "Der Armeegeschäftsmann" Ischakow hatte den Vornamen Farid von den Eltern zu Ehren des Großvaters bekommen, der Anfang der fünfziger Jahre nach der Komsomoleinweisung nach Kasachstan zu Neulanderschließung gekommen war. Er war einer der Ersten, der mit seinen Händen den zentralen Hof des Sowchos "Molodeshnyj" aufbauten. Nach einem Jahr fand im neuen Haus eine Komsomolhochzeit des jungen Tataren Farid und der jungen Kasachin Guljnara statt...
  Es kam der Dezember, der letzte Monat des Jahres. Das Motorschießregiment blieb an Ort und Stelle. Die Agiotage anlässlich des baldigen 'Hinaustragen von Beinen' wurde auf eine gewisse Zeit wieder still, jedoch brodelte das Leben im Militärstädtchen und ähnelte einem Vulkan oder einem tobenden Ozean.
  Grund waren die in der Sowjetunion, die die letzten Tage und Stunden ihres Existierens erlebte, vor sich gehende Ereignisse. Am 8. Dezember 1991 haben in den Beloweschski- Wälder die Regierung Russlands, Weißrusslands und der Ukraine eine Erklärung über die Liquidation der Union der Sowjetischen Sozialistischen Republiken unterzeichnet. Am 25. Dezember unterschrieb der Präsident der UdSSR, Gorbatschow, seinen Rücktritt. Im Kreml wurde die sowjetische Fahne eingeholt. Am 26. Dezember 1991 hatte die Sowjetunion die Existenz aufgegeben...
  Die Bewohner des Militärstädtchens besprachen das Geschehen in ihrer Heimat vom Morgen bis zum Abend. Niemand wusste, was dort in Wirklichkeit geschehen war und warum wurde das einst so mächtige Bündnis der gleichberechtigten Republiken so schnell zerstört. Besonders hitzige Debatten fanden unter den Offizieren statt, die sich in den Raucherzimmern oder in den Kanzleien versammelten. Unter ihnen waren sowohl Optimisten, als Skeptiker bezüglich der Perspektiven des zerfallenen Bündnisses. Es gab keine einhellige Meinung, auch es keine gleichen Möglichkeiten für sie für den Kauf von allerlei Sachen, Klamotten, die es in Deutschland gab. Die Anschaffungen nach dem Zerfall der großen Macht hatten eine besondere Aktualität und Bedeutung erhalten.
  Die Maßstäbe für den Kauf von Autos und Klamotten durch Kommandeuren und den Vorgesetzten hing von ihrer Besoldung oder ihren Beziehungen ab. Und das alles hing in erster Linie von der Anzahl und dem Umfang der Sterne auf den Schulterstücken ab. Je höher der Vorgesetzte stand, desto mehr 'besorgte' er. Über die Habgier des Kommandeurs der Einheit, den jungen Oberstleutnant Sljunjkow und seine Frau, gingen im Militärstädtchen verschiedene Gerüchte und Klatsch herum. Die Mehrheit glaubte an die Gerüchte über die älteren Offiziere. Alle wussten genau, dass der Glatzkopf während seines Urlaubes einen fast neuen "Mercedes" über die Grenze weggebracht hatte. Dann erschien in der Einheit ein niemandem bekannter Russe, der ohne jede Hindernisse auf einer neuen "Honda" mit deutschen Kennzeichen auf das Territorium des Militärstädtchens fuhr. Die Staatsangehörigkeit des Freundes des Glatzkopfes erkannte der Diensthabende des Kontrollpunktes, als er seine Dokumente geprüft hatte. Der Besucher widersetzte sich der Kontrolle heftig, drohte allen mit der Abrechnung seitens des Kommandeurs der Einheit. Er fluchte sogar ein paar Mal. Es ist nicht bekannt, wie es ausgegangen wäre, wenn nicht der Diensthabende der Einheit erschienen wäre. Auf seinen Befehl wurde die Wache gerufen. Der Wachhabende und zwei Soldaten fesselten schnell die Zivilperson und steckten sie ohne Probleme in den Kofferraum des eigenen Wagens. Sljunjkow erschien in der Einheit erst nach paar Stunden. Niemand wußte, wer der Gefangene für den Kommandeur der Einheit war. Niemanden interessierte es. Die politische Unruhe in den grenzenlosen Weiten der ehemaligen UdSSR erschrak die Bewohner des Militärstädtchens. Niemand wußte, wer und was sie in den wieder geschaffenen unabhängigen Ländern erwartete, die sich sofort auf den Trümmern des einst sowjetischen Imperiums gebildet hatten. Die Unsicherheit vor dem morgigen Tag zwang alle, durch ganz Deutschland zu laufen und sich einen Vorrat zu besorgen...
  Endlich entschied sich auch Hauptmann Makarow etwas "zu beschaffen". Er fing sogar an, nachts von einem Importauto zu träumen. Er wollte ein schönes Auto haben, auch Wika, die mit dem Neid eines Kindes auf die jungen Freundinnen schaute, die in den ausländischen Wagen zusammen mit den Vätern und mit den Müttern vorbeiflitzten. Der Automarkt befand sich in etwa zwanzig Kilometern von Dachbau und deshalb entschieden sich die Eheleute Makarow, Nützliches mit Angenehmen zu verbinden und fuhren mit den Fahrrädern. Der Entschluss, einen Wagen gerade in diesen Tag zu kaufen war endgültig und sie beabsichtigten für ihn die Fahrräder zu opfern. Auf dem Markt war ein ganzes Meer von Autos, sogar ein Ozean. Vor den Augen der Russen flimmerte ein Überfluss allerlei Marken, Typen und Farben der Autos. Der Offizier mit der Militärfreundin suchte einen Wagen nach dem Geld aus und ging deshalb um die neuen Autos seitlich herum, um sich die Seele und das Herz nicht zu vergiften. Erst nach einer Stunde beschlossen sie, "zu landen" und wählten einen silbernen "Mercedes" aus. Alexander und Tatjana betasteten nicht nur mit den Händen die Karosserie des Wagens, sondern beklopften sie auch noch mit den Fäusten und sind auch in den Wagen hineingekrochen und haben das Lenkrad gedreht. Der junge Verkäufer beobachtete gleichgültig das Ehepaar, das russisch die Vorzüge und die Mängel des Wagens sehr laut besprach. Die Versuche Makarows, beim Besitzer den Preis des eisernen "Schönling" russisch als auch deutsch herauszukriegen, gingen mit einem Misserfolg zu Ende. Der Teenager lächelte nur als Antwort und brummte deutsch:
  - Einen Moment, einen Moment..., einen Moment, Genosse, einen Moment...
  Solch ein "Service" störte die Russen und sie entschieden sich, ein wenig auf dem Markt zu bummeln, hoffend, beim nächsten Wagen besser als bei jenem "zu landen", deren Preis sie nicht herausfinden konnten. Aber leider... Ein Wagen nach ihrem Geld war nicht da. Nach einer halben Stunde haben die Makarows sich wieder dem silbernen "Merc" genähert und sich sehr gefreut. Neben dem ausländischen Wagen stand ein ältere Deutsche, der Großvater des Teenagers. Er war sehr mager und kleinwüchsig. Alexander begrüßte den Alten auf Deutsch und fragte dann auch Deutsch nach dem Preis des Wagens. Es gab keine Reaktionen, nicht auf die Begrüßung, auch nicht auf die Frage. Der Käufer hat alles wieder nur russisch wiederholt, aber eine Antwort bekam er wieder nicht. Anstelle der Gesten oder irgendwelcher Zeichen der menschlichen Kommunikation sah das magere Wesen hasserfüllt von unten nach oben den an, der beabsichtigte, seinen Wagen zu kaufen. Jetzt entschied sich auch Tatjana, nach dem Preis zu fragen und nicht ohne Erfolg. Der Alte, wie auch vorher, schwieg weiter, aber immerhin tat er der Frau den Gefallen und hob seine magere Hand mit fünf ausgestreckten Fingern vor ihr Gesicht. Die Eheleute hatten die Geste des Deutschen zuerst nicht verstanden. Erst nach mehrfachem Bewegen der Hände, erkannten sie den Wert des eisernen "Pferdes". Fünf Tausend Mark hatte das Ehepaar nicht. Außerdem zweifelten sie überhaupt nicht daran, dass diese "Preisbildung" eindeutig hochgetrieben war. Der Deutsche hasste unheimlich die Russen. Die Makarows tätigten an diesem Tag doch einen Kauf. Noch vor Schließung des Marktes fanden sie einen "Opel-Rekord". Die Deutsche, die Besitzerin des Wagens, erwies sich als eine ruhige Frau und deshalb dauerte der Handel nicht sehr lange. Das Auto, das auf den deutschen Straßen hundertfünfzigtausend Kilometer gefahren war, kauften die Eheleute für Tausend Mark. Besonders Tatjana freute sich über den erfolgreichen Kauf. Sie saß auf dem Beifahrersitz neben ihrem Mann und sprach ununterbrochen, dass es ihr gelungen war, ganze zweihundert Mark herunterzuhandeln. Froh war auch Alexander, der manchmal die Blicke von der Straße nahm und leidenschaftlich die Lippen seiner geliebten Frau küsste. Am Abend versammelten sich die Besitzer des ausländischen Wagens am Familientisch. Voller Freude und Glücks waren in der kleinen Wohnung nicht nur die Erwachsenen. Ihre Tochter Wika saß wie ein Kreisel auf dem Stuhl und konnte ihre Bulette mit den Nudeln nicht aufessen. Der Kleinen war es nicht danach zu Mute. Sie erzählte dem Vater und der Mutter freudig davon, wie sehr es ihr im Auto, das ihre Eltern heute gekauft hatten, gefallen hatte zu sitzen. Manchmal lief das Mädchen auf den Balkon hinaus und warf Bonbonpapier nach unten. Ein Teil davon landete auf dem Dach des blauen ausländischen Autos, das war jetzt auch ihr Wagen. Wika konnte jetzt stolz ihr Näschen "hochheben", wenn sie an Petjka Scharkow vorbei spazieren ging, dessen Vater schon seit langem einen schwarzen "Honda" besaß. Die Eltern des glücklichen Kindes saßen noch lange am Tisch. Sie saßen auch noch, nachdem es schon fest eingeschlafen war. Der Vater und die Mutter von Wika Makarowa hatten etwas zu bereden, sich ihre Probleme und Freuden mitzuteilen. Der Kauf des Wagens verbesserte in irgendeiner Weise die Lebens- und Armeeprobleme des Hauptmanns Makarows. Jetzt hatte er ein Auto, obwohl es alt war, aber immerhin seins. Er hatte keine Angst mehr von allerlei Gerüchten über das schreckliche Überführen des Wagens durch Polen und Russland. Der Mann wusste, dass man bei Durchfahrt Schmiergeld geben müsste, manchmal auch mehr... Für das Glück der Tochter und der Frau war er an diesem Abend mit allem einverstanden und bereit, alles zu ertragen und zu erleben. Alexander, wie auch Tatjana, wussten sehr gut, dass ihnen das Glück niemand auf einem goldenen Tablett bringen würde. Sie hatten diese einzige Tochter und für sie waren sie bereit, nicht nur mit dem Kopf und den Händen zu arbeiten, sondern ihr Leben zu opfern...
  Das begonnene Jahr war für den Soldaten Kusnezow das Jahr der Entlassung. Irgendeine Veränderung in der Einheit und im Leben des Soldaten gab es nicht. Alles und alle im Städtchen faulenzten. Manche aus den Freunden und den Bekannten wurden entlassen. Besonders schwierig war der Abschied des Boxers von dem Sergeanten Ischakow. Den Dienstgrad "Sergeant" schenkte ihm zum Andenken der Landsmann Nasarbajew aus der Truppeneinheit des Regiments. Farid brachte die drei Streifen auf seine Schulterklappen an vor der letzten Besichtigung auf dem Platz, wo sich die "Entlassene" von den Militärfahnen der Einheit verabschiedeten. Der Bataillonskommandeur Major Siwolapow bemerkte die neuen Erkennungszeichen sogar trotz seiner geringer Größe, sagte jedoch nichts. Der Offizier wollte die Stimmung des Entlassenen nicht trüben. Und er selbst war satt von all dem Stressen mit den Untergebenen. Erst vor kurzem hatte er Ärger wegen einem Deserteur, der aus der zweiten Kompanie weggelaufen war. War weggelaufen und war wie vom Erdboden verschluckt. Siwolapow wurde auf den Teppich zum Kommandeur der Einheit gerufen, im Arbeitszimmer des Divisionskommandeurs war er sehr nervös. An jenem Tag standen beim General drei Bataillonskommandeure stramm, bei denen sich auch Deserteuren befunden hatten. Der junge General schimpfte sehr genüsslich die Untergebenen aus, vergaß auch nicht, einen Fluch hinzusetzen. Einer der Bataillonskommandeure, der graue Oberstleutnant, weinte sogar, weil der Kommandeur der Vereinigung von seiner dienstlichen Inkompetenz gesprochen hatte. Am Tag des Abschieds der Entlassenen herrschte fast sommerliches Wetter. Die Entlassenen flatterten wie Libellen durch die Einheit. Jeder wollte nach Hause, jeder baute seine Pläne für sein Zivilleben.
  Beim Abschied teilte auch Sergeant Ischakow seine Pläne mit. Er umarmte Kusnezow fest und sagte mit Tränen in den Augen:
  - Du, mein Landsmann, verzeih mir für jenen Brief... Ich wollte, ehrlich gesagt, dich überhaupt nicht kränken... Jetzt wartet meine Mutter auch auf mich...
  Dann schwieg er, die Tränen bedeckten immer mehr seine Augen. Alexander hielt seine Tränen auch nicht zurück. Ihm fiel die Trennung von Farid auch sehr schwer, von ihm hatte er sehr Vieles dazu gelernt.
  - Weißt du, Kusnez, - sagte Ischakow unter Tränen, - nach der Entlassung komm zu mir nach Kurkanaj... Komm ins Milizrevier, dort arbeitet ein Verwandter von mir. Er ist Major... Du sagst nur dem Diensthabenden, dass du von Ischakow kommst und alle Türen werden für dich offen sein... Und noch was. Ich wollte weglaufen, aber mir tun meine Mutter und Schwester Leid... Ich befürchte davor, dass sie dort für mich verantwortlich gemacht werden...
  Kusnezow antwortete nicht, er knutschte nur noch stärker mit seinen mächtigen Händen den kleinen und mageren Kasachen und lachte froh aus irgendeinem Grunde. Dann fasste er ihn blitzschnell unter die Ellbogen und warf ihn mit Kraft nach oben. Ischakow erschrak sogar vor Überraschung für ein paar Sekunden, aber später beruhigte er sich schon im Flug vom "Überfall ". Nach der Landung sagte er begeistert:
  - Also, du hast ja Kraft, Soldat Kusnez, also, du hast Kraft... So-o groß und so-o stark... Du solltest zu mir in die Stadt kommen und dich dem Boxen widmen. Wir hatten früher eine Boxerschule. Und Mädels finde ich für dich auch, komm nur.
  Der Wagen mit den Entlassenen fuhr aus der Einheit erst nach einer Stunde ab, nachdem sich die Freunde herzlich getrennt hatten. Der Kommandeur der Einheit prüfte sehr aufmerksam die Entlassungsdokumente, dann trat er mit einem Abschiedswort auf. Neben dem Kontrollpunkt der Einheit hatte sich inzwischen eine große Menge von Zuschauern versammelt. Alexander winkte Ischakow noch mal mit der Hand zu und rief laut:
  - Farid! Ich werde unbedingt zu dir kommen... Ich werde unbedingt kommen, warte auf mich im nächsten Sommer...
  Aus dem Wagen klang die bekannte Stimme:
  - Ich habe dich, Athlet, verstanden... Komm, ich werde auf dich warten, komm unbedingt...
  Kusnezow fiel der Abschied von seinem Freund sehr schwer und deshalb schlief er in dieser Nacht überhaupt nicht. Wenn er für ein paar Minuten auch einschlief, so hatte er Alpträume. Er träumte auch von seiner Mutter, die aus irgendeinem Grund am Rande des Abgrundes stand und betete. Einmal schlug sie ihren Sohn mit einem Birkenast ins Gesicht... Von diesen Alpträumen wurde es Alexander unheimlich und er hatte Angst, wieder einzuschlafen. Um überhaupt in die Panik von diesem Träumen nicht zu geraten, fing er an, den einzigen Brief von der Mutter in Gedanken durchzulesen. So hatte er es mehrmals getan. Er gab im Gedächtnis auch seinen Brief wieder, den er ganz vorkurzem abgesendet hatte. Das Schreiben in sein Neidjonowka war sehr kurz. Der Soldat hoffte, mehr und besser auf die Antwort seines Mütterchen zu schreiben. Er wusste sehr gut, dass sein Vater, was für Briefe schreiben betraf, sehr faul war. Kusnezow der Jüngere stellte sich für einen Augenblick vor, wie die Mutter mit seinem "Schreiben" durch das Dorf ging und allen von den Heldentaten des einzigen Sohnes erzählte, der in der ganzen Zeit seines Dienstes nur ein paar Mal auf dem Übungsplatz war. Alexander bemühte sich, die traurigen Gedanken zu verdrängen, die ihm von den Alpträumen eingeflößt worden, "der Alte" schaltete wieder auf den Abschied Ischakows um. Er begann erst jetzt, als erwachsen werdender Mann, nicht nur den Sinn zu verstehen, sondern auch die Kraft der Armeehärtung, der Armeefreundschaft zu empfinden. Alexander bezweifelte überhaupt nicht, dass Ischakow und andere Soldaten viel mehr ertragen mussten als er. In diesem System der Erniedrigung befand auch er sich. Nur dank seiner natürlichen Kraft und Größe hatte er weniger abbekommen...
  Dem nächsten Morgen begegnete Kusnezow ohne Interesse. Zum Frühstück ging er nicht, das Essen brachte ihm der Stubenälteste in der Kompanie. Im Bett bis zum Mittagessen zu liegen ließ man Alexander nicht, in der Einheit erschien der Kompaniechef. Der Riese fürchtete ihn sehr, nicht nur als Offizier, sondern auch als Boxer. Makarow kam gleich nach dem Frühstück und erklärte, dass im Klub der Soldaten in einer Stunde eine Vorlesung der Befehle stattfinden würde, danach würde über die Intrigen der Sonderdienste der westlichen Länder ein Film vorgeführt. Die "Alten" Soldaten gingen selbst bis zum Zentrum der kulturellen Massenarbeit, keine Ausnahme war auch Kusnezow. Bevor er in die Aula des Klubs ging, suchte der Soldat den Kompaniemaler, den Sergeanten Streljnikow, auf. Er machte die Anschauungsagitation in der Kompanie und "drehte" Filme den Soldaten. Die Landsmänner waren verschiedenen Aufrufs, aber das störte ihre Freundschaft überhaupt nicht. Andrej zählte zu der Kompanie des Hauptmanns Makarows, aber "diente" beim Vorgesetzten des Klubs. Der Dienst als Maler und Filmdreher war fast ein ziviler, aber war auch sehr schwer. 'Der Grünschnabel' kam selten in die Kompanie schlafen, er schlief mehr in seinem Malerzimmer. Ein Grund dafür war das dynamische Leben im Land. Der Vorgesetzte des Klubs schaffte es kaum, dem Untergebenen die verschiedensten Auszüge aus den großen Gedanken der leitenden Partei zu schreiben. Hauptmann Konowalow schlief selbst nicht selten umschlungen mit dem Soldaten und mit einem Satz verschiedener Pinsel, damit er am Morgen dem Vorgesetzte für politische Arbeit über die "Verewigung" der Verordnungen der Partei und der sowjetischen Regierung berichten konnte. Kusnezow war während seines Besuches beim Freund mehrfach Zeuge, wie der Politarbeiter gegen alles und alle loszog, was mit der Tat dieses oder jenes Hauptmitgliedes der Partei, in der er fast zwanzig Jahre Mitglied war, verbunden war. Nikolaj hatte das rote Büchlein des Mitgliedes der KPdSU noch in den Wänden der Bildungseinrichtung erhalten. Zur politischen Arbeit geriet er ganz zufällig. Seinen Dienst begann er im Amt des Kommandeurs des Panzerzuges. Zuerst ging alles normal, fast wie bei allen. Aber nach einem Jahr bekam er für eine Kleinigkeit, wie es ihm schien, eine Warnung von der Parteiführung. Den Konspekt für den Leiter der Gruppe der politischen Beschäftigungen schrieb seine Frau, die nicht nur eine gute Lebensgefährtin, sondern auch eine musterhaften Sekretärin zuerst war. Dann beging die Militärfreundin einen zufälligen Fehler, der für ihren Mann sehr teuer geworden war. Darüber, dass sie jede Woche 'der Kommunist der Streitkräfte' abschrieb, hatte die Neue der Frau des Stellvertreters des Kommandeurs des Panzerbataillons für politische Arbeit mitgeteilt. Am Morgen wurde der Absolventen der Bildungseinrichtung in die Kanzlei des Bataillons gerufen, nach einer Stunde hatten sie ihm im Parteibüro eine Abmahnung erteilt und aus der Kandidatenliste für den Posten des Kommandeurs der Panzerkompanie gestrichen. Der Name des politischen Blenders wurde auf fast jeder Parteiversammlung der Einheit genannt. In der jungen Familie begann Streiterei, als erste ertrug es Ljudmila nicht, sie fing an, ihren Mann zu betrügen. Der verheirateten Frau aus dem verherrlichten Transbaikalischen Militärbezirk gefiel der ledige Offizier aus der benachbarten Einheit. Der verliebte Hauptmann verbrauchte fast sein ganzes Dienstlohn für die Unterhaltung der neuen Freundin. Über das Fremdgehen seiner Ehegattin erfuhr Konowalow durch einen Soldaten, der den Militärdienst nicht weit vom Offiziershaus ausübte. Der Minenwerfer kam zu Ljudmila immer dann, wenn ihr Mann im Dienst war oder auf den Übungsplatz fuhr. Der Leutnant war manchmal paar Wochen weg. Der Panzerkommandeur entschied, den 'Hurensohn' grausam zu bestrafen. Einmal, während der Schießübungen, klagte er über heftiges Unwohlsein und meldete sich zum Arzt ab. Zur so einer späten Zeit erwartete seine Frau ihn auf keinen Fall, erwartete ihn auch ihr Liebhaber nicht. In dieser Nacht gab es im Offiziershaus eine große Auseinandersetzung und Krach. Der wütende Ehemann rechnete mit den nächtlichen Bewohnern der Wohnung grausam ab. Mit einem Bügeleisen, das ihm unter die Hände gekommen war, schlug er den Kopf der Frau durch und ihrem Liebhaber brach er den Kiefer. Am Morgen begannen gleich in zwei Einheiten Auseinandersetzungen. Konowalow bekam nach der Parteilinie eine strenge Abmahnung und der Regimentskommandeur bestrafte ihn auch. Nach ein paar Stunden fuhr der Kommandeur des Panzerzuges auf einem Panzer betrunken zum Stab der Einheit und fing an zu drohen, alles platt zu machen, wenn alle seine Abmahnungen nicht rückgängig gemacht werden. Eilig verdoppelte man die Anzahl der Wachen, um ihn zu beruhigen. Der Regimentskommandeur selbst holte für alle Fälle einen Panzer aus dem Park der Kampffahrzeuge und stellte ihn vor das Tor des Kontrollpunkts. Er fürchtete, dass sein Untergebener auf der schrecklichen Technik über die Grenze des Militärstädtchens fahren und auf die friedliche Bevölkerung sich stürzen könnte. Das passierte nicht und das Hindernis war überflüssig. Bis zum benachbarten Dorf war es viel zu weit, fast hundert Kilometer... Der einst musterhafte Kommunist, ging nach der Ausnüchterung "die Säuberung" in allen Parteiinstanzen durch. Die Kommunisten der Einheit unterstützten die Erklärung der Parteiorganisation des Panzerzuges einstimmig und sprachen dem Mitglied der KPdSU Genossen Konowalow einen strengen Verweis mit Eintragung in die Berechnungskarte aus. Die weitere Militärkarriere des Offiziers ging überhaupt schief. Fünf Jahre war er als Kommandeur des Panzerzuges tätig, dann schickten sie ihn in die Truppeneinheit des Artillerieregiments, das sich nicht weit von der türkischen Grenze befand. Blitzschnell vergingen zwei Jahre, hier wurde er auch zum Hauptmann befördert. Konowalow war mit seinem Schicksal am Ende endgültig zufrieden und war bereit, auf seinem Lieblingsstuhl mit dem Lederfutter bis zur Rente "die Hosen durchzureiben", aber es klappte nicht. Schuld hatte diesmal nicht seine ehemalige Frau, sondern sein untergeordneter Schreiber. Der Soldat legte bei der Erledigung der Personalakte des Stellvertreters des Kommandeurs der Einheit, der auf die Erhöhung wegging, zufällig oder mit Absicht die Parteicharakteristik nicht hinein. Es verging eine Woche. Der junge Heerführer telefonierte herum und interessierte sich für seine Dokumente. Aber als Antwort rief man den zukünftigen Regimentskommandeur zur Ruhe... Nach einem Monat übertrug man Konowalow das unbesetzte Amt des Vorgesetzten des Klubs, hier wurde seine schöne Handschrift nützlich...
  Mit dem Gespräch zwischen den Landsmännern wurde diesmal nichts. Der Vorgesetzte des Klubs störte sie. Kaum hatte er die Tür ins Zimmer des Malers geöffnet, als er schon losschimpfte, gerichtet an die Adresse des Untergebenen:
  - Du Grünschnabel, wieso kränkst du mich? Ich frage dich, warum hast du die Fahnen aus der Abstellkammer gestohlen? Wohin hast du, schlechter Abschaum, sie gebracht? Wo sind sie, frage ich dich, Genosse Sergeant?
  Der Maler, auch Filmdreher, sah auf die wütende Physiognomie des Chefs, aber antwortete nichts auf das Schimpfen. Er straffte sich, stand stramm und blinzelte mit den Augen. Die Art des unschuldigen Opfers brachte den Hauptmann ganz aus der Fassung. Der Offizier, die Fäuste vor der Nase des Sergeanten schwingend, schrie weiter:
  - Du, Missgeburt, hast sie wahrscheinlich den Deutschen verkauft... Diese Banner haben unsere Kompanien noch vom Neuland gebracht... Ich dachte, dass ich sie mir als Andenken nach Russland mitnehme...
  Aller Wahrscheinlichkeit nach begriff Sergeant Streljnikow nach dieser Schlussfolgerung erst tatsächlich, worum es ging und begann, auf das Schimpfen des Vorgesetzten zu antworten. Er stotterte wie ein Erstklässler mit leiser Stimme:
  - Auf keinen Fall, Genosse Haupt-man, ich nahm die Fah - nen nicht, Eh - ren - wort, ich nahm nichts... Und wozu könnte ich sie brauchen? ...
  Aber Konowalow beruhigte sich nicht und setzte fort ihn zu beschimpfen:
  - Ich bin hundert Prozent überzeugt, dass der Verlust der Banner auf dich zurückgeht... Wie konntest du, ein sowjetische Soldat, die Banner unserer Heimat fremden Menschen verkaufen?
  Der Gedanke des Vorgesetzten gefiel wahrscheinlich Andrej sehr und er entschied sich, bissig zu antworten:
  - Genosse Hauptmann, - flüsterte der Sergeant leise, - Sie sagen, dass ich ein Verräter bin und die Ehre unserer Heimat und meine Ehre verkauft habe... Keinesfalls, Genosse Hauptmann... Alles haben verraten und verkauft die, die ich Tag und Nacht male... Und Sie, Genosse Hauptmann, wissen und verstehen es besser als ich...
  Der "weise" Gedanke des Untergebenen brachte den Vorgesetzten des Klubs aus der Fassung. Er wurde hysterisch, schaute böse den Maler an und schrie aus vollem Halse:
  - Ach, du Hurensohn, stinkender Grünschnabel, du sprichst noch gegen die Politik unserer Regierung... Ich werde dich, Missgeburt, noch heute Abend einsperren lassen oder werde dich in die Abteilung "schweige - schweige" abgeben...
  Danach war dem Hauptmann der Wortschatz ausgegangen. Er sagte nichts mehr, und sah nur böse den Soldaten an, mit dem er Seite an Seite im Malerzimmer dutzende Nächte verbracht hatte. Die Auseinandersetzung zwischen dem Vorgesetzten und dem Untergebenen war sehr kurz. Der Offizier fluchte noch mehrfach und lief stürmisch hinaus. Nachdem die Tür geschlossen war, lachte der Maler laut auf und sagte unter Tränen:
  - Weißt du, Sanjok, ich habe diese Banner schon seit langem bemerkt. Sie lagen als 'toten' Kapital unter der Pressepappe in der Vorratskammer. Der Gedanke sie zu verkaufen kam mir vor einer Woche, als mein Chef in einer Sitzung war. Die Deutschen haben sich wegen dieser Lappen fast geschlagen... Es ist schade, dass ich sie etwas zu billig verkauft habe...
  Es waren noch keine fünf Minuten nach dem Zusammenstoß vergangen, als jemand an der Tür zum Maler klopfte. Die Tür öffnete sich langsam und der Kopf des Briefträgers erschien. Der magere Soldat, der aussah, als hätte man ihm jahrelang nichts zu Essen gegeben, machte sehr vorsichtig einige Schritte in Richtung Kusnezow und flüsterte einschmeichelnd:
  - Starker, für dich ist ein Brief gekommen, aber ohne Vorname... Ich habe speziell auf deine Ankunft gewartet... Bei uns im Regiment gibt's mehr als Zehn Kusnezows... Vielleicht ist dieser Brief für dich...
  Der Athlet freute sich sehr über die Nachricht des Briefträgers. Nach seiner Rechnung hätte er eine Antwort von der Mutter schon mindesten vor einem Monat bekommen müssen. Die Handschrift des Absenders auf dem Briefumschlag war Alexander unbekannt, deshalb gab er ohne jedes Bedauern den Brief zurück. Aber plötzlich stieg ein unbekanntes Gefühl in seinen Kopf auf und aus irgendeinem Grund zog sich sein Herz unerwartet zusammen. Der Gedanke, dass es möglich war, dass etwas Schreckliches mit seiner Mutter oder mit dem Vater passiert sein konnte, ließ den Soldaten furchtbar erschrecken. Er entriss schnell den Brief den Händen des Regimentskameraden und öffnete ihn. Je mehr er las, desto schneller verließen die Kräfte den mächtigen Burschen. Kusnezow sah niemanden mehr, er rannte stürmisch aus dem Malerzimmer. Wenigen Minuten später sprang er über den Zaun und befand sich im Wald. Hier ließ er den Tränen freien Lauf...
  Der Inhalt des Briefes, den die Dorfbriefträgerin dem Soldaten geschrieben hatte, war sehr tragisch. Das Weib Schura Leschtschewa teilte ihm den Tod seiner Mutter mit. Antonida kam im März um, rein zufällig. Die Frau war wie immer nach Trinkwasser zum Wasserturm gegangen. Sie ging mit dem Wasser, um den Weg nach Hause abzukürzen, durch ein Wäldchen. Auf dem Weg fiel sie in einen alten Brunnen, den man aus Schlamperei nicht zugeschüttet hatte. Die Dorfbewohnerin wusste über diesen Brunnen sehr gut Bescheid, aber sie hatte sich an der Stelle geirrt, wo er sich befand. Der Schnee hatte auch die tiefe Grube gründlich zugeschneit. Antonida fanden sie nach zwei Tagen. Die Verstorbene lag drei Tage zu Hause, alle warteten auf ihren einzigen Sohn aus dem fernen Deutschland. Den Soldaten versuchte der Verwalter zu benachrichtigen, er hatte das Militärkommissariat angerufen. Dort versprachen sie zu helfen, aber haben nichts unternommen. Der Militärkommissar hielt einen Versuch für erfolglos, weil viele Soldaten-Internationalisten nach Osten losmarschiert waren. Und eine genaue Adresse des Sibiriers gab es im Militärkommissariat auch nicht. Aus diesem Grund konnte Alexander seine Mutter nicht auf ihrem letzten Weg begleiten. Die Briefträgerin hatte zu Hause rein zufällig den Briefumschlag der Mutter an den Soldaten gefunden, wo sie einst mit dem Bleistift den Briefumschlag beschrieben hatte. Die Alte fand diesen Briefumschlag einen Monat nach Antonidas Tod und beschloss, sofort ihrem Sohn zu schreiben. Am Ende des Briefes teilte das Weib Schura mit, dass Neidjonowka ganz zerstört wäre, nur noch kranke und alte Bewohner dort geblieben wären. Sie hat auch die Deutschen aus dem Dorf erwähnt, sie waren alle nach einem guten Leben nach Deutschland weggegangen. Am Ende des Briefes war ein Nachsatz, dass die Verstorbene ihren Nikolaj nur für kurze Zeit überlebt hatte... Und noch etwas... Antonida war unheimlich gekränkt wegen ihres Herzchens, das ihr keine Nachricht aus dem fernen Deutschland geschickt hatte...
  Der Brief schockierte den Soldaten, er schottete sich auf eine gewisse Zeit von der Außenwelt ab. Kusnezow wollte auf keine Weise dem glauben, was die Alte geschrieben hatte. Der Sohn glaubte nicht, dass seine Mutter gestorben war und dass er sie niemals mehr im Leben wiedersehen würde. Er glaubte auch nicht an den Tod des Vaters, der immer gesund war, obwohl er oft getrunken hatte. Der jüngere Kusnezow verzieh seinem Vater die Saufereien. Verzieh, weil dieser Mann, obwohl ein Trinker, aber sein Vater war, ein naher Mensch, der es ihm ermöglicht hatte, auf dieser Erde zu erscheinen. Ungeachtet der schlechten Seiten des Vaters hatte der Bub auch schon als erwachsener Bursche niemals beabsichtigt, ihn gegen einen anderen Mann "einzutauschen". Er liebte ihn so wie er war... Kusnezow kam in die Kaserne sehr spät, alle schliefen schon. Er schlich sich an dem schlafenden Stubenältesten vorbei und zog sich schnell aus. Schlafen wollte er nicht, im Kopf machten sich verschiedene furchtbare Gedanken breit, ein Gedanke grausamer als der andere. In den Schläfen klopften sehr stark irgendwelche Hämmerchen, die, wie es ihm schien, seinen Schädel in kleine Teile gleich zerstückeln würden. Die Tränen flossen immer wieder aus den Augen des Soldaten auf das Kissen. Von den Tränen wurde es bald feucht. Je mehr Alexander über den Brief nachdachte, desto mehr kam er zu schrecklichen Schlussfolgerungen, denen er auf keine Weise zustimmen wollte. Er war erst zwanzig Jahre alt, aber er hatte schon keine Mutter, auch keinen Vater mehr. Er war auf dieser riesigen Erde allein, allein, wie ein armes Sandkorn. Und dieses Sandkorn brauchte nach dem Tod der Eltern niemand. Der Soldat ging wieder und wieder in Gedanken den Brief vom Weib Schura durch und konnte es nicht verstehen, wieso die Mutter ihm über den Tod des Vaters nicht früher geschrieben hatte. Er verstand auch nicht, warum sie seinen Brief nicht bekommen hatte. Er hatte ihr geschrieben, wenn auch sehr spät, aber eine Antwort hatte er seiner Mutter doch gegeben. Das Schreiben des einzigen Sohnes war sehr kurz, aber die Eltern hätten sich trotzdem sehr gefreut. Daran zweifelte der Riese überhaupt nicht. Er verstand erst in der Armee den Wert der kurzen Nachricht aus der Heimat, ganz zu schweigen von den Briefen der Eltern, bei denen immer und überall das Herz für das liebste Kind weh tat...
  Der Soldat und das Weib Schura wussten nicht, dass der Grund des Verschwindens des Briefes des Soldaten der Streik der Postarbeiter der zerstörten Sowjetunion war. Den Leuten hatte man einige Monate den Lohn nicht ausgezahlt. Deshalb kamen viele Briefe bei den Empfängern nicht an...
  Ebenfalls keinen Optimismus fügte dem Soldaten auch die Nachricht der Großmutter-Briefträgerin über das Leben in Neidjonowka hinzu. Alexander wusste schon früher, in welcher Not die Dorfbewohner lebten. Die Bauer starben schnell und unmerklich wie die Fliegen aus. Von den furchtbaren Erinnerungen durchlief seinen Körper Gänsehaut, das Herz schlug beunruhigt. Den einschlafenden Soldaten freute es, dass Polinka Kraut aus ihrem Dorf nach Deutschland ausgereist war. In dieser Nacht träumte er von ihr und küsste sie sogar leidenschaftlich. Sie bat Sanjka, für immer bei ihr zu bleiben...
  
  
  
  Kapitel zwei. Der Teufelsentschluss.
  
  Der Wunsch, in Deutschland zu bleiben, für immer hier zu bleiben, tauchte bei dem Soldaten Alexander Kusnezow irgendwie unerwartet auf. Die Hauptsache war wahrscheinlich der furchtbare Brief aus seinem Heimatdorf. Je öfter er über sein Unglück nachdachte, desto mehr häuften sich in seinem Kopf seltsame Gedanken, die sich während seines Wehrdienstes angehäuft hatten. Alles wurde auf eins zurückgeführt: das Leben in der ehemaligen DDR und in dem vereinigtem Deutschland war viel besser als in Neidjonowka oder in Isumrudnoje. Der ziemlich kluge und ernste Fähnrich Tschernow, der das ganze Land in seiner Länge und Breite durchgekehrt hatte, sah hier auch nichts Schlechtes. Öl ins Feuer goss auch noch Ischakow.
  Farid hatte auch nichts dagegen, sich in diesem Land unterzulassen. Alexander war selbst Zeuge, wie einer aus den Offizieren, der versetzt wurde, mit Tränen in den Augen dieses, wenn bei weitem auch kein paradiesisches, aber doch das Herz und die Seele erfreuendes Eckchen der Erde verließ.
  Viele Soldaten-Internationalisten wollten in diesem Land leben, aber nur einige von ihnen wagten es zu riskieren. Nicht nur, weil diese Einzelne Egoisten waren oder hatten größere Möglichkeiten als tausende oder zehntausende Andere, die gut essen wollten. Nein, der Grund dieses Mutes war ganz woanders. Die jungen Männer, die keine Lebenserfahrung hatten und die Deutschen nur durch die Fenster der Kasernen sahen, die hinter hohen Zäunen sich befanden, waren sich des Preises des erwünschten Paradieses nicht bewußt. Der Weg zu diesem Paradies, manchmal auch verschönertem, war dornig und forderte nicht nur viele Nerven. In Wirklichkeit bedeutete es die Fahnenflucht, sogar Verrat der sozialistischen Heimat. Kusnezow wurde es von diesen Gedanken heiß. Vor den Augen tauchte gezwungenermaßen die Episode des Ablegens des Militäreides auf. An diesem Tag hatte er zum ersten Mal im Leben eine Auszeichnung von dem Kommandeur der Kompanie erhalten. Für die Interessen der heiligen russischen Erde, für eine bessere Zukunft Alexanders, hatte sein Urgroßvater auf dem Schlachtfeld das junge Leben gelassen. Von diesen Gedanken wurde es in seiner Seele noch "trüber".
  Das Grab seines Urgroßvaters hatte er auch nicht gefunden, obwohl die Mutter ihn ausdrücklich darum gebeten hatte. Er vergaß auch nicht, in seinen Gedanken versunken, den Auftrag des Vaters, der Sanjka lehrte, immer ehrlich zu leben und zu arbeiten und mit Ehre zu dienen. Alexander wusste dabei auch genau, was ihm für die Fahnenflucht und für den Verrat der Heimat drohen würde. Darüber summten die Offiziere wie die Fliegen in jeder Sitzung. In der Einheit legten sie für alle und alles Unterlagen an, um den Strom der Deserteure zu verringern. Unterschrieben hatten die Papiere nicht nur die Militärangehörigen, sondern auch die Mitglieder ihrer Familien. In der sowjetischen Einheit, die sich am Rande der deutschen Stadt Dachbau befand, gab es wenige Deserteure, nur fünf. Einer der Entlaufenen kam sogar wieder zurück, den Sergeanten hatten die Deutschen festgenommen. Bei den Erinnerungen an die Polizei schüttelte sich der Riese zwangsläufig.
  Die Bemühungen der Motorschützen, selbst die Deserteure zu fangen, waren fast immer erfolglos. Über den professionellen "Spürsinn" der Polizei des sozialistischen Deutschlands rankten sich unter den sowjetischen Militärangehörigen ganze Legenden. Aus der Einheit war vor dreißig Jahre ein Schreiber weggelaufen, unsere suchten ihn eine ganze Woche. Tausende Soldaten liefen über die Feldern und Übungsplätzen, Tonnen von Benzin verbranten sie, alles war umsonst. Dann wandten sie sich an die Deutschen, die brachten den Entlaufenen nach fünf Stunden. Der "Arme" wohnte im Hotel im Norden der DDR und wollte nach Dänemark rüber schwimmen...
  Alexander hatte auch Angst von den Polizisten. Er sah die deutschen Wagen mit den Blinkern auf dem Territorium des Militärstädtchens ziemlich oft, und es schien ihm, als ob sein Herz stehen blieb. Aus Angst vor der Polizei verflüchtigten sich bei dem Riesen die Gedanken an eine Desertierung, verschwanden und kamen wieder...
  Den Entschluss zu fassen, wegzulaufen, um in diesem Land für immer zu bleiben, half Alexander ein nicht gewöhnlicher Zufall. Mitte Juni hatte die Kompanie des Hauptmanns Makarow den Wachdienst im Regiment übernommen. Zur Wache oder in die Küche hatte man Kusnezow nicht abgestellt. Der Hauptfeldwebel der Kompanie hatte ihn auf die Streife geschickt. Die Aufgabe der Streife bestand darin, nach dem äußerlichen Perimeter des Militärstädtchens und ein wenig außerhalb zu verkehren, um ein bisschen die Deutschen "mitzunehmen". Der Sibirier ging gern auf Streife und deshalb bereitete er sich besonders sorgfältig darauf vor. Eine halbe Stunde vor der Besichtigung sah die Regimentsberühmtheit hundert Prozent wie ein Schönling aus. Die Paradeuniform saß dem Soldaten so perfekt, dass der Helfer des Diensthabenden der Einheit sich nicht zurückhalten konnte und lobte ihn für die ausgezeichnete Vorbereitung auf die Streife.
  Nach der Besichtigung ging die vom Fähnrich geführte Streife bis zur Dunkelheit ziellos um das Militärstädtchen herum, manchmal gingen sie auf den Eisenbahnhof, wo sie aus dem Automaten Bonbons aßen. Den Militärangehörigen gefielen sehr die Sauberkeit und die Stille des kleinen deutschen Städtchens, in dem, kaum die Dunkelheit eingebrochen war, alles augenblicklich verstummte. Der Morgen verlief bei der Streife auch ohne außerordentliche Vorkommnisse. Außerhalb des Militärstädtchens hatte man keine Vorfälle eines Handels oder eines Diebstahls gesehen, sie hatten auch keine "Selbstentlassung" bemerkt...
  Ein außerordentlicher Vorfall passierte am hellichten Tag gegen zwölf Uhr. Das außergewöhnliche Vorkommnis war nach dem Inhalt ziemlich spezifisch. Daran waren weder die Bewohner des Militärstädtchens noch die ortsansässigen Deutschen beteiligt, sondern Deutsche aus der Sowjetunion. Der Riese in der Militäruniform kannte vorher gar nicht diese Kategorie der Deutschen. In ihrer Neidjonowka gab es einzelne Deutsche, aber sie waren fast alle nach Deutschland ausgewandert. Das war damals alles an seinen Ohren vorbeigerauscht.
  Die Streife des Fähnrichs Grebnew handelte sehr organisiert und entschlossen, als sie auf dem Betonzaun eine hängende Frau sahen. Neben ihr stand ein junges Mädchen, das mit lauter Stimme 'der Aufsteigerin' Hinweise für den erfolgreichen Abstieg auf die Erde auf Deutsch gab. Die drei jungen und starken Burschen stürmten augenblicklich zum Ereignisort. So sie gestürmt waren, blieben sie auch gleich stehen. Ein Grund dafür war die deutsche Sprache. Dass die junge Person deutsch sprach, bezweifelte niemand von den Militärs. Wie niemand auch daran zweifelte, dass die Hinweise der Deutschen für sie ein Geheimnis waren, weil sie die Sprache des Landes des Aufenthaltes nicht beherrschten. Den Bewohnern der Militärstädtchen war es aufs allerstrengste verboten, in irgendwelche Konflikte mit der dortigen Bevölkerung zu treten. Der Vorgesetzte der Streife beabsichtigte schon, einen Boten zum Diensthabenden der Einheit wegen der Berücksichtigung der strengen Hinweise von Oben zu schicken, um den Hauptmann über den nächsten Angriff der Deutschen auf das sozialistische Eigentum zu informieren. Aber die ziemlich lustige Szene aus dem zivilen Leben siegte.
  Die Militärs begannen sich langsam in Richtung Frauen zu bewegen. 'Die Aufsteigerin', die auf dem Kamm des Zaunes saß, war sehr dick. Wahrscheinlich hatte das große Gewicht oder die Angst sie gehindert, auf den Boden herabzusteigen. Erst als sie in die Militärs in die "Höhle" des außergewöhnlichen Vorkommnisses geraten waren, änderte sich gleich für die Militärs der Standpunkt. Sich auf den Boden herabzulassen, störte die Dicke weder ihr riesiges Gewicht, noch ihre großen Brüste und auch nicht ihre dicken Hintern, sondern die große schwarze Tasche, die sie in den Zähnen aus irgendeinem Grund hielt. Zwei Soldaten liefen schnell zum Zaun hoben vorsichtig die arme Frau runter. Nach der Ausführung der internationalen Pflicht haute es Kusnezow fast um, als er von der Frau die Worte der Dankbarkeit in Russisch hörte. Mit der russischsprachigen Deutschen ins Gespräch zu treten, verbot den Soldaten der Vorgesetzte der Streife. Der Fähnrich forderte die Frau auf, ihm die schwarze Tasche zu geben, in der, so vermutete er, sich Munition oder Waffen befinden könnten. Jene lehnte es höflich ab. Grebnew ging etwas rückwärts weg und dann bewegte er sich heftig auf die Dicke zu. Die Frau sprang wie eine Tigerin rückwärts weg, stolperte und fiel mit dem Rücken auf die Erde. Das nutzte der Vorgesetzte der Streife sofort aus, entriss sehr geschickt die Tasche aus den Händen der Unbekannten. Als der Fähnrich das Beweisstück hatte, bewegte er sich langsam in Richtung Kontrollpunkt der Einheit. Er kam nicht dazu keine zwei Schritte zu machen, als er hinter sich Fluche in seiner Muttersprache hörte. "Der Gewalttäter" bezweifelte überhaupt nicht, dass das alles ihm "gehörte". Grebnew drehte sich heftig zu der Dicken um und befahl mit lauter Stimme die Festnahme der Fluchenden.
  Zwei Streifen griffen die Frau schnell unter die Arme und fuhrten sie zum Diensthabenden der Einheit. Aber nach etwa zehn Meter gerieten die Soldaten in Verlegenheit. Die Vertreterin des schwachen Geschlechtes ließ sich plötzlich auf die Erde runter und fing wieder an, den Vorgesetzten der Streife zu beschimpfen:
  - Du Fähnrich, du Dicker, dir ist alles zu wenig, alles stiehlst du und du bist ein Säufer... Ich hatte auch so einen Dummkopf... Dem Gott sein Dank, dass er ihn zu sich genommen hat.
  Die Unbekannte blieb weiter auf der Erde sitzen und beschimpfte die Militärs. Die Streifen standen verwirrt neben dem Opfer und warteten auf die Hinweise des Vorgesetzten. Jener erstarrt auch für einen Moment und sah aus irgendeinem Grund ohne jegliche Aufmerksamkeit auf die Abenteuer der dicken Person. Aller Wahrscheinlichkeit nach hätte die Frau sich auch beruhigt, wenn nicht das junge Mädchen gewesen wäre. Bis jetzt war sie keine Quelle einer erhöhten Gefahr für die Militärangehörigen, das Mädchen beobachtete nur von der Seite das Geschehen leise. Aber plötzlich warf sie sich auf den sehr großen Soldaten und glitt heftig mit der Hand über sein Gesicht. Auf der Wange Kusnezows zeigte sich augenblicklich Blut... Eine weitere Zwangsvollstreckung erlaubte der Kämpfer-Internationalist nicht. Er fasste mit beiden Händen die Kämpferin um die Taille und warf sie mit Kraft auf den Zaun. Zum Glück passierte das alles ohne Verletzungen und Herunterfallen. Das Mädchen wusste wahrscheinlich selbst nicht, wie sie es geschafft hatte, bei so einem festen Griff sich mit beiden Händen an der Mauer festzuklammern. Als Kusnezow die junge Person auf dem Zaun sah, die darauf ganz bequem saß, lachte der Riese froh. Das Lachen des Soldaten verärgerte "das Adlerweibchen" nur noch mehr. Sie wusste vermutlich, dass es den Soldaten verboten war, den Fäusten freien Lauf zu lassen, deshalb entschied sie sich, sie um jeden Preis zertreten. Die junge 'Aufsteigerin' beklagte sich auch laut, wie die Dicke, erst fünf Minuten später:
  - Ihr armen stinkenden Untergebene... Ich hörte und las über euch viel... Die Wahrheit sagen die Deutschen über euch, dass ihr in den Rudeln durch die Wälder lauft und stinkenden Brei fresst... Habt die Frauen überfallen, selbst bekommt ihr wahrscheinlich jeden Tag eins auf die Schnauze von den "Alten". Von den Militärs hörte niemand zu, was das junge Mädchen redete. Fähnrich Grebnew überließ die Opfer des schwachen Geschlechtes dem Schutz der Soldaten und er ging selber mit schnellen Schritten in Richtung des Kontrollpunkts. Nach ca. zehn Minuten erschien der Wachhabende mit zwei bewaffneten Soldaten. Als die Dicke das ernste Gesicht des jungen Leutnants sah, sprang sie augenblicklich vom Boden auf und folgte ruhig dem Offizier. An ihren beiden Seiten gingen die bewaffneten Wachen. Dicht auf den Fersen der Dicken folgte das junge "Adlerweibchen", das nicht ohne Hilfe Kusnezows 'gelandet' war. Im Raum des Diensthabenden der Einheit erfuhren die Streifen von den neuen Abenteuern, deren Hauptfiguren Russlandsdeutschen waren. Vor Hauptmann Makarow standen zwei Männer. Sie standen und schauten, wie betroffene Schüler nach unten sich ihre Füsse an. In der Ecke auf dem Stuhl saß ein Bub, der etwa zehn Jahre alt war, viellecht auch ein bisschen älter. Neben ihm stand eine Frau. Der Offizier war über die Ankunft der nächsten russischsprachigen Verbrecherin sehr erfreut, er schickte die Soldaten aus dem Kontrollpunkt schnell hinaus und schloss dicht hinter sich die Tür...
  Der erzieherische Prozess der Zivilpersonen beim Diensthabenden der Einheit zog sich hin, ca. eine Stunde war schon vergangen. Die Streifen hatten es schon satt, neben dem Kontrollpunkt zu warten. Kusnezows Partner wollte unbedingt etwas trinken und bot dem Riese an, in die Soldaten-Gaststätte zu gehen, um dort paar Schlucken Kissel oder Kompott zu bekommen. Die Soldaten teilten mit großem Vergnügen brüderlich eine halbe Teekanne Kissel und kamen noch dazu, mit dem Brotschneider ein wenig zu plaudern. Ein paar Minuten nach der Ankunft der Streifen öffnete sich die Tür des Kontrollpunktes und der Kopf des Hauptmanns Makarows tauchte auf. Als er Kusnezow sah, der beabsichtigte in den Soldaten Klub "zu entkommen", sagte er streng:
  -Soldat Kusnezow, begleiten Sie die Zivilpersonen durch den Kontrollpunkt und später berichten Sie mir...
  Nach diesen Worten ist der Kopf des Offiziers so schnell wie er auch erschienen war verschwunden. Die Bürger kamen aus dem Raum des Diensthabenden der Einheit nicht sofort heraus, sondern erst nach etwa fünf Minuten. Beim Erscheinen der Aussiedler zog Kusnezow den Riemen enger und zog Bauch ein, dann ging er mit einem ernsten Gesicht entschlossen in Richtung des Kontrollpunkts. Zwei Männer, drei Frauen und der Bub folgten ihm ergeben. Der Soldat entschied sich, die Russlanddeutschen bis zur Parkhaltestelle, die neben dem Eisenbahnbahnhof war, zu begleiten. Bis dorthin brauchte man zehn Minuten, nicht mehr. Zuerst fürchteten sich die Zivilpersonen vor dem großen und ziemlich starken Militär. Aber nach etwa zehn Meter vom Kontrollpunkt "rastete"einer von ihnen aus. Ausgerastet war der kleine, schlanke, sogar dünne Mann. Dem Soldaten schien es, dass dieser Typ erst vor kurzem aus dem Konzentrationslager gekommen war. Dazu, aus ihm unverständlichen Gründen, hatte der Dünne eine Kaninchenfellmütze auf, obwohl es draußen über zwanzig Grad warm war, vielleicht auch mehr. Nachdem das Militärstädtchen hinter den deutschen Häusern endgültig verschwunden war, rastete der Mann in der Mütze noch mehr aus. Wenn er früher über die ganze Sowjetische Armee schimpfte, so wurde jetzt das Objekt seines Fluchsangriffes der Diensthabende der Einheit, der, wie es sich herausstellte, ihm eine ganze Kiste russischen Wodka abgenommen hatte. Wegen der Spirituosen waren die zwei Familien auch zum Militärstädtchen gekommen. Was hörte der Streifenposten nicht alles über die Väter-Kommandeure! Endgültig 'aufzubrausen' hinderte den Dünnen seine Frau, die der Figur nach ihrem Mann ähnlich war. Die Frau beruhigte den Ehemann immer wieder:
  - Also, Petenjka, mein Hähnchen, reg dich nicht so stark auf... Der Teufel mit ihr, mit diesem Wodka... Soll der Habgierige unser Gut, das für ehrliches Geld gekauft war, auslecken... Der Bub trug auch dazu bei, das Feuer zu schüren. Er lief immer wieder zum Vater und klagte:
  - Vater, Vati, als ich durch den Zaun kroch, hat mich ein schwarzer Soldat gefangen... Er bat für den Eintritt ins Geschäft eine Mark... Ich habe gesagt, dass ich kein Geld habe... Er, das Arschloch, glaubte mir nicht und duchsuchte meine Taschen... Dieses Arschloch hat zwei Mark bei mir abgenommen...
  Um die größere Überzeugung zu erreichen, lief der Bub zu den die Eltern und drehte die Taschen seiner Hosen auf die linke Seite. Er kam auch dazu, es auch vor dem Soldaten zu machen. Von dem dramatischen Leiden der Familie des Dünnen infolge der ungesetzlichen Beschlagnahme des Wodkas durch den Diensthabenden der Einheit, oft durchsetzt mit Fluchen und Geschimpfe, hatte es der Soldat Kusnezow schnell genug.
  Er entschied sich, etwas zurückzubleiben. Zu seinem Erstaunen verlangsamte den Lauf auch das Mädchen, das vor kurzem sein Gesicht bis aufs Blut zerkratzt hatte. Kusnezow warf immer wieder ein Blick auf die Angreiferin. Die, trotz ihrer Wildheit und Flinkheit, gefiel ihm. Und deshalb begann er als Erster das Gespräch:
  - Fräulein, und was ist mit Ihnen in unserer Garnison passiert? Sie sind doch auch Russen... Alle von Ihnen sprechen russisch...
  Die junge Person antwortete dem Militär zuerst nicht. Sie lächelte nur aus irgendeinem Grund, sah den großen und schönen Burschen an, der auf die Antwort wartete und deshalb schwieg. Das Schweigespiel dauerte nicht lange. Das Mädchen, kaum betrat sie die Straße, die zum Bahnhof führte, lebte auf und fing an zu sprechen:
  - Ihr Vorgesetzte ist sehr skrupellos. Er betrachtete alle unsere Dokumente. Wollte sogar von unserem Witjka, meinem Bruder, den Pass fordern...
  Für einen Augenblick wurde sie still, Alexander schwieg auch, der wollte sich jetzt aus irgendeinem Grund vor dem Mädchen und ihren Eltern für das schlechte Verhalten, wie es ihm schien, des diensthabenden Offiziers entschuldigen. Er hätte es wahrscheinlich auch getan, wenn die Aussiedlerin nicht das Schweigen gebrochen hätte. Sie schaute den Riesen an und setzte mit einem großen Bedauern in der Stimme fort:
  - Bei uns ging zuerst alles glatt, wenn nicht dieser Vorgesetzte mit der Binde gewesen wäre... Er begegnete uns gerade an der Schwelle des Geschäftes, wo alles billiger als bei den Deutschen ist. Mein Vater und unser Nachbar im Wohnheim haben eine ganze Kiste russischer Wodka gekauft, und meine Mutter hat etwas sich von den Lebensmitteln gekauft... Der Vorgesetzte hat den Wodka abgenommen, aber das Übrige rührte er nicht an. Er drohte uns, wenn wir noch Mal gefasst werden, werden wir eingesperrt...
  Die Erwähnung der Arestanstalt hat den Militär sehr zum Lachen gebracht. Kusnezow hat hinreißend gelacht, dass die Vorangehende gezwungen waren, sich umzuschauen. Mit ihm lachte auch gleichzeitig seine neue Bekannte... Der Streife begleitete die Bürger bis zum Parkplatz. Der Vater und die Mutter des Mädchens entschieden nach einigen Überlegungen, noch einmal die Geschäfte durchzulaufen. Alexander begegnete dem Entschluss des Elternehepaars mit großer Freude. Er entschied sich, Nastja, so hieß die Aussiedlerin, näher kennenzulernen. Der Spaziergang der jungen Menschen in der Stadt dauerte etwas mehr als eine Stunde. Das Wort im Gespräch führte das Mädchen, der Soldat fragte nur manchmal etwas die neue Bekannte oder bestätigte einfach nochmals das Gesagte. Nastja, die nur ein bisschen jünger als der Soldat war, hatte in ihrem kurzen Leben schon, wie auch er, die Schwierigkeiten des Lebens erfahren. Sie war in einem kleinen sibirischen Dorf geboren, in dem hauptsächlich Russlandsdeutsche lebten. Dem Mädchen gefielen ihre kleine Heimat und der Fluss, in dem es sehr viel Fische gab. Sie hatte auch ein Bräutigam, einen russischen Bursche, der Ingenieurwesen studierte. In Prokasino gingen die Gerüchte über die bevorstehende Hochzeit des jungen Ingenieurs-Elektrikers und der Studentin des zweiten Kurses des pädagogischen Institutes hartnäckig rum. Aber leider... Die Hochzeit fand nicht statt. Das Leben hatte anders entschieden. Auf dem Territorium des riesigen Landes hat die große Willkür angefangen, die auch bis in die weiten sibirischen Ecken angekommen war. Die Dörfer zerfielen wie Kartenhäuschen. Das deutsche Dorf überlebte nur auf Kosten des Fleißes ihrer Bewohner, aber auch bei ihnen war mal Schluss. Die Bauern bekamen jahrelang kein Gehalt, saßen mehrere Wochen ohne elektrisches Licht da. Viele Russen sahen für die Zukunft schwarz. Bei den Deutschen dagegen keimte die Hoffnung auf eine bessere Zukunft auf. Diese Hoffnung wurde Deutschland. Das einst saubere und schöne Dorf starb buchstäblich innerhalb eines Jahr aus. Die Deutschen, klein und groß wanderten in die historische Heimat ihrer Vorfahren aus. Fuhren sogar ohne Kleingeld in der Tasche weg, niemand kaufte die guten Häuser und ihre Wirtschaftsgebäude. Die Bewohner der umliegenden Dörfer und die Städter wussten sehr gut, dass 'die Deutschen' keine reichen Käufer in diesem, von Gott vergessenen Dorf, finden würden.
  Eine Stunde nach der Abreise der deutschen Familie zogen ins leere Haus die neuen Bewohner rücksichtslos ein. Hauptsächlich waren es Kasachen, die nicht selten in die fremden, gepflegten Häuser ihr Vieh "einsiedelten"...
  Alexander Kusnezow traf sich mit der neuen Bekannten am nächsten Tag wieder. Von Dachbau bis zur Stadt Bonhaus, wo Nastja mit den Eltern im Wohnheim lebte, war es nicht sehr weit. Nur drei Haltestellen mit dem Zug. Der Soldat beschloss, die fünf Mark zu sparen und fuhr deshalb ohne Fahrkarte "schwarz" als ein "Hase", aber er kam Problemlos an. Das Mädchen erwartete ihren Landsmann auf dem Zugbahnhof. Sie war 'aus dem Häuschen', als sie den ehemaligen Streifenposten in einem schönen braunen Anzug erblickte. Elegant sahen an dem Burschen auch die schwarzen Schuhe aus. Als Alexander das Mädchen sah, sprang er geschickt vom Trittbrett des Zuges und lief mit sicherem Schritt zur Nastja. Ein paar Schritte vor ihr machte er die linke Hand hinter dem Rücken frei und hielt der Aussiedlerin eine rote Rose hin. Jene sagte nichts. Sie drückte nur aus irgendeinem Grund sehr fest die Hand dem großen Burschen und lächelte, als wollte sie ihre schönen Zähne zur Schau stellen. Danach gingen sie in die Stadt spazieren. Das ziellose Spazieren hatten sie bald satt. Die jungen Leute gingen in ein kleines Café, es befand sich weit entfernt von der Hauptstraße der Stadt und war von einer kleinen Grünanlage umgeben. Solche eine Umgebung erfreute das junge Pärchen sehr. Das Mädchen wollte nicht auf die zahlreichen Bewohner des russischen Wohnheimes treffen, der schöne Bursche wollte auch nicht auffallen. Er fürchtete sich immer noch vor den Militärstreifen, die konnten ohne Probleme die "Verwandten" an ihrer kurzen Frisur oder der Gangsart erkennen. An diesen Merkmalen wurden die sowjetischen Soldaten auch von jedem orteansässigen Deutschen, ganz zu schweigen von der Polizei, erkannt...
  Die jungen Leute hatten jetzt Stille und Ruhe nötig, sie sehnten sich nach der menschlichen Nähe. Alexander hatte schon seit zwei Jahren keine weibliche Hand mehr berührt, er hatte genugsatt von den "groben Mannsbilder" in Mmilitäruniform, die in der Kaserne Tag und Nacht hin und her liefen. Eine Beziehung wollte auch die Aussiedlerin. Die Seele und das Herz sagten ihr vor, dass sie einem anständigen Burschen begegnet war...
  Die zwei schönen Menschenwesen saßen im Café ziemlich lange und unterhielten sich, etwa drei Stunden. Sie haben es schon seit langem vergessen, wie sie in der ersten Minute des Aufenthaltes im Café mit einer paar dünnen Würstchen 'fertig waren". Jeden quälte der Hunger, die Augenlider wurden von der gestrigen Schlaflosigkeit schwer, aber niemand wollte es eingestehen. Sie hatten nicht nur gemeinsame physische Bedürfnisse. Jeder von ihnen hatte in der vergangenen Nacht im Kopf und in der Seele heimliche Gedanken und Pläne entwickelt. Besonders kam damit der Soldat voran, er wollte sehr von seiner Bekannten alles über das Leben in Russland und in Sibirien erfahren. Etwas hatte er auch für die Ausfrage über das Leben in Deutschland zurechtgelegt. Die Aussiedler wussten viel mehr vom hiesigen Leben als er, der Soldat, der offiziell nur paar Mal in die Entlassung in den zwei Jahren und das unter Begleitung ging. Das Mädchen, wie auch während des ersten Treffens, führte den Burschen in den Ablauf des internationalen und hiesigen Lebens ziemlich schnell ein. Sie kam kaum dazu, auf Alexanders Fragen zu antworten, der am Ende des weiblichen Monologes schon den Geschmack des deutschen Bieres wieder vergessen hatte.
  Nastja hatte den Apfelsaft erst vor dem Weggehen ausgetrunken. Der "Wissbegierige" kam auch am nächsten Tag wieder zum Treffen...
  Zwei Wochen vergingen, nachdem der Streifensoldat Kusnezow unter ungewöhnlichen Umständen die sympathische Russlandsdeutsche kennengelernt hatte. Sie gefiel ihm sehr. Ihr gefiel der Soldat der russischen Armee, der die Beine schon bald 'forttragen sollte', auch. Nur nach zwei Wochen hat das Mädchen den Burschen ins Wohnheim eingeladen. Im Heim fand der Neue sich sehr schnell Freunde, die sich in der Mehrheit beim mächtigen und großen Soldaten einschmeichelten. Kusnezow verzichtete auch nicht auf die Bekanntschaft mit den Bewohnern 'der russischen Insel der Freiheit", so nannten das Wohnheim die jungen Leute. Er spielte mit ihnen Karten und soff richtig. Einmal betrank er sich so stark, dass er im Wagen des freundlichen Jurka Weiß, eines Aussiedlers aus Kasachstan, übernachtete. Die Informationen, die Alexander während der Besuche im Heim bekam, "verarbeitete" er ständig. Nachdenken musste er ziemlich gründlich. Das erschreckende Bild des Lebens, das in seiner Neidjonowka eingetreten war, brachte den Burschen auf ziemlich trübe Gedanken. Zeit zu verschwenden in dem weiten Dörfchen oder an anderer Stelle des großen Landes wollte er nicht. Die Eltern waren gestorben, Verwandte und nahe Menschen gab es nicht. Einen Beruf hatte er auch nicht. Das alles brachte ihn ziemlich oft auf einen Gedanken: man muss aus der Einheit weglaufen, um hier, in diesem Land, zu bleiben und zu leben. Einen Irrtum in seinem Entschluss schloss der Soldat aus. Die Deutschen aus der Sowjetunion kamen in Zehntausenden hier an und lösten sich augenblicklich in den Städten und in den Dörfern des kleinen Landes auf. Die Aussiedler lebten nicht schlecht, sondern sogar sehr gut. Die Bewohner 'der russischen Insel' gingen mit zufriedenen Gesichtern, viele hatten schon Autos gekauft. Die Liebhaber anderer Empfindungen zogen das Bier vor und rauchten teure Zigaretten. Von all den träumte auch Sanjka Kusnezow aus dem weiten Dorf Neidjonowka, nach der satten Realität musste man nur die Hand ausstrecken...
  Die Massenflucht der Russlanddeutschen aus dem einst mächtigen großen Land hielt Alexander für richtig. Das totalitäre Regime der UdSSR sowohl in der Vergangenheit und als auch in der Gegenwart zwang diese fleißigen Menschen in die historische Heimat der Vorfahren auszureisen. Die Massenemigration wurde von einer Reihe von Gründen herbeigerufen. Zu den Gründen des gesellschaftspolitischen Charakters gehörten die negati-
  ven Folgen der volksfeindlichen Politik der KPdSU, die Dutzende von Jahren durchgeführt wurde, die der genetische Fond der Deutschen in bedeutender Masse gesprengt und zu ihrer physischen Vernichtung beigetragen hatte. Sie wurde auch durch eine langjährige Diskriminierung der Deutschen auf dem religiösen Gebiet verursacht. Sie hörten auf, an die leeren Versprechungen der offiziellen Behörden über die Überlassung der Verfassungsrechte und die Möglichkeit einer zivilisierten Existenz in die UdSSR, ganz zu schweigen von der Wiedergeburt der deutschen Staatlichkeit im Land, zu glauben. Ein anregenden Motiv, das das Anwachsen der Emigration förderte, waren auch solche negativen Erscheinungen wie Trunksucht, Diebstahl, Bestechlichkeit, Bürokratismus, Unordnung und Rechtlosigkeit. Im Laufe der Pseudoumgestaltung, die die Parteibehörde geschaffen hatte, nahmen diese negativen Erscheinungen Massenmaßstäbe an. Der Übergang Russlands zur sogenannten Marktwirtschaft sowjetischen Typs bewirkte neue negative sozial-politische und Wirtschaftserscheinungen wie die Arbeitslosigkeit, die nicht regelmäßige Gehaltszahlungen, Anwachsen von Kriminalität und Korruption, was zum Verstoß der Normen des zivilisierten menschlichen Wohnheimes beitrug...
  Für die Ausreise in die historische Heimat der Vorfahren hatten die Deutschen der Sowjetunion auch persönliche Gründe. Viele von ihnen wollten mit den Verwandten, die in der BRD wohnten, wiedervereinigt werden. Der Wunsch und die Möglichkeit, in der historischen Heimat einen höheren materiellen und kulturellen Wohlstand zu erreichen, zwang auch die Menschen, das Land zu verlassen.
  Die Zahl der Ausreisende wuchs mit jedem Jahr. Nach dem Fall der Berliner Mauer 1989 kamen in der BRD 98 134 Menschen, in 1990 - 147 950 Menschen an. 1995 reisten ins Land 209 409 Aussiedler ein...
  Eine Hoffnung für "den Geist" der Idee einer Flucht Kusnezows gaben die Informationen über die sowjetischen Fahnenflüchtigen aus der Westgruppe der Truppen. Während der kleinen Feiern mit den jungen Aussiedlern schwoll der Kopf des Soldaten von allerlei Gerüchten an. Alexander hielt sich den Kopf von den Informationen einiger Leute darüber, dass in den Wäldern Deutschlands hunderte, vielleicht sogar auch tausende ausgerüstete sowjetische Soldaten schlendern. Dutzende Flüchtlinge baten um politisches Asyl im
  Land. Die Seele des Riesen jubelte, er war auf dem richtigen Weg. Der Wunsch in der BRD zu bleiben, um hier glücklich und reich zu leben, beschäftigte den Soldaten immer mehr und mehr... Gleichzeitig glaubte Kusnezow jedem und an etwas, aber Vieles fegte er auch weg. Manchmal überprüfte er das Geplauder über die Befehle zur Fahnenflucht aus der Einheit, die den Soldaten erschrecken. Der Soldat, um die Wahrheit über die Fahnenflüchtigen zu erfahren, fing an, die verschnürten Zeitungen, die im Lenins Zimmer lagen, zu lesen. Ehrlich gesagt zeigte er vom ersten Tag des Dienstes kein Interesse an dieser Informationsquelle. Und viele seine Kollegen interessierte das alles auch nicht. Alle wussten sehr gut, dass die Wahrheit über das Land und über die Armee niemand und niemals schrieb und auch nicht schreiben würde. Dank den Bemühungen des Stellvertreters für die politische Arbeit und des Kompaniechefs blieben die verschnürten Zeitungen für ein Jahr, sogar auch für zwei Jahre erhalten. Die Offiziere verwendeten sie zum Schreiben der Konspekte. Die Verwalter der Gliederung stapelten die Zeitungen in der Kanzlei, damit ein Teil "des Papierquatsches" nicht Verwendung in der Soldatentoilette fand. Während der Ankunft der großen Vorgesetzten belegten die verschnürten Zeitungen ihren Platz im Lenins Zimmer. Die Soldaten, die die Zeitungen zu lesen wünschten, kamen zum Kompanieschreiber, jener gab sie gegen Unterschrift aus. Bei Rückgabe wurden alle Zeitungsnummern sorgfältig geprüft.
  Zum ersten Mal las der Rekrut die kurze Information über die Entlaufenen in der Militärform in der Zeitung 'Roter Stern' bald nach der Eidesablegung. Der Artikel hatte den Grünschnabel sehr neugierig gemacht. 1988 waren aus der GSSD zwei Soldaten-Esten nach Amerika weggelaufen mit der Hoffnung, dort ein besseres Leben zu finden. Als der Militärkorrespondent davon sprach, bedauerte er gleichzeitig die armen Schlucker, die sich auf den Köder der westlichen Massenmedien sich eingelassen hatten.
  Alexander bezweifelte in jenem Abend auch, dass im fernen Amerika das Leben besser sein könnte, als in seiner Heimat. Die amerikanische Lebensweise erschreckte ihn sehr. Hier aber, im Militärstädtchen, das sich auf dem Territorium des sozialistischen Deutschlands befand, ging es ihm gut, niemand und nichts erschreckten ihn. Der Grünschnabel ging ziemlich oft auf dem Territorium der Einheit spazieren und war begeistert von der Technik und der Ausrüstung, die sich hier bei den Russen befanden. Die Ausstattung war auch in Wirklichkeit erstklassig, davon überzeugte er sich während des Lernens oder des Schießens mehrfach. Die Mitwirkung an dieser Armada und an jenen Menschen, die diese Technik besaßen, rief dann beim jungen Soldaten einen bestimmten Verdacht gegenüber denen hervor, die die Truppeneinheiten verließen.
  Die offizielle Presse, sowohl die sowjetische als auch deutsche, brachten verschiedene Angaben über die Anzahl der Flüchtigen. Das Kommando der WGT verneinte überhaupt das Vorhandensein bewaffneter Fahnenflüchtiger bei den sowjetischen Soldaten auf deutschem Territorium. Hauptgründe für die, die ihre Einheiten verlassen hatten, waren falsche Handlungen seitens der Kollegen oder einiger Kommandeure. Was "die falschen" Handlungen bedeuteten, wusste der junger Soldat Kusnezow sehr gut, er hatte es schon am eigenen Leib erfahren-...
  In Wirklichkeit, laut der offiziellen Behörde, blieb alles genau so, wie es auch früher war. In der mächtigsten Armee der Welt, die aus Arbeitern und Bauern bestand, gab es keine Schikanieren und niemand lief irgendwohin weg. Das Beste gab es und war nur in der GSSD zu finden. Hier gab es die beste Kampfbereitschaft und einen sehr hohen und moralischen Geist. Die Korrespondenten, mit den Sternchen und ohne, schrieben über die plötzlich zuströmende Einheit des Geistes der GSSD und der Bewohner des vereinigten Deutschlands. Im Januar 1991 waren über 25 tausende Pakete mit Geschenken den sowjetischen Soldaten der neun Garnisonen im Land Thüringen übergeben worden. Diese wohltätige Aktion wurde auf Initiative der CDU des westdeutschen Landes Rheinland-Pfalz durchgeführt. Am 17. Februar dieses Jahres wurde in 23 Garnisonen der WGT zum ersten Mal in der Geschichte der GSSD 'ein Tag der offenen Türen' durchgeführt. Tausende Deutsche besuchten die Kasernen. An diesem Tag dankte in der sowjetischen Garnison Grimma des Landes Sachsen die Führung des Landbezirks dem sowjetischen Soldaten Mechmedow für die Rettung des ertrinkenden siebenjährigen Jungen Marcel Raabe. Alexander nahm leider an der Rettung des Ortsbewohners nicht teil. Die deutschen Geschenke gingen an den Bewohnern des Militärstädtchens in Dachbau auch vorbei.
  Seine geheimen Gedanken wollte Kusnezow mit Nastja noch während des ersten Wiedersehens im Café teilen. Sie haben damals Vieles klar und offen einander gestanden. Jedoch schüttete er seine Seele aus irgendeinem Grund nicht bis zu Ende während des ersten Treffens aus, auch später nicht. Er fürchtete sich sehr vor den ernsten Augen des Mädchens. Ihm schien es, dass sie nicht nur seine bestialische Entscheidung über die Flucht aus der Einheit augenblicklich abstoßen, sondern auch seine Seele und Herz abstoßen würde. Er wäre für immer vergestoßen. Der Soldat hatte Angst vor der Einsamkeit, nach dem Tod der Eltern wurde es für ihn wie eine echte Folter. Die seelische Leere füllte auch das Armeealltagsleben nicht aus. Viele Militärangehörigen, auf das 'Hinausführen wartend", zogen sich in kleinen Gruppen zurück, einige besoffen sich oder stahlen.
  Hauptmann Makarow hatte auch keine Zeit für seinen Landsmann. Er hatte den Dienst sausen lassen und lief mit seiner Frau durch das deutsche Städtchen, um mehr Klamotten für die Familie zu kaufen. Alexander hat entschieden, am ersten Juli sich vom herzlichen "Splitter" zu befreien. Es war ein wichtiger Anlass. Nastja wurde in diesen Tag zwanzig Jahre alt. Viel Geld hatte Kavalier nicht, nach der Entlassung Ischakows hat er nur paar Mal 'gehandelt' und nur mit Kleinigkeiten... Ohne Blumen aber ging nicht er zu dem Geburtstagskind. Bevor er in den Zug stieg, 'besuchte' er früh morgens den kleinen Garten der Deutschen. Das Mädchen freute sich über die Ankunft des Burschen sehr und gab ihm einen leichten Kuss auf die Wange. Der große Strauß aus roten und weißen Rosen vom Soldaten war wunderschön...
  In dieser Nacht übernachtete Soldat Kusnezow zum ersten Mal in der ganzen Zeit seines Dienstes in der Westgruppe der Truppen nicht in der Einheit. Die Deutsche aus Russland unterstützte die Endscheidung ihres Geliebten, die Truppeneinheit zu verlassen und in der historischen Heimat ihrer Vorfahren zu bleiben zu leben. Sie versprach, alles Mögliche für sein Glück zu tun. Die Nacht des ersten Juli war für den Militärangehörigen der russischen Armee eine ungewöhnliche Nacht. Gerade in dieser Nacht, im städtischen Park, in dieser Ecke der Erde, wo es im Überfluss Blumen und Düfte gab, entschied er sich, sein Privatleben zu ändern. Das halbbetrunkene junge Mädchen, in festen Umarmungen des stattlichen schönen Mannes, versprach ihm, nicht nur eine sichere Stütze, sondern auch eine liebevolle Frau zu werden...
  Die Abwesenheit des Soldaten Kusnezow hatten die Offiziere der Kompanie nicht bemerkt. Niemand bemerkte auch den Reisesack, den er im Wald nicht weit vom Park der Kampffahrzeuge versteckt hatte. In der alten Aktentasche lagen die Soldaten 'Klamotten', die der Riese bei Rückkehr von der 'Selbstentlassung' wieder anzog. Am Morgen erwartete den noch nicht gewordenen Fahnenflüchtigen in der Einheit eine verblüffende Neuheit. Die Motorzeiger verließen das Militärstädtchen nach einer Woche. Es zweifelte jetzt schon niemand daran, auch der Riese nicht. Alexander entschied sich zu handeln, so schnell wie möglich. Nachmittags begab er sich in den Wald, wo sein Versteck war. Die kleine Grube, die vom Rasen bedeckt war, flößte ihm jetzt kein Vertrauen mehr ein. Er wusste genau, dass es dutzende ähnliche Verstecke in diesem Kiefernwald gab. Der Soldat, der von eine beunruhigten Gedanken getrieben wurde, "untersuchte" tatsächlich jeden Meter des kleinen Waldes. Der Armeealte hatte sich in seinen Vermutungen nicht geirrt. Er hatte noch drei ähnliche Verstecke gefunden, alle "vollgefüllt". In einem lag ein kurzes automatisches Gewehr 'Kalaschnikow' und ein Kiste mit Patronen, in den übrigen waren Lebensmittel. Von solch einem 'Fang' setzte sich Kusnezow sogar auf die Erde. Ein Gedanke, dass man das alles mitnehmen und ein sicheres Versteck etwas weiter von diesem Wald suchen sollte, kam ihm sofort. Er kam in die Kompanie erst zum Abendessen, die Kompanie aß schon. Der Schütze schlief in dieser Nacht wie ein Toter. Er war überzeugt, dass sein Versteck auch am Tag mit einem Feuer nicht finden würde...
  Bis zur Abfahrt der Staffel verlor Kusnezow keine Zeit. Das Versteck, für das die zerfallene Gartenlaube diente, wurde mit zwei Kartons Buchweizenbrei und Büchsenfleisch ergänzt. Zwei Matratzen mit Decken passten ohne Problem hinein. Alexander war ein praktischer Mensch. Er brachte in das kleine Häuschen buchstäblich Alles, was für den Aufenthalt nützlich sein konnte. Das weitere Leben schloss keine Schwierigkeiten aus. Die Vernunft, wenn auch primitiv, hatte ihm sein ländliches Leben gelehrt wie auch der Dienst in der Armee.
  Das Motorschießregiment ging planmäßig aus dem Städtchen tief in der Nacht. Das Lied "Slawjanka" war nicht vorgesehen, die Armeebeamten fürchteten, die Ruhe der Ortsbewohner zu stören. Alles lief ohne offizielle Feierlichkeit ab, es fehlten auch die Vertreter der städtischen Macht. Kusnezow schlenderte nach dem Abendessen lange durch die Kaserne und betrachtete aus irgendeinem Grunde gleichgültig das ganze Durcheinander des letzten Sammelns und der Vorbereitungen. Im dreigeschossigen Gebäude war ein totales Durcheinander. In den Schlafräumen waren die Türen zerbrochen, die Scheiben in den Fenstern ausgeschlagen. Alle Wände, sogar ein Teil der Decke, war beschrieben und mit Zeichnungen bedeckt. Ein Autogramm im Flur hinterließ auch Alexander, der mit der Spitze des Bajonettmessers seinen Familiennamen und das Jahr der Entlassung geschrieben hatte. Jeder Soldat entschied in dieser Zeit selbst, was er machte, um sich besser auf den Mehrtagesmarsch nach Zentralrussland vorzubereiten. Es stand ein schwerer Marsch, ohne deutschen Komfort, bevor...
  Der Riese schlief bis zum Sirenenweckruf. Er war aufgeregt und überprüfte seine Endscheidung, von den furchtbaren Gedanken wurde es ihm manchmal schlecht. Sein Herz, wie es ihm schien, würde gleich stehenbleiben oder aus dem Brustkorb herausspringen. Auch der Kopf brummte. Der Soldat schaute immer wieder mal auf die Kommandeursuhr. Bis zur Sirene blieb es ca. eine Stunde. Für paar Augenblicke schlief Alexander ein, unerwartet für sich und für seine schmerzende Seele. Im Traum hatte er seine Eltern, den Vater und die Mutter gesehen. Der Sohn hat das Gesicht seines Vaters aus irgendeinem Grunde undeutlich, seine Mutter aber sah er deutlich, wie lebendig. Er sah jedes Fältchen auf ihrem schönen Gesicht. Ihn haben nur die Augen der Frau sehr stark betroffen gemacht, sie waren sehr traurig. Alexander konnte das seltsame Verhalten des Mütterchens nicht verstehen, die mit den Tränen in den Augen lächelte und flüsterte:
  - Sanetschka, du mein Einziger... Verfolge deine Idee weiter... Sie wird dir vom Willen Gottes vorgeschrieben.... Gehe weiter, schreite fester... Man darf unseren Gott nicht verärgern... Gehe weiter, mein Herzchen...
  Von dem prophetischen Traum wachte Kusnezow auf und schrie laut auf, sein ganzer Körper war feucht. Für einen Moment wurde er von dieser Welt abgeschaltet. Danach fing er an, mit den Händen sein Gesicht zu betasten, um zu prüfen, ob er als Mensch noch auf dieser Erde wäre. Dann stellte er heftig die Beine auf den Fußboden. Die kommenden Empfindungen zeugten davon, dass er in der Militärform auf dem Metallnetz des Bettes lag und sich im kleinen Schlafraum befand. Und das hatte ihn wieder gezwungen, in die Welt des Lebens zurückzukehren. Die Zeit bewegte sich unerbittlich vorwärts. Was mit ihm weiter geschehen würde, was er jetzt oder später machen würde, wusste er auch selbst nicht. Bis zum Fällen der letzten Entscheidung blieben dreißig Minuten, nicht mehr und nicht weniger. Alexander wusste sehr gut, dass jetzt nur er der Herr seines Schicksals war. Nur er, und kein anderer konnte diese sehr wichtige Entscheidung treffen. In dieser halben Stunde war der Preis der Endscheidung übermäßig hoch, eine Fehlkalkulation konnte mit einer lebenswichtigen Katastrophe enden. Jetzt fürchtete er sehr seine Unentschlossenheit und viellecht sogar seine Feigheit. Wenn sein Wunsch zu desertieren zu den Offizieren dringt, würde er einen großen Ärger bekommen. Kusnezow schaute wieder auf die Uhr, bis zum Befehl zum Aufstehen des Diensthabenden der Kompanie blieben zehn Minuten. Er sprang schnell aus dem Bett und verließ auch schnell das Territorium der Kompanie...
  Erst nach zwei Stunden öffnete sich das Tor des Kontrollpunkts der Einheit. Die Motorzeiger verließen das Militärstädtchen, verließen es für immer. Alle, die in der Reihe gingen, wussten das sehr gut und verstanden es auch. Einige Offiziere wischten die Tränen nicht ohne Gründe heimlich weg. Von ihnen wird niemand und nie wieder mehr die Untergebenen auf diesen sehr gemütlichen Fetzen der Erde bringen und sie hier unterrichten. Hier würden niemals mehr Militärmärsche erklingen, die die Mehrheit der ortsansässigen Deutschen anhimmelten. Es gab auch solche unter ihnen, die anlässlich der Militärmacht der Sowjetunion schadenfroh waren. Die Zahl der Hasser war immer größer geworden, besonders in der letzten Zeit, als die Verordnung über den Abzug der sowjetischen Truppen aus Europa kam... Hauptmann Makarow ging mit seiner Kompanie als Bestandsteil des Regiments hinaus. Lust, das Militärstädtchen zu verlassen, hatte er nicht. Er ertrugt sehr schwer den Abzug, aber er bemühte sich, ein Beispiel für seine Mündel zu sein. Seine kräftige Stimme klang überall und es half den Soldaten und den Offizieren. Er atmete nur etwas tief, als er an seinem Offiziershaus zum letzten Mal vorbeiging. In der Zweizimmerwohnung des Fünfgeschosses hatte er zusammen mit seiner Frau und dem Töchterchen fast fünf Jahre gewohnt. Jetzt in der Dunkelheit war der kleine Bau inm unbekannt, sogar unheimlich fremd. Von diesem Gefühl und dieser Empfindung wurde ihm kalt. Er kroch gezwungenermaßen in sich zusammen, obwohl es eine Julinacht war.
  Alexander, nachdem die Kompanie die Schwelle des Kontrollpunkts zum letzten Mal überschritten hatte, trat unerwartet aus der Reihe heraus, ging nicht zur Abgabe des nächsten Befehls oder Hinweises hinaus. Seine Kompanie ging zur Verladestation ruhig, auf Totenstille bedacht. Und diese Stille hatte nicht nur den grauen Offizier erschrocken, sondern lastete auch auf ihn furchtbar, drückte, wie die größte Presse auf diesem Planeten. Ihm war es sehr peinlich und kränkend für sich und für seine Untergebenen, die mit den Waffen in den Händen ganz unbemerkt diese Erde verließen, die Großväter und die Urgroßväter vor einem halben Jahrhundert vom Faschismus befreit hatten. Der grauhaarige Hauptmann wusste auch selbst nicht, wieso er immer noch da stand und mal auf die Kaserne und dann wieder auf das Haus sah. Die Tränen, wie die Tröpfchen des Morgentaus, tropften langsam aus den Augen und verschwanden unter seinen dicht gewachsenen Borsten. Aus dem Zustand der nervösen Erstarrung holte ihn der Kompaniechef Leutnant Makorin, der Zugführer, heraus. Der Untergebene war ganz verschwitzt und sehr aufgeregt. Er hatte sich aller Wahrscheinlichkeit nach zu sehr angestrengt und atmete deshalb schwer. Der Offizier, als er den Vorgesetzten sah, setzte schnell seine Khakischirmmütze auf seinen Glatzkopf und berichtete laut:
  - Genosse Gardehauptmann, ich suche diesen Kusnezow schon die ganze Nacht... Gestern am Tag und am Abend sah man ihn und jetzt ist er verschwunden... Dieser Boxer ist wie von die Erde verschlungen... Ich denke, dass alles in Ordnung, ohne außergewöhnlichen Vorfall, kommt. Er kennt die Gesetze und wird mit ihnen nicht scherzen...
  Der Hauptmann Makarow reagierte in keiner Weise auf den Vortrag des Untergebenen. Er blieb weiterhin stehen und sah in Richtung des Militärstädtchens. Als der Zugführer die Tränen des Riesenmannes sah, beschloss er, ihn mit seinen Schlussfolgerungen nicht mehr zu stören. Er erwies ihm noch einmal die Ehrenbezeigung und lief mit beschleunigten Schritten, seinen Zug einzuholen. Nach ein paar Sekunden war er schon außer Sichtweiten der Menge der ausgerüsteten jungen Männer verschwunden. Ihm folgte sofort auch sein älterer Kommandeur...
  Alexander Kusnezow, nachdem er sich an dem Stubenältesten der Kompanie unbemerkt vorbeigeschlichen hatte, begab sich schnell in die Richtung des Sportstädtchens und versteckte sich hinter einem Schild aus der Presspappe. Auf dem Schild war ein schöner und strammer Soldat mit nacktem Oberkörper hängend auf einem Reck dargestellt. Er glich etwas dem Sibirier. Auf den Sportplatz war der Soldat öfter gewesen, besonders im ersten Jahr seines Dienstes. In dem zweiten Jahr hatte er mit dem Muskeltraning aufgehört. Es war ihm auch schon nach dem Status sündhaft zu machen. Der Alte kam mit einem anderen Ziel hierher. Nachmittags zog er sich in der Regel bis zum Gürtel aus und "warf sich" auf die hölzerne Liege, um sich ausgiebig zu sonnen. 'Das Sonnenbad' dauerte manchmal stundenlang und ging ohne jede Nervosität vorbei. Die jungen Soldaten konnten die Ruhe des Riesen "nach dem Status" nicht verletzen, die Gleichaltrigen fürchteten einfach sich von ihm. Die Offiziere hinderten ihn auch nicht daran. Nach den Sonnenbädern ging Kusnezow zu den Wasserprozeduren über. Im Badezimmer veranstaltete Alexander wahrhaftig eine herrschaftliche Dusche. Als der Stubenälteste erfuhr, dass "Stevenson" die Knochen waschen würde, lief er sofort ins Badezimmer, um einen Gummischlauch an den Wasserhahn anzuschließen. Unter lauten Ausrufen der zahlreichen Gaffer zog sich der Riese ganz nackt aus und demonstrierte gern den schönen und starken Körper. Dann, auf Befehl des Athleten, drehte der Stubenälteste das Wasser auf und begann ihn aus dem Schlauch zu begießen. Zuerst zog sich der Alte unter den Strahlen des kalten Wassers zusammen und stöhnte. Nach einer Weile geriet Alexander in Eifer und später begann er vor Vergnügen laut zu schreien. Die Wasserprozeduren im Vergleich zu denen in der Sonne waren sehr kurz. Nach der Dusche lief Kusnezow in den Schlafraum und 'schaltete' bis zum Abendessen 'ab'...
  Der Entlaufene erkannte seine Kompanie sofort und sie konnte man wegen des Hauptmerkmales nicht nicht erkennen. Hauptmann Makarow, der vor der Kolonne ging, unterschied sich auffallend von allen Untergeordneten durch seine Größe und mächtige Figur. Fast zwei Stunden, während sich das Regiment auf den Marsch vorbereitete, überlegte Alexander immer noch hin und her. Einmal wurde er für einen Augenblick schwach, bei ihm tauchte wieder der riesige Wunsch auf, seinen Platz in der Reihe der Kompanie, der Einheit und der ganzen Sowjetischen Armee einzunehmen. Er wollte zurück nach Hause fahren und sich vor den Mädchen mit allerlei Kampf- und Sportauszeichnungen zeigen. Jetzt bezweifelte er schon überhaupt nicht mehr, dass alle Schwierigkeiten in der Heimat für ihn, den starken und stattlichen schönen Mann ohne Bedeutung sein würden. Der Soldat streckte seinen Kopf hinter der Ecke des deutschen Hauses hinaus, die Villa stand gegenüber dem Kontrollpunkt. Von dem Gesehenen erstarte der Entlaufene und weinte bitter. Die erste Kompanie war ans Haus herangekommen.
  Kusnezow hätte fast sein Versteck verlassen und wäre zum Kommandeur losgerannt, als er ihn sah. Der war aus irgendeinem Grund aus der Marschreihe hinausgegangen und stand, wie eine Säule. Zwischen dem Soldaten und dem Offizier war es etwa fünfzig Meter, nicht mehr. Der Untergebene, dem es schien, dass er das Atmen des Vorgesetzten hörte, beobachtete seinen Kommandeur intensiv und wartete auf seine nächsten Handlungen. Aber es passierte nichts. Der grauhaarige Mann in der Militärform sah traurig aus irgendeinem Grund auf das Militärstädtchen, das er gerade erst verlassen hatte, und schwieg. Es schwieg auch der, der sich entschieden hatte, in der Fremde zu bleiben. Das seltsame Verhalten des Kommandeurs beruhigte Alexander irgendwie. Er fing an, sich deutlich bewußt zu werden, dass er in diesen Moment noch kein Fahnenflüchtiger und kein Verräter war. Erst, nachdem die Kompanie in die Wagons verladen wird und in Richtung Osten abfahren würde, würde er ein Verbrecher sein... Bei diesen Gedanken verschlug es dem Entlaufenen den Atem. Der Teufelsentschluss in Deutschland zu bleiben trat auf den zweiten Plan zurück, trat für immer zurück. Die tierische Angst von den Folgen für das Verbrechen ergriff ihn wieder. Er trat scheu aus dem Versteck hervor und machte ein paar Schritte in Richtung Kolonne. Und in diesem Augenblick sah der Entlaufene Hauptmann Makarow, der den Kopf zur Seite der Villa unerwartet umgedreht hatte, wo sich gerade erst sein Untergebener verborgen hatte. Alexander schien es jetzt, dass sein Vorgesetzter in dem Augenblick nicht nur aus der Entfernung seine Gedanken erriet, sondern auch seine Seele und Herz fühlte. Er hatte wieder Mitleid mit diesem Offizier, der in der Kompanie sehr lange "saß". Dieses Gefühl füllte sich gleichzeitig mit Stolz auf die Kompanie, auf die Armee, die zwei Jahre für ihn eine Schule zum Erwachsenwerden und ein Ort der Tests für Stärke gewesen war. Mit den Tränen in den Augen machte der Soldat noch ein paar Schritte zum Kommandeur, der in irgendwelcher Weise ihm den Vater für zwei Jahre ersetzt hatte. Jetzt bezweifelte er nicht, dass der starke Mann in der Militärform seinen Untergebenen verstehen, ihn auf den richtigen Weg führen, den schicksalhaften Fehler nicht zulassen würde, der ihn auf die Anklagebank bringen konnte. Etwa zehn Meter vom Offizier entfernt blieb Kusnezow unerwartet stehen und erstarrte. In den Augen des Kompaniechefs standen Tränen. Alexander wollte seinen Augen nicht trauen. Er dachte, dass so ein kluger und starker Mensch nicht weinen konnte. Er machte noch einen Schritt vorwärts und er hatte keine Zweifel mehr. Der grauhaarige Mann weinte. Die Tränen in seinen Augen waren deutlich sichtbar, wie auch sein Gesicht, das durch die Strahlen der nächtlichen elektrischen Laterne in diesem Moment beleuchtet wurde. Was es für Tränen waren, warum der Kommandeur weinte, verstand der Soldat nicht. Er konnte auch seine weiteren Handlungen nicht verstehen. Er drehte sich heftig um hundert achtzig Grad um und lief in die Gegenrichtung weg. Nach etwa fünf Minuten war er am Ende der Stadt. Hier war eine Stille, eine ungewöhnliche Stille. Der Entlaufene entschied sich, durchzuatmen und ließ sich auf ein Bänkchen nieder, nicht weit von einem kleinen kleinen Bach. Jetzt hatte er in seinem Kopf keine andere Gedanken nicht, außer dem einen und richtigen. Den Entschluss hier zu bleiben, für immer zu bleiben, beschloss er, niemals mehr zu ändern. Daran würde ihn niemand und auch nichts mehr hindern. Auch der Gedanke an Zwangsvollstreckungen erschreckte ihn nicht. Besser zu leben, menschlich zu leben empfand der Fahnenflüchtige der Sowjetischen Armee nicht als Verbrechen...
  Ins russische Wohnheim kam Alexander am Abend, zu dieser Zeit hatte das Motorschießregiment Dachbau schon verlassen. Nastja freute sich sehr über die Ankunft des Kavaliers. Die Aussiedler wussten es schon, dass die Russen aus dem benachbarten Städtchen weggegangen waren und deshalb fragte sie ohne jedes Nachdenken ihren Liebsten:
  - Sanja, und was wirst du weiter machen? Unsere Leute erzählen mir davon, dass einige n Soldaten weggelaufen sind... Die Offiziere und die Deutschen fangen sie, ihnen allen droht das Gefängnis... So eine Frage mit solchen Kommentaren regte den jungen Mann sehr auf. Er wurde augenblicklich still. In seiner Seele und im Herz schlich sich für eine gewisse Zeit eine Kühle des Unverständnisses und sogar eines bestimmten Hasses gegeüber seiner Freundin ein. Nastja bemerkte fast augenblicklich die auffallende Veränderung im Verhalten des Burschen. Um ihre Taktlosigkeit zu korrigieren, drückte sie seine Hand fest zusammen und flüsterte leise:
  - Du, Sascha, nimm mir bitte das nicht übel... Ich wünsche dir doch nichts Böses... Mit dir geht es mir sehr gut... Wenn wir uns gern haben, dann fallen uns auch viele kluge Gedanken ein... Habe ich Recht, mein Athleten und schöner Mann?
  Kusnezow antwortete nicht. Er fasste nur kräftig das Mädchen mit den Händen und hob sie wie ein Kind hoch und küsste sie fest auf den Mund. Sie antwortete auch mit einem Kuss...
  Die erste Nacht nach der Flucht aus der Truppeneinheit verbrachte der Fahnenflüchtige der Sowjetischen Armee allein mit der Geliebter, ihnen ging es sehr gut. Sie schlenderten fest umarmt in der mit Stille ausgefüllten Nacht durch das kleine Städtchen, das im Grün versunken war. Die Straßen des Städtchens waren leer, keine lebendige Seele störte sie beim Spazieren oder Nachdenken. In dieser Nacht sprachen sie miteinander sehr wenig. Sie schwiegen mehr und dachten über sich nach. Nastja verstand, dass ihr Freund über das Vollzogene sehr aufgeregt war. Daran überzeugte sie sich sofort, kaum dass sie flüchtig einen Blick auf den an ihrer Seite Gehenden warf. Ihr schien es, dass er kleiner und älter geworden war. Sogar seine Augen waren schon nicht mehr so ausgelassen im Vergleich zum ersten Treffen, als sie auf dem Zaun des Militärstädtchens saß. Manchmal kam dem Mädchen der Gedanke, dass man alles beiseite schieben müsste und dem Soldaten helfen, wieder in seine Einheit zurückzukehren oder die Militärs anrufen. Sie hatte schon paar Gründe gefunden, die Saschka rechtfertigten, warum er vom Abmarsch zurückgeblieben war. Die alle schienen für sie real und wahrhaft. Nastja bezweifelte es überhaupt nicht, dass ihren Freund niemand einsperren und auch niemand ihn Verräter oder Fahnenflüchtigen nennen würde. Diese Gedanken "klopften" bei ihr besonders hartnäckig frühmorgens, als die ersten Züge abfuhrten...
  Das Nastja von der Fahnenflucht wusste und ihre Folgen kannte, kühlte die "Kampfeinstellung" Alexanders ab, der vor paar Stunden an der Richtigkeit der gefassten Entscheidung nicht gezweifelt hatte. Den Entschluss hatte auch Nastja vor einer Woche unterstützt, sie versprach ihm zu helfen, die bevorstehenden Schwierigkeiten zu überwinden. Gerade das Erscheinen dieses sympathischen Mädchens hatte ihm einen neuen Impuls zum Leben gegeben. Kusnezow zweifelte aus irgendeinem Grunde von der ersten Minute der Bekanntschaft nicht, dass sie, Nastja, der einzige Mensch auf dieser Erde, ihm Stütze und Ratgeberin sein, und, dass gerade diese Brünette seine Frau werden würde.
  Jetzt, durch die Straßen der Stadt gehend, warf er ziemlich oft einen Blick auf das schlanke Mädchen und konnte sie nicht verstehen. Wieso begann sie, nachdem er das Vergehen, sogar das Verbrechen schon begangen hatte, zu zweifeln. Der Gehende verbannte für eine Zeit Nastja aus seinem Kopf und stellte sich allein in diesem satten und reichen Land vor. Aus solcher Einsamkeit wollte man nicht nur weinen, sondern auch heulen wie ein Wolf. Er hätte es jetzt augenblicklich auch gemacht, wenn nicht die neben ihm Gehende Aussiedlerin gewesen wäre, die wie auch er schwieg. Sie machte nur hin und wieder einige Versuche, ein Blick des Geliebten zu erhaschen. In diesem Abend haben sie aus irgendeinem Grunde sehr oft ihre Blicke voneinander versteckt. Alexander schaute mit den Augen zur Seite, er überzeugte sich immer mehr und mehr davon, dass dem Mädchen die Schwere des militärischen Verbrechens, das er begangen hatte, nicht klar war. Er hatte es nicht ohne ihre Hilfe begangen. Von Zeit zu Zeit wollte er aus seiner breiten Handfläche die zarte und feuchte Handfläche vonn Nastja, die auf einen Augenblick sein Feind wurde, loslassen. Der junge Mann lockerte mehrfach die Muskeln seiner Hand, darauf hoffend, dass die junge Frau auch die Hand lockern würde und sie beide niemals die Hände einander geben würden. Er beabsichtigte nicht, ihr die Hand als Erster hinzuhalten, daran zweifelte er überhaupt nicht. Wie er auch daran nicht zweifelte, dass er von diesem Moment an alles anders machen würde. Nach ein paar Minuten würde er sich in einen Zug setzen und zum Versteck nach seiner Militärform und Militärkarte losrennen. Noch nach einer Stunde würde er sich in Soldatenuniform und mit dem Automaten in den Händen an der Station der Verladung befinden, die vor Soldaten und der Technik Tag und Nacht wimmelte...
  Aber das Zurückzukehren stand dem Burschen nicht bevor, Nastja nahm aus der breiten und groben Handfläche des Riesen ihre zarten Händchen nicht heraus. Im Gegenteil, sie presste die Hand ziemlich oft stark zusammen, presste sie mit ihrer ganzen Kraft zusammen. Der Mann fühlte diese weibliche Kraft und sie gab ihm ein größeres Selbstbewusstsein. Für einen Augenblick erinnerte er sich wieder an den prophetischen Traum, in dem die Mutter ihn bat, nach dem Willen Gottes weiter zu gehen, sicherer zu gehen...
  Kusnezow besuchte das Militärstädtchen erst nach zwei Wochen, nachdem die Motorzeiger es für immer verlassen hatten. Früher seine Nase hierher zu stecken, hatte Alexander nicht vorgehabt. Er schloss nicht aus, dass in einer beliebigen Kaserne oder in der Seitengasse jemand warten könnte, der mit dem Auffangen des Fahnenflüchtigen der ersten Motorschießkompanie beauftragt war. Er wusste auch selbst nicht, wieso er einen 'Besuch" in seiner Einheit machen wollte. Aller Wahrscheinlichkeit nach trugen seine Beine selbst ihn hierher. Und seine Seele sehnte sich nach der Vergangenheit, nach jenem Stückchen der Erde, wo ganz vor kurzem noch die sowjetischen Gesetze galten und die sowjetische Lebensweise war. Hier sprachen alle und alles russisch. Auf diesem Fetzen der Erde waren ihm verwandte Menschen, die für ein Ziel lebten, einen Angriff der Streitkräfte des Imperialismus abzuwehren. Kusnezow verbarg nicht das Gefühl des Stolzes, dass er die äußersten Grenzen des Sozialismus in Europa und der ganze Welt insgesamt schützte.
  Zum Tor des Kontrollpunktes des ehemaligen Militärstädtchens kam Alexander um etwa sechs Uhr abends, er hatte sich sehr leise unbemerkt herangeschlichen. Danach drückte er vorsichtig mit der Schulter auf das Metalltor. Es ließ sich mühelos öffnen. Im Städtchen war keine Seele, überall war Totenstille. Er machte paar Schritte vorwärts und blieb plötzlich stehen. Vor seinem Blick erschien wahrhaftig ein bedrückendes Bild. Das Stück Land, das unter den Maronen und der Grasrasen einst in Grün versunken war, stellte jetzt eine Ähnlichkeit dar, das die Sieger hinterlassen, wenn sie eine Siedlung erobert hatten. Das hatte Alexander im Geschichtsunterricht gelernt und auch etwas in Büchern gelesen. Die einst schönen Maronen waren auf barbarische Weise entstellt und erinnerten an die entlang der Wege stehende Obstbäume nach dem Ansturm der sowjetischen Soldaten, um Früchte zu naschen. Noch schlimmer sahen die Räume in den Kasernen aus. Auf vielen Stockwerken klafften Löcher zwischen den Fenstern. Alexander konnte nicht glauben, dass seine Kollegen in ein paar Stunden vor dem Abmarsch so grausam mit der Natur und der Wohnfläche umgegangen waren. Er ging mit einer nicht zu verbergenden Besorgnis und Aufregung in die Kaserne hinein und stieg in den zweiten Stock hinauf. Hier wurde auch etwas 'erneuert" nachdem er in der Nacht die Kompanie verlassen hatte. Gerade hier im Flur wurden Haufen des Mülls abgelagert. Aus der Toilette kam ein stinkender Geruch von menschlicher Scheiße. Der Riese hielt sich augenblicklich die Nase zu und tauchte in den einstigen Schlafraum ein. Das Fenster, das sich nicht weit von dem Bett des Schützen befand, war zerschlagen. Ein Teil des Glases ruhte auf dem Fensterbrett, der andere Teil lag auf dem Fußboden. Alle Betten, ausschließlich das Bett des Athleten der Kompanie, waren umgedreht. Es gab keine Zweifeln, dass die Kollegen, einschließlich Hauptmann Makarow, auf seine Rückkehr bis zum letzten Moment gewartet hatten. Sein Bett hatten sie auch deshalb nicht berührt, weil die Soldaten von dem Sibirier Angst hatten. Die physische Zwangsvollstreckung des Grünschnabels gegenüber den Alten am ersten Tag seines Ankommens in der Kompanie wurde zu einer lebenden Legende. Nach dem "Altern" Kusnezows wurde sie sich mit neuen und neuen Einzelheiten ergänzt. Alle, einschließlich der Offiziere, wussten, dass der Alte die jungen Soldaten nicht schlug. Er fasste auch die anderen nicht an. Fast jeder fürchtete allein schon sein Aussehen, ganz zu schweigen seine Faust. Die riesige Faust des Boxers war viel furchtbarer als die Faust des Kompaniekommandeurs. Die Militärangehörigen verstanden sehr gut, dass der Offizier sich fürchten würde, irgendjemand damit zu schlagen, um die Sternchen nicht zu verlieren. Soldat Kusnezow hatte nichts zu verlieren, die Entlassung war nicht weit hinter den Bergen...
  Alexander kam langsam zu seinem Bett heran und fuhr mit beiden Händen über das Metallnetz, danach weinte er. Ihm schien es, dass dieses Metall noch die Wärme seines Körpers bewahrt hatte und mit seinen Problemen und Sorgen noch lebte. Mit Tränen in den Augen setzte sich der ehemalige Soldat auf das Bett, dann streckte er sich aus und machte die Augen zu...
  Die physische und psychische Müdigkeit machte sich sofort bemerkbar. Der Athlet schlief augenblicklich ein, wie ein Kleinkind, das den ganzen Tag rum lief und sich dann an der mütterlichen Brust gesättigt hatte und sorglos eingeschlafen war. In dieser Nacht glich Alexanders Bett einem Federbett, obwohl er auf einem Metallnetz schlief. Er wachte morgens in der frühen Morgendämmerung auf. Er sprang schnell auf und ging auf den Dachboden, wo er ganz vor kurzem mit den Kollegen das Hinaustragen des "Körpers des Entlassenen" aus der Einheit begossen hatte. Der ganze Dachboden war vom Müll zugeschüttet, überall lagen leere Flaschen und Metalldosen herum. Dutzende
  Soldatenmatratzen, die überall rumlagen, waren zerrissen. Kisten für den Offiziershausrat gab es auf dem Dachboden nicht mehr. Es war nur eine geblieben. Darin wurde früher das Tischlerinventar aufbewahrt und einige "Vorräte" der Alten gelagert, die sie nicht getraut hatten, sie in ihrem Zimmer in der Kaserne zu lassen. Die Kiste wurde mit einem mächtigen Hängeschloss abgeschlossen, der Schlüssel wurde an einer geheimen Stelle versteckt. Der Boxer wusste nicht, wo sich der Schlüssel befand. Aber nicht, weil ihm die Kollegen nicht trauten. Er verbarg einfach nichts von den Offizieren, sogar seine Boxhandschuhe bewahrte er in der Kaserne auf. Der Hauptfeldwebel der Kompanie Fähnrich Nasarow zog manchmal die Handschuhe aus dem Schrank heraus, um die Untergebenen mit seiner Kraft zu ängstigen. Der Gott hatte ihn mit seiner Größe sehr beleidigt, aber mit "den Wurzel" hatte er ihn nicht benachteiligt. Der junge Mann war zwar klein, aber in den Schultern sehr breit. Er hatte auch sehr große Fäuste, auf die er nur mit Mühe die Boxhandschuhe drauf zog. Dem Vorgesetzten gefiel es besonders nach dem Besuch des Offizierscafés "zu boxen".
  Er kam in der Regel nach dem Schlusssignal, wenn die Soldaten wie verrückt in ihre Schlafräume stürmten und sich schnell ausgezogen und "die horizontale" Lage übernahmen. Niemand wollte dem kraftstrotzenden Menschen unter die Hand kommen. Nach ein paar Minuten klopfte es sicher an der Kammertür. Der Diensthabende der Kompanie, der die Tür öffnete, ging in den Truppenschritt über und berichtete ihm mit lauten Stimme, dass in der Gliederung das Schlusssignal erteilt worden und alles ohne Vorfälle verlaufen war. Der angetrunkene Fähnrich, der entspannt am Tisch saß, übernahm mit einem glückseligen Lächeln den Rapport. Noch mit größerer Lust zog er die Boxhandschuhe an und begann mit dem Sergeanten zu boxen. In der Regel endete der Kampf mit Sieg des Vorgesetzten. Manchmal bekam auch er etwas ab. Alles hing vom Gegner ab, die Alten gönnten sich, bissig zu antworten. Der nicht selten betrunkene Vorgesetzte befand sich dann auf allen "Vieren"...
  Diesmal war der Kiste 'des Alten' nicht nur geöffnet, sondern auch aus irgendeinem Grunde mit allerlei Soldatenklamotten aufgefüllt. Kusnezow entschied sich, auf alle Fälle den Inhalt der Kaste umzudrehen, hoffend, dass sich etwas Nützliches für den weiteren Aufenthalt findet. Er warf aus der Kiste ein paar blaue Decken, dutzende zerrissenen Soldatenhemden und ein paar Mäntel auf den Fußboden. Dann sah er einen Offiziersregen-umhang. Über den Fund freute er sich sehr, der Regenmantel war eine unersetzliche Sache während des Regens. Er nahm ihn augenblicklich in die Hände und erstarrte. Auf dem Boden der Kisten lagen ein Automat, zwei volle Magazine mit Patronen und zwei kleine Granaten. Vom diesem vollen Ausrüstungssatz kratzte es Alexander in der Kehle. Er setzte sich herunter und begann zu überlegen. Sofort kam ihm der Gedanke, das alles den ortsansässigen Deutschen zu verkaufen und zwar so teurer wie möglich. Nach dem Abmarsch der Russen war der Gewehrmarkt in Dachbau verschwunden, war für immer verschwunden. Aber nach wenigen Augenblicken verwarf der Riese diesen Einfal, kaum dass er sich allein im deutschen Geschäft oder in der Bierkneipe vorgestellt hatte. Mit Farid würde er sich viel mutiger benehmen. Die ortsansässigen Deutschen wussten sicher schon über das Verlassen der Motorschützen der Stadt Bescheid und deshalb konnten sie ruhig ihn ihrer Polizei oder denselben Russen, die sich noch in vielen Orten Deutschlands befanden, übergeben. Die Waffen auf dem Dachboden lassen wollte Alexander aber auch nicht. Nach einer Woche, und vielleicht sogar schon morgen, könnten im Militärstädtchen nicht nur ortsansässigedie lokalen Teenager, sondern auch die Erwachsenen erscheinen, die etwas "Interessantes" hier suchten...
  Kusnezow verließ die Kaserne nach einer halbe Stunde. Der Zivilmensch, der aus dem Eingang sehr vorsichtig hinausging, trug in den Händen ein neues automatisches Gewehr, eine Kalaschnikow mit einem vollen Magazin. Ein weiteres Magazin lag in seiner Tasche. Die Morgendämmerung brach schon kraftvoll herein und zwang den Fahnenflüchtigen sich zu beeilen. In andere Kasernen entschloss er sich nicht zu gehen, das Aussehen der übrigen Räume war gleich. Das auftauchende Hungergefühl zwang ihn sich in Richtung Offizierscafé zu bewegen. Während des Dienstes hatte er diese Stehkneipe nur einmal besucht, wo er nach Befehl des Diensthabenden der Einheit des Kompaniechefs den Hauptfeldwebel suchte. Etwas Essbares gab es weder im Keller noch im Café. Hier gab es auch keine Flaschen mit Spirituosen oder mit Limonade...
  Aus dem Café begab sich der Riese in Richtung Soldatklub, der sich dem Truppenplatz anschloss. Der Platz wurde früher von den großen Porträts der politischen Führung der kommunistischen Partei und des Sowjetischen Staates umrahmt. Gegenüber dem Klub, gleich am Anfang des Platzes, stand eine farbenreiche Wand, die eine Kopie der Kremlwand auf dem Roten Platz darstellte. In der Mitte dieser Wand befand sich ein riesiges Wappen der Sowjetunion. Als Alexander es sah, erschrak er ein wenig. Fast die gesamte anschauliche Agitation war aus irgendeinem Grunde auch noch jetzt hier, obwohl das Regiment aller Wahrscheinlichkeit nach schon seine Reise beendet und sich schon irgendwo einquartiert hatte. Vor Angst blieb er stehen und schaute sich furchtsam um. Seinen Körper überlief eine leichte Kühle, als er sich für nur einen Augenblick den Kommandeur der Einheit auf der "Regierungstribüne" vorstellte. Von dieser Stelle las jener die verschiedensten Befehle und gab seine "wertvollen" Hinweise. Kusnezow schaute sich zur Beruhigung seiner Seele und seines Herzes noch einmal aufmerksam um, er entdeckte niemanden und nichts Gefährliches um sich herum. Und das hatte ihm Mut gemacht. Er zog den Verschluss des Automaten schnell zurück, dann drückte er auf den Abzugshaken und fing an mit dem Automat zu den Seiten zu schießen. Bald wurde der Kalasch still. Alexander schob das andere Magazin maschinell ein und leerte auch das mit Erbitterung. Danach warf er mit einer Bosheit den Automaten auf die Erde und lief in Richtung des Waldes. Aus seinen Augen liefen Tränen...
  Der erste Monat des Aufenthaltes des Fahnenflüchtigen der Sowjetischen Armee, des Soldaten Kusnezow, am neuen Wohnort verflog unbemerkt.
  Die erste Woche beschäftigte er sich mit der Einrichtung des Klosters, das sich mit jeder Stunde verwandelte. Das verlassene Wochenendhaus stellte einen kleinen Bau dar, der aus ziemlich guten Brettern zusammengenagelt war. Darin war praktisch fast alles Notwendige zum Leben. Gegenüber der Tür stand ein Bett mit einem Nachtschränkchen. Hier gab es auch einen runden Tisch mit einer Tischlampe. Wofür und warum sie hier stand, war für den neuen Bewohner unverständlich. Irgendwelche Quellen des Stromes im zugewachsenen Garten gab es nicht, aber das entmutigte ihn überhaupt nicht. Unter dem Bett hatte er einen kleinen Eimer mit Wachskerzen gefunden, etwa zwanzig Stück. Fünf Schachteln Streichhölzer waren auch vorhanden. Alexander dankte in Gedanken dem Gartenbesitzer für seine Voraussicht. Die weiteren "Ausgrabungen" übertrafen alle seine Erwartungen. Unter dem Bett fand er einen ziemlich großen Koffer in grauer Farbe, der mit einem Schloss abgeschlossen war. Er öffnete ihn längere Zeit nicht. In seinem Kopf schwebten immer noch die beunruhigten Gedanken, dass der Besitzer gleich erscheinen würde und er verschwinden müsste. Der Flüchtige fasste den Mut, das Schloss auf dem guten Koffer erst nach nach der Vollendung der häuslichen 'Einrichtung' aufzubrechen. Das Schloss unter dem Druck seiner Kraft und aufgrund der Qualität des sowjetischen Bajonettmessers vom automatischen Gewehr "Kalaschnikow" öffnete sich augenblicklich. Beim Anblick des Kofferinhaltes fing der Riese zu tanzen und sogar zu singen an. Nach ein paar Augenblicken hatte er den ganzen Koffer durchwühlt und danach breitetet er sich vergnüglich auf dem Bett aus. Er breitete sich vor Freude und vor einer Empfindung aus, weil es ihm schien, dass Gott sich entschieden hatte, ihm tatsächlich zu helfen, sich auf dem Territorium Deutschlands einzuleben. Alle Sachen im Koffer waren neu und alle sie passten ihm. Er dankte erneut dem unbekannten Deutschen, der, wie auftragsgemäß, dem sowjetischen Soldaten die Decke über den Kopf und die Kleidung vorbereitet hatte. Geld war nicht im Koffer...
  Die erste Woche des Aufenthaltes im Garten wie auch die nachfolgende unterschied sich beim Fahnenflüchtigen nicht durch große Vielfältigkeit. Abends durchquerte er den ziemlich langen Garten, der sich nicht nur der Fläche nach groß erwiesen hatte, sondern sich auch durch die Vielfalt der Obstbäume unterschied. Alexander kannte sich in den Sorten der Äpfel oder Birnen kaum aus, die grimmige Kälte verschonte in seiner Najdenowka nur die wilde Apfelbäume und die nicht immer. Nachdem Alexander die Einheit verlassen hatte, kleidete er sich sofort in den schwarzen Jogginganzug mit den weißen Streifen auf den Ärmeln der Jacke und auf den Hosen um. Die Militäruniform legte der Fahnenflüchtige in eine Plaste und vergrub sie nicht weit vom Wochenendhaus. Die Zivilkleidung verwirrte den ehemaligen Militärangehörigen überhaupt nicht, in diesem Gewand war er Tag und Nacht. Der Mieter bewegte sich darin fast ohne jede Angst bis zum nahegelegenen deutschen Dorf Steinholz, das sich in fünf Kilometern vom sowjetischen Militärstädtchen befand. Die Besuche in die Siedlung machte der Fahnenflüchtige einmal pro Woche montags, er ging Lebensmittel einkaufen. Am Anfang der Arbeitswoche war das Dorf überhaupt menschenleer. Unterwegs und auch im Dorf schenkte man dem großen jungen Mann im Prinzip keine Aufmerksamkeit. Ausnahme waren einige Mädchen. Sie hielten manchmal sehr starr den Blick auf dem großen und schlanken Mann, dessen Kopf und Gesicht mit schwarzen Haaren und dicken Borsten heftig zuwuchsen.
  Die Frisur und der Bart erfreuten den jungen Burschen. Jetzt bezweifelte er überhaupt nicht, dass die sowjetischen Tschekisten und ortansässige Deutschen darin den sowjetischen Fahnenflüchtigen, zu deren Kategorie der ehemalige Soldat sich jetzt zählte, kaum erkennen konnten. Im Dorf gab es wenig Geschäfte, sehr wenig.
  Meist besuchter Ort für den Entlaufenen wurde das Lebensmittelgeschäft. Hier kaufte er Brot und Limonade, er kaufte das Billigste. Alexander kam hierher nicht nur wegen der notwendigen Lebensmittel. Im winzigen kleinen Geschäft gefiel ihm die junge Verkäuferin, sie war sehr schlank und glich etwas einem russischen Mädchen.
  Der Riese hatte sie sofort bemerkt, als er an die Kasse herantrat. Alexander hatte nichts dagegen, sie noch am ersten Tag kennenzulernen, aber er hielt sich zurück. Der Grund war, dass er die deutsche Sprache nicht beherrschte, er konnte nicht deutsch sprechen und so ging es auch weiter. Im letzten Sommermonat suchte der Riese dutzende Male das Geschäft auf und alle diese Besuche unterschieden sich nicht durch irgendwelche Vielfalt in den menschlichen Beziehungen zwischen den zwei jungen Menschen. Der stattliche schöne Mann legte die Ware wie immer auf den kleinen Tisch vor der Kasse und lächelte heiter. Die schlanke Verkäuferin packte wie immer das Brot und die Limonade akkurat ins Paket und hob dann den Kopf hoch... Für einen Moment trafen sich die Augen des Russen und der Deutschen, sie lächelten. Daraufhin ging alles aber zu Ende. Der September kam. Den ersten Besuch ins Dorf hätte der Flüchtige fast verschoben. Brot hatte er noch, Obst gab es auch genug. Dazu hatte sich auch das Wetter heftig geändert, von Morgen an fiel ein kalter Regen. Aber der Wunsch, die junge Deutsche zu sehen, siegtesiegte bei dem Verliebten. Alexander kam ins Geschäft nur zur Mittagszeit, die Blondine war sehr aufgelebt in diesem Tag. Der einzige Kunde im Geschäft bemerkte es sofort, kaum er vor der Kasse mit "den diensthabenden" Lebensmitteln erschienen war. Die Verkäuferin wollte diesmal aller Wahrscheinlichkeit die sehr geringe Ration des ständigen Käufers zu ergänzen und begann etwas zu sagen. Kusnezow lächelte froh als Antwort darauf wie auch die junge Person und sagte ein und dasselbe Wort "Ja". Die Bedeutung dieses Wortes sowohl russisch als auch deutsch kannte der Kunde. Alles andere, was die Deutsche sagte, verstand er nicht. Sie sprach nicht nur, sondern tat auch was. Die Augen des jungen Mannes füllten sich immer mehr und mehr vor Erstaunen und Angst mit jeder Bewegung der Verkäuferin. Sie sah den Mann mit ihren Augen liebevoll an und legte vor ihm ein paar kleine Brötchen und etwas Kuchen hin. Dann tauchte vor dem Riesen ein ziemlich großes Brötchen, oder war es ein Kuchen, auf. Der Kunde mit dem fast bis zu den Ohren geöffneten Mund konnte immer noch nicht das Geschehene verstehen. Bei ihm 'machte es klick' erst dann, als er auf dem Kassendisplay die Zahlen sah. Daran, dass man ganze dreißig Mark bezahlen müsste, zweifelte der Käufer schon nicht mehr. So viel Geld hatte er bei sich nicht, nicht nur bei sich, sondern auch überhaupt nicht. Von der unerwarteten Verlegenheit errötete Alexander völlig, auf seinem Gesicht traten große Schweißtröpfchen. Bei dem Mädchen machte es etwas später "klick". Sie dachte nicht, dass dieser schöne Bursche kein Geld hätte. Dazu hatte er mit einer Freude alle ihre Vorschläge angenommen. Sie war zuerst sogar verlegen, aber es dauerte nur ein paar Augenblicke. Als sie verstanden hatte, dass vor ihr ein Ausländer, der überhaupt nicht Deutsch versteht oder, vollkommen möglich, sogar ein psychisch Kranker steht, beschloss sie, schnell den Fehler zu korrigieren. Und dabei half ihr selbst der Riese. Er wählte aus dem ganzen Überfluss der Lebensmittel wieder die "geliebten" aus. Die Verkäuferin nahm mit einem Lächeln aus der großen Handfläche des Kunden die Zweimarkmünze. Der Käufer ging aus dem Geschäft hinaus und holte erleichtert Luft. Er hatte erst jetzt verstanden, dass er ohne deutsche Sprache in diesem Land nichts erreichen konnte...
  Das Wetter hat sich Ende September heftig geändert, es wurde sogar richtig sommerlich.
  Das freute Alexander sehr, die Sonne hatte in seiner Laube "ständig Dienst". Er befand sich praktisch die ganze Zeit iim Hellen in dem zugewachsenen Garten, aber in dem geschlossenen Ort wurde ihm es langweilig. Etwas Neues in seiner Lebensweise suchen wollte er an seinem Geburtstag, am 25. September. Er mochte alle Daten, die auf null und Fünf endeten. An diesem Tag gönnte sich das Geburtstagskind bis zum Mittag zu schlafen und hat auch eine Ausnahme in der Nahrungsmenge. Er ging in sein Versteck und holte eine große Dose sowjetischen Büchsenfleisches. Gegen Abend verließ er seine Laube und begab sich zum kleinen See. Der Bursche hatte ihn vor ganz kurzem während eines Ausflugs entdeckt. Am See war jetzt niemand mehr. Die Feier beim Geburtstagskind war bescheiden, aber es blieb in Erinnerung. In diesem Abend aß sich der Flüchtige, der zweiundzwanzig Jahre geworden war, richtig satt. Er badete auch viel. Die Essvorräte, die er aus der Soldatengaststätte des Motorschießregiments gestohlen hatte, brachte der Fahnenflüchtige in den Garten erst nach zwei Monaten nach der peinlichen Situation im Geschäft. Die Möglichkeit des Erscheinens des Gartenbesitzers zwang ihn nicht nur, die Lebensmittel und die Waffen zu verstecken, sondern sich auch mit ziellosem Spazierengehen durch den Garten oder in seiner Nähe zu beschäftigen. Manchmal ermüdete er furchtbar von dem ständigen Hin- und Hergehen und "schaltete ab", er schlief sehr lange. Jetzt kommandierte den jungen Einsiedler niemand mehr. Über ihn wachten weder die Schullehrer noch Offiziere, die ihn lehrten, richtig auf der Schulbank zu sitzen oder richtig die Stiefellappen umzuwickeln. Es waren auch keine Eltern um ihn herum. Neben ihm war keine menschliche Seele. Mit ihm war nur eins, die Natur. Von diesem Himmel, dieser Sonne, diesen friedlich stehenden Bäumen fürchtete sich der Riese überhaupt nicht. Und in all das, was mit dem Menschen und seinen Sünden nicht verbunden war, hatte er sich verliebt, sich leidenschaftlich verliebt. Es waren zwei Monate vergangen, seit er die Einheit verlassen hatte. Sogar in dieser sehr kurzen Zeit fühlte er sich stärker mit der Natur verbunden, sie hatte ihm nie etwas Böses getan. Das Zusammenleben des flüchtigen Soldaten mit dem Wunder Natur hing ziemlich oft von seiner Stimmung ab. Kusnezows Stimmung nach der Flucht aus der Einheit war meistens schlecht, oft quälte ihn die Angst. Er fürchtete sich vor allem, erschrak sogar von einem unerwarteten Klopfen oder dem Krachen der Ästchen im Wald. Vor Angst stand der Riese für ein Augenblick still und sah aufmerksam alles ringsherum an. Ihm schien es, dass hinter jedem Baum ein deutscher Polizist oder sowjetischer Offizier aus der Abteilung "schweige-schweige" lauerte. Er lief ziemlich oft wegen eines unbekannten Lautes oder lauten Geräuschen weg. Infolge der Angst suchte der sehr große Mensch im Jogginganzug während seines nächsten "Spazierganges"schon nicht mehr den "verdächtigen" Wald auf. Er suchte für seine Einsamkeit eine andere Stelle, die ihm bis jetzt unbekannt und unverdächtig war. Manchmal irrte der Entlaufene ziemlich lange umher, aber ihn retteten die Schilder auf den deutschen Wegen...
  Die Angst erzwang den Fahnenflüchtigen, alle Vorsichtsmaßnahmen auch während des Aufenthaltes in seiner Laube zu beachten. Er begann "seine Arbeiten" erst dann zu erledigen, wenn er den Umkreis des Gartens untersucht hatte. Dafür brauchte er etwa dreißig Minuten, mitunter auch mehr.
  Erst als er sich davon überzeugt hatte, dass niemand da war, begann er im eigentlichen Sinne, sich mit Lebensproblemen zu beschäftigen. In der Laube oder einer anderer Stelle zu schlafen, bestimmte der Riese nicht selbst, sondern einfach der Aberglaube. Als ein Symbol dafür wurde eine gewöhnliche Münze, eine Markmünze. Alexander warf mit stockendem Herzen die Münze nach oben und auch mit stockendem Herzen ließ er seinen Kopf nach unten zur Erde sinken. Er "stählte" immer auf den Adler. Die Wappendarstellung hatte ihm Glück gebracht, sowohl in der Heimat als auch im Dienst, wenn er mit den Kollegen um etwas gewettet hatte. Der Adler verließ auch jetzt nicht den Fahnenflüchtigen. Er hob die Münze von der Erde und küsste leidenschaftlich die Wappendarstellung. Dann ging Alexander tapfer dazu über, alles zu machen, was er geplant hatte. An diesem Tag schlief er wesentlich früher ein, sogar die Tür seiner Laube schloss er nicht einmal ab.
  Vor dem Schlaf wiederholte der junge Mann mehrmals laut einen kurzes Gebet. Es war eine einfache Bitte an Gott, dass diese Nacht und der nächste Tag ihm Ruhe und nur Ruhe bringen sollten. Mit dieser Bitte schlief er ein und mit ihr wachte er auch auf.
  Mit der Zahlseite hatte der Flüchtige immer Pech, deshalb versuchte er dann, sich vor allerlei Abenteuern zu schützen, in dieser Nacht schlief er nicht in der Laube. Er zog auf sich außer dem Jogginganzug die Offizierspanzerjacke an und ging ins Garteninnere, wo auf ihn die selbstgemachte Hängematte wartete. Er hat sie am ersten Tag, als er die Einrichtung der fremden Laube beschlossen hatte, hergestellt. Der Liebhaber der frischen Luft schlief sehr spät ein, er dachte und dachte immer über etwas nach. Die Gedanken waren meistens beunruhigt und freudelos, besonders dann, wenn der Bauch stark knurrte. Manchmal schien es Alexander, dass sein Bauch gleich explodieren würde. Er verließ ziemlich oft die Hängematte, um sich irgendwie "zu entladen". Von Zeit zu Zeit wiederholte sich diese "Entspannung" jede halbe Stunde. Er träumte in diesem Moment von den Soldaten 'Gerichte', die er sehr schnell verschluckt hatte. Dabei hatte der, dem das Wasser im Mund zusammen lief, jetzt weder die leere Suppe noch den stinkenden Fisch. Er hatte nur die frische Luft und das Gefühl der Freiheit. Welche Freiheit es war, von wem oder wovon er frei war, war es dem Fahnenflüchtigen auch selbst nicht bewusst...
  Die Naturgesetze zeigten sich hartnäckig, der Herbst kam. Das Laub fiel von den Bäumen, es sind auch die Liebhaber im grünen Garten zu bummeln, verschwunden.
  Der Flüchtige bewohnte immer mehr und mehr seine Laube, sie wurde für ihn von Tag zu Tag heimlicher und wärmer. Erst Ende Oktober brachte er den Automaten und die Munition in die Laube, er hatte sich entschieden, sich niemals von den Waffen zu trennen. Sogar in der Nacht, in der der Adler ihn begleitete, lag der Automat mit einem vollen Patronenmagazin unter dem Kissen des Soldaten, lag für alle Fälle. Der Bewohner des zugewachsenen Gartens schloss noch nicht aus, dass irgendjemand von der Polizei oder aus den Resten WGT versuchen würde, ihn zu suchen. Alexander weinte sehr oft in den Nächten, in den Händen den Automaten fest zusammenpressend. Von seinen Tränen schämte er sich nicht, wie er auch nicht fürchtete,, ermordet zu werden. Ihm war es gleich mit wem zu kämpfen oder wen er zu töten hätte. Eins war ihm klar, lebendig würde er niemanden in die Hände fallen und sich niemals ergeben. Er hatte in seiner Kindheit und auch als junger Mann mehr von den Mädchen Angst und sich geschämt als von Milizionären oder Militärs. Sein Mütterchen erschrak das Kind mit dem Onkel in der roten Schirmmütze ziemlich oft, der Sanetschka ins Gefängnis nur dafür stecken könnte, wenn jener nicht auf die Eltern hört. Der Fahnenflüchtige schloss auch ein Selbsterschießen nicht aus, das erschrak ihn auch nicht besonders. Von einem ähnlichen Fall hatte der Gruppenführer den Grünschnäbeln auf den Schießübungen erzählt. Ein jungern Soldat aus dem Panzerregiment, das sich nicht weit von den Motorschützen befand, hatte die Verspottung und die Quälerei der Alten nicht ertragen und war mit der Waffe in den Händen weggelaufen. Er war in der Nacht zwanzig Kilometer durchgelaufen und hatte sich in einem deutschen Garten in einer Laube versteckt. Den Entlaufenen hatte man am zweiten Tag gefunden, man hatte ihn umzingelt und aufgefordert sich zu ergeben. Der Fahnenflüchtige hatte bewaffneten Widerstand geleistet, danach sich selbst erschossen. Kusnezow hatte überhaupt keine Zweifel daran, dass in der Heimat ihn niemand begnadigen würde, er würde aufs ganze Maß bekommen. Dazu hatte er auch keine "haarige" Hand, die in irgendwelchem Grad seinen Fehler ausbügeln könnte. Sogar bis zur weiten Najdenowka gelangten die Gerüchte über die Machenschaften der Parteiarbeiter, für die irgendwelche menschlichen Gesetze nicht existierten. Gegen die Gottlosen auf dieser Erde gab es keine Macht, aber dem einfachen Jungen würde sofort eine Schlinge umgelegt. Von diesen Gedanken presste der junge Philosoph den Automaten mit den Händen noch fester zusammen, der für ihn jetzt nicht nur Werkzeug der Vergeltung, sondern auch Werkzeug des Schutzes der sozialen Gerechtigkeit war. In einigen Momenten seiner Überlegungen tat dem Entlaufenen das Schicksal des Hauptmanns Makarows Leid. Er wusste es sehr gut, dass die zwei berühmten russischen Familiennamen in allerlei Unterlagen und Bücher des sehr großen Vorgesetzten dabei für sehr lange "umsiedeln" würdenerden. Die Fahnenflucht des Untergebenen begrub die Karriereträume des Kompaniechefs in der Sowjetischen Armee für immer. Der Kommandeur der Kompanie war für die Untergebenen ein anständige Offizier und Mensch gewesen. Das Mitleid des Riesen für den Landsmann erweckte für einige Augenblicke wieder den Wunsch, auf seinen Entschluss zu verzichten und in die Einheit zurückzukehren. Jedoch nach einer Weile verzichtete er auf seine Gedanken und hielt das Alles für eine einfache menschliche Schwäche. 'Der Armeealte", trotz seiner Jugend und sehr geringen Lebenserfahrung kannte sehr gut die nicht festgeschriebenen Gesetze der Institution und jenes System, in dem er diente und lebte. Beliebige Fehler des Untergebenen, sogar ungeachtet seiner offenherzigen Anerkennung und seiner Reue, wurden bis zu einem bestimmten negativen Kult gehoben. Alles hing davon ab, wer sich etwas zu Schulden hatte kommen lassen. Er bezweifelte überhaupt nicht, dass sein "Fehler" auch ihm angerechnet und er wie auch hunderte Andere entsprechend seiner Verdienste was abbekommen würde. Für die Fahnenflucht des Schützen würde Hauptmann Makarow auch voll bestraft werden. Darunter würde nicht nur er selbst, sondern auch seine Familie leiden. Der Flüchtige stellte sich für einen Moment das weinende Töchterchen des Vorgesetzten vor. In der Wohnung des Kompaniechefs war er nur ein paar Mal und ihm gefiel das kleine Mädchen, das beim Anblick des sehr großen Militäronkels aus irgendeinem Grund weinte und sich die ganze Zeit auf den Vater und die Mutter umschaute...
  Das nächste Treffen Alexanders mit Nastja geschah erst vor Silvester, es war fast ein halbes Jahr seit ihrem letzten Treffen vergangen. Alexander wusste auch selbst nicht, warum er sich in dieser Siedlung so lange nicht gezeigt hatte, obwohl er Sehnsucht nach seiner Beliebten hatte. Gleichzeitig vergaß er auch nicht ihr letztes Gespräch, das sein Herz und seine Seele ziemlich stark berührt hatte. In Bonhaus kam Kusnezow sehr spät, um elf Uhr abends an. Er fuhr ohne Fahrkarte und "sicherte" sich fast die ganze Zeit von Kontrolleuren. Er ging sofort ins russische "Wohnheim". Die Eingangstür des Wohnheimes war schon abgeschlossen. Nastja kam erst nach einer halben Stunde zum Eingang heraus, sie war nervös. Sie schenkte zuerst demgroßen an der Tür stehenden Mann mit einem dichten zuwachsenden Bart keine Aufmerksamkeit und ging auf den Hof hinaus, wo leidenschaftliche Kartenspieler weiter Karten spielten. Erst nach ein paar Augenblicken, als Alexander sie gerufen hatte, erkannte sie in ihm 'ihren'.
  Nastja, wie ein ausgelassener Bub, "lief" mit den Augen über die Figur des Bärtigen, dem der neue Anzug sehr gut saß, und lachte laut. Davon, dass sie auf ihn gewartet hatte, überzeugte sich Kusnezow sofort, kaum dass er den leidenschaftlichen Kuss des Mädchens spürte. Der Spaziergang in der nächtlichen Stadt zog sich auch dieses Mal hin. Nach der halbjährlichen Abwesenheit des Bräutigams entschied sich die Braut, ihre Seele so richtig auszuschütten. Zuerst gingen sie das russische Wohnheim "durch", in dem der neue Kommandant das Durchlassregime verschärft hatte. Danach redete sie eine halbe Stunde über ihre Eltern, die in der benachbarten Stadt eine Arbeit in ihrem Beruf gefunden hatten und nicht schlecht verdienen würden. Sie erzählte auch etwas über sich, zuerst das Negative, danach das Positive. Ihre zwei Kurse des pädagogischen Institutes benötigte hier niemanden wie auch nicht Lehrer für russische Sprache und Literatur. Zu ihren Eroberungen zählte die Gesprächige die Sprachkurse, die sie als beste in der Gruppe beendet hatte. Um ihre "Kenntnisse" vorzuführen, sagte die Braut ihrem Geliebten manchmal ein paar Sätze deutsch. Jener konnte das Wissen der Geliebten nicht richtig bewerten, weil er die deutsche Sprache nicht beherrschte. Er lachte nur hinreißend und küsste leidenschaftlich die Kluge auf den Mund. Jene redete durch diese Küsse noch etwas mehr und lauter deutsch und übersetzte es gleich ins Russische...
  Das verliebte Pärchen kam frühmorgens ins Wohnheim, dessen Bewohner alle noch fest schliefen. Nastja lief schnell in ihr Zimmer und brachte von dort eine Matratze. Danach gingen die jungen Leute in den Keller, wo sich das Zimmer für verschiedene Sitzungen und Beratungen befand, die hier der Kommandant des Wohnheimes durchführte. Nastja breitete mit den Rechten einer Bewohnerin die Matratze auf dem breiten und langen Tisch schnell aus und bedeckte sie mit einem Laken.
  Alexander freute sich sehr über das Bett, er hatte schon lange nicht mehr auf einem reinen Laken geschlafen. Danach redeten der Bursche und das Mädchen ein wenig über die morgigen Pläne. Nachdem Nastja dem Geliebten einen Kuss fest auf den Mund gedrückt hatte, winkte sie ihm mit der Hand und schloss hinter sich fest die Tür...
  Der Bärtige zog die Decke über den Kopf und schlief augenblicklich ein. Nach einer halben Stunde klopfte es stark an der Zimmertür, der Schlafende reagierte auf das Klopfen nicht. Das Klopfen wiederholte sich, diesmal war er sehr stark und hartnäckig. Kusnezow öffnete die Augen und konnte sich zuerst in der Dunkelheit nicht zurechtfinden. Das Klopfen wiederholte sich wieder, der auf der Matratze Liegende beschloss, nicht zu reagieren. Er zweifelte überhaupt nicht daran, dass nicht Nastja an der Tür klopfte, sondern ein fremder Mensch. Nach dem nächsten Klopfen geriet der Bärtige in Verwirrung und wusste nicht, was er weiter tun sollte. Eins wusste er genau, dass zur nächtlichen Zeit Unbefugten der Eingang ins Wohnheim streng verboten war. Von der Gefühl, dass hinter der Tür der Kommandant oder ein Polizist stehen könnte, wurde ihm heiß. Er drückte sich noch stärker in die Matratze hinein und bemühte sich, in irgendwie nicht bemerkt zu werden... Nach einigen Augenblicken öffnete sich die Tür und das Zimmer wurde von einem grellen elektrischen Licht erhellt. Alexander bedeckte augenblicklich die Augen mit den Händen und in diesem Augenblick drang zu ihm eine laute Stimme:
  - Kusnezow, du, Dienender, stehe auf... Ich will mit dir sprechen... Stehe auf und komm raus auf die Straße, ich werde auf dich dort warten....
  Wer sprach und wer ihn frühmorgens wecken musste, konnte der Fahnenflüchtige nicht verstehen. Er stand langsam aus dem Bett auf und ging auch langsam aus dem Keller hinaus. Neben dem Ausgang aus dem Wohnheim hat Kusnezow einen Mann, der etwa fünfzig Jahre alt war. Irgendwelche "Defekte" in seinem Äußeren gab es nicht, wenn man seine kleine Größe nicht dazu rechnete. Alexander schätzte ihn auf eine Größe von einem Meter sechzig, nicht mehr. In den zwei Jahren in der Armee hatte er gelernt, fast genau die Größe der Kollegen zu erkennen. Aller Wahrscheinlichkeit nach waren es die Folgen der Besichtigungen und Befehlsübungen, die den Soldaten manchmal bis zu Verirrung führten. Daran, dass vor ihm Nastjas Vater stand, zweifelte der Bärtige schon überhaupt nicht mehr. Dieser Typ blieb aus vielen Gründen gleich und für lange Zeit in seinem Gedächnis. Er erinnerte sich an ihn wegen dem Kaste von Wodka, den er mit den Verwandten im Standortgeschäft kaufen wollte und wegen der Kaninchenmütze, die Peter bei der damaligen Hitze trug. Auf die Begrüßung des Herauskommenden reagierte der Mann in keiner Weise, er tat ihm auch nicht den Gefallen, die Hand zur Begrüßung auszustrecken. Die ganze Art des Mageren, sogar seine engen Augen, drückte nicht menschliches Misstrauen gegenüber dem ehemaligen Streifen aus. Davon wurde es in der Seele des ehemaligen Soldaten ungemütlich, sogar kalt.
  Peter Kejt gab sich in der Wortwahl und im menschlichen Benehmen keine Mühe, er hatte sich entschieden, energisch und frech mit dem umzugehen, der sich erlaubt hatte, mit seiner Tochter 'das Wasser zu trüben". Er legte die Hände über dem Bauch zusammen, als ob solche Haltung ihm Kräfte gab, und zischte mit boshaft:
  - Ich habe schon von dir und deinen Heldentaten gehört... Du bist unter dem weltweiten Aufruf über die Abrüstung aus dem Motorschießregiment desertiert... Meine Närrin summt die ganze Zeit allen darüber, dass ihr Liebhaber ein anständiger Bursche sei, obwohl sie sich darin sehr stark irrt... Ist es richtig, was ich sage, du, Fahnenflüchtige?
  Der Bärtige entschied sich, auf die Frage des Mageren nicht zu antworten. Unter dem stechenden Blick des noch verhältnismäßig jungen Mannes fühlte sich der Riese wie ein sehr armes und winziges Wesen. Er wollte jetzt nur eines: unter die Erde sinken und sich augenblicklich in 'dem Viehwagon' zu befinden, der sich in Richtung Russland bewegte.
  Der Aussiedler sah und verstand sehr gut, dass der vor ihm strammstehende Riese in irgendwelchem Maß sich seines Vergehens bewusst war, deshalb entschied er sich, Kusnezow den Todesstoß zu versetzen.
  - Du denkst, - setzte der Knirps frech fort, - bei uns im Wohnheim sind alle Dummköpfe und verstehen nicht, warum du hier bist. Einen wie dich haben die Deutschen hier vor einem Jahr festgenommen. Auch dich werden sie fassen, ich bezweifle das nicht im Geringsten. Für mich, einem ehemaligen Soldaten, der in China das Brot mit dem Sand fraß, ist kränkend zu lesen und zu hören, dass hunderte unserer Soldaten durch die Wälder schlendern und die Ortsbewohner belästigen...
  Nach diesen Worten entschloss sich der Bärtige, zu widersprechen und den Mund aufzumachen, um irgendwelche Erklärungen dem Beleidiger zu geben. Er bezweifelte in diesem Moment schon überhaupt nicht, dass er noch eine Möglichkeit hatte, die Situation zu retten. Wie er auch nicht bezweifelte, dass Nastja alles Mögliche für die Normalisierung der Beziehungen zwischen den zwei Männern unternehmen würde. Er schaute aufmerksam in die Augen des Vaters der Braut, schaute und ließ den Kopf sinken. Aber den mageren Knirps aufzuhalten, war unmöglich. Der Mann, dessen Gesicht von der nervösen Anstrengung rot wurde, fuhr in seinen Anschuldigungen fort:
  - Ich will dir, du, Fahnenflüchtiger, die Wahrheit sagen... Meine Tochter wird niemals mit dir zusammen sein... Sie wird sich nicht im Elend mit einem Fahnenflüchtigen auf der Erde der Vorfahren quälen. Das kannst du dir auf deine Stirn schreiben... Und noch was... Wenn du es nicht verstehen wirst, so mache dir selbst Vorwürfe... Ich werde dich einfach wie einen obdachlosen Hund umbringen... Hast du, Dummkopf, mich verstanden... Mir reicht es, was ich und meine Eltern beim vorigen Regime erlebt haben...
  Nach diesen Worten schwieg der Vater des geliebten Mädchens, dann drehte er sich heftig um und lief stürmisch ins Wohnheim hinein. Nachdem Peter Kejt hinter der Tür verschwunden war, blieb der "Beleidigte" neben dem Eingang ins Wohnheim weiter stehen. Er stand, wie ein Soldat, stramm, stand ohne irgendwelchen Gedanken im Kopf. Sein Organismus war von der Außenwelt abgeschaltet. Er verstand noch nicht, was mit ihm geschehen und warum es geschehen war. Erst auf dem Bahnhof hatte es bei ihm 'klick gemacht'. Vom Schmerz im Herz und von der seelischen Leere gezwungen, setzte sich Alexander auf das Bahnhofsbänkchen. Der Gedanke daran, dass er heute Nastja verloren, für immer verloren hatte, erschreckte ihn. Je mehr er daran dachte, desto stärker und beunruhigter schlug sein Herz. Eine Rückkehr zum Mädchen gab es nicht, weder heute, noch morgen, niemals mehr auf dieser Welt. Und der Grund dafür war ihr Vater, der kleine Mann. Für Augenblicke erinnerte sich Kusnezow in seinen Gedanken an die Augen dieses Menschen. Sie waren voll des Hasses und der Verachtung für ihn, den jungen und schönen Menschen, dem die Tochter des Knirpses sehr gefiel. Alexander bezweifelte überhaupt nicht, dass dieser "Ankläger" auch noch mehr machen könnte... Er fürchtete sich nicht vor dem Tod, besonders nicht aus Liebe zum Mädchen.
  Den einsamen Menschen, der sich auf dem Bahnhof der schon fremden Stadt befand, erschreckte jetzt nur eins, die bevorstehende Strafe für das militärische Verbrechen. Er hatte alle Fristen "versäumt" und jetzt machte es keinen Sinn mehr, um Gnade von irgendwelchen Armeevorgesetzten zu bitten. Die Zeit und die Möglichkeiten dazu waren für ihn vergangen, waren für immer vergangen. Für immer war auch das geliebte Mädchen weggegangen...
  Kusnezow saß auf dem Bahnhof bis zur letzten Bahn. Die Hoffnung, dass Nastja wieder kommen würde, wie auch früher, und sie würden durch die Stadt schlendern, verließ ihn nicht ganz. Dann würde sich das verliebte Pärchen eine Zeit lang zurückziehen und sich den Küssen überlassen. Dem Mädchen gefielen die leidenschaftlichen Küsse des jungen und schönen Burschen sehr. Sie verstellte sich in der Seele überhaupt nicht, als sie sich eingestanden hatte, dass dieser ungelernten und bettelarmen Riese ihr viel mehr gefällt als der Ingenieur Nikolaj, mit dem sie in Sibirien einst beabsichtigte, ihr Schicksal zu teilen. Das hatte sie Alexander erst vor kurzem anvertraut. Und hier hatte sie genug Burschen, die ihr nachliefen, wenn nicht der Vater wäre, der aus irgendeinem Grund in der Heimat der Vorfahren sehr streng zu den Kindern geworden war, besonders zu der erwachsenen Tochter. Es konnte sein, dass selbst das Leben den Knirps gezwungen hatte, auf die Kindern zu achten. Früher hatte Nastja einen älteren Bruder, der zwei Jahre vor ihrer Geburt umgekommen war. Der fünfjährige Junge ist ganz zufällig umgekommen, wo er mit dem Vater die Farm bewachte. Frida bat den Mann, das Kind nicht mitzunehmen, sie fürchtete, dass er sich erkälten könnte. Der Vater hatte auf seiner Entscheidung bestanden, er wollte ja so sehr seinem Erstling die großen Kälber zeigen. Es hatte Tag und Nacht geschneit, große Flocken Schnee waren gefallen. Das Dach der Farm stürzte plötzlich und unerwartet ein. Peter kroch mit großer Mühe aus dem Verschütteten heraus, kroch ohne einen Kratzer heraus. Der Bub hatte Pech gehabt. Der dicke Querbalken, der in drei Meter Höhe zusammenbrach, verwundete ihn tödlich. Die Kejts hatte der Tod des einzigen Sohnes sehr schwer mitgenommen. Besonders sehr hatte sich der Vater gekränkt, er gab sich die Schuld für Antoschkas Tod. Die wegen des Verlustes früh ergrauten Eltern hatten sich vorgenommen, alles Mögliche zu tun, um die Fehler bei der Tochter und später auch bei dem jüngeren Witenjka zu vermeiden... Alexander, gequält von der Erwartung des Mädchens, ging ziemlich oft aus dem Gebäude des Bahnhofs heraus und dann ging er zu der Straße, die in Richtung des russischen Wohnheimes führt. Ging heraus in der Hoffnung, Nastja zu sehen, aber noch weiter, fürchtete er.
  Er bezweifelte nicht, dass Peter Kejt ohne jede Probleme ihn der deutschen Polizei oder dem sowjetischen Militär verraten würde, deren Wagen ziemlich oft am Bahnhof vorbei fuhren. Die Angst zwang den ehemaligen Soldaten, der in einem zivilen Anzug gekleidet war, sich sehr oft zur Seiten umzuschauen. Beim Erscheinen eines Polizeiwagens oder sowjetischen "UAZ" drehte sich der Bärtige gezwungenermaßen um oder suchte sofort mit den Augen ein Haus, hinter dem man sich verstecken konnte...
  Nastja Kejt kam an diesem Tag und auch in diesem Abend nicht zum Bahnhof. Zum letzten Mal sah der schöne und stattliche Schwarzfahrer aus dem Fenster des Waggons auf den Bahnsteig der ihm schon fremden und schon unbekannten Stadt. Der Zug war losgefahren, aber er blickte weiter aufmerksam den von ihm langsam verschwindenden Bahnsteig. Das bekannte Gesicht sah man nicht, auch dann nicht, als die Umrisse des Bahnhofs von der nächtlichen Dunkelheit verborgen wurden, für immer verborgen wurden.
  Nach fünf Minuten presste der Riese die Zähne stark zusammen, lehnte sich auf den Sitz zurück und machte seine Auge zu. Jetzt war er zu einem eindeutigen Entschluss gekommen. Nastja, seine erste Liebe, würde niemals mehr zu ihm kommen und er würde auch niemals mehr die Leidenschaft ihrer Küsse erleben. Von der Erkenntnis der Hoffnungslosigkeit und der seelischen Leere weinte er, er weinte sehr bitter. Alexander schämte sich jetzt aus irgendeinem Grunde nicht für seine Tränen, die ganze menschliche Welt mit ihren Launen war ihm gleichgültig. Der weinende Bärtige sah durch den Nebel auch mit einer Gleichgültigkeit auf den jungen Neger, der am Fenster saß und seine Beine auf das Sitz gegenüber gelegt hatte. Er reagierte auch auf den vorbeigehenden glatzköpfigen Schaffner nicht, der aus irgendeinem Grund böse in seine Richtung schaute. Ihn beunruhigten auch die lauten Schreie der jungen Deutschen nicht, die nicht weit von ihm in einer Gruppe saßen und sich mit Bier "voll laufen" ließen. Einige der jungen Burschen warfen unter dem allgemeinen Gelächter den Saufkumpanen leere Bierdosen auf den Gang, die trommelten über den ganzen Waggon. Er dachte jetzt auch nicht darüber nach, warum der Vater des geliebten Mädchens mit ihm so grob umgegangen war. Alexander betrachtete Peter, wie auch sich, als einen sowjetischen Menschen, die das Gefühl der Menschlichkeit und der gegenseitigen Hilfe zu einander immer besaß. Er konnte immer noch nicht verstehen, was den erwachsenen Mann bewogen hatte und worin die Sünde des Soldaten, wenn auch die eines Militärfahnenflüchtigen, bestand.
  Die Gründe des groben Verhaltens des Russlanddeutschen ihm gegenüber zu verstehen, stand dem Flüchtigen nicht zu. Alexander hatte sich früher und auch jetzt für die Geschichte der Deutschen in Russland wenig interessiert. Alles das, was durch Nastja ergänzt worden war, was sie von sich und über ihre Eltern erzählte, war für den Riesen eine gewöhnliche Sache. Das Leben der jungen Leute hatte sich wenig voneinander unterschieden, so lebten Tausende und sogar Millionen Burschen und Mädchen...
  Nachdem Peter Kejt die Tür des Wohnheimes geschlossen hatte, ging er schnell ins Zimmer hinauf und schaute aus dem Fenster. Der flüchtige Bärtige stand immer noch auf der Haustreppe und dachte über etwas nach. Über vieles musste in dieser Nacht auch der Andere nachdenken, der so sehr den schönen Burschen beleidigt hatte. Peter freute sich zuerst von ganzem Herzen, dass seine Nastja sich verliebt hatte, sich richtig verliebt hatte. Sie redete fast die ganze Zeit mit den Eltern über den unbekannten Burschen. Das Erscheinen des sowjetischen Soldaten im russischen Wohnheim, der einst die Aussiedlerfamilie bis zum Eisenbahnbahnhof begleitete, beunruhigte Herr Kejt zuerst wenig. Die Soldaten kamen ziemlich oft zu ihren Landsmännern, sie spielten zusammen mit ihnen Karten und tranken Bier. Peter kam es nicht in den Kopf, dass seine einzige Tochter sich in den Soldaten, dazu noch in einen Verbrecher verlieben könnte. Fast alle der Bewohner 'der russischen Insel der Freiheit' hatten gleich nach dem Erscheinen Kusnezows über die Freundschaft zwischen Nastja und dem Neuen gesprochen. Viele junge Aussiedlerinnen sahen mit einem Lächeln den schönen Riesen an, die meisten von ihnen reichten ihm die Hand zur Freundschaft. Peter und seine Frau Frida glaubten dem Gerede in der ersten Zeit nicht, sie wollten einfach das nicht glauben. Die Liebe der Tochter passte zurzeit nicht in ihre Pläne hinein, die Auswanderer hofften nach dem Wohnheim einen Arbeitsplatz zu bekommen. Sie träumten von einem anständigen Arbeitsplatz und einem Studium für die Kinder. Die Mutter schaute immer mehr und mehr die Tochter an, deren Gesicht vor Freude nach jedem Treffen mit dem Soldaten leuchtete. Als sie ihre ernsten Absichten erkannte, entschied sie sich, mit ihr zu reden. Ein richtiges Gespräch ergab sich nicht, Nastja wollte den Ratschlägen ihrer Mutter nicht zuhören. Sie gestand nicht nur die Liebe zum Burschen ein, sondern erzählte auch von den Absichten immer und in allem ihm zu helfen. Mit Tränen in den Augen teilte Frida dem Mann die Probleme mit, nach einer Weile wurden diese Probleme ihre gemeinsamen. Peter suchte nach einem passenden Moment, um den Flüchtige von seiner Tochter zu trennen, für immer zu trennen. Und dieser Moment hatte sich ergeben... Das weitere Schicksal des Fahnenflüchtigen interessierte den Mann jetzt wenig, sein Herz tat für seine Tochter weh. Der Vater wollte sehr, dass ihr Leben in der historischen Heimat der Vorfahren ein menschliches Leben, ohne Probleme und ohne Zukunftsangst würde. Er wollte für sie kein solches Leben wie das seiner Eltern und seines gewesen war...
  Die Eltern von Peter Kejt, als Vertreter 'des gefährlichen deutschen Elementes', waren im Herbst 1941 aus dem Wolgagebiet nach Sibirien umgesiedelt. Manfred und Magda hatten einen Monat vor der Abfahrt ihre Hochzeit gefeiert. Die Menschen wurden in Viehwagons gesetzt, während der Fahrt starben vor Hunger zwölf Menschen, darunter drei Kinder. Für die Ankommenden hatte man auch eine Stelle für den Aufenthalt bestimmt - ein leeres Feld. Die Menschen gruben Löcher in der Erde, bedeckten sie mit Ästen und so lebten sie dort. Die Kejts wie auch andere Deutsche, damit sie vom Hunger nicht starben, gingen ins benachbarte Dorf und gruben die Gemüsegärten um auf der Suche nach den verbliebenen Kartoffeln. Nach einem Jahr hatte man Manfred in die Arbeitsarmee einbezogen, er blieb fast fünf Jahre im Gebiet Sverdlowsk, er fällte Bäume im Wald, baute das Aluminiumwerk mit auf. Aufgrund der ständigen Unterernährung, der Brühe mit Wanzen, der schweren körperlichen Arbeit starben viele Männer. Der große Lagerfriedhof wurde jeden Tag vergrößert. Die Verstorbenen glichen menschlichen Skeletten.
  Nicht besser war auch Magdas Leben. Der Winter 1942/1943 Jahre war auf der sibirischen Erde sehr kalt und sehr schwer. Die Verwendung von toten Tieren als Nahrung, allerlei Ersatz gehörte fast zum Alltag in den sibirischen Dörfern. Viele Bewohner waren vom Hunger aufgedunsen, einige starben. Der junge Organismus der Deutschen ertrug diese Qual, sie hielten auch weiteren Schwierigkeiten stand. Im Frühling 1943 hatte man die kinderlose Frau in die Arbeitskolonnen mobilisiert, sie sägte drei Jahre Bäume im Norden des Gebietes Tjumen.
  Erst zwei Jahre nach der Auflösung der Arbeitsarmee trafen sich die Eheleute wieder. Ins Heimatdorf an der Wolga zurückzukehren, erlaubten die Behörden den Kejts nicht. Erst nach dem Tod Stalins brach eine reale Wende zu einer Besserung in der Lösung der deutschen Probleme an. Für die Deutschen wurde die Kommandantur aufgehoben, sie bekamen Pässe, ihnen wurde erlaubt durch das Land zu fahren. Familie Kejt baute ein schönes Haus, sie schaffte sich Vieh und andere Haustiere an. Dann heiratete ihr einziger Sohn Peter, bald kamen Enkel Anton, dann die Enkelin Nastja und dann noch ein Enkel Witenjka. Die Alten reisten nicht mehr in die historische Heimat aus, sie starben drei Jahre vor der Ausreise ihres Sohnes nach Deutschland. Peter und Frida nahmen bei der Sowjetmacht keine großen Posten ein, in Parteien waren sie auch nicht eingetreten. Die lokalen Beamten bewilligten ihnen problemlos die Dokumente für die Ausreise...
  Die Nacht nach der tragischen Trennung von Nastja war für Alexander eine richtige Hölle. Er drehte sich sehr lange im Bett in der Laube hin und her und konnte nicht einschlafen. Das Erlebnis, was gerade erst mit ihm geschehen war, war für ihn sehr schwer. Der Verlust der Liebsten, wie er es sah, war für ihn eine Gottesstrafe. Von diesen Gedanken presste er immer fester und fester die Kalaschnikow mit den Händen zusammen, die unter seinem Kissen lag. Für einen Augenblick gefiel dem jungen Mann der Gedanke über seinen Selbstmord. Von Selbsterschießung von Soldaten hörte er in der Armee ziemlich oft. Drei Suizide gab es auch in seinem Motorschießregiment. Diesen Weg gingen in der Regel junge Soldaten, die die Verspottung seitens der 'Alten" nicht ertrugen oder beunruhigente Briefe von den Eltern oder von den Bräuten bekamen.
  Der Schütze Kusnezow überhörte es und hielt das für 'die Spucke der Babys', so hatte er gern die Selbstmörder unter den Alten genannt. Der Boxer wusste sehr gut, dass ihn niemand und niemals mit dem Finger berühren würde. Nach der ehrlosen Braut oder Freundin zu sabbern beabsichtigte er überhaupt nicht, damals hatte er einfach keine.
  In dieser schlaflosen Nacht kam der Riese auch dazu, seiner geliebten Freundin die Meinung zu sagen. Er konnte keinen Grund zur Rechtfertigung von Nastja Tat finden, die sich von den Drohungen des Vaters fürchtete und ihr Versprechen vergaß, ihm zu helfen, ganz zu schweigen von dem Bekennen ihrer Liebe zu dem Soldaten. Je mehr der Entlaufene in die Welt der lebenswichtigen Gedanken eintauchte, desto mehr hasste er sich. Keine Umwelt, einschließlich Alexander selbst, existierte in diesem Moment für den Bärtigen. Der ehemalige Bürger der ehemaligen großen Sowjetunion, er, auch der ehemaligen Soldat der Sowjetischen Armee, er, auch der jetzige Militärverbrecher, blieb auf dieser Erde, in dieser menschlichen Welt allein mit sich selbst. Die Tränen traten in Alexanders Augen auf, als er seine Nichtigkeit erkannt hatte, und er kam zu einem furchtbaren Gedanken, von dem er nicht leben wollte. Er, der junge und gesunde Mann, war ein Mensch ohne Heimat, ohne Nächste und Verwandte, ohne ein Fleckchen heimatlicher Erde... Er hatte auch keine Existenzmittel. Er wusste auch nicht, was mit ihm morgen passierte...
  Der Bärtige, bei dem die ganze Nacht der Bauch knurrte und die Füße froren, stand auf und zog entschlossen die Waffe unter dem Kissen hervor. Dann drückte er wie verzaubert seine Auge zu, den Verschluss des Automaten zurück und richtete das Gewehr auf sein Herz. In diesem Moment hörte er unerwartet hinter der Laube ein Geräusch, das immer stärker und stärker wurde. Dieser Laut riss Alexander aus seiner nervösen Erstarrung für einige Augenblicke heraus. Er wusste selbst nicht wieso, aber er hatte den Automaten etwas zur Seite gehoben und stark auf den Abzugshaken gedrückt...
  
  
  
  
  
  
  
  
  Kapitel drei. Das Hundeleben.
  
  Kusnezow wachte erst am Mittag auf, die Strahlen der Sommersonne tanzten auf seinem Gesicht. Aller Wahrscheinlichkeit nach hatten sie auch den jungen Mann geweckt, der infolge des unbekannten Geräusches das automatische Gewehr von Kalaschnikow vom Herz zur Seite gedreht hatte. Er, um seine "Anwesenheit" auf dieser Erde zu prüfen, fing krampfhaft an, mit den Händen sein Körper abzutasten. Die Hände, die Beine und der Kopf waren an ihrem Platz. Deren Betasten hatte auch sein Gehirn gezwungen zu arbeiten. Als Erstes kam ihm der Gedanke an die nicht gelungene Selbsterschießung.
  Der Fahnenflüchtige bezweifelte überhaupt nicht, dass die Quelle des unerwartet erscheinenden Geräusches ein Polizist sein konnte, der ihn, den Sowjetsoldaten, aufgespürt und schon eine lange Zeit verfolgt hatte. Was weiter mit ihm nach dem Waffenschuss geschah, konnte er sich selbst nicht vorstellen. Die tierische Angst vor dem Tod oder der nervöse Stress hatten ihn für einige Zeit von dem Leben abgeschaltet. Die unerwartete Trennung von Nastja war nicht spurlos an ihm vorbeigegangen...
  Die Angst vor der Polizei, die nach der festen Überzeugung des Bewohners der Laube, schon den verlassenen Garten umgeben hatte, zwang ihn, unter dem Bett sich zu verstecken. Etwa zwei Stunden lag der Riese unter dem Bettnetz und atmete fast nicht. Er lauschte, wie ein getriebenes Tier, auf jedes Geräusch, das ringsherum erklang. Erst gegen Abend, als in den Schleier der Dunkelheit auch die Laube eingetaucht war, wagte der Bärtige, den Kopf nach draußen hinauszustrecken.
  Aus dem hölzernen Häuschen ging er nicht hinaus, sondern kroch heraus, kroch auf dem Bauch heraus. Ihm schien es, das der Polizist immer noch da war. Nach ein paar hundert Meter von der Laube entfernt stand Kusnezow auf und rannte weg. Wohin er lief und warum er lief, wusste er selbst nicht. Diese Nacht verbrachte der flüchtige Soldat der Sowjetischen Armee neben dem Straßenrand unter einem kleinen Heuhaufen. Früh am Morgen bewegte er sich wieder in Richtung des verlassenen Gartens, der Hunger machte sich bemerkbar. Die Angst zwang ihn, alle Vorsichtsmaßnahmen zu beachten. Erst nach zweimaligem Umkreisen des Gartens näherte sich der Fahnenflüchtige der Laube, um sie herum war alles ruhig und ohne Veränderungen. Dies brachte ihn zurück ins Leben. Er öffnete sehr vorsichtig die Tür und begann aufmerksam die Wand gegenüber vom Bett anzuschauen. In einem dünnen Brett fand er drei Löcher von der gestrigen Schießerei. Ein kalter Schweiß brach über seinem ganzen Körper aus.
  Der wachsende Hunger behauptet sich immer mehr. Das steigende Hungergefühl wurde immer stärker. Der Bärtige ging entschlossen zum Bett und zog darunter eine Box mit Marschverpflegung heraus. Den Buchweizenbrei mit Fleisch hatte er sofort verschlungen, auch die letzte Flasche Limonade trank er aus. Plötzlich war ein Rascheln hinter der Laube. Es erinnerte etwas an das nächtliche Geräusch, als Kusnezow die kurze Schießerei aus dem Automaten erzeugt hatte. Die Angst ergriff wieder den Fahnenflüchtigen und er fasste sofort den Automaten. Danach ließ er sich mit ganzer Kraft auf den Fußboden fallen, um eine Verteidigung bei einem Schusswechsel mit der örtlichen Polizei oder mit den sowjetischen Soldaten aufzunehmen. Das Geräusch hörte für eine Weile auf, später tauchte es wieder auf. Die Tatsache, dass der Garten und die Hütte umgeben waren, bezweifelte der Liegende schon überhaupt nicht mehr. Wie er auch keinen Zweifel hatte, dass er sich lebendig niemandem ergeben würde.
  Bei diesem Gedanken presste er noch stärker den Automaten zusammen und hielt den Atem an. In dem Raum und um die Hütten herrschte plötzlich eine Stille, es war eine Todesstille. Alexander hörte deutlich das Klopfen seines Herzes. Und das alles erschreckte ihn sehr. Der Finger, der sich auf dem Abzugshaken des automatischen Gewehres 'Kalaschnikow' befand, war von der nervösen Überanspannung wie betäubt. Alexander spürte ihn nicht. Das Geräusch hinter der Wand wiederholte sich, ein paar Augenblicke später erklang einklagendes Heulen. Der Schütze reagierte auf diese Laute aus irgendeinem Grund nicht, er lag auf dem Fußboden und bewegte sich nicht...
  Der Gedanke, dass in der Nähe der Hütte sich ein streunender Hund befand, oder irgendwelche andere Tiere, kamm dem Fahnenflüchtigen erst dann, als an der Eingangstür jemand hartnäckig kratzte. Kusnezow zweifelte an seinem Gedanke schon überhaupt nicht mehr, er stand, den Automaten bereithaltend, schnell auf und öffnete vorsichtig die Tür. In den Raum stürmte ein kleiner Hund herein und begann sofort, den fremden Mensch zu beschnuppern. Vom Erscheinen des vierbeinigen "Polizisten" lachte der Besitzer der Laube auf und warf sich sofort auf das Bett. An die Stelle tierischer Angst erfasste ihn das Lachen, ein homerisches Lachen, sozusagen sogar ein unmenschliches. Er lachte und streichelte sanft den Unbekannten an den Ohren.
  Der Hund saß zuerst gehorsam auf dem Fußboden und jammerte freudig. Dann freude er sich aller Wahrscheinlichkeit nach über das lebendige Wesen, sprang schnell auf das Bett und fing eifrig an, das Gesicht des Menschen zu lecken. Alexander sah die Schnauze des Tieres aufmerksam an und lachte immer wieder. Aus seinen Augen flossen Tränen...
  Kaschtanka, so hatte der Mieter den Hund getauft, wurde in kurzer Zeit mit einer ganzen Dose des Büchsenfleisches fertig, die sich Alexander für den nächsten Tag aufgehoben hatte. Nach der Trennung von Nastja, aufgrund unvorhergesehener Umstände und Geldmangels, beschloß er die Lebensmittel eisern zu sparen.
  Der Hund, nach "der Abrechnung" mit dem Büchsenfleisch, setzte sich sanftmütig auf seinen Hintern und fing an, aufmerksam den neuen Besitzer anzuschauen. Das kleine deutsche Städtchen wimmelte in letzter Zeit von streunenden Hunden. Einige Bewohner hatten sich Hals über Kopf nach dem Westen des Landes gemacht, um dort darauf hoffend besser zu essen und auch so viel wie möglich 'Demokratie' in Ihre Lungen zu bekommen. Aus diesem Grund wurden Dutzende von vierbeinigen Tieren ihrem Schicksal überlassen. Dazu kamen auch noch die Tiere der Militärangehörigen der WGT. Nach dem Abzug der Truppen blieben auf dem Territorium der Militärstädtchens viele Katzen und Hunden für immer zurück.
  Das verlassene Landhaus, eine Art der Erbe von einem Ostdeutschen, hatte auch der Fahnenflüchtige der Sowjetischen Armee Alexander Kusnezow bekommen. Daran, dass in diesen Garten der Besitzer niemals einen Fuß setzen würde, zweifelte der ungesetzliche Bewohner von Tag zu Tag immer wenigert.
  Das Auftauchen des vierbeinigen Tieres hatte ihn nicht nur wiederbelebt, sondern "stabilisierte" auch zu einem großen Teil das Leben des Einsiedlers. Er war jetzt nicht mehr allein. Kaschtanka erwies sich als äußerst anständiger Hund. Der Mensch und der Hund waren eins. Sie teilten sich in gleichen Teilen die bleibenden Essvorräte, die sich sehr schnell verringerten. Nach einiger Zeit des Aufenthalts hatte der Hund seine Pflichten allmählich "gelernt".
  Kaschtanka kam in der Wachsache voran, sie setzte sich am frühsten Morgen sanftmütig nicht weit von der Hütte hin und wachte. An die Signale des vierbeinigen Freundes hatte sich Alexander gleich gewöhnt. Wenn Kaschtanka faul klaffte oder jammerte, so war der Besitzer ruhig. Es bedeutete, dass niemand da war. Im Falle eines lauten Bellens brachte Kusnezow sich in die Kampfbereitschaft, den Automaten niemals vergessend.
  Ein paar Sekunden später kam auch "die Wache" in die Deckung. Als der Hund, das ernste Gesicht des Besitzers sah, fing er an klagend zu jammern an und richtete dann seinen Blick auf die Eingangstür. Die Bewohner der Hütte waren bereit, ihre Feinde abzuwehren.
  Den Bärtigen erstaunte sehr oft die natürliche Intelligenz des Hundes, vor allem beim Wachdienst. Er bellte niemals umsonst laut. Wenn der Hund nach einem verzweifelten Kläffen nicht sofort in den Raum eindrang, so vernachlässigte Alexander die Kampfbereitschaft. Er wusste sehr gut, dass sein Hund zu den "Auseinandersetzungen" weggelaufen war. Er führte einen echten Kampf ähnlicher Art mit denen, die gestern oder heute wagten, die Ruhe der Bewohner der Hütte zu stören. Manchmal verlor Kaschtanka auch, dann kam sie nach Hause mit großen herausgerissenen Fellfetzen des eigenen Fells, sogar mit Hautfetzen.
  Sie setzte sich neben das Bett und starrte seinen Besitzer aufmerksam an. Der Bärtige, der sich meistens in der horizontalen Lage befand, stand auf und schüttelte den Kopf. Dann streichelte er zart seinen Freund. Kaschtankas Niederlagen änderten in ihr die Hauptsache nicht, sie blieb ihrem Herrchen ergeben. Der 'Gärtner' zündete manchmal abends eine Kerze an und bewunderte seinen Hund, bewunderte ihn und lachte. Er hatte auch Tränen. Nach der Trennung von Nastja weinte er ziemlich oft nachts. Kaschtanka spürte diese Tränen und jammerte leise, als ob sie den Kummer des ihr nahen Menschen erlebte, dem sie ganz vor kurzem das Leben gerettet hat. Die traurigen Erinnerungen aus der Nacht nahm der Flüchtige ziemlich oft auch in den Tag mit. In seiner Seele wurde es sehr unheimlich und er ging in den Wald.
  Der Hund bellte freudig und folgte ihm. Der Wald zog von Tag zu Tag immer mehr und mehr den Bärtigen an und wurde für ihn nicht nur eine Art Zuflucht, sondern auch zu einer Gelegenheit des Durchatmungs. Die Liebhaber von Waldluft oder Pilzen achteten meistens nicht auf den großen Mann mit dem schwarzen Bart. Einige der Gaffern blieben für einen Moment stehen, aber das sehr selten, und bewunderten den schwarz-weißen Hund, der um den Besitzer herumlief und herumschwänzelte. Der Besitzer des Hundes reagierte nicht auf die Sprüche der Passanten. Er lachte nur und ging aus irgendeinem Grund zügig weiter. Der Hund folgte gehorsam dem Beispiel seines kräftigen Besitzers...
  Die Essvorräte sowjetischer Produktion waren bei Alexander Kusnezow nach sechs Monaten der Flucht, gleich zu Beginn des neuen Jahres, zu Ende gegangen. Soldatenrationen in den benachbarten Siedlungen zu suchen, wo sich möglicherweise noch die sowjetischen Einheiten befanden, wagte sich der Fahnenflüchtige nicht. Er hatte Angst, Angst vor fast allem und jedem. Diese Angst verzehnfachte sich nach der unvergesslichen Begegnung mit Nastjas Vater. Die örtliche Polizei konnte Kontakte sowohl mit Aussiedlern als auch mit den russischen Militärs haben. Er hatte sich auch nicht getraut, noch einmal auf der Suche nach Essbarem auf das Territorien seiner ehemaligen Einheit zu gehen. Der Riese unterdrückte mehrmals den Wunsch, den Automaten, den er auf dem Platz neben 'der Kremlwand' gelassen hatte, zu nehmen und den Deutschen zu verkaufen. Das Geld hatte er dringend nötig. Seinen Automaten bewahrte er für den "Fall der Fälle' auf...
  Das natürliche Bedürfnis nach anderen Lebensmitteln behauptete sich immer mehr und mehr. Die Nahrung einzig nur aus dem Pflanzenreich wirkte sich auf die Gesundheit des flüchtigen Soldaten negativ aus. Wegen des ständigen Gebrauches von Äpfel und Birnen aus dem verlassenen Garten litt er ziemlich oft an der Magenverstimmung, Probleme mit dem Grünzeug hatte auch Kaschtanka. Der Riese sah immer öfter in den Hundeaugen trüben Flämmchen und es zwang ihn, etwas von den Fleischkonserven für den Hund aufzusparen. Lebensmittel, sogar sehr billige, für sich und seinen vierbeinigen Freund zukaufen, konnte Kusnezow aus Mangel an Geld nicht. Und in den deutschen Geschäften zu erscheinen, hatte er sehr große Angst. Er bezweifelte nicht, dass die militärische Einheit nicht nur er allein verlassen hatte. Wie er könnten es Hunderte, sogar Tausende sein... Die Deutschen hatten satt von den sowjetischen Fahnenflüchtigen, die in der Regel sich in den Wäldern versteckten. Alexandersaussehen rief von Tag zu Tag mehr Befürchtungen herbei, er ging öfter und öfter in den Wald weg...
  Die erste Jagd nach Nahrung hatte sich für den Bärtigen sehr erfolgreich erwiesen. Auch er selbst hatte nicht erwartet, dass alles so gut ging. Das kleine Lebensmittelgeschäft befand sich am Rande des Dorfes, der Fahnenflüchtige war hier früher noch nicht gewesen. Er hatte 'Objekt" speziell etwas weiter von Dachbau gewählt, um im Falle einer Verfolgung nicht die Spur auf sich zu lenken. Die viele freie Zeit erlaubte ihm, gründlich das unbekannte Gelände zu erkunden. Er, um sich auf dem Rückweg nicht zu verirren, brach Äste von Bäumen ab und warf sie auf den Weg. Die Lebensmittel im Geschäft beschloss Kusnezow, in der Mittagszeit "zu nehmen". Die Deutschen waren sehr pünktliche Menschen, in der Mittagszeit blieb alles überall im ganzen Land stehen. Er saß etwa eine Stunde mit dem Hund im Hinterhalt und streckte seine Nase aus dem kleinen Gebüsch nicht heraus. Neben dem Eingang ins Geschäft und in der Umgebung war keine Seele zu sehen.
  Das freute den Riesen, er würde den Verkäufer ohne Probleme überwältigen. Töten würde er ihn nicht, aber einen Lappen ihm in den Mund zu stecken, dazu hatte er genug Kraft. Alexander trat entschlossen aus dem Hinterhalt heraus und blieb plötzlich stehen. Ans Häuschen fuhr ein Auto heran, dann hielt es an. Nach einer Weile entstieg ihm eine ziemlich alte Frau und ging sehr langsam zum Stand der Einkaufswagen. Die Käuferin kam aus dem Geschäft nach etwa dreißig Minuten. Sie atmete ein wenig durch, dann steckte sie den Kopf in den Kofferraum und fing an, den Einkauf in zwei große Kästen akkurat hineinzulegen. Kusnezow schrie vor Freude sogar leise auf, als er den halboffenen Kofferraum und die sich mit dem Wagen entfernende Alte sah. Am Erfolg seiner "Jagd" zweifelte er schon überhaupt nicht mehr, als die Alte im Geschäft wieder verschwand. Die Besitzerin des neuen "Mercedes" beabsichtigte noch etwas zu kaufen. Alexander schaute sich schnell nach den Seiten um und fing entschlossen an, schon nach einem neuen Plan zu handeln...
  Die Lebensmittelbeute war sehr reich und sehr vielfältig. Erst nach etwa fünfhundert Meter vom Geschäft entschied sich der Fahnenflüchtige, die Lebensmittel in den Rucksack umzulagern. Es passte nur ein Kasten hinein. Den zweiten Kasten packte er in die Sportjacke, deren Ärmel er zugebunden hatte. In dieser Nacht soff und fraß im wahrsten Sinne der frischgebackene Dieb. Reichlich ernährte sich auch Kaschtanka, die wie immer auf dem warmen Teppich am Eingang in die Laube saß.
  Nach der alten Deutschen folgten andere Käufer, Geschäfte und kleinen Geschäfte...
  Ein Versagen gab es beim Bärtigen nicht, er verwunderte sich auch selbst über seine Erfindungsgabe zu stehlen. Der Winter verging schnell. Der Mensch und der Hund lebten und stahlen, als ein Ganzes...
  Der Beginn des Frühlings brachte Alexander Kusnezow nicht nur warmes Wetter, sondern auch die menschlichen Hoffnungen. Er vergaß allmählich, dass er einst aus der sowjetischen Garnison desertiert war. Ihm schmerzte schon nicht mehr das Herz beim Anblick der hiesigen Deutschen, schon nicht so stark zitterten die Hände und die Beine beim Erscheinen von Polizisten. Dazu hatte er es geschafft, den Kontakt mit einem Deutschen aus dem Ort, einem Schüler herzustellen. Hans, so hieß der erste und einzige Deutsche, den der Flüchtige kennengelernt hatte, war der Sohn von durchaus nicht armen Eltern. Der Bärtige hatte den Burschen ganz zufällig kennengelernt, als er wieder einmal durch den Wald schlenderte. Der Bub hatte aller Wahrscheinlichkeit nach als Erster von den Ortsbewohnern den großen Mann entdeckt, der aus irgendeinem Grund oft in den verlassenen Garten ging.
  Er wusste genau, dass im Laufe von Dutzenden Jahren die ständigen Besucher dieses Gartens sowjetische Offiziere und Fähnriche waren. Sie kamen hierher mit ganzen Familien, einige von ihnen kamen auch mit Autos an. Der verlassene Garten hatte im eigentlichen Sinne Tag und Nacht geraucht, besonders vor dem Abzug der Russen aus Dachbau. Die Liebhaber des Schaschliks und des Alkohols hinterließen Berge allerlei Mülls. Die ortsansässigen Deutschen steckten nicht ihre Nase in die eigentümliche Domäne der sowjetischen Truppen. Die örtliche Polizei schaute hier auch nicht herein, nach der Vereinigung des Landes hatte sich auch nichts geändert...
  Die Freundschaft des flüchtigen Soldaten und des Ortsbewohners wurde von Tag zu Tag, wie auch mit jeder Stunde stärker. Kaschtanka hatte sich an den jungen Deutschen auch gewöhnt. Alexander ließ als Ausnahme, nicht ohne Hintergedanken, den vierbeinigen Freund mit dem Schüler nach Hause gehen, als der Bub den Freunden einige Lebensmittel brachte. Gerade damit hatte auch die Freundschaft begonnen, als sie sich im Wald begegnet waren. Der Deutsche begrüsste als Erster den großen Mann, dessen Bart an den Bart eines Priesters erinnerte. "Der Heilige Vater" hatte auf die Begrüßung des jungen Fremden nicht geantwortet. Er lief wie üblich mit schnellem Schritt von ihm weg. Die Bewohner der Hütte kehrten nach einer Stunde nach Hause zurück. Der Bub wartete schon auf die Bekannten am Rande des Gartens. Der Riese versuchte wieder, in den Wald zu entkommen, aber es funktionierte nicht. Den Roten erschrak auch Kaschtankas lautes Bellen nicht, die im eigentlichen Sinne versuchte, ihm die Hosen herunterzuziehen. Es zog ihn, wie ein Magnet zum Riesen und er setzte im eigentlichen Sinne fort, ihn zu verfolgen.
   Am Ende war Alexander müde geworden und ergab sich. Er blieb stehen und starrte wütend auf den, der ihn verfolgte. In seinem Kopf waren nur zwei Gedanken, die ihn von dieser aufdringlichen Fliege sicher befreit hätten. Die Entscheidung, dem Buben tatsächlich den Hintern zu versohlen oder auf ihn Kaschtanka zu hetzen, verwarf der Riesen fast augenblicklich. Der Grund dafür war nicht nur die friedliebende Art des Jungs, sondern auch seine weiteren Handlungen. Er, als hätte er die Absichten des 'Heiligen Vaters' und seines Hundes gelesen, schaute heiter in das erbitterte Gesicht des Mannes und sagte leise auf Russisch:
  - Onkel, sind Sie ein Russe? Ich denke, dass auch ehrlich ein Russe...
  Der Bub hatte diese Wörter mit einem sehr großen Akzent und auseinander gezogen gesagt, was den flüchtigen Soldaten zum Lachen brachte. Aber Alexander beantwortete nicht die Frage des Neugierigen. Er schwieg weiter und starrte ungläubig auf den, der nach fast einem Jahr seine Ruhe gestört hatte. Er schaute ihn aufmerksam an und dachte nach. Dieser Störer konnte nicht der Sohn eines sowjetischen Militärangehörigen sein. Kusnezow, trotz der Tatsache, dass er selten zur Entlassung ging, lernte die russischen und örtlichen Jungs zu unterscheiden. Dieser Rothaarige war eindeutig kein Russe. Darin irrte sich der Flüchtige nicht. Sein Schweigen gab dem aufdringlichen Verfolger Mut. Der Bub redete wieder sicherer:
  - Mein Vater studierte in Moskau, ich war auch zwei Mal dort... Mein Vater arbeitete vor zwei Jahren als Vorgesetzter... Ich habe die russische Sprache in unserer Schule gelernt, sehr gut gelernt... Mein Vater wollte, dass ich auch in der Sowjetunion studiere...
  Nach diesen Worten des Buben mit Akzent und mit Fehlern zweifelte der Bärtige schon daran überhaupt nicht mehr, dass vor ihm der Sohn irgendeines lokalen Vorgesetzten stand. Ihn erfreute auch seine russische Sprache, die er schon lange nicht mehr gehört hatte. Den flüchtigen Soldaten "verwöhnte" auch die deutsche Sprache nicht, in der er überhaupt ein "Dummer" war. Auf die russischen Wörter von dem ortsansässigen Deutschen reagierte Alexander wieder nicht. Er, als ob vor ihm ein leerer Platz wäre, drehte sich schnell um und ging in Richtung des Waldes, in der Absicht zu zeigen, dass er in diesem verlassenen Garten niemals lebte. Kaschtanka folgte dem Besitzer. Nach etwa zehn Meter blieb der Hund stehen und setzte sich.
  Dann entschied er sich, wie ein Grünschnabel in der Armee, dem Besitzer zu dienen und kläffte laut mehrmals in Richtung des unerwünschten Gastes. Der Bub stand noch lange da und sah mit Tränen in den Augen in Richtung derer, die sich ihm gegenüber aus irgendeinem Grund sehr gleichgültig verhielten.
  Nach einer Woche erschien Hans wieder am Rande des Gartens. An diesem Tag kam Alexander von dem "Fang", kam sehr zufrieden. Nach einer herzhaften Mahlzeit und Alkohol beschloss er, durch den Garten zu gehen und stieß wieder auf den Deutschen. Auch diesmal brannte der 'Heilige Vater' nicht vom Wunsch, Freundschaft mit dem Buben zu schließen. Er ging knapp fünfzig Meter vor der aufdringlichen "Fliege" entfernt mit beschleunigtem Schritt in Richtung Wald. Nach etwa zehn Meter blieb er stehen, Kaschtanka war nicht da... Kaum hatte der Hund den Buben erblickt, rannte er sofort zu ihm und fing an, um ihn herum zu laufen. Der Deutsche öffnete den Mund vor Überraschung und fiel hin, lachend wegen des Hundes. Kaschtankas ungewöhnliches Verhalten freute den Besitzer und er schloss sich auch den einfachen Spielen an, die der Bub und der vierbeinige Hund führten. An diesem Abend schlenderten der sowjetische Fahnenflüchtige und der junge Deutsche sehr lange durch den Wald. Alexander traute sich nicht, den unerwünschten Gast zu sich in die Hütte einzuladen. Er vertraute ihm nicht, wie er auch nicht glaubte daran, was jener ihm erzählte. Über sich hatte der Flüchtige dem Buben nichts erzählt, er hielt es für eine unnötige Beschäftigung. Und was konnte er dem 'gesetzlichen" Bewohner des vereinigten Deutschlands erzählen? Kusnezow war hier einfach ein Verbrecher, der ein besseres Leben in diesem bis jetzt ihm unbekannten und unverständlichen Land wollte. Der gemeinsame Spaziergang überzeugte den Bärtigen, dass der Bub früher und jetzt ihn nicht belogen hatte. Hans, der im Dorf nicht weit von der Stadt Dachbau lebte, wusste von den Russen viel mehr als der ehemalige Soldat. Der Bub hatte sich in diesem Ort ganz zufällig aufgehalten. Er suchte den sowjetischen Schießplatz, den er bis jetzt immer noch nicht gefunden hatte. Vor fast einem Jahr fuhr er mit einem Freund nach Dresden, wo einst die sowjetischen Truppen waren, in der Hoffnung ein Automaten oder eine Pistole zu finden. Die Jungs waren ein wenig zu spät gekommen, die örtlichen Behörden hatten schon die Kaserne zerstört. Von den sowjetischen Waffen träumte der rothaarige Junge sogar. Er weinte sogar heimlich vor dem Vater, als jener der Mutter und der Großmutter davon erzählte, dass in einem der Militärstädtchen die Bauarbeiter auf dem Dachboden einige Pistolen und zwei Kisten Patronen gefunden hatten. Die Informationen über die Fahrlässigkeit der Russen brachte die Großmutter fast zum Infarkt, sie verdoppelte die Kontrolle über den ungehorsamen Enkel. In diesem Sommer wurde Enkel ohne Aufsicht gelassen. Die Großmutter war ins Krankenhaus gebracht worden, als sie erfahren hatte, dass ihre Tochter und der Schwiegersohn ohne Arbeit waren.
  Die Neuheiten des kleinen Deutschen wühlten die Seele des flüchtigen Soldaten wieder auf. Der Schlaf wollte nicht kommen, er wälzte sich immer wieder, das Nervensystem beruhigte auch der deutsche Weinbrand nicht. Seit der Flucht aus der Kompanie war fast ein Jahr vergangen. In dieser Zeit wurde Alexander nicht nur wild, sondern war fast vollständig von der Außenwelt abgeschnitten. Er musste sogar den Bekannten nach dem Wochentag fragen. Hans war ein echter Anhänger der sowjetischen Prinzipien und nicht nur das. Er war ein sehr kluger und anständiger Mensch. Nach einer Woche ließ der Riese ihn zu sich in den Garten herein. Der Bub war über die Einladung sehr froh und sah mit großem Interesse die "Villa" seines Freundens an. Daran, dass der Bärtige ein Russen Iwan ist, zweifelte der Schüler schon überhaupt nicht mehr. Er war davon sofort überzeugt, als er zur deutschen Sprache überging. Der große Russe machte als Antwort einen gleichgültigen Gesichtsausdruck und lachte freudig.
  In schwierigen Situationen gingen die Freunde zu Gesten über. Um über großen Dingen zu sprechen, reichten bei beiden weder die Wörter noch die Gesten aus. Aus diesem Grund wurde die Politik übersprungen.
  Am ersten Tag seines Aufenthaltes erhielt der Gast vom Besitzer der Hütte ein Geschenk, das aus einem Knopf, einem Emblem und einem Zeichen der "Garde" bestand. Der Bärtige hatte die Erkennungszeichen von seinem "Gewand" abgenommen, die er in der Nähe der Hütte immer noch versteckte. Er bezweifelte schon nicht mehr, dass die Soldatenuniform ihm nicht mehr nützlich sein würde. Hans freute sich sehr über das Geschenk des älteren Freundes. Am nächsten Abend machte der Bub ihm ein Gegengeschenk. In seinem Schulranzen hatte er für Iwan einen kleinen Transistor und zwei Zeitschriften mitgebracht. Er hatte auch ein russisch-deutsches Wörterbuch mitgebracht, das seine Eltern noch vor kurzem benutzten. Vom bevorstehenden musikalischen Vergnügen schnalzte der Riese sogar mit der Zunge, die Quelle der Musik fügte ihm lebenswichtigen Optimismus zu. Der Transistor sendete aus irgendeinem Grund keine russische Nachrichten oder Programmen. Das kleine Radio wurde für den Flüchtigen zu einem Amulett, von dem er sich niemals und nirgendwo trennte. Er hing um seinen Hals während des Schlafes und während der mehrstündigen Spaziergänge. Er vergaß es auch dann nicht, wenn er mit Kaschtanka auf den 'Fang' ging.
  Einen bestimmten Fleiß zeigte der Flüchtige auch beim Lernen der deutschen Sprache. Das Wörterbuch war dem Inhalt nach sehr einfach. Bald war Alexander schon in der Lage, den Jungen etwas auf Deutsch zu fragen. Manchmal hatte er auch in seinem Kopf "gegraben", aber es hatte wenig Sinn. Die deutsche Sprache hatte er in Neidjonowka fast drei Jahre gelernt, aber ohne jegliches Interesse. Dazu kam die Lehrerin monatelang nicht aus dem Bezirkskrankenhaus heraus.
  Den Jahrestag seiner Flucht aus dem Militärstädtchen beginn der Fahnenflüchtige mit Tränen in den Augen, schuld daran war die Melancholie. Von dieser menschlichen Eigenschaft rettete ihn weder die Musik noch die Beschäftigung mit der deutschen Sprache. In die Macht der Traurigkeit geriet der Besitzer der Hütte in der Regel nach dem Kontakt mit dem jungen Deutschen. Er begann, sich dafür sofort bitter zu hassen, dass er in der ganzen Zeit nach seiner Flucht nichts unternommen hatte, um in der Gesellschaft anzu-kommen, die er für den Etalon des Lebens hielt.
  Ziemlich oft weinte er auch. Zu diesem Zeitpunkt beneidete er den rothaarigen Hans, der seine Eltern, ein Heim und Freunde hatte. Er, dieser großen Russe Iwan hatte nichts. Er beneidete manchmal auch Kaschtanka, die ihm treu diente und niemanden fürchtete. Er ärgerte sich immer mehr und mehr über dieses vierbeinige Wesen, das friedlich neben dem Bett oder neben dem Eingang lag und seine sehr komplizierten Probleme, die Probleme des zweibeinigen Menschen nicht verstehen wollte...
  Einen gewissen Optimismus hatte der Riese noch, manchmal sogar im Überfluss. Es geschah in der Regel nur beim sehr sonnigen Wetter und beim Treffen mit Hans. Der rothaarige Junge wurde für ihn wie ein jüngerer Bruder, der in sein Leben sehr schnell eingedrungen war. Er brachte dem Russen Iwan ziemlich oft Lebensmittel, brachte sie umsonst. Er vergaß auch den vierbeinigen Freund nicht. Spezielle Produkte für Hunde gab es im Elternhaus nicht und deshalb kaufte der Schüler die Köstlichkeiten im Geschäft, wenn auch sehr selten. Die Männer lachten fröhlich, wenn Kaschtanka mit Appetit den Inhalt der Dosen, auf denen die schönen Schnauzen ihrer Altgenossen gezeichnet waren, verschlang. Nach dem Fressen kam sie zum Besitzer, dann zum kleinen Gast und leckte sie abwechselnd. Solche Dankbarkeit rief bei den Freunden neue Welle des Lachens und der Freude hervor.
  Der Sommer verging schnell, leise verabschiedete sich auch der Herbst. Es kam der Winter, die schlimmste Zeit für die Laubenbewohner. Besonders litt Alexander, vom Schlaf und der Langeweile wurde ihm manchmal schlecht. Vor dem Wahnsinn retteten ihn der Wald und der kleine Hans. Im Winter kam der Junge seltener, er lernte in der sechsten Klasse und verbrachte seine Zeit mit Lernen.
  Dank ihm verlor der Flüchtige nicht den Kontakt mit der menschlichen Zivilisation. In einigen Zeitschriften und Zeitungen, die der Junge brachte, fand der Bärtige einige Politiker der ehemaligen Sowjetunion. Der Versuch, die Informationen über den Abzug der sowjetischen Truppen oder überhaupt über die Sowjetische Armee zu finden, scheiterte in der Regel. Der "Lesende" kannte die fremde Sprache nicht, Bilder oder Zeichnungen mit den sowjetischen Panzern und Soldaten gab es in den Kinder- und Modenzeitschriften aus irgendeinem Grund auch nicht. Es gab solche auch nicht in der Bezirkszeitung. Wenig Information über den Abzug der westlichen Gruppe hatte auch der kleinen Deutschen. Er wusste nur genau, dass die Kasernen des sowjetischen Städtchens in Dachbau zerstört waren, den ganzen Kram hatten die Deutschen entsorgt...
  Die Freundschaft der Männer unterschiedlichen Alters basierte auf vollem Vertrauen und gegenseitigem Respekt. Sie betrachten sich als Mitglieder einer Familie und waren deshalb sehr besorgt, wenn jemand von ihnen in eine schlimme Lebenssituation geriet. Am Ende des Winters erkrankte Alexander schwer, ihn quälte ständig der Magen. An der Schwelle des Frühlings verschlimmerte sich das stark, von einem schwachen 'Stuhl" kam er nicht herunter. Hans brachte dem großen "Russi" etwa ein Dutzend Arten verschiedeneri Medikamente, nach einer Woche 'stabilisierte' sich der Magen des Riesen. Eine moralische Unterstützung unter den Bewohnern der Hütte fand auch der 'kleine Hans', so nannte Alexander liebevoll den Freund, als beim Buben die Lieblingsgroßmutter gestorben war. Die noch nicht sehr alte Frau starb nach einem Infarkt nach einem Streit mit der Nachbarin von dem zweiten Stock, jene nannte die Großmutter ein Stasischwein. Frau Müller hatte sich wegen solcher Beleidigung sehr aufgeregt und weinte die ganze Nacht.
  Am Morgen wurde sie mit dem Krankenwagen ins Krankenhaus gebracht, wo sie auch starb. Nach der Beerdigung der Lieblingsgroßmutter kam der Enkel in den Garten sehr beedrückt und weinte die ganze Zeit. Kusnezow war in Bezug auf den Freund an diesem Abend besonders behutsam und schenkte ihm das Bajonettmesser vom automatischen Gewehr 'Kalaschnikow'. Als Trost für den Buben hatte er sich entschlossen, in den Wald zu gehen und aus dem Automaten zu schießen. Die Männer, die von Kaschtankas frohem Bellen begleitet wurden, suchten eine Stelle für die Schießerei sehr lange. Der Riese fürchtete sehr, dass jemand aus den ortsansässigen Deutschen die Schüsse hören und die Polizei alarmieren könnte.
  Hans hatte ohne jegliche Probleme das Magazin mit dem Verschluss verbunden und den Auslöser verschoben, dann hatte er den Automaten auf einzelne Schüsse eingestellt. Die Zielscheibe für die Schießerei wählte er auch selbst aus. Mangel daran gab es nicht, es gab sehr viel Kiefern, eine schöner als die anderen. Der Junge wählte die dickste und höchste.
  Er entlud in die Kiefer das volle Automatenmagazin. Von der Anstrengung war "der Schütze" furchtbar errötet und verschwitzt, er bemühte sich mit dem Gesicht nicht in den Dreck vor dem russischen Freund zu fallen. Für die Freude des Schülers gab es keine Grenze, als er in der dicken Kiefer etwa ein Dutzend Kugeln, die tief in ihrem "Körper" saßen, sah. Nach der Schießerei schenkte der Bärtige dem Freund eine Kampfpatrone. Mehr Patronen, schon ganz zu schweigen von dem Automaten, beabsichtigte er niemandem zu schenken. Das alles konnte ihm noch nützlich sein. Die Freunde hielten sich im Wald bis zum späten Abend auf. Der Lehrer des jungen Schützen war sehr besorgt um den Buben, die Eltern konnten das mehrstündige Verschwinden des einzigen Sohnes bemerken.
  Die Sommerferien verbrachte Hans Müller in seinem Heimatdorf Brücken.
  Aus unverständlichen für die Eltern Gründen verzichtete der Sohn hartnäckig auf ihre Einladung, im Sommer nach Bayern zu den Verwandten des Vaters und von dort aus zum Bodensee zu fahren. Besonders verstand den Buben der Vater nicht, der alles Mögliche und Unmögliche für sein geliebtes Hänschen machte. Der Vater und der Sohn waren früher immer und überall zusammen, aber in diesem Jahr war es, als ob jemand den jüngeren Müller ausgewechselt hätte. Die Eltern beschlossen, auf das Kind einen genauen Blick zu werfen und vor allem seine persönlichen Sachen genau zu untersuchen. Ganz unten im Kleiderschrank fanden sie zu ihrem Erstaunen ein Bajonettmesser vom sowjetischen automatischen Gewehr 'Kalaschnikow', eine Kampfpatrone und das Zeichen "Garde".
  Niemand bezweifelte, dass der Lieblingssohn unter den Russen herumhing und irgendwie gefährliche Sachen bekam. Die Eltern gerieten in Panik, der Mutter des Buben zitterten die Hände. Sie wollte nicht, dass ihr Sohn in eine unangenehme Geschichte mit den Russen geriet, von deren Verbrechen die Massenmedien Tag und Nacht berichteten. Die Eltern entschieden sich, dem Sohn von den Funden nicht zu sagen und benahmen sich so, als ob sie nichts gesehen hätten. Manfred Müller spürte seinen Sohn erst nach einer Woche auf, als der sich entschieden hatte, den Mitschüler Stevenson zu besuchen. Der Junge ging nicht in die Richtung der Straße, wo sein Freund wohnte, er stieg in den Linienbus ein. Der Vater rannte nach Hause, nach einer Weile sah der Fahrer des alten "Mercedes" vor sich den Bus mit dem bekannten Kennzeichen...
  Hans kam von seinem Freund Stevenson recht spät zurück und verschwand sofort in sein Kinderzimmer. Sein Vater kam etwas später nach Hause und ging ins Schlafzimmer. In dieser Nacht schliefen die Eheleute Müller nicht. Sie konnten es immer noch nicht verstehen, was ihr einziger Sohn in der verlassenen Hütte machte, und was er und der sehr große Mann mit dem schwarzen Bart, den nur Priester hatten, gemeinsam haben könnten.
  An den ersten Sonntag des Augustes wird sich der Militärfahnenflüchtige, Soldat Alexander Kusnezow sein Leben lang erinnern. Raus aus dem Bett an diesem Tag wollte er nicht, draußen ging ein Dauerregen. Die kleinen Tröpfchen des Regens trommelten langsam und sehr langweilig auf dem Dach der Laube. Von diesem monotonen Klopfen zog er es vor zu schlafen, aber der Schlaf kam nicht. Die Apathie und die Gleichgültigkeit allem gegenüber und zu sich "töteten" den Liegenden. Er beabsichtigte, auch weiterhin in der horizontalen Lage zu bleiben, wenn nicht Kaschtankas Jammern gewesen wäre. Das tat sie immer, wenn sie in den Hof gehen wollte. Der Riese stand träge aus dem warmen Bett auf und öffnete langsam die Tür. Der Hund sprang sofort vor Freude aus dem Raum hinaus und verschwand im Grünen des Gartens.
  Unerwartet hörte Alexander das bekannte Hundebellen, diesmal war es aber sehr stark und sehr beunruhigt. Der Bärtige eilte sofort zum Fenster. Am Rande des Gartens in Richtung der Hütte bewegten sich zwei Polizisten und ein Mann in Zivil. Zweifel hatte der Flüchtige nicht, man hatte ihn aufgespürt. Er entschied sich, sehr entschlossen zu handeln. Er bückte sich nach unten und zog unter dem Bett den Soldatenrucksack hervor, in dem die Militärkarte, zwei Pakete Soldatenmarschverpflegung und die Boxhandschuhe waren. Darin war auch das Magazin für den Automaten, aufgefüllt bis zum Rand mit Kampfpatronen. Ohne zu zögern stieß der Bärtige mit Kraft die Eingangstür der Hütte auf und stürzte sich zum Wald, wo ihm jeder Busch und jeder Fußweg bekannt war.
  Während des Rückzugs drehte der Riese den Kopf in Richtung der Hütte um, die Verfolger hatten auch den Kurs geändert und bewegten sich ebenfalls zum Wald. Vor den drei Personen hatte er Kaschtanka gesehen, die aus vollem Halse bellte und mit ganzer Kraft der Spur des Besitzers nach lief. Der Flüchtige lief noch schneller. Etwa fünfzig Meter vor dem Wald tauchte plötzlich ein Polizeiauto mit Blaulicht auf, aus dem Wagen sprangen zwei Polizisten heraus. Sie hielten die Pistolen bereit und schrien laut etwas auf Deutsch. Für einen Moment erfasste den Fluchtigen Angst und er blieb stehen, blieb stehen und schaute mit den Augen den Wald entlang, in der Hoffnung, einen anderen Fluchtweg zu finden.
  Von dem, was er sah, fing sein Herz beunruhigt an zu schlagen und Schweiß übergoss seinen Körper. An den Wald fuhr mit einer wahnsinnigen Geschwindigkeit ein anderes Polizeiauto heran, Blaulicht blinkte und es gab einen mächtigen Krach. Alexander war von der gut organisierten Arbeit der deutschen Polizei für einen Moment verblüfft. Er glaubte schon nicht mehr, dass es ihm gelingen würde, sich zu retten oder von der Verfolgung zu entkommen. Darüber, wer ihn aufgespürt oder wer ihn verraten hatte, dachte er jetzt nicht nach. Er wusste eins genau, lebendig in die Hände der Polizei würde er sich nicht ergeben. Und es gab ihm eine gigantische, sogar eine übermenschliche Kraft. Er wurde von der Stelle wie ein Reh gerissen und dabei presste er noch stärker seinen Automaten, seinen eigenen Automaten zusammen. Mit seiner persönlichen Waffe fest umschlungen hatte er fast vier Jahre geschlafen...
  Die Polizisten hatten offenbar beim Anblick des zwei Meter großen "kubanischen Fidel" kalte Füße bekommen. Der älterer Mann und das junge Mädchen, deren Gesichter sich Kusnezow näherten, feuerten keinen Schuss auf dier lebendige Zielscheibe ab. Das wütende Gesicht des Riesen, der während des Laufens schoss, hatte die Ordnungshüter entsetzt. Besonders stark erschrocken war die junge Person, als es nahe ihren Ohren ein paar Kugeln pfiffen. Von tierischer Angst um ihr Leben schrie sie hysterisch etwas auf Deutsch und schlich sich niedergebeugt in den Wald. Erschrocken war auch ihr Kollege. Er, trotz umfangreicher Erfahrung im Fangen allerlei Verbrecher, hatte solche Unverschämtheit nicht vom sowjetischen Fahnenflüchtigen erwartet. Der Russe mit dem Bart rannte wie ein Sprinter an ihm vorbei und vergaß nicht, alles ringsherum aus dem Automaten mit bleiernem Feuer zu begießen...
  Nach ein paar Kilometern hatte sich Kusnezow entschieden durchzuatmen. Seine Seele und sein Herz jubelten, er war den Verfolgern mutig und tapfer entkommen. Jetzt, besonders in dem vertrauten Wald, trat die Angst um sein Leben in den Hintergrund. In den zwei Jahren wurden ihm dieser Wald und die Wäldchen vertraut und nah. Sie verbargen nicht nur ihn von den Augen der Menschen, sondern retteten ihn auch von der Polizei. Der Bärtige hatte sich in der Tiefe des Waldes einen großen Busch ausgewählt und legte sich hin, legte sich für eine Weile hin. Er bezweifelte nicht, dass die gewissenhaften Deutschen fortsetzen würden, ihn bis zum Abend zu verfolgen und vielleicht sogar die ganze Nacht. Während des Dienstes hörte er mehrfach, dass sich die sowjetischen Vorgesetzten um Hilfe an die Polizei des sozialistischen Deutschlands gewandt hatten. Die Russen hoben manchmal für das Einfangen der Entlaufenen ganze Divisionen aus und durchkämmten Dutzende Dörfer und Gärten. Es entstanden verschiedene Gruppen des Einfangens und der Ergreifung, es wurden verschiedene Schemata auf den Karten gezeichnet. Durch das ganze Land fuhrten hunderte von Wagen, es wurde ein ganzes Meer von Sprit verbrannt. Es liefen in der Regel jungen Soldaten weg...
  Die Überlegungen über die Grünschnäbel steigernten in einem gewissen Maß den moralischen Geist des Flüchtigen. Er zählte sich nicht zu den Grünschnäbeln, er konnte sich immer verteidigen. So war es auch jetzt geschehen, als er fast wie Suworow eine ganze Menge von bewaffneten Deutschen überwältigt hatte. Der Liegende lachte laut, als er vor sich das erschrockene Gesicht der jungen Deutschen vorstellte... Er war immer gegen den Dienst der Frauen in der Armee, sie sollten auch nichts mit der Polizei zu tun haben. Bei diesen Überlegungen glitt er unbemerkt in den Schlaf, nach etwa zwanzig Minuten wachte er auf. Der Riese hätte noch weiter geschlafen, wenn da nicht ein seltsames Gefühl gewesen wäre, dass er auf dem Gesicht zu spüren begann.
  Davon hatte er sich sehr erschrocken und stürzte sich schnell zur Seite, gleichzeitig riss er den Automaten hinter sich. Auf den Angreifer musste er nicht schießen. Vor ihm stand Kaschtanka, sie jammerte und lief um ihren Besitzer herum.
  Kusnezow streichelte den vierbeinigen Freund zärtlich und sah ihm aufmerksam in die Augen. In den Augen des Hundes leuchteten Flämmchen echter Freude. Das Herz des Flüchtigen presste sich beunruhigt zusammen, aus seinen Augen flossen Tränen. Der Hund, den Kummer und die Freude des Besitzers verstehend, drückte sich noch näher an ihn heran. Alexander streichelte zärtlich mit seiner großen Hand die Schnauze des Tieres und murmelte leise unter Tränen:
  - Liebe Kaschtanka, ich werde dich mein Leben lang nicht vergessen, du hast mir das Leben gerettet... Ich werde dich niemals vergessen, meine Kaschtanka...
  Er wiederholte dem ergebenen Hund mehrmals die Worte der Dankbarkeit. Die Wärme der menschlichen Seele und des Herzen übertrugen sich aller Wahrscheinlichkeit nach auch auf den Hund. Sie drehte sich weiter um ihn herum und kläffte leise neben dem, der auf dem Boden lag und aus irgendeinem Grund weinte...
  Der Rest des Tages und die Nacht verwischten der ausgerüstete Bärtige und sein Hund die Spuren. Erst am Morgen, als die Sonne anfing aufzugehen, etschieden sich die Flüchtlinge, eine Pause einzulegen. Vom verlassenen Garten hatten sie sich etwa dreißig Kilometer entfernt, vielleicht auch mehr. Je weiter Kusnezow sich vom Ort seines "Wohnsitzes" entfernte, desto ruhiger wurde es in seiner Seele. Er bezweifelte jetzt nicht, dass die Polizei seine Spuren kaum finden würde. Während des Rückzuges hatte er immer alles 'clever' getan. Nach etwa zehn Kilometer zog er seine Schuhe aus, anstelle deren zog er die alten Sportschuhe an, die er im Wald gefunden hatte. Sie waren ihm ein wenig zu klein, aber es störte ihn überhaupt nicht. Der Bärtige vergaß auch seine Kaschtanka nicht. Ihre Pfoten umwickelte er mit Lappen, dazu hatte er das Hemd in kleine Stücke gerissen, das auf der Vogelscheuche gehangen hatte, um die Vögel im Gemüsegarten abzu- schreckten.
  Der Hund setzte der Maskierung überhaupt keinen Widerstand, sie kläffte nur leise und leckte zärtlich dem Besitzer die Hände, der ihr fleißig "Schuhe" bastelte. Als Erholungsplatz hatten sie ein kleines Wäldchen gewählt, es war ziemlich dicht und wurde vom hohen Gras umrahmt. Alexander fiel buchstäblich neben der riesigen Kiefer um und schlief sofort ein. Er hatte nicht mehr die physische Kraft, um sich in unbekannte Richtung weiter zu bewegen. Auch Kaschtanka war müde. Sie hatte sich neben den Beinen des Riesen sanftmütig niedergelegt und die Augen geschlossen. Manchmal wachte sie auf, um auf alle Fälle ihren Besitzer 'zu bewachen'. Der schlief wie ein Murmeltier. Er war noch niemals in seinem kurzen, aber sehr komplizierten Leben so sehr ermüdet gewesen...
  Aufgewacht war der Bärtige von etwas Nassem, das seinen ganzen Körper bedeckte. Als er die Augen öffnete, verstand er, dass es regnete. Die Blätter einiger Bäume und Sträucher glänzten von den Regentröpfchen. Die Ursache der unbeschreiblichen Schönheit des Waldes war die helle Sonne, die manchmal durch die feine Schicht des Nieselregens durchkam. Kaschtanka war nicht neben dem Besitzer, sie änderte während seines Schlafes die Stelle der "Dislozierung". Der Grund dafür war der Regen. Alexander lachte laut auf, als er seinen treuen Hund unter einem sicheren "Schirm" sah, wofür ein sehr dichter Busch diente. Er sprang, ohne zu überlegen, auch zum Hund.
  Der Regen hörte etwa nach einer Stunde auf. Durch den dichten Schleier des Waldes kam bald die Sonne hervor, sie stieg immer höher und höher. Die Entlaufenen freuten sich sehr über die natürliche Erscheinung und gingen zum Waldrand hinaus. Vor ihnen erschien ein Paradies auf Erde und der Grund dafür war die Schönheit der Natur. Der Wald und alles rundherum atmete die frische Luft. Alexander warf sich sofort in das dichte Gras, es war schon fast trocken von der brennenden Sonne. Er zog seinen Sportanzug aus, danach seine Unterhosen und blieb nackt. In solchem Zustand zu liegen war es sehr angenehm. Die Sonnenstrahlen, die seine schlanke Figur streichelten, hatten gleichzeitig die Blutergüssen seines Körpers geheilt. Während des Schlafes und auch am Tag kratzte Alexander sich sehr stark, manchmal bis zum Blut. Sein Körper brauchte schon seit sehr langem heißes Wasser. Er stellte sich für einen Moment die Soldatensauna vor, die trotz der Armeemacken jetzt für ihn ein echtes Glück wäre. "Eine Desinfektion" brauchte auch Kaschtanka, die neben dem Besitzer lag und sich ziemlich oft ins Fell biss.
  Von den weniger erfreulichen Gedanken und der hellen Sonne schlief der Flüchtige ein, aber lange zu schlafen, gelang ihm nicht. Kaschtanka jammerte kläglich, immer wieder leckte sie mit der Zunge das Gesicht des Schlafenden. Das Tier jammerte vor Hunger. Kusnezow wachte auf und sah auf die Uhr, die "Kommandeursuhr" zeigte genau zwei Uhr am Tag. Das Datum und der Tag der Woche zeigte die Uhr infolge des Defektes nicht an. Das war für Alexander jetzt nicht so schlimm, ihn erschreckte was ganz anderes. Es waren zwei Jahre seiner Wanderschaft vergangen, aber er blieb weiterhin ein Ausgestoßener in diesem Land. Er hatte es schon ziemlich satt, sich mit einem Stück Brot und einem Schluck Wasser zu begnügen, die er buchstäblich Großmüttern und Großvätern stahl. Ihm war schon seit langem der Vorrat an Hemden ausgegangen, nicht zu erwähnen die Unterwäsche, die einst im Koffer des vorsorglichen Deutschen war. Bei dem körperlich fitten Mann traten gesundheitliche Probleme auf. Aufgrund der unmenschlichen Nahrung "streikte" sehr oft sein Magen. Er hatte auch jetzt Hunger, er wollte furchtbar gern essen. Er bezweifelte nicht, dass auch der Hund vor Hunger jammert. Der traurige Ausdruck der Schnauze rührte Kusnezow sehr. Er konnte sich schon sein Leben ohne Kaschtanka nicht mehr vorstellen, sie war für ihn ein echter Freund geworden, teilte mit ihm alle Freuden und Leiden. Das vierbeinige Geschöpf, als ob es die Gedanken des Besitzers las, jammerte noch mehr, aus den Augen des Hundes rollten Tränen. Der Bärtige war erstaunt, er hatte noch niemals im Leben Tränen weder bei den Hunden, noch bei anderen Tieren gesehen. Er dachte, dass nur Menschen, denen Gott auf dieser Erde das Recht zu leiden oder sich zu freuen gestattete, Tränen hätten. Jetzt zweifelte der Nackte überhaupt nicht daran, dass der Hund die Tränen vor Mitleid oder Hoffnungslosigkeit, aber in keiner Weise vor Freude hatte. Ihm wurde unwohl und er hatte wie mit einem ihm nahen Menschen mit Tränen in den Augen geredet:
  - Weißt du, meine Kaschtanka, du denkst, dass ich ein Paria, ein schwacher Mensch bin... Nein, es ist bei weitem nicht so... Du solltest nicht so denken, wir werden uns nicht ergeben... Ich werde dich nicht im Stich lassen, für dich und für mich werde ich mein Leben geben... Ich bin doch auch ein Mensch und möchte auch auf dieser Erde leben...
  Der Hund reagierte auf das Gerede des nackten Mannes nicht und widersprach auch nicht. Er sah nur traurig seinen Besitzer an, der aus irgendeinem Grund die Lippen bewegte und laut weinte. Die Unterhaltung des Menschen mit dem Hund dauerte nur kurz. Kaschtanka freute sich sehr, als ihr Besitzer den Rucksack aufband und eine Kartonschachtel aus ihm heraus zog...
  Das Fest an der frischen Luft war sehr kurz. Kusnezow beeilte sich, er wollte jetzt etwas machen, etwas sofort tun. Jedoch was auch und wie es machen, wusste er nicht. Seinem "Kummer" konnte auch Kaschtanka nicht abhelfen, die, wie auch er, in Ruhe die Sonne genoss. Das Nichtstun und die Hilflosigkeit bedrückten Alexander. Nach kurzem Nachdenken entschloss er sich, den Rucksack in die Hände zu nehmen und entleerte ihn auf dem Boden. An Essbarem gab es noch eine Marschverpflegung, von der Munition ein volles Horn an Patronen. Kusnezow zog sich schnell an, dann nahm er die Waffe und zog den Verschluss zurück. Eine Patrone fiel auf die Erde. Danach entfernte der Entlaufene das Geschäft vom Automaten und schob die herausgefallene Patrone hinein. Nach der Befestigung des vollen Hornes mit den Patronen an den Automaten lächelte Alexander und, aufmerksam den Hund anschauend, sagte laut:
  - Nun, das ist alles, mein Kumpel... Wir haben für uns beide nur dreiunddreißig Patronen... Hab' keine Angst, ich werde dich nicht töten... Mein "Kalasch" hatte mich niemals im Stich gelassen und jetzt wird er es auch nicht tun...
  Kaschtanka verstand wieder nicht, was ihr der Besitzer sagte. Sie verstand auch nicht, warum ein so großer Mensch mit Tränen in den Augen den Automaten, der gestern so unverständlich rumpelte, küsste...
  Ins deutsche Dorf gelangten die Entlaufenen für 'die Beute' unbemerkt und es war auch niemand da, um sie zu bemerken. Die Siedlung, die etwa ein Dutzend Häuser hatte, war menschenleer. Kusnezow umging auf dem Weg seitlich ein Dorf, es befand sich zwei Dutzend Meter von der Autostraße. Aber dieses Dorf, wie es ihm schien, war wie von Gott vergessen. Er entschied sich militärisch zu handeln. Bevor sie das Dorf betraten, ging er zweimal darum herum. Nichts war verdächtig, es gab hier auch keine Geschäfte. Das attraktivste für die Einbrecher war ein Friseursalon. Der befand sich im Erdgeschoß eines hölzernen Gebäudes, das sich direkt am Waldrand befand. Die großen Schaufenster mit der Darstellung von Frauen und Männer mit schönen Frisuren waren von weitem sichtbar.
  Die bunte Werbung rief ein Lächeln bei Alexander hervor, er rasierte sich fast zwei Jahre nicht und seine Haare wurden auch nicht geschnitten. Der Bärtige beabsichtigte den Friseursalon zu besuchen, nicht wegen seiner zukünftigen Frisur, sondern er brauchte Geld. Er näherte sich vorsichtig dem Haus und ging fast auf den Zehenspitzen zur Glastür des Friseursalons heran. Es war niemand im Inneren, die zwei kleinen Sessel waren leer. Und das steigerte den Mut des Einbrechers...
  Der siebzigjährige Friseur Otto Günther hatte in diesem Tag seit dem Morgen nichts zu tun. Wünsche zu arbeiten hatte der Alte genug, aber es waren keine Kunden da. Der Grund waren aller Wahrscheinlichkeit nach 'die bissigen' Preise. Und der Ort bei ihnen wurde menschenleer, obwohl während des Sozialismus für alle die Arbeit ausreichte. Jetzt waren andere Zeiten angebrochen. Viele Bewohner des Dorfes Zuffenhausen waren ohne Arbeit und gingen in die Stadt. Einige zogen in den Westen des Landes zu Verwandten in der Hoffnung, dass man im demokratischen Teil vor Hunger niemanden nicht verrecken lassen würde. Dorthin war auch Alex, der Sohn des alten Günthers hingezogen. Der fünfzigjährige Mann lebte in der Wohnung der Lebensgefährtin, sie arbeitete in einem Altersheim. Ihr Gehalt war nicht so hoch. Der Vater hatte erst gestern den Sohn angerufen, aber wenn er es geahnt hätte, hätte er lieber nicht angerufen. Jener beklagte sich schmerzhaft, dass auf ihn, mit dem Diplom des Lehrers für Russische Sprache, hier offenbar niemand wartete. Alles Russische hatte keinen Wert nicht nur im Westen, sondern auch hier, in den ehemaligen sozialistischen Ländern...
  Der alte Günther lebte fast ein halbes Jahrhundert unter den Kommunisten, es gab Verschiedenes im Leben. Er sah auch die Russen, aber bis zum Küssen und auch bis zum Alkohol ging es nicht. Damals schrieb und sprach man sehr viel über sie. Und jetzt war es auch nicht weniger, sogar mehr, wenn sie das Land verließen. Einige der Deutschen warteten auf den Abzug der Russen sehr lange. Zum Beispiel sein Nachbar, als er erfuhr, dass "die Sowjets" weggehen, gewöhnte er sich noch stärker ans Bier. Der ehemalige Förster mochte "die Rote" nicht und nicht, weil sein Vater bei Stalingrad gefallen war. Den Sohn des Wehrmachtssoldaten störten die Machenschaften der russischen Soldaten und Offiziere, die oft das Wild mit den automatischen Gewehren jagten und sogar mit den Panzern fuhren. Der Wunsch, die Russen zu bestrafen, entstand beim Förster ziemlich oft. Aber er verlor aus irgendeinem Grund die Sprache, als er vor sich die Soldaten-Internationalisten sah. Beim Treffen nuschelte Förster Meyer sich etwas deutsch in den Bart und bemühte sich, den Straftäter einzureden, dass man die Natur nicht so unbarmherzig zerstören dürfte. Allerdings endete alles liebevoll. Der Förster und die Jäger lächelten, dann streckten sie sich einander die Hände entgegen. Die Militärs wollten den Mann in der Uniform in der Regel nicht bemerken. Nur einige von ihnen begrüßten ihn. Es gab auch solche, die den Förster überhaupt nicht "bemerkten" und "Gas" gaben. Vom mächtigen Heulen des Panzermotors wich der Hüter der Natur zur Seite, um nicht unter die Raupen zu geraten. Der Förster verbarg die Angst vor den Russen, sogar vor seiner Frau, nicht. Er wachte ziemlich oft in der Nacht auf und erzählte bis zum Morgen seiner Hälfte davon, wie ihn im Traum die Russen fingen. Ursula hörte ihrem Mann zu und flehte zu Gott, dass er bis zur Rente ruhig arbeiten konnte. In letzter Zeit hörte Frau Meyer schon ohne Zittern allerlei "witzigen Geschichten" des jungen Rentners an. Einmal in zwei Monaten schließet sich ihnen der Friseur Otto an, zu dem sie die Haare schneiden gehen. Der Friseur hatte auch selbst nicht dagegen, sich noch einmal zu bekreuzigen, damit die Russen schneller weggehen. Vor zwanzig Jahren lebte er im Dorf, dann war hierher gezogen. Nicht weit vom ehemaligen Wohnort war ein russischer Übungsplatz, wo Tag und Nacht das Knirschen der Panzer und das Gepolter der Kanonen klangte. Die nahegelegenen Dörfer litten oft unter den Überfällen der Soldaten, die die Gärten und die Lauben leer räumten. Während eines Marsches fuhr einer der Panzer in den Nachbargarten hinein, die alte Besitzerin hatte vor Angst fast ein Herzinfarkt bekommen...
  Die Uhrzeiger an der Wand zeigten genau drei Uhr nachmittags, als der Besitzer des Frisiersalons durch das Fenster ein sehr großen Mann sah, der aus irgendeinem Grund vorsichtig und ängstlich aus dem Wald herausgekommen war. Der Bärtige war ein Fremder, der Alte irrte sich nicht, er kannte alle Hiesigen. Dieser hatte sofort bei ihm einen Verdacht hervorgerufen. Die flüchtige Wahrnehmung des Fremden, der in Richtung des Friseursalons kam, versetzte Otto sofort in Angst, in einen echten Schrecken. Er rannte weg vom Fenster und stürmte in den Anbau, wo er sich umzog und aß. Dann knallte er mit Kraft die Tür zu und schloss sie ab. Der Friseur atmete erleichtert auf, er erwartete nicht, dass heute das Schloss seiner kleinen Kammer so leicht sich abschließen ließ und sperrte die Tür fest zu. Bis zu diesem Moment hatte sich das Schloss aus einem unbekannten Grund sehr schwer abschließen lassen oder hatte überhaupt geklemmt. Vor "der Türfreude" setzte sich der Alte auf eine schmale Couch und erstarrte, aber dann fuhr er zusammen. Die Hoffnung darauf, dass der Fremde mit dem Bart seine Einrichtung von der Seite umgehen würde, schwand mit jeder Sekunde...
  Kusnezow öffnete vorsichtig die Tür des Friseursalons und blieb plötzlich stehen, nicht vor Angst, sondern es war ihm, als hätte er den Friseur oder einen Besucher gesehen. Alexander erschrak vor dem Menschen, den er unerwartet im großen, gegenüber an der Wand hängenden Spiegel sah. Er hätte fast auf den Abzugshaken der "Kalaschnikow" gedrückt, um auf ihn zu schießen. Sein Gegner war ein großer, bärtiger Mann mit langen schwarzen Haaren, die über seine breiten Schultern fielen. Das Gesicht des weit nicht mehr jungen Mannes war sehr zugewachsen, irgendwo im Bart "funkelte" graue Haare. Und seine Kleidung war sehr einfach, der schwarze Sportanzug war schmutzig und zerknittert...
  Zurück auf den "Boden" half dem Bärtigen Kaschtanka, die neben ihm stand und aufmerksam auf den Spiegel sah. Dann entblößte sie ihre Zähne und stürzte sich mit einem Quietschen nach vorne... Alexander betrachtete sich noch einmal aufmerksam im Spiegel, dann Kaschtanka und lachte laut. Dem Riesen wurde jetzt klar, dass weder er noch sein Hund sich selbst im Spiegel erkannt hatten. Je mehr der Flüchtling sich im Spiegel betrachtete, desto mehr lachte er. Lachte durch die Tränen, die aus seinen Augen zwangsweise flossen und dann sofort in den dichten Haaren des Bartes verschwanden. Der "kubanische Fidel' sah manchmal auch auf Kaschtanka, die sich immer noch nicht im Spiegel erkennen konnte und jammerte beim Anblick des schwarzweißen Hundes.
  Aber das Verhalten des Hundes lenkte den Bärtigen nicht von den irdischen Problemen ab. Er "durchgekämmte" mit den Augen das Zimmer, es waren keine Menschen da. Und es gefiel dem Fremden. Er hob den Sessel leicht mit den Händen an der Rückenlehne an und schob ihn vorsichtig in die Ecke, dann ließ er sich auf den weichen Sitz herunter. Ein erhabenes Glücksgefühl drang sofort in alle Teile und Poren des jungen Mannes. Er schloss seine Augen und fing an tief zu atmen. Ihm schien es, dass erst jetzt und nur in diesem Sessel die ganze Wonne des Lebens sich befand, für die er die Truppeneinheit verlassen hatte und so lange sie nicht fassen konnte...
  Plötzlich ertönte Kaschtankas Bellen, dieses Bellen verstand der Flüchtige mit "ersten Ton". Der Hund stand, wie ein Geier neben der kleinen Tür unweit vom Spiegel und bellte laut. Alexander sprang schnell vom Sessel auf, band augenblicklich seinen Rucksack auf und zog den Automaten heraus. Dann, mit seiner Waffe im Anschlag, schlich er sich auf den Zehenspitzen zur Tür. Er hatte jetzt keine Zweifel daran, dass die Tür zum Hauswirtschaftsraum oder zum Kellergeschoß führte. Er schaute den Hund streng an und hob den Zeigefinger. Der Hund wurde sofort still. Der Flüchtige, ganz zu schweigen von Kaschtanka, bezweifelte überhaupt nicht, dass jemand hinter der Tür war. Eine Katze oder ein anderes Tier stellte für sie keine Gefahr. Ein Mensch, gewiss ein Deutscher, konnte die Polizei anrufen und den Fremden melden... Die Angst um sein Leben zwang den Bärtigen, sehr schnell und entschlossen zu handeln. Ohne die Lage mit den Waffen zu ändernd, trat er mit dem Bein kraftvoll in die Tür. Die Tür öffnete sich wie eine Feder. Der bewaffnete Mann sah sofort einen mageren Alten vor sich, der auf dem Sofa saß und erschrocken auf den zugewachsenen Fremden schaute, der gerade erst die Tür "geöffnet" hatte...
  Otto Günther ist in diesen Abend nicht zum Sohn gefahren, und das war nicht seine Schuld. An diesem Abend war in seinem Friseursalon wirklich ein einzigartiger Kunde, dem er zum ersten Mal im Leben eine Frisur machte. Daran, dass der sitzende Riese mit dem langen Haar und mit dem prächtigen Bart ein Russe aus der GSSD war, zweifelte der Alte überhaupt nicht. Er konnte nur den Dienstgrad des Riesen wegen seiner Zivilkleidung nicht bestimmen. Er wagte sich auch nicht zu fragen, nicht aus Bescheidenheit, sondern aus Angst. Der unerwartete Kunde schwieg seit seinem Erscheinen aus irgendeinem Grund die ganze Zeit, er gestikulierte nur. Diese Gesten verstand Otto sofort und manchmal sogar "sehr gut.' Er schloss auf eigene Initiative die Eingangstür des Friseursalons mit dem Schlüssel ab, zog die Gardinen an den Fenstern zu. Aus Angst nahm er sogar den Hörer vom Telefonapparat, obwohl er sehr gut wusste, dass dieses "Wunder" schon seit langem vom Netz abgeschaltet war. Ohne Probleme bestimmte er auch die Frisur des Kunden, der im Sessel sitzend mit dem Automat in Richtung des Werbeschildes mit der Darstellung eines jungen Mannes mit einer kurzen Scheitelfrisur gezeigt hatte.
  Während der Arbeit des Meisters blieb das Verhalten des Russen ohne Veränderungen. Er hielt weiter den Finger auf dem Abzugshaken, sein Gesicht war streng und regungslos. Der Deutsche im Gegenteil, je mehr er sich vom Schreck erholte, desto sicherer arbeitete er mit der Schere und dem elektrischen Haarschneider.
  Nach dreißig Minuten war alles "fertig". Als der Fremde die schöne Frisur auf seinem Kopf sah, lächelte er. Es war auch der Meister zufrieden. Er war von der "Dienstleistung" und Angst ziemlich ermüdet, er setzte sich auf einen Sessel in der Nähe und sah mit Bewunderung seine "Arbeit" an. Vor ihm saß ein junger Bursche mit den richtigen Zügen eines russischen Gesichts.
  Diese Gesichter sah er im Fernsehen in den Zeiten der Regierung der Kommunisten, damals zeigte man ziemlich oft die gemeinsamen Veranstaltungen der Deutschen und der sowjetischen Soldaten. Das wurde auch jetzt nicht vergessen. Vor sechs Monaten sammelte man in ihrem Bezirk Geschenke für die russischen Soldaten, die ihren Dienst auf dem Territorium des vereinten Deutschlands noch fortsetzten. Einige Zeit saßen der alte Deutsche und der junge Russe sich gegenüber und jeder dachte an seins. Der schöne junge Mann mit dem Automaten, der mit einer Verachtung auf den alten Glatzkopf schaute, hatte keine Pläne. Sein Kopf war für heute und für morgen "leer". Er lebte in dieser Stunde, in diesem Augenblick. Jetzt saß er nur da, und das war alles... Ihm gefiel es, in diesem bequemen Sessel zu sitzen und sich als ein Mensch zu fühlen...
  In Otto Günthers war es im Gegenteil sehr unruhig. Ihn erschraken aus irgendeinem Grund die großen blauen Augen des jungen und auch sehr schönen Burschen. Und das Verhalten dieses Menschen mit einem eigenartigen Geruch war für ihn nicht vorhersehbar. Er bezweifelte überhaupt nicht, dass dieser ehemalige Bärtige, der vor einer halben Stunde über fünfzig Jahre alt "war", ohne jedes Bedauern auf ihn feuern könnte. Von diesem Gedanken wollte er weglaufen oder irgendwo sich verstecken. Er begann in seinem Kopf allerlei Pläne seiner Rettung auszudenken, aber sie verschwanden fast sofort, ohne logisch durchdacht zu werden. Eine Flucht war nicht nur verrückt, sondern auch sehr gefährlich.
  Ein Beweis dafür war auch der Hund, der seinem Herrchen, sitzend im Sessel und erstarrt auf einen Punkt sah, treu in die Augen schaute. Herr Günther hatte in seinen Gedanken mehrmals auf den schmutzigen Hund geschimpft, dank dem er auch entdeckt worden war. Die Wanduhr schlug fünf Mal. Es waren fast zwei Stunden vergangen, nachdem Otto seine Einrichtung "geschlossen" hatte. Die zwei Stunden des Einschlusses in seinem eigenen Friseurladen waren die furchtbarsten in seinem Leben. Die Hoffnungslosigkeit der Situation zwang ihn einen Ausweg zu suchen. Er begann eifrig die Lippen zu bewegen und einen Versuch zu machen, russisch zu sprechen, obwohl die Kenntnisse der russischen Sprache bei ihm auf einem "absoluten Nullpunkt" waren. Er warf sich jetzt vor, dass er sich vor zwanzig Jahre nicht die Zeit genommen hatte, in den Sprachführer seines Sohnes rein zu schauen und etwas zu lesen.
  Alex war damals begeistert, die russische Sprache, die Sprache seiner Freunde zu lernen. Die russische Sprache haben zu jenen Zeiten nicht nur die Bewohner des sozialistischen Deutschlands gelernt. Es lernten sie auch die Westdeutschen, für die es eine Sprache der Feinde war. Besonders war es in den Jahren der internationalen Spannung "modern"...
  Von den Erinnerungen an die schweren Zeiten verspürte der Alte einen heftigen Stich im Herzen. Er stand vom Sessel auf und ging in Richtung des hinteren Raumes, wo sich die Tabletten befanden. Aber den Wunsch der medizinischen Behandlung musste er sofort aufgeben. Der Russe stand blitzschnell vom Sessel auf und hielt den Automaten an seinen Kopf. Der Alte setzte sich vor Angst und weinte.
  Die Tränen und das Stöhnen des alten Deutschen rührten irgendwie Alexander. Er ging ein paar Schritte zur Seite und hielt das Maschinengewehr im Anschlag und begann, genau die weiteren Handlungen des Deutschen zu beobachten. Der Alte, den Schmerz in der Brust überwindend, stürzte mit beschleunigtem Schritt in den hinteren Raum. In der ganzen Zeit seiner Abwesenheit wandte Kusnezow nicht die Augen von der Tür weg, eifrig diente ihrem Besitzer auch Kaschtanka. Sie saß neben ihm und lauschte aufmerksam, was im Nebenraum geschah.
  Der Deutsche kam aus dem Hinterraum nach etwa fünf Minuten. Er war sehr froh und flüsterte russisch:
  - Sehr gut, sehr gut, Russe Iwan... Sehr gut, Russe Iwan...
  Diese Worte stimmten Alexander etwas milder, in seinem Kopf tauchten sofort anständige Gedanken über die Deutschen auf. Die Offiziere und die Soldaten sagten fast immer nur Gutes über die Ortsbewohner. Probleme schufen meistens die Russen selbst... Als der alte Deutsche das blendend schöne Lächeln auf dem Gesicht des Einbrechers sah, entschied er sich in einem noch größeren Ausmaß zu "dienen". Er näherte sich fast auf den Zehenspitzen an Kaschtanka und begann sie zu streicheln. Der Hund reagierte auf die Annäherung des Fremden und die Berührung seiner Handfläche aus irgendeinem Grund nicht, er blinzelte nur eifrig mit seinen Augen und starrte aufmerksam in Richtung sines Besitzers. Das seltsame Verhalten des Hundes amüsierte Alexander sehr, er begann laut zu lachen und beobachtete, was der Alte weiter mit seinem Hund machte. Otto, nachdem er sich fest überzeugt hatte, dass der Hund des ausgerüsteten Russen ihn angenommen hatte, nahm ihn vorsichtig auf den Arm und trug ihn in den hinteren Raum. Und diesmal gab Kaschtanka kein Laut von sich. Der alte Mensch und der Hund erschienen nach etwa fünfzehn Minuten wieder. Kusnezow schrie von dem Gesehenen sogar auf. Er konnte nicht glauben, dass vor ihm sein echter vierbeiniger Freund war. "Die Bekleidung" des Hundes war trocken und sauber, seine schwarzweiße Farbe glänzte sogar bei dem nicht sehr hellen elektrischen Licht des Zimmers. Die ideale Sauberkeit des Hundes beschämte für einen Augenblick den Besitzer. Erst jetzt kam ihm der Gedanke, dass in der ganzen Zeit, wo er der Besitzer von Kaschtanka war, er sich nicht einmal die Mühe gemacht hatte, sie gründlich zu waschen. Der Hund schlich sich ohne sein Wissen ziemlich oft zu Pfützen oder Seen, die am Weg ihrer langen Wanderung durch die Wälder und die Felder lagen. Der Besitzer hatte auch selbst, um ehrlich zu sein, vergessen, was ein Bad oder eine Dusche war, ganz zu schweigen von der Soldatensauna. Er wusch sich in den Seen, verwendete auch die natürliche "Dusche", den Regenguss...
  Der Deutsche fühlte sofort die fröhliche Stimmung des Russen, als er mit dem gründlich gewaschenen Hund erschien. Er beschloss, es wieder zu verwenden, um die schlechten Gedanken im Kopf des Russen Iwan zu vertreiben. Der Friseur setzte ein Pflichtlächeln auf, legte Kaschtanka auf einen Sessel und nahm die Schere. Seinen vierbeinigen Freund in Ordnung zu bringen hinderte Kusnezow den Deutschen nicht, er nahm sogar einige Zeit den Finger vom Abzugshaken des Automaten. Der weiche Sessel mit den Armlehnen, in dem er saß, verleitete ihn zu Ruhe und zur Ruhe und zum Nichtstun. In dieser Glückseligkeit würde er eine ganze Woche sitzen, oder vielleicht sogar ein Jahr. Es war ja im Sessel und auch im Friseursalon sehr gemütlich. Sein Körper, der sich nach der häuslicher Gemütlichkeit und der menschlicher Sauberkeit sehr sehnte, erholte sich.
  Jedoch, je mehr Schweißperlen auf dem Glatzkopf des alten Deutschen auftraten, desto verdächtiger wurde für den Riesen das Verhalten des Alten. Die Laune in seinem Kopf verschwand schnell wieder. Er fing wieder an, dem alten Deutschen zu misstrauen, sehr gut verstehend, dass jener sich nicht ohne Grund weich zeigte. Aller Wahrscheinlichkeit nach wartete er auf jemanden oder hatte sehr Angst um sein Leben. Kusnezow schaute auf seine "Kommandeursuhr", es war schon Anfang sieben. Drei Stunden waren für ihn ganz unbemerkt verflogen, wie drei Minuten. Der lange Aufenthalt im Friseursalon erschreckte Alexander, er hielt wieder die Uhr ans Ohr, die lief ohne Störungen. Der "Kommandeur", so nannte der Soldat seine Uhr, hatte ihn niemals betrogen. Er lehnte sich wieder in seinem Sessel zurück und beobachtete die Arbeit des Meisters. Kaschtanka benahm sich anständig, sogar sehr gehorsam. Der Hund zuckte und bellte nicht, er jammerte nur etwas leise vor sich hin und warf manchmal einen Blick auf sein Herrchen. Eine fast häusliche Idylle hatte ihre Wirkung getan. Kusnezow schloss für ein Moment die Augen...
  Er wachte von einem unerwarteten Klopfen auf und sprang stürmisch auf. Dann drückte er sofort kräftig auf den Abzugshaken des Automaten, aber kein einzelner Schuss oder Feuerstoß folgte. Der Flüchtige zog vor Angst der Verschluss der "Kalasch" zurück und starrte hasserfüllt auf die Tür, wo es klopfte. Das Erste, woran er dachte, dass es dem Deutschen schon gelungen war, die Polizei anzurufen.
  Alexander warf einen Blick zur Seite des Sessels und bewegte den Automat auch in diese Richtung... Das ruhige Verhalten des vermuteten Verräters zähmte seine Angst und Phantasien. Ruhig benahm sich auch Kaschtanka, sie saß auf dem Schoß des Alten und sah glücklich auf ihren gerade erst erwachten Besitzer. Die Ruhe des treuen Hundes übertrug sich nach paar Augenblicken auch auf Kusnezow. Von dem Gedanken, dass jemand von den möglichen Kunden oder Liebhabern ein wenig plaudern, dem Schild, auf dem es deutsch "Geschlossen" drauf stand, nicht traute, sich entschieden hatte an der Tür des Friseursalons zu klopfen, beruhigte Alexander ganz. Er beruhigte sich und schloss dann wieder seine Augen...
  Dieser Abend und diese Nacht verliefen für den ehemaligen sowjetischen Soldaten bestens. Er konnte sich nicht vorstellen, dass dieser kleine Friseursalon in seinem Gedächtnis so einen unvergesslichen Eindruck hinterlassen würde. Er schlief im Sessel nach dem Beginn seiner "Reise" fast zehn Stunden.
  In dieser Zeit kam es zu keinen außerordentlichen Vorfällen, es gab auch keine Quellen für erhöhte Gefahr. Alle im Friseursalon befanden sich auf ihren Plätzen. Der Erwachte konnte nicht ablassen, seinen Hund zu betrachten. Während seines Schlafes hatte der Friseur Kaschtanka in einen göttlichen Zustand gebracht. Sie erinnerte jetzt an die Hunde, die Alexander in den Schaufenstern der Geschäfften sah, wo man das Futter für Katzen und Hunde verkaufte. Der schöne Hund beschloss für einen Moment seinem Herrn zu danken. Er sprang schnell vom Sessel des Besitzers des Friseursalons herunter und setzte sich fest neben sein Herrchen. Kaschtanka setzte sich und fing an, ihm ergeben in die Augen zu schauen. Die Hundeergebenheit brachte den Riesen zum Lachen. Er küsste das Tier leicht auf die Schnauze und stand auf, Alexander machte ein paar Schritte, um sich etwas zu bewegen. Nach ein paar Augenblicken blieb er verwundert stehen. In der Ecke des Raumes auf einem kleinen Tisch war ein anständiges Essen vorbereitet. Als Otto Günhter den erstaunten Blick des Russen bemerkte, verließ er langsam den Sessel und trat auch langsam an seinem neuen Kunden heran.
  Der Alte hatte jetzt von dem Riesen mit einer Kalaschnikow keine Angst mehr, warum er ihn nicht mehr fürchtete, verstand er auch selbst nicht. Er schaute in die Augen des Burschen, klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter und sagte leise:
  - Drushba, Freundschaft, Frieden und Freundschaft... Russe und Deutscher, du und ich...
  Die russischen Worte, die vom Alten mit einer großen Betonung gesagt wurden, erfreuten den Riesen sehr. Er drückte die magere Schöpfung fest an sich. Der alte Günter erstickte fast unter der Umarmung des Einbrechers. Er stöhnte nur schwer und hielt fast sich die Nase vor dem nicht menschlichen Geruch zu, der von dem schönen Russe kam. Dieser Geruch hatte dem festen Männerkölnischwasser widerstanden, mit dem der Friseur mit großem Eifer die Haare des Einbrechers im eigentlichen Sinne "bearbeitet" hatte.
  Nicht einmal sein Hund stank so wie sein Besitzer. Der bellte unter der Dusche überhaupt nicht, er knurrte nur vor Vergnügen und zeigte etwas die Zähne. Das Tier zu waschen fürchtete der Alte nicht, er veranstaltete die Wasserprozeduren für den Hund des Sohnes ziemlich oft. Außerdem war dieser Unbekannte unbewaffnet...
  Der alte Deutsche des ehemaligen sozialistischen Deutschlands war während des Schlafes des russischen Soldaten dazugekommen, über Vieles nachzudenken. Es gab keine Zweifel, der Besucher mit dem Hund war ein Fahnenflüchtiger, ein einfacher Soldat. Fast alle Offiziere der sowjetischen Armee konnten etwas deutsch, die Männer mit den Sternchen auf den Achselstücken konnten mit den Ortsbewohnern in den Geschäften und auf der Straße kommunizieren. Dieser war 'ohne Zunge', die Kommunikation mit ihm war nur auf Gesten beschränkt. Der Alte verstand Vieles von ihnen nicht und deshalb fürchtete er sich vor einer Abrechnung.
  Der Russe schlief sehr schnell und sehr unerwartet ein. Der Alte wähnte sich fast auf im siebten Himmel, als er während des Frisierens des Hundes ein mächtiges Schnarchen hörte. Er bezweifelte überhaupt nicht, dass der unerwartete Kunde hier den Abend und die ganze Nacht durchschlafen würde. Herrn Günthers erster Wunsch war der, seine nicht sehr rentable Einrichtung zu verlassen und zu entkommen, zu entkommen so schnell wie möglich. Allerdings entschied er sich, sich nicht zu beeilen, er hatte immer noch Angst von diesem ruhigen und auch gleichzeitig strengen Russen. Er hatte überhaupt keine Zweifel daran, dass dieser Russe mit dem schönen Gesicht ohne jegliches Bedauern ein paar Schüsse in seinen Kopf abgeben würde. Der alte Mann wollte nicht sterben, ungeachtet seines hohen Alters. Otto Günther wusste sehr gut, dass alle Menschen sterblich sind. Er war in dieser Hinsicht auch keine Ausnahme. Er wollte nur in seinem hohen Alter seinem Sohn, dem Verlierer, der in seinem Leben noch nichts erreicht hatte, helfen auf die Beine zu kommen...
  Der Vater und der Sohn hatten im Sozialismus kein Glück, sie lebten von einem Gehalt bis zum nächsten. Die Hoffnungen der erwachsenen Männer auf den Kapitalismus hatten sich auch nicht erfüllt, sie blieben ohne Arbeit. Der Alte dachte sehr oft an das Schicksal seines Alex, besonders dann, wenn bei ihm das Herz schmerzte. Mit dem Beginn des Schnarchens des Riesen beschloss der intelligente und kluge Deutsche das Hundefrisieren zu beenden. Kaschtanka hatte auch nichts dagegen. Sie sprang schnell vom Sessel und lief zu ihrem Besitzer, der reagierte auf ihr leichtes Kläffen in keiner Weise. Als der Hund von seinem Herrchen keine Streichelantwort bekam, stellte er sein Jammern ein und lief in die Zimmerecke. Nach fünf Minuten war auch er still. Herr Günter hatte wieder nicht die Gelegenheit genutzt, dem Einbrecher zu entkommen. Er fürchtete den Russen immer noch.
  Er entschied sich, die Echtheit des Schlafes des Einbrechers zu überprüfen. Er stand sehr vorsichtig vom Sessel auf und ging ein Paar Mal um die Schlafenden herum. Es gab keine Zweifel, sie schliefen, schliefen sehr fest. Er bekreuzigte sich, dann öffnete er lautlos mit dem Schlüssel die Eingangstür und auch lautlos verschloss er sie...
  Nach wenigen Augenblicken befand er sich auf der Straße, sie war schon in die Dunkelheit getaucht. Der Alte sprang schnell über den Weg zum Parkplatz, wo sein alter "Moskwitsch" der sowjetischen Produktion stand. Er startete schnell den Motor und fuhr los, bis zu seinem Haus waren es etwa fünf Minuten, nicht mehr.
  Nachdem der Alte die Schwelle seiner Zweizimmerwohnung im Großplattenhaus überschritten hatte, fiel er sofort ins Bett. Von der nervösen Überanspannung verließen den Alten die Kräfte. Es arbeitete nur sein Gehirn, dabei arbeitete es sehr intensiv. Im Laufe der letzten siebzig Jahre hatte er noch niemals solch eine "Überbelastung". Otto Günther war sich selbst noch nicht bis zu Ende bewusst, was mit ihm gestern Abend und heute Nacht geschehen war. Er befand sich vor paar Minuten eine Haaresbreite von seinem Tod. Ob er auf dieser Erde zu leben oder nicht zu leben hatte, bestimmte der sowjetische Soldat, der sich auf der Flucht befand. Der Deutsche begann von diesen Gedanken zu weinen und ein Gebet zu Ehren des Gottes zu sprechen. Gerade er gab nicht nur dem russischen Riesen, sondern auch dem Hund, der sich als ein kluges und gehorsames Tier erwiesen hatte, einen tiefen Schlaf. Nach dem Gebet schlief der Alte ein, aber er schlief nicht lange. Der Grund dafür war ein Alptraum. Er träumte von dem flüchtigen Russe, der aus irgendeinem Grund neben einer tiefen Grube stand und in sie Blumen hineinwarf...
  Von dem schrecklichen Alptraum wachte der Alte auf, sein ganzer Körper war mit Schweißperlen bedeckt. Sein Herz hämmerte wie ein Presslufthammer und es war fast, als ob es aus dem Brustkorb herauszuspringen drohte. In seinen Kopf kamen der zwungermaßen furchtbare Gedanken und er entschied sich die Polizei anzurufen. Den Aufenthalt des bewaffneten sowjetischen Fahnenflüchtigen wollte er schon im Salon melden, als er dem Flüchtigen die Haare schnitt. Dann störte ihn die tierische Angst um sein Leben, jetzt in seiner Wohnung war er außer Gefahr. Er ging zum Telefon und nahm entschlossen den Hörer ab ...
  Gerade in diesem Moment klopfte es im Treppenhaus des Hauses, öffnete die Tür. In den zehn Jahren des Aufenthalts im fünfstöckigen Gebäude war ihm der spezifische Klang bekannt und sehr klar. Nachts kam dieser Lärm in der Regel von den jungen Leuten, die auf der Suche nach Abenteuer manchmal bis zum frühen Morgen tobten. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands wurde die örtliche Jugend sehr frech, sogar unverschämt. Davon überzeugte sich der Alte nicht nur nachts, sondern auch tagsüber...
  Jetzt aber wurde er von dem üblichen Klopfen und Lärm im Treppenhaus aus irgendeinem Grund unerwartet ängstlich, er war sehr erschrocken. Vor seinen Augen war aus irgendeinem Grund wieder der russische Soldat erschienen. Otto hatte vor Angst den Hörer blitzschnell aufgelegt. In seinen Kopf tauchten immer wieder furchtbaren Gedanken auf, die für ihn nicht nur unverständlich, sondern auch sehr beängstigend waren. Ähnliches geschah mit ihm in letzter Zeit immer häufiger und häufiger. Das höhere Alter machte sich bemerkbar. Und die Realität fügte ihm auch nicht irgendwelchen Optimismus hinzu. Er, trotz seiner Lebensweisheit, konnte das Geschehen im Land nicht verstehen. Die nach dem Fall der Berliner Mauer folgenden Experimente fanden keine Zufriedenheit weder im Herz noch in der Seele des Friseurs. Er war erschrocken und hatte Angst vor der Zukunft seines Alex, der weder Geld noch eine Unterkunft hatte. Der Alten erfreute auch das Leben der Landsmänner nicht, die Menschen wurden ihm fremd. Das Dorf wimmelte von allerlei Gerüchten und Gerede über Verbindungen vieler Bewohner mit dem ehemaligen Staatssicherheitsdienst. Günther und sein Sohn persönlich arbeiteten niemals für die "Stasi", jedoch fürchteten sich immer vor diesen Menschen.
  Die Männer erschraken nicht nur 'ihre', sondern auch die Arbeiter des KGB der ehemaligen Sowjetunion. Jetzt sprach und schrieb man nur über die Intrigen derjeningen. Aller Wahrscheinlichkeit nach zwang auch diesmal die tierische Angst um seinen Sohn den Alten, die Polizei über den Entlaufenen nicht zu informieren. Und nicht nur das. Er hatte genug von dem Geschwätz der Politiker über das Wohl der Menschen. Dieser Russe hatte sich entschieden, das Glück sich mit seinen eigenen Händen zu erkämpfen. Um sein Leben fürchtete der Alte nicht, auf dieser Erde gab es für ihn schon nichts Besonderes mehr. Auf dieser Erde und im Jenseits betete er immer eifrig und wird zu Gott für seinen einzigen Sohn beten...
  Die Uhr auf dem Rathaus zeigte vier Uhr morgens, als der "Moskwitsch" zurück zum Parkplatz rollte. Draußen war es noch dunkel und menschenleer. Herr Günter schaute sich um und ging in Richtung des Friseursalons. Die Gründe für seine unerwartete Rückkehr konnte er sich selbst nicht erklären. Er ließ den Gedanken zu, dass dieser mächtige Russe seine kleine Einrichtung anzünden könnte. Der alte Mann war sehr erleichtert, als er die bekannten Umrisse sah. Er beruhigte sich völlig, nachdem er die Tür geöffnet hatte. Der Russe war immer noch in einem festen Schlaf versunken, nur sein Hund begann beim Erscheinen des Alten leise zu kläffen. Der Wunsch, den Tisch dem bewaffneten Banditen zu decken, tauchte beim Alten mehrmals auf und verschwand wieder.
  Die menschliche Güte siegte schließlich. Ohne jedes Bedauern nahm der Friseur aus dem Kühlschrank alle Essvorräte heraus und legte sie auf den Tisch. Seine Hand zitterte auch dann nicht, als er mit viel Kraft aus dem hinteren Raum den Koffer mit den Sachen, die schon sehr "veraltet" waren, herauszog. Er wollte schon seit Langem die Klamotten zu Alex wegbringen, aber alltägliche Dinge hinderten ihn immer daran...
  Das Fest beim Friseur dauerte bis sieben Uhr morgens. Bisher saßen die unbekannten Männer, der alte Deutsche und der junge Russe am Tisch und schauten einander in die Augen. Die Beide taten es ohne Angst. Kusnezow, der sich gut ausgeruht hatte und fortsetzte "zu essen", gefiel der Deutsche wirklich. Der Alte, wie es ihm schien, war auf alle Fälle hundert Prozent ein sozialistischer Mensch, ein Internationalist. Alexander ärgerte sich in der Seele ein über sich, weil er fast die ganze Zeit den Alten mit der Kalaschnikow bedrohte. Er dankte mit Tränen in den Augen auf Russisch dem Deutschen, dass der ihn bei der Polizei nicht verraten hatte, ihm Unterschlupf gab und ihm sogar erlaubte, sich zu duschen.
  Der Alte fühlte die herzliche Wärme des Russen, aber antwortete nichts. Er lachte nur und erlaubte sich, gelegentlich mit den Händen seine Schulter zu berühren. Dem jungen Flüchtigen, der in ein schönen Trainingsanzug und anständigen Turnschuhe von Alex, des Sohnes des Alten, gekleidet war, gefielen manchmal die Berührungen des Besitzers nicht besonders. Er bewegte seine Kiefer, um die nächste Lebensmitteldelikatesse zu verschlucken, schaute aufmerksam auf den alten Glatzkopf und sprach manchmal russisch, manchmal deutsch:
  - Gut machst du es, deutscher Genosse... Danke, danke. Danke, Genosse...
  Der Deutsche, der ein wenig vom Wein gerötet war, verstand auch ohne Wörter die Zeichen der Dankbarkeit des Riesen, der die sowjetische Garnison verlassen hatte. Er dankte oftmals in der Seele dem Verbrecher, der ihm das Leben gelassen hatte. Deshalb sah der Alte großzügig darüber hinweg, wie der sehr eifrig dem 'Brauch" der Russen entsprach.
  Der starke Wein besiegte schnell die Vernunft des flüchtigen Soldaten, der hungrig nach den menschlichen Sünden war... Die Feier unterbrach ein Klopfen an der Tür, nach ein paar Sekunden wurde es wiederholt, dann hörte man eine Stimme. Hier zu bleiben, oder im hinteren Raum des gastfreundlichen Alten sich zu verstecken, wagte Kusnezow sich nicht. Er ging schnell zum Fenster, zog die großen und dicken Gardinen auseinander, dann drehte er den Fenstergriff und sprang hinaus. Kaschtanka folgte seinem Besitzer...
  Ein paar Minuten später war der Entlaufene mit dem Hund schon tief im Wald. Nach einer halben Stunde schlich sich Kusnezow aus dem Wald an die andere Seite des Friseursalons heran. Neben dem Häuschen und darum herum war alles ruhig, die Aufregung Alexanders legte sich bald. Vom Dorf des Friseurs, wo es ihm gelungen war, alles für den Menschen Notwendige zu erledigen, war er bis zu Mittagszeit etwa zwanzig Kilometer weggelaufen. Die ganze Strecke lief er durch die Wälder und Felder, benutzte auch die Autobahnen.
  Die Autofahrer und die einsamen Fußgänger, die sich auf dem Weg trafen, konnten in dem großen jungen Mann, der in einen schwarzen sportlichen Anzug gekleidet war, den Fahnenflüchtigen der sowjetischen Armee kaum vermuten. Und das Aussehen des Reisenden war vollkommen anständig, sogar sehr. Ein Beweis dafür waren die jungen Mädchen, die beim Anblick des Burschen, der sicher den Weg entlang schritt, hin und wieder ihm hupten. Zuerst erschraken die Klänge der Autohupen von Autos den Fußgänger, dann gewöhnte er sich daran. Manchmal war er stehen geblieben und winkte darauf als Antwort mit der Hand. Die deutschen Verehrerinnen konnten natürlich nicht vermuten, dass dieser große und schöne Bursche ein Verbrecher war, der aus der sowjetischen Armee desertiert war. Nur ein geschärftes Auge einer deutschen Polizei- oder sowjetischen Militärstreife könnte in diesem Menschen einen ehemaligen Soldaten identifizieren. Und das noch mit großen Schwierigkeiten.
  Verschiedene "Jäger" hinter dem Fahnenflüchtigen konnte ohne jeden Zweifel der Rucksack der sowjetischen Produktion anziehen. Den Reisenden erschraken nicht die Reste des 'Luxusessens", die sich darin befanden, sondern die Waffe. Das automatische Gewehr von Kalaschnikow erschwerte die Schuld des flüchtigen Soldaten in einem bedeutenden Grade. Er verstand es sehr gut, wie auch er die Notwendigkeit der Waffe als Schutzmittel verstand. Die verbleibenden Patronen teilte der Riese fair. Zweiunddreißig Patronen "schenkte" er denen, die ihn gefangen nehmen oder umbringen wollten. Die letzte Patrone, die dreiunddreißigste, legte er für sich, für die Selbsterschießung zurück. Er schloss solcher Möglichkeit niemals aus, weder bei dem langen Aufenthalt in der Gartenlaube noch bei dem alten Friseur und sogar jetzt nicht. Er hatte nicht vor jemanden zu bedrohen, ihm drohten aber alle...
  Auf dem Weg des Reisenden und seines Hundes erschien ein Fluss. Irgendwelche Schilder an seinem Ufer gab es nicht. Und es gab auch keine Notwendigkeit dafür, die hinweisenden Schilder wurden neben den Brücken oder vor den Orten aufgestellt. Der Flüchtige fürchtete auch weiterhin die Siedlungen und Menschen und deshalb vermied er sie. Vertraut und nah für ihn blieb nur Kaschtanka, die auch ermüdet war und sofort sich hinter ihrem Besitzer ins Wasser stürzte. Das Wasser war sehr kühl und sauber. Als sie genug gebadet hatten, legte sich Kusnezow mit Vergnügung ins Gras am Ufer. Das Wohlgefühl schwächte seine Wachsamkeit, er hatte sich entschieden, nicht den Automat aus dem Rucksack herauszuziehen. Er legte ihn unter seinen Kopf. So war es nicht nur bequemer, sondern auch sicherer...
  Die Sonne neigte sich immer mehr und mehr ihrem Zenit zu. Über den Himmel liefen trägel kleine Wolken, die auf einen Moment den feurigen Himmelskörper bedeckten. Der junge Mann, der am Ufer des Flusses so lag, wie seine Mutter ihn geboren hatte, starrte auf das himmlische Leben und schluchzte auf. Von der mehrmonatlichen Wanderung und Dauerstress hatte er es satt. Er wollte sich auf irgendeiner Wolke befinden und in eine andere Welt eintauchen, wo niemanden und niemals irdische Probleme belästigten. Von den phantastischen Gedanken wurde es in seiner Seele immer unruhiger und unruhiger. Es waren mehr als zwei Jahre vergangen, aber er hatte sein Glück in diesem Land immer noch nicht gefunden, war nicht einen einzigen Schritt seinem ersehntem Ziel näher gekommen. Auf der deutschen Erde begleiteten ihn nur Misserfolge. Er schmunzelte verächtlich und weinte, als sein Magen angenehm rülpste von der gestrigen "herrschaftlichen" Nahrung, die aus geräucherter Wurst, Würstchen und ein Paar Tomaten bestand.
  Gestern war es für ihn ein Überfluss, heute und jetzt knurrte sogar in der Sonne unruhig sein Magen. Auch Kaschtanka schaute starr wie ein Mensch von Hunger in die Augen des Besitzers.
  Der Flüchtige lag am Ufer des Flusses etwa eine Stunde. Je aufmerksamer er auf die schwimmenden Wolken im Himmel sah, desto bewusster wurde ihm die Sinnlosigkeit der Suche des Glückes im Himmel. Und auch sein Gehirn forderte ihn auf zu 'landen" und das Glück auf dem Planeten Erde zu suchen, auf der schätzungsweise fünf Milliarden Menschen wohnten. Zu den Erdbewohnern zählte sich auch der Nackte, der Fahnenflüchtige der sowjetischen Armee. Gerade dieses bewusste Verständnis der Beteiligung an der menschlichen Welt zwang ihn entschlossener zu handeln, ohne Fehler zu handeln.
  Nach langen Überlegungen entschied er ein für alle Male sich "zu entwaffnen". Wenn man ihn mit einer Waffe erwischt, würde er viel mehr, als mit bloßen Händen 'bekommen'. Menschen in friedlicher Zeit und bei solchem Wetter zu töten beabsichtigte er auch nicht. Das sanfte Rauschen des Flusses, aus deren Wasser immer wieder Fische auftauchten, und das paradiesische Zwitschern im Kiefernwald rührte die Seele des jungen Mannes total. In die andere Welt wegzugehen, dafür war es für ihn noch zu früh. Er stand schnell vom Boden auf und band den Rucksack auf. Ungeachtet des vertrauten Gefühls zu der Waffe, hatte er sich entschieden, seinen neuen Entschluss nicht zu ändern. Er lief los und warf mit seiner ganzen Kraft die Waffe ins Wasser...
  Frau Bethke bereitete sich an diesem Morgen intensiv auf ihren Weg vor. Sie wollte sich schon seit langem mit der Freundin treffen, einer ehemaligen Kommilitonin vom Institut, die sie mehrfach zu sich zu Gast einlud. Die Frauen besuchten sich während des Sozialismus ziemlich oft. Magda kam mit dem Zug zu Besuch an, sie klagte wegen ihres Herzens und deshalb wollte sie irgendwelche Abenteuer am Steuer ihres eigenen Autos vermeiden. Anna im Gegenteil mochte die Züge und das Bahnhofsgedränge nicht. Der sechzigjährigen Frau gefielen dazu auch die überfüllten Wagons der Züge am Wochenende nicht, weil ihr es schien, dass die ganze Welt in alle Ecken Deutschlands rollte. Nach der Vereinigung Deutschlands hatte sie nur ein paar Mal riskiert, mit einem ermäßigten Ticket zu fahren und war sehr enttäuscht.
  Sie erzählte mit Tränen in den Augen der Freundin, dass in ihrem Wagen die öffentliche Toilette aus irgendeinem Grund nicht funktionierte. Während der zweiten Fahrt störte die Deutsche eine junge Frau aus Afrika, die mit vier kleinen Kindern umgeben war. Die Kinder schrien über den ganzen Wagen, klopften an die Fenstern und spucken herum. Von so einem Alptraum wurde der alten Frau übel, sie beabsichtigte sogar, an der nächsten Haltestelle den Zug zu verlassen... Magda stimmte der Freundin nur zu, die nicht den einst angenehmen einheimischen Service vollkommen ausnutzen konnte, und schüttelte mit dem Kopf. Ihr Weg mit dem Auto von der Heimatstadt Vogelburg in Richtung Dresden, wo unweit ihre Freundin wohnte, begann Anna Bethke in stolzer Einsamkeit. Sie war es schon gewöhnt. Anna und Magda hatten ihre Männer früh verloren.
  Die zwei jungen Burschen, wie auch die zwei bezaubernde Mädchen studierten im selben Jahr. Während des Studiums haben alle auch geheiratet und sogar in einem Jahr. Nach dem Abschluss der Hochschule zog das Ehepaar Aigner in dier Siedlung bei Dresden, Bethkes hatten die Verteilung in die Stadt Vogelburg bekommen. Die Freundschaft der jungen Menschen hörte niemals auf. Für beide Paare wurde es eine Regel, gemeinsam die Geburtstage zu feiern, jede Feier begann um zehn Uhr morgens. Zu diesem Zeitpunkt hatte Magdas Mann Viktor das Licht der Welt erblickt. Die Anderen wussten die genaue Zeit der Geburt nicht und deshalb hatten sie sich ohne jede Beleidigung an 'die einheitlichen Uhrzeit' anzuschließen entschieden. Eine Ausnahme war nur der Geburtstag von Anna, sie war am Tag der Gründung der DDR geboren. An diesem Tag tauchte das ganze Land in einen Strudel allerlei Veranstaltungen vom frühen Morgen an ein. Aigners konnten sich mit Bethkes erst spät am Abend an den festlichen Tisch setzen. Zu Annas Geburtstag gab es fast immer schönes Wetter.
  Die Freunde hatten sich nicht nur auf die Wände der Zweizimmerwohnung beschränkt. Sie waren in der Regel Stammgäste bei Sportwettbewerben, nicht ohne Vergnügen besuchten sie auch Restaurants. Die Teilnehmer, sowohl öffentlichen als auch Familienfeiern, betranken sich nicht wie Schweine und benahmen sich immer würdig...
  Vor zehn Jahren ging Annas fünfzigjähriges Jubiläum von früh morgens 'den Bach runter'. Die ganze Nacht regnete es, der Himmel war schwarz vom Unwetter. Trotzdem bereitete sich das Ehepaar Bethke auf die Feier vor. Anna hatte eine Woche vor der Feier die Freunde angerufen und sie mit dem Plan der Veranstaltungen im Tag des fünfzigsten Geburtstages bekannt gemacht. Die Freundinnen plauderten am Telefon etwa eine Stunde, bis sie alles anlässlich des Jubiläums besprochen hatten.
  Die Familie Aigner wachte in diesem Tag sehr früh auf. Viktor wollte möglichst früh wegfahren, um die Lieblingsfreundin seiner Frau nicht aufzuregen. Er kannte sehr gut den labilen Charakter von Anna, deshalb reagierte er auf ihre Bitten und Wünsche immer sehr vorsichtig, schreibt sich sogar etwas auf, um es nicht zu vergessen. Die Eheleute, die in einem Betrieb arbeiteten, hatten für das fünfzigjährige Jubiläum von Frau Bethke beim Direktor eine Erlaubnis bekommen nicht an der festlichen Demonstration teilzunehmen, die dem Jahrestag der Gründung des Landes gewidmet war.
  Fast die ganze Nacht vor der Abfahrt schlief Viktor schlecht, wälzte sich herum, ging oft auf den Balkon raus zu rauchen. Auch das Wetter erfreute ihn nicht. Seit Anfang des Oktobers war es auf dem ganzen Territorium des sozialistischen Deutschlands trüb und regnerisch. In dieser Nacht regnete es auch. Den Vorschlag des Mannes, zum Jubiläum mit dem Zug zu fahren und sich gründlich zu entspannen, unterstützte die Frau nicht. Magda meinte, dass im "Mercedes', von dem sie lebenslang träumte, es viel gemütlicher als im überfüllten Wagon zu fahren wäre. Außerdem versprach die Großmutter, auch die Enkelin mitzunehmen. Karin wollte schon seit langem den schönen Zoo in der Stadt der Freundin der Großmutter besuchen. Das Mädchen mochte die schwülen Züge auch nicht, ihr gefiel es nur, im Auto mit der Großmutter und dem Großvater zu fahren. Die Eheleute Aigner fuhren zusammen mit der Enkelin um sieben Uhr morgens los.
  Sie fuhren früher los für den Fall der unvorhergesehende Umstände. Niemand wollte zu dem festlichen Tisch zu spät kommen, die Gesellschaft sollte genau fünfzig Personen betragen. Wie auch in der Nacht regnete es. Viktor saß auf dem Fahrersitz und hielt fest das Lenkrad. Die Großmutter und die Enkelin, die auf dem hinteren Sitzen saßen, spielten eifrig Karten. Das Mädchen spielte sehr gern Karten, obwohl sie von den Eltern für diese Beschäftigung oft Ärger bekam. Oma Magda im Gegenteil zeigte in dieser Sache eine gewisse Nachsicht gegenüber der einzigen geliebten Enkelin. Das Kartenspiel hatten gerade Großvater und Großmutter ihr beigebracht, und sie spielte überhaupt nicht schlechter als ihre Lehrer. Besonders oft verlor Opa Viktor, der sich darüber tatsächlich ärgerte und manchmal überhaupt in sein Zimmer ging, um die Niederlage gegen die junge, aber sehr talentierte Kartenspielerin, zu analysieren.
  Das schöne Mädchen träumte sogar in der Nacht von den Karten, sie wachte auf und rief den Großvater an. Der schimpfte nicht auf Karinchen wegen der Gedanken an ihren nächsten. Die Enkelin schlief nach dem Anruf sofort ein...
  Der Unfall geschah etwa fünfzig Kilometern vor der Stadt Vogelburg und wurde nicht durch den Fahrer des "Mercedes" verursacht. Viktor konnte nicht wissen, dass an der Kurve ein Junge aus dem Wald herauslaufen würde. Er lief nach dem Fußball, als ob er alles auf dieser Welt vergessen hätte. Aigner drückte fast augenblicklich und mit aller Kraft auf die Bremsen. Wegen der nassen Fahrbahn geriet das Auto ins Schleudern, danach rutschte es aufs Feld und dann überschlug es sich mehrmals. Die Polizei kam an der Unfallstelle nach fünfzehn Minuten an. Die Fahrt zu ihrer Freundin endete für die Familie Aigner tragisch. Die Enkelin kam an der Stelle der Katastrophe um, Viktor starb im Krankenhaus nach ein paar Stunden. Für Magda war es nach dem Willen Gottes bestimmt zu leben, sie hatte nur leichte Verletzungen.
  Die Frau hatte es sogar für nicht nötig gehalten, ins Krankenhaus zur Untersuchung zu gehen, ihr war es nicht danach...
  Nach der Beerdigung des Mannes und der Enkelin geschahen in der verwandtschaftlichen Umgebung Aigners drastische Veränderungen. Die einst geliebte Mutter und Großmutter wurde nach dem Tod der Enkelin für die eigene Tochter fremd. Katerina beschuldigte am Tod ihres einzigen Kindes nur Magda, ihre eigene Mutter und sonst niemanden. Die junge Frau hatte sie nicht einmal auf den Friedhof gelassen. An einem Tag beerdigte man in dem kleinen Städtchen bei Dresden zwei Verwandte: den Großvater Viktor und seine Lieblingsenkelin Karin.
  Die Großmutter beweinte die einzige Enkelin und ihren Mann zu Hause vor der Ikone kniend. Katerina und ihr Mann zogen nach der Beerdigung ihrer Tochter nach einem Monat in eine andere Stadt um, Magda Aigner kannte ihre Adresse bis heute nicht. Bei der einsamen Witwe erlosch alles auf dieser Erde, mit Ausnahme der Freundschaft mit Anna. Diese Freundschaft wurde noch stärker, nachdem die Freundin auch verwitwet war. Alexander Bethke starb ein Jahr nach Viktor Aigner. Der noch junge Mann hatte oft Herzprobleme. Es war möglich, dass er noch länger gelebt hätte, wenn nicht der Stress auf der Arbeit gewesen wäre. Der stellvertretende Direktor des Radiobetriebs hatte ein sehr angespanntes Verhältnis zu seinem Chef. Der Direktor war sehr ehrgeizig, er ließ nicht nur keine Initiative der Untergebenen zu, sondern verzieh auch ihnen keine Fehler. Die Unterbrechung der Lieferung der Produktion war für den Urlauber, der an den Stränden der Tschechoslowakei sich sonnte, ein außerordentlicher Vorfall.
  Der stellvertretende Direktor hatte die Beleidigungen des Vorgesetzten nicht ertragen und ihm am Telefon auch die Meinung unfreundlich gesagt. Viktor fühlte sich in der Nacht schlecht. Seine Frau saß am Bett des Mannes und wollte ein Krankenwagen rufen. Der selbst war strick dagegen, er hoffte darauf, dass bei ihm alles wieder gut wird...
  Hingerissen von dem Nachdenken über die Vergangenheit sah Anna Bethke ganz zufällig am Straßenrand einen sehr großen Burschen in einem Sportanzug. Sie hätte ihn aller Wahrscheinlichkeit nach nicht bemerkt, wenn nicht ein kleiner schwarzweißer Hund bei ihm gewesen wäre. Er lief vor seinem Herrchen und kläffte die an ihm vorbei rasenden Autos an. Das Verhalten des Hundes brachte die Deutsche zum Lachen und als sie etwa fünfzig Meter den Fußgänger mit dem Hund überholt hatte, entschied sie sich zu bremsen. Anna stellte den Motor ab und stieg aus dem Auto und fing an, leichte Bewegungen zu machen. Zu ihrem Erstaunen blieb sie für den Fußgänger und seinen Hund unbemerkt, sie blickten sogar nicht in ihre Richtung. Es verletzte in gewisser Weise die Blondine, sie drehte mit Unverständnis den Kopf zur Seite der Weggehenden um.
  Dann bewegte sie sich entschlossen zum Auto... Nach ein paar Augenblicken hörte sie hinter sich ein lautes Bellen. Der Hund, als ob vor ihm seine freundliche Besitzerin wäre, hetzte prompt zum Auto und sprang auch schnell auf den Beifahrersitz des alten "Hondas". Von der schnellen Hundeaktion schrie die Frau sogar auf. Sie hatte nicht erwartet, dass dieses kleine Tier so geschickt in das Wagen springen wurde und sich neben den Fahrer sitzten könnte, der beabsichtigte, gleich die Tür zu schließen und den Motor zu starten. Anna lachte von der unerwarteten Bekanntschaft laut auf und begann die vierbeinige Unbekannte zärtlich zu streicheln. Kaschtanka bellte ein paar Mal laut und dann kuschelte sie sich an die, die sie sehr vorsichtig am Kopf zauste und freundlich lachte.
  Die Hoffnungen der Besitzerin des Autos, dass der junge Herr der gepflegten Schönen gleich herankommt und ein Gespräch mit ihr führen würde, erfüllten sich nicht. Er stand in etwa fünf Metern von dem Auto entfernt und lockte hartnäckig seinen Hund zu sich. Der junge Mann, als ob er nicht die sympathische Blondine bemerkte, die im Wageninneren saß und mit seinem Hund spielte und nicht nur spielte, sondern auch sehr hinreißend lachte. Kaschtanka reagierte jetzt nicht auf die Zeichen des Besitzers, sie bemerkte sie einfach nicht. Sie lag sehr gemütlich auf dem Sitz und spielte mit großem Vergnügen mit der Frau. Das Unverständnis zwischen dem Besitzer und dem Hund dauerte an.
  Anna, die vom Weg ermüdet war, wollte nicht aufstehen, ihre alten "Knochen" aufzuwärmen und nicht als Erste sich bekannt zu machen. Und sie hielt das sogar unanständig. In ihren jungen Jahren machten in der Regel die Männer als Erste den Anfang der Bekanntschaft. Das erwartete sie jetzt auch vom Besitzer des schönen Hundes, der nicht nur schlank, sondern auch ziemlich schön war. Frau Bethke dachte nicht in diesen Moment an einen Bräutigam, sie wollte einfach wissen, warum sich dieser stattliche Bursche so seltsam benimmt. Das Geheimnis seines Verhaltens faszinierte irgendwie die Frau sogar. Sie warf flüchtig einen Blick in den Rückspiegel und war mit sich zufrieden. Sie war noch nicht so alt und auch nicht einmal hässlich. Anna, ungeachtet ihrer sechzig Jahre, war schlank und hatte sich fit gehalten.
  Nach dem Tod ihres Mannes haben drei Männer an ihr "geklebt", sie hatte sie buchstäblich 'weggefegt'. Die kluge und finanziell unabhängige Frau wollte sich nicht an die binden, die arm oder dumm waren. Und nicht nur das ... Udo hatte nach der einmonatigen Bekanntschaft ihr Vertrauen als Mann verloren. Der Philosoph fand sich in allen weltweiten Problemen gut zurecht, aber erwies sich als impotent. Der Zweite, Anna konnte jetzt sich nicht einmal an seinen Namen, ganz zu schweigen vom Familiennamen erinnern, zeigte sich als ein großer Spaßverderber. Der Kavalier, während er bei ihr im Bett lag, "schnatterte" in der ersten Nacht die ganze Zeit darüber, dass er sich von seiner Frau, die er immer noch liebte, trennen würde. Er war bereit, ihr sogar zu verzeihen, dass jene ihn mit seinem Chef betrog. Der dritte Bewerber war sehr repräsentativ, er hatte im Sozialismus einen hohen Posten. Nach der Wiedervereinigung des Landes ist Willis Karriere wie ein Kartenhaus zusammengebrochen.
  Er hatte sich von den Veränderungen im persönlichen sozialen Status in die mehrtägige Sauferei gestürzt, auch seine Frau konnte dem Kummer ihres Mannes nicht abhelfen. Sie ertrug die Trunksucht des Ehemannes nicht und fuhr nach Bayern zu ihrem Liebhaber weg. Der noch nicht geschiedene Mann machte sich auch auf die Suche nach Frauen. Lebenslang war der Mann ein arbeitsscheuer Mensch gewesen, er konnte sich kein Spiegelei zubereiten, ganz zu schweigen, die Wäsche waschen. Für Anna waren zuerst alle Probleme des ehemaligen Beamten unbekannt, sie hatte fast sofort auf den Köder 'angebissen'. Und es gab was zu 'anbeißen'. Der Kavalier war nicht nur elegant, sondern auch nicht arm. Er prahlte immer wieder vor ihr damit, dass er oft sich an den angesehenen Kurorten der ehemaligen sozialistischen Länder erholte. Er hatte das Glück, die Hand des wichtigsten Parteichefs der Sowjetunion zu halten. Die schöne und schlanke Witwe war fast in das Netz des ehemaligen Parteibeamten geraten, sie hat sich wahrscheinlich sogar verliebt.
  Jedoch zu einer Beziehung ist es nicht gekommen. Das 24-Stunden-Jammern des Mannes über unerfüllte Karriere im Sozialismus und die napoleonische Pläne im Kapitalismus störten immer mehr die Frau. Am Ende hatte sie ihm auf die Tür gezeigt, obwohl er sehr gut im Bett war und sogar sehr...
  Von den ziemlich sentimentalen Gedanken lachte Anna auf und entschied sich immerhin, aus dem Auto auszusteigen. Der Besitzer des Hundes stand immer noch an derselben Stelle, er sagte nichts und winkte nur mit der Hand. Was die Zeichen bedeuteten und für wen sie bestimmt waren, konnte Frau Bethke nicht verstehen.
  Sie konnte nur merken, dass ihr Erscheinen beim jungen Mann echte Angst verursacht hatte. Was bei ihm diese Angst ausgelöst hatte, konnte sie auch nicht verstehen. Die Blondine irrte sich in ihren Befürchtungen überhaupt nicht. Alexander, nachdem die Frau aus dem Wagen gestiegen war, wollte sofort weglaufen. Bis zum Wald war es etwa fünfhundert Meter, nicht weit vom Straßenrand befand sich ein gepflügtes Feld. Der Riese schaute die Frau misstrauisch an und sah ihr für einen Moment in ihre Augen. Schaute hinein und erstarrte. In den blauen Augen der Unbekannten gab es keine Wut oder keinen Hass ihm gegenüber. Die aus dem Auto Ausgestiegene schaute ihm aufmerksam in die Augen und lachte sehr freundlich. Wieso sie lachte, konnte er nicht verstehen, ihm persönlich war es nicht nach Lachen. Eins verstand er jetzt und leugnete nicht, dass das Lachen diese Frau noch schöner machte.
  Kusnezow bewunderte gezwungenermaßen die Person, die schon über fünfzig war.Ihr blondes Haar war lang und lag auf ihren Schultern. Alexander gefielen auch ihre gerade Nase sowie die schmalen Lippen, auf die reichlich Lippenstift aufgetragen war. Er lächelte, als er die blendend weißen Zähnen der Frau sah. Anna sprach als Erste...
  Daran, dass die Unbekannte ihn begrüßte, zweifelte der Flüchtige überhaupt nicht. Diese beiden Worte kannte er sehr gut. Was die sympathische Frau in den dunklen Hosen und in der weißen Bluse weiter sagte, konnte er nicht verstehen. Er starrte die Deutsche wie die 'Kuh das Tor' an und lächelte nur ein bisschen. Die Blondine lächelte auch, aber das Spiel des "Lächelns" dauerte nicht lange. Den ersten Kontakt fand die Deutsche, die in perfektem Russisch fragte:
  - Genosse, und Sie sind ein Russe?... Habe ich recht, Genosse?...
  Die russische Rede überraschte den Flüchtigen nicht. Er zweifelte jetzt nicht, vor ihm stand eine Deutsche der ehemaligen DDR. Doch statt zu antworten, presste Kusnezow seine Lippen fest zusammen. In diesen Momenten geriet sein Gehirn für eine Weile wieder ins Stocken. Der Grund dafür war seine nächste Angst, die Angst vor einem möglichen Informanten über den russischen Fahnenflüchtigen. Alexander sah auf den Wald, dann auf die Frau, danach schaute er wieder in Richtung des Waldes. Er sollte jetzt in diesen Wald laufen, der für ihn sein Heim und Ernährer geworden war. Gleichzeitig war solche Flucht für ihn ein Wahnsinn. Wegzulaufen vor der schönen Frau, die nach dem Alter seine Mutter hätte sein können, beabsichtigte er nicht. Die Deutsche war nicht in Polizeiuniform, sie glich auch nicht einem Feind. Er stand und sah starr in die blauen Augen der fremden Mutter, in der Hoffnung, nicht nur ihre Gedanken zu lesen, sondern auch in ihre Seele hineinzuschauen...
  Anna Bethke verstand nach der Frage in russischer Sprache das Verhalten des jungen Mannes überhaupt nicht mehr. Er stand vor ihr wie zur Beichte und weinte aus irgendeinem Grund. Er selbst bemerkte aller Wahrscheinlichkeit nach nicht die Tränen, die flossen seine Wangen hinunter und fielen dann auf seine Jacke. Als die Blondine die Tränen in den Augen des Fremden sah, war sie zuerst etwas verblüfft. Dann zog sie aus der Hose schnell ein Taschentuch heraus und begann eifrig ihm die Tränen abzuwischen. Dem allem widersetzte er sich nicht, aber er sagte auch nichts. Der Gedanke der Frau, dass ihr Fremder krank oder stumm wäre, verschwand sofort, kaum der Hund zu ihm gelaufen war. Er beugte sich zum Hund und sagte leise russischt:
   - Wieso hast du, meine Kaschtanka, dich entschieden mich zu verlassen... Du, verlass mich nicht... Ich brauche dich wirklich...
  Der Hund drückte sich nach diesen Worten noch stärker an sein Herrchen und begann laut zu jammern. Dann rannte er schnell zu der Frau und blieb vor ihr stehen, bellte laut und wedelte mit dem Schwanz. Kaschtankas Verhalten führte die bis jetzt unbekannten Menschen zu einem gegenseitigen Verständnis. Kusnezow sah auf seinen Hund und lachte unter Tränen, mit Tränen in den Augen lachte auch die Deutsche. Sie sah abwechselnd mal den junge Mann, mal seinen treuen vierbeinigen Freund an. Der Reisende und sein Hund riefen bei ihr Sympathie hervor. Sie verbarg das überhaupt nicht und deshalb lachte und weinte sie...
  Bis zu dem kleinen Städtchen Weinbrot, wo Frau Aigner wohnte, war es noch dreißig Kilometer. Anna beschloß nach dem Erscheinen im Wagen der unerwarteten Passagiere sich nicht zu beeilen. Sie konnte nicht erwarten, die Ursache der nervösen Verwirrung des russischen Burschen herauszufinden.
  Sie stellte ihm ihre verwirrende Frage sofort, sobald das Auto losgefahren war. Sie fragte in zwei Sprachen. Sie wiederholte sie noch einmal, nachdem dem Burschen auf dem Gesicht die Tränen getrocknet waren. Eine gescheite Antwort gab es nicht. Der Russe antwortete auf alle Fragen eindeutig: "ich" oder "Ja". Was das alles wie für ihn, als auch für sie bedeutete, verstand die Frau nicht. Wie sie auch nicht verstand, warum er sich die ganze Zeit umschaute. Kaschtanka hatte sich im Vergleich zu ihrem Besitzer viel schneller angepasst. Sie lag auf dem Rücksitz und öffnete manchmal träge die Augen. Der Hund war wahrscheinlich sehr zufrieden mit dem, was heute auf dem Weg geschehen war. Bald beruhigte sich auch sein Besitzer. Er saß brav da und warf nur gelegentlich einen Blick auf die gepflegten Hände der Frau, die geschickt und leicht das Lenkrad drehten. Die Zeit verging schnell, aber keiner von den Sitzenden begann richtig ein Gespräch.
  Alexander wollte sich nicht 'verraten' aus Angst, um nicht an die Polizei zu geraten. Er drehte noch automatisch den Kopf zur Seite weg, als die Polizeiautos die alte "Honda" überholten. Die langsame Fahrt der Frau ärgerte den flüchtigen Soldaten, manchmal wollte er aus dem Wagen herausspringen und in den Wald flüchten. Der Augenblick des Glücks könnte für ihn sehr teuer werden. Daran, dass es in Dresden und in seiner Umgebung sowjetischen Truppen gibt, bezweifelte er nicht. Wie er auch keine Zweifel hatte, dass diese sehr schöne Blondine für nichts ohne Probleme ihn der sowjetischen Kommandantur oder Streife verraten wird. Vom Letzten hatte der Entlaufene eine große Angst und deshalb schwieg er, wie ein Fisch. Das lange Schweigen hat die Deutsche abgebrochen. Als ob sie die Gedanken des schweigsamen Menschen erraten hätte, beschloss sie die Taktik der Kommunikation mit ihm zu ändern. Sie stellte dem Russe keine Fragen mehr, das alles war vergeblich. Sie begann jetzt selbst zu sprechen, sie sprach nur russisch. In den paar Minuten ist sie dazugekommen dem schweigsamen Menschen vom bevorstehenden Besuch bei ihrer Freundin zu erzählen, etwas hat sie auch von ihrem Leben erzählt. Der Russe reagierte auch diesmal auf den Monolog der schönen Frau nicht, er hat nicht einmal mit dem Kopf genickt.
  Erst nachdem das Auto Dresden verließ, hatte der schweigsame Mensch sich erlaubt der Frau etwas über seine Probleme zu erzählen. Dann begann er das Wetter zu loben, es war an diesem Tag wirklich sommerlich. Als er erfuhr, dass die Deutsche bereits in der Stadt der Freundin angekommen ist, hatte Alexander sie gebeten, neben dem Bahnhof anzuhalten. Er dachte, dass es auf dem Bahnhof leichter wäre in der vielfältigen Menge unterzutauchen. Anna erfüllte die Bitte des Russen bedingungslos und fuhr rasch zum Parkplatz heran. Dann hob sie vorsichtig den Hund hoch, der leise winselte und stärker sich an sie drückte. Den Vorschlag der Deutschen, ihm zu helfen ein Ticket zu kaufen, lehnte der Flüchtige höflich ab. Er lächelte, wie eine aufgedrehte Puppe, und nickte ständig mit dem Kopf. Er verstand auch selbst nicht, was mit ihm jetzt geschah und warum sein 'Topf' die ganze Zeit zuckte.
  Die letzten Momente des Abschiedes waren für die Deutsche komisch. Der Grund dafür waren die unberechenbaren Handlungen des Russen. Er versuchte ihr ein Gefallen zu tun und schloß sehr schnell die Tür ihres Wagens.
  Anna schrie vom Schmerz stark auf und schaute erstaunt auf den Gentleman, der sich nichts anmerken ließ. Er hatte auch nicht den Gefallen getan ihr zum Abschied mit der Hand zu winken, als sie lachte und der Kaschtanka, die lange hinter dem Wagen lief, winkte. Die vollste Gleichgültigkeit des schönen Burschen zu ihr kränkte sie bis ins Innerste. Sie befand sich immer noch in Vermutungen wegen des seltsamen Verhaltens ihres neulichen Passagiers. Es war nicht nur seine Psyche seltsam, sondern auch sein Weg nach Stuttgart...
  Kusnezow ging nicht auf den Bahnhof, hier konnte die Polizei oder sowjetischen Streifen sein. Er warf schnell den Rucksack hinter den Rücken und ging auf die gegenüber vom Bahnhof Straße, die sich nicht weit vom Parkplatz befand. Hier war er gerade erst in dem Auto mit der Deutschen. Die Idee mindestens noch ein Blick auf den blauen "Honda" zu werfen entstand unerwartet, sie war aus der Tiefe seiner Seele erschienen.
  Die Angst die bekannte Deutsche im großen Verkehr zu verlieren, hatte den jungen Mann gezwungen entschlossen zu handeln. Er lief sehr schnell durch noch eine andere Straße und blieb stehen. Dann schaute er in Richtung des Bahnhofplatzes, der Strom von Autos stoppte und stand still. Es bedeutete, dass auch die Deutsche vor einer roten Ampel noch stand. Der Riese stürmte zu seiner Seite, Kaschtanka folgte ihm. Nach paar Sekunden sah er das bekannte Auto und schaute erzwungen auf das Kennzeichen. Diese vier Zahlen merkte er sich ohne besondere Mühe. 1941 fing der zweite Weltkrieg an. Der ehemaliger Schüler Sanjka Kusnezow war mit der Geschichte nicht sehr befreundet, aber immerhin er wusste den Beginn dieses Krieges. Die auf eigene Art glückliche Zahl freute den Riesen sehr, er lachte laut auf. Von seinem Lachen schrackt sogar Kaschtanka zurück. Sie sah ihren Besitzer, dem sie auch bis jetzt treu diente, schon lange nicht mehr so fröhlich...
  Anna fuhr von Ihrer Busenfreundin an einem Tag nach Hause, als sie dem seltsamen Reisenden mit dem sehr klugen Hund begegnet war. Sie war genau um ein Uhr nachmittags losgefahren. Trotz vieler Jahre Fahrpraxis fuhr sie liebter nur während des Tages. Am Tag zu fahren liebte auch ihr ruhiger Mann, der das Lenkrad seiner Ehefrau immer anvertraute. Und das nicht nur aus dem Grund, dass er nach dem Besuch angetrunken war. Dem Mann gefiel es, ein Passagier zu sein und sich umzuschauen. Während der Fahrt brachte er es fertig, nicht nur die Natur zu genießen, sondern auch einige wertvollen Hinweise seiner persönlichen Fahrerin, die nicht immer richtig bremste oder viel zu heftig losfuhr, zu geben.
  Es ging bis zum Streit. Anna hielt den Wagen an und nahm buchstäblich den netten "Weisen" am Kragen und setzte ihn auf den Fahrerplatz. Die Konfrontation von Experten und Praktikern dauerte nicht lange. Alexander brachte wegen seinen Rückenschmerzen das Auto zum Stehen und nach einem Kuss gab er die Zügel dem erfahreneren Fahrer zurück. Es war auch so in Wirklichkeit. Bis zum 'Arbeitsbüro' fuhr der Chef der Familie mit dem öffentlichen Bus, die Frau mit dem persönlichen Auto...
  Am Tag der Abreise wie auch im Tag der Ankunft war sehr schönes Wetter. Anna hatte beschlossen, sich Zeit zu nehmen, es gab auch keine Notwendigkeit sich für irgendjemanden zu beeilen. Der Mann war verstorben, Kinder hatten sie nicht. Im ersten Jahr nach der Heirat hatte sie eine Fehlgeburt. Die Ärzte sprachen einstimmig über eine mögliche weitere Schwangerschaft. Das junge Ehepaar hoffte auch darauf.
  Die Jahre gingen vorüber, aber alles blieb ohne Veränderungen. Die Kinderlosigkeit ersetzte das Ehepaar mit allerlei Urlauben. Wohin sie nicht nur fuhren, was sie alles nicht nur sahen...
  Die Erinnerungen an die Vergangenheit verschönerte schnell die Zeit. Frau Bethke hatte beinahe nicht bemerkt, dass sie schon am Rande der Stadt war. Das Städtchen der Freundin gefiel ihr nicht, hier gab es zu viele Industriegebiete und es gab kein Fluss. Ohne Wasser konnte Anna nicht leben, es war für sie alles und vielleicht sogar auch mehr. Es war in Weinbrot auch ausreichend Verkehr, sie kam auch jetzt nicht mühelos aus dem Stadtzentrum heraus. Am Rande der Stadt ließ der Verkehr schnell nach und sie begann wieder nachzudenken...
  Nach der Ampel hatte die Fahrerin des alten "Honda" unerwartet den jungen Mann mit dem Hund am Straßenrand gesehen.
  Gerzwungenermaßen bekam sie einen Stich ins Herz, sie erinnerte sich etwas an die vorgestrigen Fahrgäste. Ehrlich gesagt hatte der Russe in ihrer Seele und ihrem Kopf keinerlei "Erinnerungen" hinterlassen. Sie hatte es nicht einmal für nötig erachtet, darüber ihrer Freundin zu berichten.
  Kusnezow, der an der Ampel zwei Nächte und zwei Tage gewacht hatte, freute sich sehr über das Erscheinen des blauen Autos. Zuerst konnte er nicht verstehen, wieso die bekannte Frau nicht bremste. Sie wäre sogar ganz vorbei gerauscht, wenn er nicht entschlossenen gehandelt hätte. Er warf sich wie ein Riese gegen das Auto und schrie wild auf. Anna hatte fast die Gabe zu reden verloren, als sie vor sich einen unbekannten Menschen mit einem verzerrten Gesicht sah. Jener lag fast auf der Motorhaube ihres Wagens und drohte ihr mit der Faust. Das Erscheinen eines Banditen am helllichten Tag hatte die Blondine nicht erwartet.
  Sie schaltete den Motor aus Angst ab und fing an zu weinen, ihre Hände zitterten unnatürlich. Sie lehnte sich auf den Sitz zurück und schloss zwangsläufig die Augen. Wieder zu sich zu kommen, zwang sie ein Hundeheulen, das sehr klagend war und etwas an das Weinen eines erwachsenen Kindes erinnerte. Frau Bethke öffnete die Tür und erstarrte. Auf ihren Schoß sprang ein schwarzweißer Hund, sein Name war Kaschtanka...
  Dank des klugen Tieres erkannte die Deutsche auch den russischen Herrn Wanja, der in Deutschland auf einer Geschäftsreise aus den Baltischen Ländern war.
  Das unerwartete Erscheinen des jungen Mannes mit den dicken Borsten schockierte sie wieder, er sollte heute in Stuttgart sein und in einem Hotel wohnen. Ungewöhnlich war auch sein Verhalten jetzt. Er begrüßte sie höflich und öffnete tapfer die Autotür. Dann lächlte er breit und reichte der erstaunten Fahrerin einen großen Strauß Feldblumen. Diesmal weinte der Russe nicht und wich auch nicht zur Seite, sein Kopf zuckte auch nicht. Der unerwartete Besuch der alten Bekannten brachte der Blondine noch keine Lebenskraft, ihr zitterten immer noch die Hände. Sie konnte noch lange den Motor nicht starten, früher ließ sich ihr "Honda" mit einer kurzen Drehung starten. Die Angst um ihr Leben verfolgte Anna auch dann, als sie auf die Autobahn gefahren war. Jetzt war es ihr nicht nach der Straßenverkehrsordnung, zumute, die Bedrohung ihres Lebens hatte Vorrang. Der Russen Wanja war wie ausgewechselt.
  Vor zwei Tagen schwieg er fast die ganze Zeit, jetzt aber war er gesprächig. Frau Bethke warf gelegentlich ihr Blick auf die Autobahn, sie schaute immer öffter auf den Burschen und konnte seine Macken nicht verstehen. Der schweigsame Mensch lächelte jetzt nicht nur natürlich, sondern sagte auch etwas, sprach fließend Russisch. Was der Fahrgast jetzt sagte, interessierte die Deutsche überhaupt nicht. Sie lächelte nur anständig und dachte immer nach, dachte nach. Der Wunsch in der Nähe einer Tankstelle oder neben einem Polizeirevier zu bremsen, verfolgte sie ständig. Daran, dass dieser Riese sie in irgendwelchen Bruchteile von Sekunden erwürgen oder einfach zerreißen würde, zweifelte sie schon überhaupt nicht mehr...
  Die ziemlich sympathische Deutsche, die sogar viel älter war als er selbst, wollte der Fahnenflüchtige der Sowjetischen Armee nicht töten. Als Alexander sich auf's Sitz neben dem Fahrer herabfallen ließ, entspannte er sich nach ein paar Augenblicken.
  Die zwei schlaflose Nächte und Tage, in denen er neben dem Straßenrand, in der Hoffnung wieder einmal die Bekannte zu sehen, wachte, gingen an ihm nicht spurlos vorbei. In dieser Zeit hatte er viel physische und moralische Kraft verbraucht. Das alles machte er für eine Sache, für ein Ziel, um in diesem Land zu bleiben, zu leben. Diese Deutsche, wie er glaubte, konnte ihm helfen. Während seiner Fluchtzeit hatte er keine Freunde, die ihm eine helfende Hand entgegenstrecken oder ein gescheiten Rat geben könnten, gefunden. Ein Trost für den einsamen Wanderer war nur Kaschtanka, jedoch sie war ein Hund und blieb es auch. Das Tier konnte überall und jederzeit mit einem Stück Brot zufrieden sein, dem Menschen Kusnezow war es zu wenig, es war sogar sehr wenig für ihn. Er war aus der Einheit weggelaufen, um menschlich zu leben. Er wollte sogar jetzt nicht in seine Heimat, wo das Elend und die Gesetzlosigkeit herrschten, zurückkehren und dort leben.
  Im Zentrum Europas wollte der ehemalige Soldat der einst mächtigen Armee anders leben und sich von einer großen Seite zu zeigen. Ein Flüchtling und ein Bettler hier zu sein, hielt er unter seiner Würde.
  Alexander beschloss, seine alten Träume mit Hilfe der Deutschen des ehemaligen sozialistischen Deutschlands zu verwirklichen. Diese Blondine gefiel ihm sehr, gefiel nicht nur äußerlich. In dieser sehr kurzen Bekanntschaft fand er in ihr etwas Unerklärliches, Unverständliches, was ihn nicht nur wie ein Mann zur Frau, sondern auch wie ein Sohn zur Mutter zog. Was es war und warum es passierte, konnte der Flüchtige auch selbst nicht verstehen. Es ging ihm mit dieser Frau im warmen Inneren ihres Autos sehr gut. Auch in seiner Seele fühlte es sich sehr leicht an, sie erholte sich vn den ständigen Sorgen. Ihn freute es auch, dass die Blondine sehr gut russisch sprach. Das gab ihm Hoffnung auf eine bessere Zukunft...
  Anna Bethke konnte aus dem Gespräch auf dem Weg nicht richtig verstehen, was der junge und schöne Mann mit den dicken Borsten von ihr wollte. Sie verstand es nicht nur dann, als er im Auto schlief, sondern auch zu Hause, als sie aufregend ihre Wohnungstür öffnete. Am Abend hatte der ungebetene ein Bad genommen, sich danach die Kleidung von Annas verstorbenen Mannes, seinen Sportanzug angezogen. Den Schrank mit seiner Kleidung hatte die Witwe bisher nicht geöffnet, jetzt aber hatte sie es getan. Die ältere Deutsche und der junge Russe saßen am Tisch bis spät in die Nacht. Das Gespräch zwischen ihnen war sehr ernst geworden, etwas davon hatte Anna bis zum frühen Morgen 'verdaut'. Es gab etwas zum Nachdenken.
  Der sympathische Passagier hatte sich in Wirklichkeit nicht als Wanja, sondern als Alexander erwiesen. Davon hatte sich die Hausherrin überzeugt, als der Gast ihr sein Wehrdienstausweis mit seiner Fotografie zeigte. Letztere flößte der Deutschen kein Vertrauen ein. Sie glaubte mit einer großen Anspannung 'den Beweisstücken' des Russen, dessen Gesicht mit dem es glatzköpfigen Jüngling sehr stark abwich. Deshalb betrachtete Anna mit einer besonderen Sorgfalt jede Seite des kleinen Büchleins, auf deren Titelseite der fünfzackige Stern dargestellt war. Seine Zugehörigkeit zur sowjetischen Armee erkannte die Rentnerin durch die Beweisstücke des jungen Mannes schließlich an, übernahm mit Angst auch das Risiko. Danach begann sie etwas ganz anderes Furchtbares zu beunruhigen. Auf die Frage, was sie mit dem Fahnenflüchtigen weiter tun sollte, fand sie keine Antwort. Die örtlichen Behörden würden ihr für das Verstecken des Russen und noch dazu eines Fahnenflüchtigen, sie nicht über den Kopf streicheln. Jetzt waren ganz andere Zeiten angebrochen. Noch nicht so lange her, in der sozialistischen Vergangenheit, waren einige hiesige Deutsche mit den Angehörigen der sowjetischen Familien befreundet gewesenm, es war eine Ehre und Pflicht. Aber jetzt war alles anders. Die, die einst von den Russen begeistert waren, verhielten sich ziemlich leise und vergaßen nicht vor Freude, über die Flucht der Besatzer zu meckern. Die ehemalige Ingenieurin fürchtete sich, in ihrer Wohnung ein Militärverbrecher zu verbergen. Besonders fürchtete sie vor ihren Nachbarn, die die Polizei über den fremden Menschen informieren konnten. Sie wussten alles über das Ehepaar Bethke, die Mitglieder der SED.
  Einige beneidete sie, als sie durch die Länder der sozialistischen Zusammenarbeit jährlich reisten. Bei diesem Gedanken gab es bei Anna einen Stich in der Brust, die Schmerzen im Herzen traten bei ihr nach dem Tod des Mannes auf. Den Wunsch, es der Polizei zu melden, entstandt sofort, einen anderen Ausweg fand sie in diesem Moment nicht. Sie stand vom Bett auf, ging vorsichtig zur Tür, lauschte. Im Nebenzimmer klang stark und ruhig ein Männerschnarchen. Die Frau fing wieder an zu überlegen. Sie verbarg von sich aus jetzt schon nicht mehr, dass in der so kurzen Zeit dieser Bub ihr aus irgendeinem Grunde näher wurde.
  Wieso dieses Gefühl kam, verstand sie auch selbst nicht. Der Grund dafür konnte sein, dass sie selbst keine eigenen Kinder hatte und bei ihr sich mütterliche Gefühle entwickelten. Der Bewohnerin des satten Landes wurde unwohl, als sie im Fernsehen das erschreckende Leben in der ehemaligen Sowjetunion sah. Keine Ausnahme waren auch die sowjetischen Truppen, die in ihrem Land stationiert waren...
  Frau Bethke brachte den Entlaufenen am nächsten Tag aus ihrer Wohnung weg. Sie fuhr ihn spät in der Nacht weg, um ihren Nachbarn mit ihm nicht zu begegnen. Das Erscheinen und das Verschwinden des Russens blieben unbemerkt, nicht nur für die Bewohner des fünfstöckigen Gebäudes, sondern auch für das ganze kleine Städtchen. Als neuer Wohnort für den Flüchtiger wurde eine große Einzimmerwohnung in einem zweistöckigen Haus. Vor dem Fall der Berliner Mauer wohnte hier Gerda, die Freundin von Anna. Die Rentnerin ging zu ihrem Sohn in den Westen des Landes.
  Sie rief die Freundin hin und wieder an und teilte ihr ihre "westlichen" Eindrücke mit. Gerda hatte nicht vor zurück zu kommen und stimmte ohne Probleme zu, dass Anna ein bescheidenes Mädchen in ihre "Gemächer" einquartierte. Frau Bethke musste etwas vor ihrer Busenfreundin verheimlichen, weil die lebenslang allein lebte und deshalb Männer nicht mochte. Die Wohnung gefiel dem Russen sehr, hier war alles, was er zum Leben brauchte. Er ging vorsichtig durch den Raum und lächelte. Seinen Augen waren voller Tränen, als Frau Bethke aus dem Kofferraum des Autos eine volle Tasche mit Lebensmittel brachte und sie in den Kühlschrank legte. Dann verabschiedete sie sich herzlich von ihm und verließ schnell die Wohnung. Kaschtanka blieb bei der Deutschen, ihr Besitzer hatte nicht dagegen. Niemand wollte noch einmal "Spuren hinterlassen'.
  Den Hund musste man pflegen. Die erste Nacht schlief Alexander in dem neuen Lebensraum wie ein Toter, er schlief bis zur Mittagszeit. Der Grund dafür war die Ruhe und das weiche Bett, in dem, wie es ihm schien, er eine ganze Ewigkeit nicht mehr geschlafen hatte. Die helle Sonne, die mit Mühe durch die schwarzen Gardinen durchkam, gab ihm den lebenswichtigen Optimismus. Er fühlte sich im ersten Tag der "zivilisierten Haft" ausgezeichnet, sogar sehr. Nach einem warmen Bad und ein paar Flaschen kühles Bier wurde ihm ein wenig schwindlig. Der leichte Schwindel kam nicht nur vom starken Bier, sondern aller Wahrscheinlichkeit nach auch vom unerwarteten Glück. Dieses Glück 'flog auf ihn' dank der gutmütigen Deutschen. Kusnezow gefiel sehr diese Frau mit dem weißen Haar, er mochte auch die Art, wie sie ihn umsorgte...
  Frau Bethke, wie sie es vereinbart hatten, besuchte die Wohnung des Russen an Sonntagen, kam hierher spät am Abend an. Beim Treffen mit dem Flüchtigen scherzte die Frau sogar manchmal, aber zu Hause machte sie sich große Sorgen, dass sie den Fahnenflüchtigen versteckte. Anna fürchtete sogar telefonische Anrufe, ganz zu schweigen von der Angst, die sie fühlte beim Anblick der Polizisten. Sie wanderte oft durch die bekannten Straßen der Heimatstadt und weinte. Sie wollte in ihrem Alter nicht irgendwelche Probleme haben. In gewisser Weise beruhigte sie die Gleichgültigkeit der Menschen zu einander und zum Leben selbst, die in der Stadt herrscht. Das ehemalige dynamische Leben, wie es ihr schien, würde es niemals mehr geben.
  Die Unternehmen, deren Zahl man an den Fingern einer Hand abzählen könnte, arbeiteten nicht. Man hatte auch den Radiobetrieb geschlossen, wo vor fast vier Jahrzehnten die Eheleute Bethke ihr Erwerbsleben begannen. Sie, eine sehr gute Fachkraft, wurde arbeitslos. Die Welle der Neugestaltung, die aus dem Westen des Landes kam, verursachte bei einigen Bewohnern des Ostens Verwirrung und Irritation. Im Zentrum von Vogelburg wuchs wie auf Hefe das solide Gebäude einer Bank. In seiner Nähe enstand fast über Nacht eine neue Tankstelle. Gleichzeitig verblassten die einst schönen Häuser und wurden mit jeder Stunde schäbiger. Einige von den alten Bewohnern des verschwundenen Sozialismus, die ohne Arbeit und ohne rosige Zukunft geblieben waren, zogen sich in die Bierkneipen zurück. Ein Teil der Arbeitslosen verließ die vertraute Umgebung und fuhr in die Ungewissheit. Anna freute sich sehr, als aus dem Eingang des Hauses, wo ihrer Russe wohnte, die letzte Familie ausgezog. Nach einem Monat hatte sich auch das ganze Haus geleert...
  Seinen ersten Ausflug in die Stadt entschied sich Alexander Kusnezow am letzten Augustsonnabend zu machen. Er machte ihn auf eigenes Risiko und bedauerte es überhaupt nicht. Frau Bethke wusste nicht einmal davon. Während des Spaziergangs war er sehr vorsichtig, hielt sich besonders von der Polizei und von den Militärs in sowjetischer Uniform fern. Woher die Letzteren kamen, war für den Riesen unverständlich. Laut Anna waren die Russen aus Vogelburg vor drei Monaten abgezogen. Der Wunsch, durch die Stadt zu bummeln entstand auch deshalb, weil am Ende jeden Monats im ganzen Land Flohmärkte stattfanden, die Ähnlichkeit mit den sowjetischen Basaren hatten. Der Flüchtige wusste davon schon früher, er war zweimal auf einem Flohmarkt zusammen mit Farid in Dachbau. Die Möglichkeit, erneut den Markt ruhig und ohne Nerven zu besuchen, tauchte bei ihm erst jetzt auf.
  Mit der Suche des Flohmarktes in der unbekannten Stadt bemühte er sich nicht. Nicht weit vom Bahnhof entfernt, bemerkte er sofort die langen Reihen von Läden, wo, wie es ihm schien, sich alle Stadtbewohner versammelt hatten. Alexander stürzte sich sofort ins menschliche Gedränge, er war hier viel sicherer. Was es nicht alles auf diesen Regalen und Tischen gab! Und erst die Vielfalt der Sprachen und Dialekte unter denen, die gehandelt hatten oder etwas kaufen wollten?! Von den menschlichen Stimmen fürchtete sich der Fahnenflüchtige nicht, das war das, was er wollte. Er erschrak auch vor der russischen Sprache nicht. Nach ein paar Runden auf dem Markt hatte er sich ganz beruhigt. Polizei und sowjetische Patrouillen gab es nicht...
  Die Erinnerung an die Präsenz der sowjetischen Truppen in der Stadt setzte immerhin fort auf dem Markt zu leben. Auf vielen kleinen Verkaufstischen lag allerlei Zubehör von Militäruniformen. Und das war noch nicht alles. Die verdächtigen Typen, die nicht weit von den Handelspunkten schlendernten, konnten nach Alexanders Ansicht auch etwas Ernstes anbieten. Diesen Typen näher zu kommen zögerte er zuerst, fürchtete, durch sie in die Hände der Polizei zu fallen. Erst nach ein paar Stunden des ziellosen Zeitvertreibs beschloss er, es zu riskieren. Dazu gab es, wie es ihm schien, einen geeigneten Standort und eine geeignete Person. Ein sicheres Subjekt für den Riesen wurde ein kleiner Bursche mit dicken schwarzen Haaren, die seine großen Ohren und seine Stirn bedeckten. Er sah aller Wahrscheinlichkeit wie ein Armenier oder ein Georgier aus.
  Kusnezow konnte selbst nicht verstehen, wieso er diesen "Russen" gewählt hatte, der sich um den kleinen Tisch mit allerlei Abzeichen und den Achselstücken der Militärangehörigen der Sowjetischen Armee ständig herum drehte. Ihn angezogen hatte auch das blasse Mädchen, das hinter dem Ladentisch stand. Sie warf sehr oft Blicke zu dem "des Russen" hin.
  Alexander kam an den kleinen Tisch in dem Moment heran, als der " Russe" der Blondine etwas ins Ohr flüsterte. Er schlug leicht mit der Hand auf seine Schulter und sagte leise:
  - Hallo Kazo, wie geht's?... Ich sah dich schon lange nicht...
  Das weitere Verhalten "des Russen" verblüffte den flüchtigen Soldat einfach. Kazo drehte sich zu ihm heftig herum, machte dann ein paar Schritte rückwärts und zischte deutsch:
  - Entschuldigen Sie, ich verstehe Sie nicht, Herr...
  Für einen Moment schwieg der Gesprächspartner der Blondine, dann hob er den Kopf
  hoch. Dem Menschen, der ihm auf die Schulter schlug, ging er ein bisschen höher als bis zu seinem Nabel. Das Schweigen des Knirpses dauerte nicht lange. Er hatte wahrscheinlich auch selbst noch nicht 'festgestellt', in welchem Land er lebte und begann den Fremden, ohne sich zu schämen, erstklassig russisch zu beschimpfen. Der Riese reagierte auf die "Begrüßung" des kraftstrotzenden Menschen, er lachte nur laut. Er hatte keine Zweifel mehr, vor ihm stand ein Landsmann, der gerade erst die militärische Uniform ausgezogen hatte.
  Alexander irrte sich nicht in den Annahmen und den Vermutungen im Prinzip. Davon hatte er sich überzeugt, als Tigran ihn in eine kleine Bierkneipe einlud. Gastgeber und Besteller war "Kazo", der Riese hatte leere Taschen. In dieser Stunde erfuhr der Flüchtige sehr Vieles vom neuen Bekannten. Vieles, wie es ihm schien, hatte Sinn, was jener sagte, aber etwas stimmte auch nicht. Kusnezow glaubte nicht daran, dass Soldat Sarkisjan aus dem Panzerregiment am helllichten Tage auf dem Markt zehn Kilometern von der Einheit entfernt handeln konnte. Die Tatsache, dass vor ihm ein gegenwärtiger oder ehemaliger Soldat der Sowjetischen Armee stand, bezweifelte er überhaupt nicht. Über sich hatte er kein Wort gesagt...
  Seinen Ausflug in die Stadt hatte Anna Bethke nicht bemerkt, er schwieg auch darüber. Er hielt es für unnötig, noch einmal das Nervensystem der Frau zu beunruhigen. Nur wegen ihm fing sie an, die Eingangstür fester zu zumachen und leiser durch das Zimmer zu gehen, als sie die Lebensmittel brachte. Jeder Besuch war in der Regel sehr kurz. Anna begrüßte ihn freundlich, erkundigte sich nach der Gesundheit des jungen Mannes und verließ sofort die Zuflucht. Mehr fragte sie nicht, keine überflüssigen Fragen stellte auch der Flüchtige...
  Es war der Oktober gekommen. Tag und Nacht fiel Regen. Das herbstliche Unwetter drückte stark auf den Einsiedler. Die kurzen Ausflüge in den Nächten durch die verlassenen Straßen der Stadt fügten seiner bedrückten Stimmung keine Freude hinzu, manchmal wollte er vor Hoffnungslosigkeit heulen. Vom dem Zeitvertreib, der aus Essen und Schlafen bestand, wurde ihm manchmal übel. Ihm halfen auch die Bücher nicht, die er ohne deutsche Sprachkenntnisse unmöglich lesen konnte. Den Fernseher einzuschalten hatte die Deutsche ihm aufs Allerstrengste verboten. Sie hatte wahrscheinlich die Depression des jungen Mannes verstanden und machte alles Mögliche um ihnen entgegen zu treten. Sie wollte es besser machen, aber es war schlimmer geworden. Nach einem Monat der Gefangenschaft erhöhte sie dem 'Gefangenen' die Bierration. Beim nächsten Besuch war sie entsetzt. Der Russe hatte eine ganze Kiste Bier in einer Woche ausgetrunken und war nüchtern. Der Bursche war mit einer großen Ration depressiv und mit einer kleinen war er auch weiterhin depressiv. Die Deutsche experimentierte mit dem Bier nicht mehr, sie hatte einfach nicht das Geld dazu. Aus diesem Grund fing sie an, dem Russen nur eine Flasche pro Tag zu geben. Der Riese trank sie auf einmal, kaum Anna hinter sich die Tür geschlossen hatte. Später trat für ihn wieder die Langeweile ein, dabei eine sehr schreckliche. Er öffnete ziemlich oft weit das Klappfenster und streckte seinen Kopf nach draußen hinaus. Er wollte nicht nur ein Hauch frischer Luft atmen, sondern auch für einen Moment die menschliche Freiheit fühlen.
  Der Gefangene ärgerte sich oft auf seine Hüterin, die strikt gegen seine Spaziergänge durch die Stadt war. Am Tag durch die Straßen zu schlendern, fürchtete er manchmal auch selbst. Nachts war es noch gefährlicher. Ein einsamer Passant war für die Polizei viel verdächtiger als ein Menschenstrom. In den schwersten Momenten fiel der Riese mit dem Gesicht nach unten aufs Bett und ließ den Tränen freien Lauf. Er weinte sehr eigenartig, tief im Kissen vergraben. Er hatte immer noch Angst vor Fremden und der Polizei. Ab und zu dachte er, dass er verrückt würde. Manchmal schien es ihm, dass neben der Eingangstür ein Polizist oder jemand neben dem Fenster stand. Er stand auf und prüfte sorgfältig das Schloss, dann schaute er sehr vorsichtig hinter dem Vorhang hinaus. Diese "Operationen" machte der Flüchtige gewissenhaft mehrmals während am Tag und in der Nacht. Machte es, Tag für Tag, Nacht für Nacht...
  Sehr seltsam reagierte der Einsiedler auch auf die Laute von Polizeiautos, die sehr oft an seinem Haus vorbei fuhren. Zuerst hatte er es ganz ruhig ertragen, aber nach einem Monat seiner 'Gefangenschaft' war er wie ausgewechselt. Ihm schien es, als ob in ein paar Sekunden die Tür sich öffnen und in Begleitung von Polizisten eine sehr zufriedene Frau Bethke hereinkommen würde. Von diesem schrecklichen Gedanken schob er seine dichten Vorhänge an den Fenstern noch dichter zusammen und ging noch leiser durch das Zimmer. Die Angst um sein Leben zwang ihn manchmal bei dem wilden Heulen der Sirenen sehr entschlossen zu handeln. Der Flüchtige rennte schnell zum Schrank, nahm dort die Boxhandschuhe heraus und zog sie an. Er trennte sich nie vom Geschenk des Fähnrichs Tschernow. Ein paar Tage nahm er die Handschuhe überhaupt nicht mehr von den Händen ab, er fürchtete einen Einmarsch der Polizei...
  Die Einsamkeit in der komfortablen Wohnung war für den russischen Fahnenflüchtigen schwierig, aber er hatte nie die Absicht, seine Zuflucht zu verlassen. Dieses 'Gefängnis' war für ihn viel besser als die Hütte im Garten oder das mehrmonatliche Wandern im Wald. Er vertrug sich mit diesen guten Gedanken friedlich. Sie erlaubten ihm sich zurückzulehnen und auf das Beste zu hoffen...
  Die Zeit der Haft endete für den Flüchtigen in einem bestimmten Grad Anfang Oktober. Es geschah auf Initiative von Frau Bethke, die ihn zu sich nach Hause einlud. Bis jetzt hatte sie ihn noch nie eingeladen.
  Von sich aus hatte der Einsiedler Frau Bethke nicht gebeten ihn einzuladen. Er dankte ihr dafür, dass sie ihm ein Bett und ein Stück Brot gegeben hatte. Von ihren Lebensmitteln hatte er ein paar Kilos zugenommen und viellecht auch mehr.
  Am achten Oktober unterschied sich das Wetter von vorigen Tagen überhaupt nicht, es regnete auch immer noch. Bis fünf Uhr abends drückte 'der Gefangene' auf die 'Masse', vom Schlaf bekam er schreckliche Kopfschmerzen. Die Ankunft der Deutschen war für den Russen eine völlige Überraschung an diesem nicht sonntäglichen Tag. Anna betrat vorsichtig das Zimmer und machte die Nachtlampe an, ihr Sascha schlief noch. Die Zeit, um sich fertig zu machen, beschränkte die Gastgeberin. Kusnezow schlupfte in den Sport- anzug und nahm die Militärkarte mit. Er trennte sich niemals von ihr. Im Falle einer Polizeirazzia hatte er ein echtes Dokument, mit diesem Dokument erschreckten ihn auch die sowjetischen Streifen nicht. Im Falle eines unerwarteten Treffens mit "den Kontrolleuren" hatte der Flüchtige mehrere Versionen im Kopf, die er während des Umherwanderns ausgedacht hatte. Die realsten kannte er auswendig.
  In der Wohnung von Frau Bethke hatte der Russe sich gründlich in Ordnung gebracht. Die Gastgeberin befand sich im anderen Zimmer, deren Tür dicht geschlossen war. Der eingeladene Gast saß brav im weichen Ledersessel und betrachtete aufmerksam die politische Karte des vereinigten Deutschlands an der Wand. Die alten Länder erschreckten und erfreuten ihn gleichzeitig. Ihm schien es, dass im Westen, sogar im Falle seines Ergreifens, man den sowjetischen Soldaten, der zu ihnen aus der Armee des totalitären Regimes entlaufen war, willkommen heißen würde. Er hatte sogar nicht dagegen, in der Bundeswehr zu dienen, dort schlugen sie nicht auf die Schnauze und zwangen sie auch nicht die Toilettenbrille zu putzen...
  Die Uhr an der Wand schlug sieben Mal. Die Gastgeberin kam aus dem Zimmer zu jenem Moment heraus, als der letzte Schlag erklang. Ihr Erscheinen war für den Gast nicht so unerwartet, wie eindrucksvoll. Er erhob sich wie verbrüht vom Sessel und konnte einen Moment nichts sagen. Er starrte die Blondine nur aufmerksam an. Sie war in diesem Augenblick jung und sehr schön. Als Anna die Verwirrung und Ratlosigkeit auf dem Gesicht des Mannes bemerkte, lachte sie laut. Das schallende Lachen machte sie noch schöner und noch jünger. Das Schweigen des schönen Riesen machte schließlich der Koketterie der Gastgeberin ein Ende. Sie ging entschlossen zum Gast und sagte ebenso entschlossen: " Alexander, gehen wir ins Esszimmer, dort erwartet uns ein gedeckter Tisch..."
  Die Blondine fasste den Mann leicht an der Schulter und sie gingen in ein kleines Zimmer hinein, das gleichzeitig Küche und Esszimmer war. In der Zimmermitte stand ein kleiner Tisch, der schon gedeckt war. Kusnezow setzte sich langsam auf einen Stuhl und starrte erstaunt die Hausherrin an. Sie, ob nichts geschehen wäre, setzte fort zu lachen und den Russen schlau anzuschauen. Nach ein paar Augenblicken hatte sie sich beruhigt. Dann hatte sie eine Flasche Sekt genommen und schenkte zwei Weingläser ein. Der Russe saß am Tisch und konnte immer noch nicht den Grund der unerwarteten Feier verstehen. Anna stand auf, schenkte ihm ein blendendes Lächeln und sagte fröhlich in einem guten Russisch:
  - Alexander, heute ist mein Ehrentag, mein Geburtstag... Er war gestern, am Tag der Gründung der Deutschen Demokratischen Republik... Gestern habe ich eine Feier für meine Freunde und Bekannten ausgerichtet... Heute für uns...
  Die letzten Worte sagte das Geburtstagkind mit einer unverständlichen Verwirrung für den eben noch Gefangenen. Für eine Weile wurde sie still, bei ihr kratzte etwas im Hals. Es bemerkte sogar Alexander, der wie erstarrt da saß und die sehr auffallende Schönheit der nicht mehr ganz jungen Frau genoss. Diese unerwartete Information der Deutschen macht ihm nicht mehr Mut, ganz abgesehen von seinen oratorischen Fähigkeiten. Nein, er hatte nichts gegen den Geburtstag dieser bezaubernden Person. Ihn verwunderte etwas ganz anderes. Er konnte sich nicht vorstellen, dass sie gerade an ihrem Geburtstag solch großzügigen Tisch nicht nur für sich, sondern auch für den flüchtigen Soldaten der Sowjetischen Armee vorbereitet hatte. Und das trotz der Tatsache, dass der gesamte Westen Schmutz auf diejenige goss, die ganz Europa und sogar die ganze Welt in Angst und Eroberung hielt...
  Kusnezow stand schnell auf und hob entschlossen sein Glas zur Gastgeberin. Sie errötete etwas, stieß laut mit ihm an und brachte das Glas an ihre Lippen. Der junge Gast folgte ihrem Beispiel...
  Einige Zeit hielt sich das Fest der schönen älteren Frau und des gut aussehenden jüngeren Mannes auf offiziellem Niveau. Alle Formalitäten waren fast erledigt, nachdem Alexander einen Toast zu Ehren der gastfreundlichen Hausherrin ausgebracht hatte. Er brachte diesen Toast ohne jede Vorbereitung aus. Früher hatte er es in seinem Leben noch niemals gemacht. In der Schule und der Berufsschule, ganz zu schweigend von der Armee, hatte man ihm diese Weisheiten nicht beigebracht. Der Toast war kurz, aber sehr lustig. Er erzählte fast unverändert alles wieder, was einst der Nachbar Onkel Peter auf dem Geburtstag seiner Mutter gesagt hatte.
  Seit dieser Zeit war sehr viel Wasser den Fluss hinunter geflossen. Die Deutsche war vom Trinkspruch zu ihren Ehren begeistert. Sie lachte laut und weinte ein wenig, als er ihr sibirische Gesundheit und kaukasisches langes Leben wünschte. Die Eheleute Bethke bewahrten immer warme Erinnerungen an das Schwarze Meer und an jene Menschen, die dort lebten und arbeiteten...
  Kusnezow schaltete nach der Feier sehr schnell ab, schaltete durch den emotionalen Stress und übermäßigen Alkoholkonsum ab. Das Alles führte dazu, dass er nach ein paar Stunden buchstäblich auf die Fragen der Deutschen fast nicht mehr reagierte. Er erinnerte sich auch nicht, wieso er sich auf dem Sofa befand. Er wachte spät in der Nacht auf, nach etwa fünf Minuten schlug die Wanduhr dreimal.
  Er konnte zuerst nicht verstehen, wo er war und warum er solche furchtbare Kopfschmerzen hatte. Sein Gehirn, trotz der "Überlastungen", führte ihn schrittweise in den Ablauif der Vergangenheit ein. Er erinnerte sich sofort an die Feier der Hausherrin und ihr Familienalbum. Sie zeigte ihm auch ihre Medaille für hervorragende Leistungen in der Arbeit bei der Entwicklung der neuen Technik im sozialistischen Deutschland...
  Sich zu erinnern oder zu überlegen mochte der Russe nicht mehr, er wollte die Gastgeberin sehen. Er stand schnell vom Sofa auf, ging vorsichtig in die Küche und machte das Licht an. Der festliche Tisch war schon abgeräumt. Er öffnete den Kühlschrank und holte eine Flasche Mineralwasser heraus.
  Das Wasser war sehr kühl, was für einige Zeit seinen Kopf erfrischte. Dann setzte sich der Riese an den Tisch und lauschte. In der Wohnung war eine absolute Stille. Der Wunsch, Anna zu sehen, erwachte wieder beim Flüchtigen. Vorsichtig verließ er die Küche und ging auf Zehenspitzen zur geschlossenen Tür des Zimmers, wo sie schlief. Für eine Weile hielt er inne, als ob er sich fragte, ob es eine angemessen wäre, an der Tür einer älteren Dame zu klopfen, die nach den Sorgen und Besorgnissen fest schlafen sollte. Kusnezow entschloss, nicht an der Tür zu klopfen, er drehte sehr vorsichtig den Griff und öffnete auch sehr vorsichtig die Tür...
  Zu seinem großen Erstaunen war im Zimmer der Gastgeberin das Licht an. Der Flüchtige war früher noch nie in diesem Zimmer gewesen und deshalb betrachtete er es ein paar Augenblicke. Die Hausherrin befand sich in einer Ecke des großen Schlafzimmers.
  Ihr Bett war zugehängt mit schönen Vorhängen aus Tüll oder etwas dergleichen. In der Nähe stand eine große Stehlampe mit einem rosa Lampenschirm. Alexander näherte sich sehr vorsichtig dem Bett und war baff. Anna lag im Bett nackt und blätterte in einem Buch. Alexander zweifelte nicht daran, dass sie ihn nicht bemerkt hatte und deshalb sich ungezwungen benahm. Er stand vor dem Vorhang, wie ein Kater, der etwas angestellt hatte, und betrachtete aufmerksam die Frau. Er "durchbrannte" diesen schlanken Körper, der rosa und leidenschaftlich anziehend war. Von dem aufkommenden Wunsch, die Frau zu erobern, war er aufgeregt. Er zog mit Kraft den Vorhang weg und blieb sofort stehen...
  Gerade in diesem Moment spürte die Deutsche die Anwesenheit eines Fremden im Schlafzimmer und beschloss zu reagieren. Sie hob leicht ihren Kopf für eine Sekunde hoch und erstarrte. Vor ihr stand ein sehr großer und schlanker junger Mann, der völlig nackt war. Die Verwirrung der nackten Blondine verschwand ebenso schnell, wie es auch erschienen war. Sie legte ruhig das Buch auf den Nachttisch und schaute den Russen aufmerksam an. Die Augen der älteren Frau und die Augen des jungen Mannes trafen sich für einen Moment und verfehlten sich sofort wieder. Diese Augen sagten einander nichts und baten voneinander auch nichts. Alexander errötete und senkte langsam den Vorhang. Dann ging er ein paar Schritte zur Seite und er wusste selbst nicht, wieso er wieder zurückgerissen wurde. In einem Augenblick befand er sich am Bett der Hausherrin und im selben Moment fiel er auf die Knie. Anna reagierte auf die unerwartete Rückkehr des Gastes nicht. Sie lag im Bett und schaute irgendwie gleichgültig auf die Decke. Die Nackte reagierte auch weiter in keiner Weise darauf, was dieser russische Riese mit ihr machte. Kusnezow erhob sich und begann, mit Küssen das Gesicht der Frau, ihren Hals, die Brüste, von denen Geruch eines Parfüms und noch etwas ihm bis jetzt Unbekanntes, aber für ihn sehr, sehr Anziehendes kam, zu übersäen. Die Küsse des jungen Mannes waren nicht geschickt, in irgendeinem Maße sogar kindisch. Das fühlte Anna sofort, als der von Leidenschaft erstickende und vom Begreifen der realen Möglichkeit der Beherrschung ihres Körpers Flüchtige mit Kraft ihre schlanken Beine auseinander drückte. Sie konnte es auch selbst nicht verstehen, wieso sie sich ihm wieder nicht widersetzte. Erst nachdem das Teil des Russen ihre Hände durchbohrte, mit denen sie ihre Vagina bedeckte, stieß sie den Mann mit Kraft weg und begann laut zu weinen...
  Der Rest der Nacht schliefen die Hausherrin und der Gast nicht. Jeder lag in seinem Zimmer und dachte an seins. Bei Kusnezow verging nach dem gescheiterten Versuch, Anna zu ergreifen, der Rausch augenblicklich. Er rief sich den Besuch in ihr Schlafzimmer immer wieder und wieder ins Gedächtnis zurück und kam zu einem enttäuschenden Ergebnis. Er, als Mann, hatte sie sehr beleidigt. Das Gefühl der Schuld riss ihn mehrmals hoch. Er stand auf und näherte sich der Tür ihres Zimmers, stand hier und ging wieder weg. Jetzt war es ihm peinlich, dass er so gehandelt hatte, wie Abschaum, die Frau, die trotz ihrer Angst mit Risiko ihm ein Heim bei sich gegeben hatte, so behandelt hatte. Manchmal sagte sich der Mann von den gerechten Gedanken los, die tierische Leidenschaft besiegte seine Vernunft. Alexander sah wieder wie in der Realität, vor sich den schönen und zarten Körper der Deutschen. Er kam immer mehr und mehr schon zu einem anderen, ganz rechtmäßigen Schluss.
  Die nackte Blondine konnte seine sein, wenn er, wie ein Mann, mehr Beharrlichkeit und sogar Liebeskunst gezeigt hätte. Von diesem Gedanken wurde es auf seiner Seele unwohl. Ihm war es jetzt sehr peinlich. In seinem ganzen Leben hatte er noch nie mit einer Frau geschlafen. Daran, dass auch Anna nicht seine erste Frau wurde, beschuldigte er nur sich und sonst niemanden...
  Frau Bethke hatte schon vor einem Monat vor dem Geburtstag sich entschlossen, den russischen Flüchtige auf die Feier einzuladen. Sie sah und fühlte, dass er an der Einsamkeit sehr litt. Sie wollte, etwas Angenehmes für ihn tun, um seine Schwermut zu mildern. Dass ihr Sascha schon seit langem keine hausgemachten Köstlichkeiten gegessen hatte, bezweifelde sie auch überhaupt nicht. Anna ging extra ins russische Geschäft und kaufte eine Flasche Wodka und ein Buch über die russische Küche. Dann kochte sie streng nach den Rezepten einen nahrhaften Borschtsch und Fleisch mit Kartoffeln. Ehrlich gesagt, hielt sie diese russischen Gerichte fehl am Platz zur Feier, aber ihre Befürchtungen waren sofort vergangen. Der Gast verschlang zur Freude und sogar zum auf den Neid der Gastgeberin mit großem Appetit sehr eifrig alles Heimische. Die Köchin interessierte sich immer wieder beim Esser für die Qualität der von ihr vorbereiteten Gerichte. Jener antwortete nichts und hob nur nach oben den Daumen. Die Deutsche lachte laut beim Anblick dieses Zeichens und füllte öfter das leere Glas des Gastes mit dem russischen Wodka. Sie wagte es nicht, den russischen Wodka ihren Freunden anbieten, aber nicht infolge der Gier. Einige aus ihrer Umgebung fingen an, sich vor den einst Lieblingsspirituosen, die in der Sowjetunion erzeugt waren, "zu ekeln". Und das Gesprächsthema in der Küche und am Tisch der ehemaligen Erbauer des Sozialismus war ganz anders geworden. Immer mehr sprach man über neue Autos und Auslandsreisen. Anna Bethke hatte nach dem Tod ihres Mannes kein teures Auto gekauft, sie war auch nicht auf Hawaii. Einigen ihrer Freunde und Bekannten gelang es nach dem Fall der Mauer, erfolgreich zu werden, sogar sehr. Isolde, die Nachbarin im Treppenhaus, wurde fast innerhalb eines Tages von einer "Bettlerin" zu "Fürstin' geworden. Es gelang ihr wegen ihrer Schönheit. Die fünfzigjährige Frau hatte, wie auch Anna, ihren Mann schon seit langem begraben. Früher lebte sie nur von Groschen. Aber jetzt von den Geldinvestitionen, die sie von einem alten Mann bekam, blühte sie auf.
  Dem Besitzer einer gewinnbringenden Firma gefiel die sonnengebräunte schöne Frau sehr. Der Glatzkopf bemerkte sie sofort, als sie Schulter an Schulter mit ihm im Dampfbad der Sauna saß. Isolde verführte den Mann am selben Abend. Sie harrte eine ganze Stunde auf dem Parkplatz aus, bis der alte Gaul sich gewaschen und geschwitzt hatte. Die Frau mit einem attraktiven Po und Busen beschloss, einen Schwindel vorzutäuschen, um den Nachbarn vom Dampfbad mit dem neuen Sportwagen auszunutzen. Eine Stunde später war sie bereits in seinem Luxus-Appartement. Nach dem Bett wusch sie sich sehr sorgfältig und putzte ihre Zähne. Von den verfaulten Zähnen des Millionärs, die er infolge der Gier nicht "reparieren" ließ, wurde es der schönen Witwe manchmal übel. Die Nachbarin zählte sich nicht zur Kategorie der langbeinigen Prostituierten und deshalb gab sie sich zufrieden mit allem, was ihr der impotente Mann auf 'die Pfote' gab. Es kam vor, dass sie auch etwas mitgehen ließ, besonders nach Feiern. Trinken und essen liebte der alte Mann sehr, als ob er es fühlte, dass man bald zum Gott gehen musste...
  Anna Bethke widerte eine solche Lebensweise der Nachbarin sehr an, sie verstand solche Frauen und Männer nicht. Sie weinte sogar während des Schwatzens mit ihrer Freundin, als sie sich an Alexander erinnerte, der früh aus dem Leben gegangen war. Sie hatte nie Zweifel an der Anständigkeit ihres Mannes. Jetzt hatte sie sogar das Erscheinen des nackten Russen im Schlafzimmer ohne Stress wahrgenommen. Anna ließ zu, dass jener offenbar betrunken war und sich noch nicht vollständig in ihrer Wohnung zurechtfand und das war alles. Das weitere Verhalten des geladenen Gastes hatte sie entmutigt, obwohl wieder nur für einen Moment.
  Nach dem Abgang aus ihrem Schlafzimmer des jungen Mannes hatte sie verstanden, dass sie in diesem Moment das Vergnügen verloren hatte, das, wie es ihr schien, sie schon eine ganze Ewigkeit nicht erlebt hatte. Die schöne Blondine lag im Bett und dachte darüber nach, was geschehen war, als ob sie die leidenschaftlichen Küsse des Buben in der Realität fühlte.
  Ihr schien es, dass gleich sein großes Glied in ihre Scheide eindringen würde und sie in ein paar Augenblicke zusammen ins Meer der erwünschten Leidenschaft und Liebe eintauchen würden. Und sie würde es niemals bedauern. Aus dieser Erkenntnis heraus weinte sie leise, dann sprang sie aus dem Bett und näherte sich vorsichtig der Tür. Hinter dieser Tür war der Mann, dem sie bei weitem nicht gleichgültig war. Er konnte nicht schlafen, wie auch sie, daran zweifelte Frau Bethke überhaupt nicht. Mit Tränen in den Augen berührte sie sanft den Türgriff und ging wieder ins Bett...
  Für eine gewisse Zeit begann die bezaubernde Blondine von den schmachten den Gedanken geangen, verstärkt mit dem Finger ihre Klitoris zu massieren. Überwältigt von den Gefühlen küsste sie ihren Busen und die Schultern gleichzeitig.
  In diesen Augenblick wollte sie die Brust und die Schultern von Alexander, ihrem Mann und auch dem Mann, der ganz vor kurzem sie wie eine Frau leidenschaftlich wünschte, sehr küssen. Nach einer Weile beruhigte sich Anna... Die Ruhe gab ihr die nüchterne Vernunft zurück. Jetzt bedauerte sie die gescheiterte intime Beziehung mit dem nächtlichen Besucher überhaupt nicht. Der verstorbene Mann blieb für sie wieder ein Maß der moralischen Werte. Frau Bethke, ungeachtet ihrer sechzig Jahre, hielt sich nicht für alt, aber Männer waren in ihrem Bett sehr selten.
  Die Haltung gegenüber dem jungen Alexander war in dieser Nacht bei ihr zweigeteilt. Er war aus irgendeinem Grund schon nicht gleichgültig, besonders nach seinen leidenschaftlichen Küssen. Gleichzeitig erschreckte sie der große Altersunterschied. Die Frau des ehemaligen sozialistischen Deutschlands nahm die Liebe und die Ehe anders wahr...
  Die Entscheidung, die Wohnung von Frau Bethke zu verlassen, für immer zu verlassen, traf der Russe am späten Morgen nach den qualvollen Überlegungen. Er blickte immer wieder auf die Tür ihres Zimmers, in dem sie schlief. Der lange Aufenthalt der Frau im Bett ärgerte ihn. Er stand mehrfach auf und näherte sich der Tür, in der Absicht sie zu öffnen und in Annas Schlafzimmer hineinzugehen. Die Wut verflog sofort, als er an die vergangene Wanderschaft zu denken begann. Die Sonnenstrahlen drangen immer stärker durch die Gardinen. Die Uhr schlug acht Uhr morgens. Die Hausherrin kam immer noch nicht aus dem Schlafzimmer heraus.
  Kusnezow stand auf, brachte sich nach der Toilette in Ordnung, dann kleidete er sich an. Eine weitere Stunde verging. Die Gastgeberin war aus irgendeinem Grund immer noch nicht herausgekommen. Jetzt hatte der Gast keine Zweifel mehr an der Richtigkeit seiner Entscheidung. Er war ihr gleichgültig. Die sehr anständige Frau würde ihm den nächtlichen Besuch niemals verzeihen. Er ging entschlossen zum Bücherregal und zog ein Heft heraus. Dann riss er ein Blatt heraus und schrieb darauf mit einem roten Stift: "Ich gehe, ich gehe für immer weg. Danke für alles. Kusnezow'. Danach ging der Riese in die Küche und legte den Zettel auf den Tisch, an dem er mit Anna vor ein paar Stunden zusammen gegessen und ihren Geburtstag gefeiert hatten. Alexander erinnerte sich an den russischen Brauch und setzte sich auf einen Stuhl, dann ging er schnell nach draußen und schaute starr auf die Fenster der gastfreundlichen Deutschen. Hinter den Gardinen schaute niemand heraus...
  Bis zum Markt ging der Flüchtige zu Fuß. Er ging sehr langsam, ließ sich alles noch einmal durch den Kopf gehen, was in der vorigen Nacht geschehen war. Je näher er zum Markt kam, desto weniger Schmerz blieb in seinem Herz und in seiner Seele zurück. Der Gehende war sich bewusst, dass diese ältere Deutsche nicht nur niemals seine Frau, sondern auch nicht seine Freundin sein würde. Er dankte ihr sogar jetzt, es selbst nicht verstehend, in der Seele dafür, dass sie ihm im Bett nicht nachgegeben hatte. Er wollte nicht mehr, als dass Anna in seinem Gedächtnis eine sehr anständige Frau, eine Mutter bliebe, die ihrem fehlgeleiteten Sohn die helfende Hand ausstreckte. Ein Sohn war seiner Mutter nicht nachtragend...
  Das kleine Bahnhofsgebäude tauchte unerwartet auf. Ein Merkmal des Werktages war das fehlen von Flohmärkten, was dem Flüchtigen keinen Optimismus verlieh.
  Während des Bummels um den Bahnhof stieß er auf niemanden und auf nichts 'Russisches'. Tigran war auch nicht da, er war wie vom Erdboden verschluckt. Die Angst, wieder einsam und allein in dieser Stadt zu bleiben, hatte den Riesen blitzschnell erfasst, er setzte sich auf ein Bänkchen vor dem Bahnhof und schloss die Augen. Nach etwa fünf Minuten stieß ihn jemand vorsichtig in die Schulter. Alexander öffnete die Augen. Vor ihm stand ein unrasierter junger Mann mit einer ausgestreckten Hand. In der anderen Hand hielt er einen großen Becher mit Bier. Er sagte nichts, starrte nur den Sitzenden aufmerksam an. Der Russe sagte auch nichts. Erst nach ein paar Momenten hatte er 'begriffen' und mit den Händen auf die Taschen seines Sportanzugs geklopft. Geld hatte er in der Tat nicht. Der Obdachlose verstand ohne Worte das Zeichen und setzte sich neben ihn auf das Bänkchen.
  Der Gedanke, die Bierkneipe zu besuchen, wo einst das Gespräch mit dem Landsmann stattgefunden hatte, kam dem Riesen sofort, kaum dass er neben sich den Geruch des Bieres, der vom bettelarmen Nachbarn kam, spürte. Die Kneipe war fast leer. Hinter der Theke stand ein kleinwüchsiger Mann mit einem prächtigen Schnurrbart und sprach am Handy. Er sprach nicht deutsch und auch nicht russisch. Kusnezow ging näher zur Theke heran, seiner Person gegenüber herrschte volle Gleichgültigkeit. Er machte eine unabhängige Physiognomie, sprang sofort aus dem Raum heraus und lachte. Es gab keine Zweifel bei ihm, in der Kneipe arbeiteten Landsleute vom Soldaten Sarkisjan. Der Riese entschied sich, auf Tigran zu warten, bis zum bitteren Ende zu warten.
  Während des ziellosen Gehens durch die Stadt war der Kopf des Flüchtigen voll von beunruhigten Gedanken. Wieder blieb er allein mit seinem Schicksal.
  Nicht einmal Kaschtanka war bei ihm, die er am meisten auf dieser Welt liebte. Das Mitleid zum Lieblingswesen münzte er immer mehr und mehr auf sich selbst "um". Genau um zwölf Uhr kam er wieder in die Bierkneipe. Der Schnurrbärtige war nicht da, an seiner Stelle stand hinter der Theke ein junges Mädchen. Sie bediente an jenem Tag den kleinen Tisch, an dem die zwei ehemaligen Soldaten saßen. Alexander näherte sich ihr vorsichtig und fragte sie ganz leise:
  - Sagen Sie, und wann wird Tigran erscheinen? Arbeitet er heute?
  Das Mädchen schaute dem Besucher aufmerksam in die Augen und flüsterte misstrauisch:
  - Er sagte mir gestern von Ihnen nichts... Er kommt erst um fünf Uhr Abends...
  Sarkisjan kam genau um fünf. Alexander hatte den ehemaligen Panzersoldaten in Zivilkleidung schon von weitem bemerkt, jener marschierte langsam vom Parkplatz in Richtung der Kneipe. Kusnezow beschloss, sich nicht zu beeilen, dem Landsmann unter die Augen zu kommen.
  Er betrat die Bierkneipe erst nach zehn Minuten. Tigran hatte er sofort bemerkt, der saß ganz in der Ecke, saß nicht allein. Neben ihm am kleinen Tisch saßen noch vier junge Männer. Alexander hatte die Wichtigkeit der Person des ehemaligen Kollegen nach der WGT sofort erkannt. Es sprach nur der Panzersoldat, der Rest hörte ihm aufmerksam zu und stimmte ihm auch zu. Kusnezow sah das bekannte Mädchen, begrüßte sie und ging schnell nach draußen. Er beschloss abzuwarten. 'Kazo' war sehr beschäftigt und führte ein geschäftliches Gespräch. Nach etwa dreißig Minuten ging der Riese wieder in die Kneipe rein, in der Ecke am kleinen Tisch war schon niemand mehr. Bald kam aus dem Hinterzimmer Tigran. Die Männer schüttelten fest einander die Hände und gingen nach draußen.
  Die Frage des Flüchtigen über eine Beschäftigung überraschte den jungen Armenier nicht. Auf das lebenswichtige Problem des 'Lands-Freundes', so nannten sich ab jetzt die ehemaligen Soldaten, hatte Tigran sehr ruhig reagiert. Er hob den Kopf hoch, um das Gesicht des Riesen zu sehen, und sagte ganz ernst:
  - Weißt du Freund, ich werde dir helfen, ich werde dir ohne Probleme helfen... Du weißt sehr gut, dass ich hier kein Verwalter und auch kein sowjetischer Verkäufer bin... Dich zu bestehlen oder zu betrügen, ganz zu schweigen von den lokalen Deutschen, kann ich auf keine Weise... Ich werde dir eine Arbeit geben, dabei eine Schwarzarbeit. Hier arbeiten viele 'schwarz'... Selbst viele Reiche arbeiten und stehlen hier auch 'schwarz'... Alle wollen Geld...
  Nach den philosophischen Überlegungen senkte der ehemalige Panzersoldat den Kopf nach unten, dann hob er ihn wieder nach oben und setzte ruhig fort:
  - Was diese Arbeit bedeutet, wirst du mein Freund, später erfahren... Aber jetzt habe ich an dich eine sehr große Bitte, über unser Gespräch den Mund zu halten, du, mein Freund, hast mich verstanden....
  Auf die nachdrückliche Bitte des ehemaligen Kämpfers der Sowjetischen Armee antwortete Alexander nichts. Er umarmte seinen Retter fest und drückte ihm heftig die Hand. Der Arbeitgeber kam am nächsten Tag frühmorgens, um seinen Landsmann abzuholen, die Uhr auf dem Gebäude des Bahnhofs zeigte genau fünf. Draußen konnte man bereits die Kälte des nahenden Herbstes spüren. Die vergangene Nacht verbrachte der Fahnenflüchtige der Sowjetischen Armee in einem kleinen Wald, der sich zwei Kilometer vom Bahnhof befand. Diese Nacht war ungewöhnlich kalt und regnerisch. Er war ganz durchgefroren, die ganze Zeit mal gehustet, mal geniest. Ihn quälte ihn auch der Hunger, die vorherige Feier war nicht lange im Magen erhalten geblieben. Anstelle des weichen Sofas und der warmen Decke schlief der Flüchtige auf einem Haufen trockener Ästen, als Decke diente ihm der dunkle und kalte Himmel...
  Tigran war ein Glücksfall für Alexander. Davon hatte er sich sofort überzeugt, kaum dass das Auto zur kleinen zweigeschossigen Villa herangefahren war, die von einer Reihe jungen Tannen umgeben war. Dann warteten die Landsmänner auf das Erscheinen des Besitzers. Etwa zwanzig Minuten später fuhr langsam ein neuer "Mercedes" des Chefs aus der Garage heraus und jagte schnell über die Autobahn. Tigrans alter "Opel' kam kaum hinterher. Auf dem Weg überschüttete Sarkisjan den Neuen im wahrsten Sinne des Wortes mit allerlei Instruktionen. Der Riese war mit allem einverstanden und stimmte allem zu. Er verstand sehr gut, dass dank seines Gehorsames und der Sanftmut er zum ersten Mal in diesem Land Geld verdienen konnte, sein Geld.
  Vom frischgebackenen Sklaven waren es nur drei Dinge erforderlich: gewissenhaft zu arbeiten, allen zu gehorchen und zu schweigen. Ihm wurde es auch untersagt, in irgendwelche Kontakte mit der Leitung zu treten. Tigran warnte ihn, dass der neue Deutsche der ehemaligen DDR möchte seine Hände wegen allerhand Unstimmigkeiten nicht schmutzig machen wollte. Der Kollege übernahm die Organisation der Arbeit und ihre Bezahlung.
  Erst am späten Abend beendete der ehemalige Soldat des Motorschießregiments den ersten Arbeitstag auf dem Territorium des Vereinigten Deutschlands. Von der schweren körperlichen Arbeit schmerzte fürchterlich sein Rücken, seine Hände zitterten und etwas summte im Kopf. Das Letzte war auf seinen Hunger zurückzuführen, der Magen war völlig leer. Beim Flüchtigen entstand während der Arbeitszeit mehrfach der Wunsch etwas aus sich "rauszupressen", aber "die Natur" musste man bremsen.
  Er bremste sie infolge des Arbeitsprozesses, er arbeitete auf dem Dach eines Fünfgeschosses, eine ehemalige sowjetische Kaserne. Er riss, zusammen mit seinem Mitarbeiter, auch ein Russe, die alten Dachziegel ab und stapelte sie auf die Erde. Das kleine grüne WC-Häuschen befand sich auf einer fahrbaren Karre, nicht weit vom Gebäude. Gleich zu Beginn der Arbeit hatte der Neuling es fertiggebracht, zwei Ausflüge auf die Toilette, auch nicht umsonst, zu machen. Der nächste Besuch war misslungen. Ein ältere Deutsche, aller Wahrscheinlichkeit nach ein Verwandter des Chefs, sah wütend den Riesen an und schrie laut auf Russisch:
   - Du, der Neue, wieso arbeitest du nicht? Wer wird deine Scheiße bezahlen? Arbeite, arbeite, Genosse...
  Auf die strenge Bemerkung des Deutschen des ehemaligen sozialistischen Deutschlands sagte der Bürger der ehemaligen mächtigen Union nichts. Er lächelte nur und stürzte sich schnell auf das Dach. In dieser Nacht schlief der Fahnenflüchtige der Sowjetischen Armee sehr fest, wie nie zuvor in seinem Leben. Er schlief auf dem Heuboden beim deutschen Landwirt und von diesem Alltagsleben war er zufrieden, sogar sehr glücklich. Tigran hatte für seinen Landsmann nicht nur Arbeit gefunden, sondern auch für seine Erholung gesorgt. Für die Übernachtung und einen Liter Milch mit Brot pro Tag schwitzte der Flüchtige auf dem Bauernhof samstags. Der Deutsche wusste schon, womit er den starken Russen beschäftigen konnte...
  Die erste Arbeitswoche auf dem deutschen Boden verflog bei Alexander sehr schnell. Bei jeder Arbeitsstunde und an jedem Arbeitstag drehte er sich wie ein Kreisel. Es drehte sich auch das ganze "schwarze" Team, etwa ein Dutzend Männer. Während dieser Zeit gelang es dem großen Mann nicht, etwas aus dem Privatleben der Mitarbeiter zu erfahren. Mehr als die Hälfte von ihnen redete in ihrer eigenen Sprache, unverständlich für ihn. Unter ihnen waren auch zwei Russen, aber aus irgendeinem Grund unterhielten sie sich mit dem Neuen nicht. Die Russen hielten auch zwischen sich keine Freundschaft, sie warfen sich nur hin und wieder paar Wörter einander zu, und das waren meistens Schimpfwörter. Die Versuche des Flüchtigen, die Landsleute zu begrüßen, scheiterten sofort. Keiner von ihnen reagierte auf seine Begrüßung. Die Eigenarten jener und anderer Kollegen unterdrückten bald bei ihm den Wunsch, mit irgendjemandem zu kommunizieren. Er behielt alles für sich, wie alle andere auch. Er schloss unter den Schwarzarbeitern auch die Anwesenheit eines Informanten nicht aus und deshalb wurde das Schweigespiel auch für ihn Alltag.
  Genau nach einer Woche kam Tigran, er erschien in der Nacht. Der Riese schlief zu dieser Zeit auf einem Klappbett im Stall, neben den Kühen. Den nächtlichen "Service" des Riesen brachte Sarkisjan zum Lachen und er sagte:
  - Also, du hast es ja gut, Sanek... Du hast alles hier bei dir, das Bett und die Milch, sogar das Fleisch... Mach dir keine Sorgen, ich erinnere mich jetzt an so etwas nur noch bei einem Glas Bier'...
  Das Gespräch der interessierten Freunde dauerte nur kurz. Der kleine Chef beeilte sich irgendwohin. In dieser Nacht bekam der Flüchtige seinen ersten Lohn, nicht nur auf dem Gebiet des vereinigten Deutschlands, sondern auch in seinem Leben. Er bekam genau hundert D-Mark. Er nahm den Schein und schaute erstaut den Kollegen an. Der reagierte darauf gelassen:
  - Mein Landsmann... Du weißt noch nicht, was der Kapitalismus ist. Nimm es nicht übel... Ich möchte doch auch leben, wie auch alle andere... Überall und für alles muss man bezahlen...
  Zum Abschied drückte Tigran fest die Hand seines Mündels und warnte ihn sehr nachdrücklich:
  - Sanek! Präge dir Folgendes ein... Wenn dich die örtlichen Behörden oder die Polizei erwischen, dann kennen wir uns nicht und haben uns noch nie gesehen. Unser großer Chef kennt dich auch nicht und hatte dich noch nie gesehen. Auch die, die neben dir arbeiten, hatten dich nie gesehen. Du siehst selbst, dass auf unserem Objekt die Arbeit sehr schwer ist und schlecht bezahlt wird. Hierher kommen nur ein paar Idioten zum Arbeiten... Ehrlich gesagt habe ich Angst um dich, deshalb frage ich nicht nach deinen Dokumenten...
  Es verging noch eine Arbeitswoche. Der Riese bekam zehn D-Mark mehr, nach einer weiteren Woche noch einmal. Im November wartete auf den Hilfsarbeiter schon ein anderes Objekt. Er schrubbte nachts den Lagerraum für die technische Produktion. Dann kam der Gemüselager, später die Farm... Der leidenschaftliche Träumer von einem wolkenlosen Leben auf dem deutschen Boden hatte sich für die 'Schwarzarbeit' sehr qualifiziert. Sie arbeiteten im Osten des Landes, weil ihr großer Chef die Fremde fürchtete. Die schwere Arbeit verbrauchte nicht nur seine Körperkräfte, sondern verringerte auch in einem gewissen Maße die Anstrengung des Nervensystems des flüchtigen Soldaten. In seiner Freizeit fiel er ziemlich oft in eine Depression, seine Einsamkeit betäubte er mit Bier oder Wodka. Er soff in der Regel in der Nacht vom Samstag zum Sonntag. Der Vollrausch, dachte er, ermöglichte nicht nur seinem Körper, sondern auch seiner Seele, sich zu erholen. Nach seinem heimlichen Verlassen der Wohnung der gastfreundlichen Frau Bethke hatte der Russe Tag und Nacht ein schlechtes Gewissen. Er war schon über zwanzig, aber er wurde immer noch kein Mann. Jetzt war es ihm wieder nicht nach Frauen. Er beanspruchte deutsche Frauen nicht, russische Frauen gab es hier nicht. Und für die Suche nach dieser oder jener hatte er keine Zeit.
  Der Chef behandelte "die Schwarzarbeiter" wie Sklaven, die unter der strengen Aufsicht seiner Verwandten arbeiteten. Kranke existierten für den geizigen Vorgesetzten nicht, er war mit Unangenehmen und Alkoholikern gnadenlos. Davon überzeugte sich der Riese mehrfach...
  Vor dem Silvester fand der Deutsche ein "sattes" Objekt. Rentabel war er nur für ihn, "die Schwarze" bekamen immer nur Kleingeld. Wer wieviel für seine Arbeit bekommt, interessierte den Neuen schon am ersten Tag seiner Tätigkeit. Seine Versuche es herauszufinden, scheiterten immer wieder. Alle schwiegen, als ob sie Wasser im Mund hätten. Es schwieg auch Nikolaj, ein Aussiedler, der in sein Team einen Monat vor Silvester kam. Alexander mochte ihn sofort, es hat ihm nicht nur seine Physiognomie, sondern auch seine handwerkliche Geschicklichkeit gefallen. Er konnte immer und überall alles machen. Daran, dass der 'russische' Deutsche auf der 'Schwarzarbeit' kein Neuling ist, zweifelte der Riese überhaupt nicht. Koljka war während der Anwesenheit allerlei Vorgesetzten fleißig, ohne sie - zog er den "Dudelsack". Mit den Kollegen ging er sehr trocken um, sogar ohne Lust. Über sich erzählte er nichts und niemandem. Er unterschied sich von den anderen dadurch, dass er immer nach Alkohol roch. Der Riese wandte zuerst seine Nase von ihm ab, aber später hatte er sich gewöhnt daran. Der Flüchtige selbst kam zu Arbeit immer nüchtern. Die Zwangsarbeit war für ihn nicht nur die Quelle der Existenz, sondern gab auch Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Die enge Bekanntschaft des Fahnenflüchtigen mit dem ehemaligen Landsmann begann drei Stunden vor Einbruch des Neuen Jahres, aus der Arbeit heraus. Die zwei letzten Dezembertage arbeiteten die fünf "Schwarzen" bei einer alten Deutschen auf dem Bau einer Garage. Die alte Frau, trotz der Bedeutung der religiösen Feiertage, bat den Chef unter Tränen, den lange dauernden Bau im alten Jahr noch zu beenden. Zwei Russen und drei Polen arbeiteten gewissenhaft, das Objekt leitete der Chef höchstpersönlich. Nachmittags stand der neue "Honda" der Besitzerin der dreigeschossigen Villa in der neuen Garage. Vor Freude tanzte die Deutsche beinahe. Bald hatten sie und der Chef sich ins Haus zurückgezogen. Die Arbeiter setzten sich auf eine Bank in der Nähe vom Eingang in die Villa. Keiner von ihnen bezweifelte die Großzügigkeit der glücklichen Millionärin vor Silvester. Der Chef versprach, ausnahmsweise den Lohn an Ort und Stelle auszuzahlen.
  Die Zeit ging. Der Chef kam nicht mit dem Geld. Die Arbeiter fingen an nervös zu werden, einige zogen an ihren Zigaretten. Es verging noch eine halbe Stunde. Plötzlich fuhr Tigran vor der Villa vor und stürzte sich mit Volldampf ins Haus. Von dort kam er nach etwa zehn Minuten heraus und eilte sofort zu seinem Team. Es war unmöglich ihn zu erkennen, sein Gesicht war schwarz, seine Hände zitterten. Stotternd schrie er besorgt russisch:
  - Also, International, lauf zu Besichtigung, jetzt wird der Chef abrechnen... Seine Schnauze sieht schlimmer als bei einem Affen aus... Ich habe ihn so schon seit Langem nicht mehr gesehen...
  Ein paar Minuten später stand die internationale Gruppe zwei Metern von der Garage entfernt, jeder schielte auf die Eingangstür der Villa. Niemand kam aus ihr heraus. Der Vorarbeiter konnte es nicht ertragen und ging ins Haus. Er kam wütender denn je zurück. Alexanders Herz schlug unruhig, auf der Stirn trat Schweiß aus. Er spürte, dass etwas nicht in Ordnung war und irrte sich auch nicht darin. Kaum schloss sich die Tür des Haupteingangs hinter Tigran, ging er zu erstklassigen russischen Flüchen über, die aller Wahrscheinlichkeit im Besitz der reichen Alten nach Ende des Zweiten Weltkriegs zum ersten Mal erklangen. Diese Flüche verstanden auch die Polen, von den Russen ganz zu schweigen. Nachdem der Armenier den Vorrat seiner Flüche verbraucht hatte, erklärte er die Gründe für all das, was passiert war. Während der Arbeiten war aus dem Keller der Deutschen einen ganzer Kasten eines teuren Weines nach zehnjährigem Aufbewahren verschwunden. Die Alte wollte mit dem Wein ihre Verwandten anlässlich des Kaufs eines neuen Autos und des Baus der neuen Garage verwöhnen. Jetzt beschuldigte sie die Bauarbeiter für dessen Verschwinden, der Chef widersetzte sich dem vehement. Er redete eine ganze Stunde auf die Alte ein, um die Ehrlichkeit seiner Sklaven und das Ansehen seiner Firma zu beweisen. Ihm tat es Leid seinen "Gewinn" zu verlieren, den "Schwarzarbeiter" einen Bonus zu gewähren, beabsichtigte er schon nicht mehr.
  Herr Ottke, der ehemalige Inhaber von einem kleinen Laden in sozialistischem Deutschland, ahnte von einem kläglichen Ausgang des Treffens, beschloss, sich nicht schmutzig mit dem 'International' Team zu machen und rief den Vorarbeiter an. Der junge Armenier passte dem Deutschen trotz der Tatsache, dass er ziemlich schlecht deutsch sprach. Die Lücken kompensierte der Chef selbst, der einst Russisch in der Schule hatte. Tigran war für ihn der Hauptlieferant der kostenlosen Arbeitskraft. Der Vorarbeiter forderte auch nicht zu viel Geld für sich selbst...
  Der Streit zwischen dem Vorgesetzten und der Alten dauerte an. Draußen brach die Dämmerung ein. Die Alte hatte sich entschieden alles zu verwenden, um die 'Schwarzarbeiter' im vollsten Sinne des Wortes abzuzocken. Sarkisjan kehrte immer wieder ins Haus der Besitzerin zurück und argumentierte manchmal bis zur Heiserkeit gegenüber dem Chef und der Deutschen über eine Nichtbeteiligung seiner Mündel an der Weinübeltat. Die Frau weigerte sich die Dieben zu bezahlen, niemand von den Beschäftigten zählte sich zu diesen. Alle zusammen und jeder Einzelnen waren empört über die Verleumdung durch die schizophrene Alte. Niemand ging weg und fuhr ab, alle warteten auf das Geld. Man weiß nicht, wie lange es sich noch hingezogen hätte, wenn nicht die Lebenserfahrung und die Fassungsgabe des Vorarbeiters wären. Er ließ die Untergebenen aufstellen und roch an jedem sorgfältig. Als Verletzer der Arbeitsdisziplin erwies sich Nikola, der erst vor kurzem der alten deutsche Hure gedroht hatte, ihr die Schnauze für die Verleumdung seiner Mitmenschen zu polieren. Der Aussiedler fing nicht an, dem Vorarbeiter und den Kollegen etwas zu beweisen, er stürzte sofort in die Villa.
  Alle warteten mit Spannung auf den Ausgang, jener war von etwa zwanzig Minuten hineingegabgen. "Der Schwarzarbeiter" kam aus dem Haus rot, wie ein Krebs, heraus, aber er kam freudig heraus. Zu seinen Mitmenschen ging er nicht, er setzte sich in den Wagen und fuhr in unbekannte Richtung. Bald erschien auch der Chef persönlich. Alexander hatte sich in seinen Berechnungen stark geirrt, er bekam nur die Hälfte. Laut Tigran musste man den Löwenanteil des erwarteten Geldes für die Begleichung des materiellen Schadens zurückgeben.
  Bis zum Einbruch des neuen Jahres blieben paar Stunden. Kusnezow, sehr müde und wütend, schleppte sich entlang der Autobahn. Den letzten Linienbus hatte er verpasst Bis zum Dorf, wo er im Stall wohntre, waren es etwa siebzig Kilometer. Die Hoffnung, ein vorbeifahrendes Auto zu stoppen, verlor er mit jeder Minute immer mehr, keiner von den Fahrern zeigte Interesse für den großen Mann. In der Nähe einer Kurve beschloss der Reisende sich auszuruhen. Nicht weit vom Straßenrand sah er ein kleinen Tisch und ein paar Bänkchen, eine Art Lager für Autofahrer. Hier parkte auch ein Auto mit leuchtenden Standlichtern. Irgendwelches Interesse für den Wagen zeigte der Riese nicht. Es wurde immer kälter. Dann fing ein Nieselregen mit Schnee plötzlich an. Die Arbeitskleidung des Flüchtigen wurde sofort nass. Er stand von der Bank auf und begann, um sie herum zu laufen, und wärmte sich dabei ein wenig auf. Bevor er sich auf den Weg machte, ging er in ein Wäldchen, um seinem Bedürfnis nachzukommen. Danach beschloss er zum Auto zu gehen, die Hoffnung mit jemandem mitzufahren, hatte er immer noch nicht ganz aufgegeben. Er ging zum Auto und vor Freude schrie er beinahe auf. Der alte graue "Mers" gehörte dem Aussiedler Nikolaj. Die Zweifel verschwanden, kaum dass er die Tür öffnete. Auf das Erscheinen des Bekannten reagierte der Fahrer nicht. Er schlief, dabei schlief sehr fest.
   Alexander schaute auf die Uhr, sie zeigten zwanzig vor zehn abends. Er hatte sofort den Wunsch, auf das neue Jahr anzustoßen, Gesellschaft darin konnte ihm sein Kollege leisten. Kusnezow begann, den Fahrer zu wecken, den musste man nicht lange schütteln. Der Aussiedler reagierte sehr ruhig auf das Erscheinen "des Schwarzarbeiters". Ins Dorf zu fahren und im Stall zu feiern hatte er abgelehnt. Sein Gegenangebot, zu ihm zu fahren und echt gut zu feiern, nahm Alexander gern an. Unterwegs redeten die jungen Männer viel. Das Schlafen im Auto erklärte der Fahrer so, dass er sich vom Stress ein wenig erholen wollte, den ihm die alte Deutsche aufgedrängt hatte. Er hatte auch vor der Polizei Angst, die die Liebhaber von Alkohol grausam bestrafte.
  Nikolaj Genscher lebte im Dorf Suten, das sich bei dem kleinen Städtchen befand, wo die jungen Männer gerade 'schwarz' gearbeitet hatten. Nach der Ankunft begannen sie sofort, sich den Schmutz und Schweißgeruch abzuwaschen. Besonders bemühte sich Alexander, der unter der Dusche vor Vergnügen wild schrie. Er, in den Bademantel des Hausherrn gekleidet, fing an, nach dem Duschen die Gemächer des jungen Aussiedlers anzuschauen. Sie waren königlich im Vergleich zu seinem Häuschen in Neidjonowka, mit ihnen konnte auch die Wohnung von Frau Bethke nicht konkurrieren. Nikolaj wohnte in einem großen Haus im Erdgeschoß, im zweiten Stock lebten seine Eltern. Dem Gast gefielen nicht nur die moderne Möbel, sondern auch die große Toilette.
  Die Silvesterfeier bei dem Freund war wunderbar. Sie sprachen sehr oft Toaste aus unter Berücksichtigung der Zeitzonen des ganzen Planeten. Sie tranken Champagner, Wodka und Wein der reichen Deutschen. Der Riese hatte ziemlich dunkle Vorstellung von Weinen, aber trank ziemlich viel... Die Saufparty dauerte bis zum späten Morgen, die "Schwarzfreunde" hatten sich bis zum Anschlag betrunken und vollgestopft. Der Gast war mehr mit dem Essen beschäftigt, der Hausherr mehr mit Alkohol. Als Zeremonienmeister am Tisch war Nikolaj. Sein Freund schwieg aus irgendeinem Grund immer. Trotz des herzlichen Empfangs blieb Genscher für den flüchtigen Soldaten ein ziemlich geheimnisvolles Wesen. Ein Grund des Misstrauens zu ihm war sein Diebstahl bei der Alten, wegen dem jeder "Schwarzarbeiter" ein paar Dutzende D-Mark verloren hatte. Der Riese brauchte dieses Geld dringend. Jetzt hatte er etwa Tausend D-Mark, hier bedeutete so viel Geld nichts. Je länger die Freunde am Tisch saßen, desto mehr erfuhr der Gast vom Leben des jungen Hausherres der schönen Wohnung... Die Familie Genschers kam in die historische Heimat der Vorfahren ein Jahr nach dem Fall der Mauer, sie fuhr hierher mit großen Hoffnungen auf eine bessere Zukunft. Im Übergangslager bekamen die Aussiedler Geld und nicht wenig, der Jubel hatte keine Grenze. In Kasachstan hatten sie so viel Geld im ganzen Leben nicht in den Händen gehalten. Nach einem halben Jahr hatten sie sich eingerichtet und eingelebt. Nikolaj und seine Frau Valentina bekamen Arbeit, Tochter Oksana und Sohn Wowka gingen zur Schule. Der reichliche und glückliche Anfang ihrer Kinder und Enkel freute auch die Eltern des jüngeren Genschers. Die Alten erhielten in Deutschland eine anständige Rente. Schon nach einem halben Jahr beschlossen sie auf dem Familienrat, einen Kredit aufzunehmen und ein Haus für zwei Eigentümer zu kaufen, entschieden und machten es. Den Kredit bekamen sie ohne Probleme, ohne Probleme kauften sie auch ein Haus. Die Eltern gaben ihre Rente, um den Kredit zurückzuzahlen, der Sohn mit der Ehefrau zahlten die Lebensunterhaltskosten.
  Es blieb Geld auch für anderes. Junior Genscher und seine Frau hatten es geschafft, in zwei Jahren fünf Länder der Welt zu besuchen, und in der gleichen Zeit kauften sie zwei Autos. Nikolaj hatte den Wagen nur fürs Prestige nötig, er arbeitete einen Katzensprung von seinem Haus entfernt. Das eiserne Pferd seiner Ehefrau zu kaufen, zwang sie die Notwendigkeit. Valentina arbeitete dreißig Kilometern von Suten entfernt. Aus diesem Grund kochte der junge Mann sehr oft selbst, bereitete das Essen zur Freude seiner Eltern und seiner geliebten Frau. In der schönen Villa für zwei Familien herrschten Frieden, Ruhe und Glück...
  Ein Jahr später suchte die große Familie ein Unglück heim, das die Frau Nikolajs, die Russin Valentina, verursacht hatte. In der historischen Heimat der Vorfahren des Mannes traf sie ihre erste Liebe Wladimir. Mit ihm studierte sie einst an der Landwirtschafthochschule. Die jungen Leute fuhren zusammen durchs Land, bauten zusammen Viehzuchtkomplexe auf und ihre freie Zeit verbrachten sie auch zusammen. Einmal waren sie im Freien in den Ozean der Liebe eingetaucht... Zum vergangenen neuen Jahr war Valentina nicht an den allgemeinen Festtagtisch der Familie Genschers gekommen, obwohl sie versprach, da zu sein. Sie war mit den Kindern schon seit einer Woche bei ihrer Freundin in München. Ihr Mann fand keine Ruhe. Er rief ihre Freundin fast jede Stunde an, niemand nahm den Hörer ab. Es verging ein Tag, auch der zweite Tag verging und es verging eine Woche... Er rief wieder und wieder an, das Telefon war still. Vor Hoffnungslosigkeit betrank sich der unermüdliche Arbeiter und der sorgsame Mann stark, betrank sich bis zum geht nicht mehr. Die Eltern riefen einen Krankenwagen. Valentina erschien im Hause Genschers nie wieder. Viel später drangen durch Bekannte zu Koljka Gerüchte, aller Wahrscheinlichkeit nach waren es wahre Gerüchte.
  Seine geliebte Frau hatte schon seit Langem eine Affäre mit einem ehemaligen Kommilitonen, der fünf Jahre früher hierher angekommen war. Der jüngere Genscher konnte bis jetzt nicht verstehen, wieso ihn diese russische Bestie verlassen hatte...
  Der Alkohol veranlasste den Gastgeber immer mehr und mehr zu einem offenen Gespräch. Er aß sehr wenig, aber trank immer mehr. Der Gast hatte Angst davor, dass sein Freund überhaupt "verbrennen" konnte, er stellte sein Glas ziemlich oft zur Seitet. Nikolaj ärgerte darüber sich nicht, er stand ruhig vom Tisch auf und ging zum Kühlschrank. Nach einer Weile brachte er eine neue Flasche, setzte sich an den Tisch und öffnete sie. Der Flüchtige war machtlos, etwas mit dem Mann zu machen. Bevor Sie zu Bett gingen, bot der Hausherr dem Riesen an, noch eine letzte auszutrinken. Er schaute mit betrunkenen Augen den Gast an und sagte mit einem Seufzer:
  - Du weißt, Sanek, sogar nicht, woran mein Glück, unser menschliches Glück liegt... Ich dachte, dass ich jetzt hier alles habe... Und in meiner Heimat Seliwanowka lebte ich auch ohne Probleme... In unserem Tobol gab es Fische unheimlich viel, die konnte man mit den Slips fangen...
  Für eine Weile wurde der Betrunkene still. Dann setzte er mit Tränen in den Augen fort:
  - Ich saß, Brüderchen, nicht in Moskau... Ich drehte mein ganzes Leben das Lenkrad und stahl etwas... Weil die Kommunisten auch selbst stahlen, erlaubten sie es auch den einfachen Sterblichen... Und hier ist für mich das Ende, hier wird sogar die Luft verkauft...
  Der betrunkene Gast reagierte schon nicht mehr auf die traurigen Gespräche des Gastgebers. Er schaute nur sehr aufmerksam sein Gesicht an und weinte. Der Kopf des Aussiedlers verschwand vor seinem Blick aus irgendeinem Grund und danach verdoppelte er sich... Der erste Tag des eingetretenen Jahres unterschied sich für die Zugewanderter aus ehemaliger Sowjetunion wenig vom vorherigen. Nachdem sie wach waren, setzten sie sich wieder an den Tisch, dann gingen sie wieder schlafen.
  Erst am dritten Tag hatten die Freunde ein menschliches Aussehen angenommen, aber noch nicht vollständig.
  Der ältere Genscher bemerkte seinen betrunkenen Sohn und seinen neuen Kumpel sofort, als er den Hof betrat. Das alte Paar feierte das Neujahr im benachbarten Dorf bei den alten Bekannten, auch Aussiedlern. Die Eheleute fühlten sofort, dass etwas in ihrem Haus nicht stimmt. Als erste 'brauste' der Mann auf. Der ehemalige Geografielehrer vermied große Menschen, sie schienen ihm dumm und nicht anständig zu sein. Der Mitbesitzer der Villa sprang wie ein Geier zum Fremden und schrie mit Speichel auf den Lippen:
  - Junger Mann, ist dir nicht peinlich, in meinem Haus zu saufen? Oder hast du keine Familie? Du solltest in Russland sitzen und faulenzen... Ich werde jetzt die Polizei alarmieren, sie wird dich sofort mitnehmen...
  Das Erscheinen des alten Menschen im Hof seines Freundes traf den betrunkenen Riesen genauso so unerwartet, wie auch seine beleidigende Bemerkung. In seiner Heimat Neidjonowka hätte er mit diesem Alten anders gesprochen, er hatte auch jetzt nicht dagegen, seine Fäuste zu gebrauchen... Jedoch wirkte die Erwähnung der Polizei auf den Flüchtigen schnell und ernüchternd. In diesem Land war nicht nur kein Spätaussiedler, sondern sogar auch ein Militärfahnenflüchtiger aus der ehemaligen westlichen Gruppe. Nach ähnlichen Parias konnte jeder Hoffnund kläffen. Kusnezow widersprach dem Mann nicht und verließ schnell den Hof. Das Dorf war wie ausgestorben, nichts und niemand bewegten sich. Nur an den Fenstern einiger Häuser hingen Festbeleuchtungen. Sein zielloses Taumeln über die Straßen dauerte nicht lange. Der Wunsch nach Wärme und häuslicher Gemütlichkeit zwangen ihn wieder, ins Haus der Genschers zu gehen. Die Tür im Hof wie auch in der Wohnung war nicht abgeschlossen.
  Der jüngere Genscher war schon über den Vorfall informiert. Als der Riese dazugekommen war und scheu die Tür öffnete, sprang er schnell hinter dem Tisch hervor, umarmte den zitternden Neuankömmling und schrie laut:
  - Hei, Sanek, nimm dir das alles nicht an. Mein Vorfahre erzog mich oft und bei mir lief alles, wie das Wasser von der Gans herunter. Lass uns lieber einen Wodka mit russischen Gurken und Pilzen zu uns nehmen... Ich mag Pilze sehr...
  Nach solch einer Einladung wurde der Gast mutig und wunderte sich selbst über seine Frechheit. Die wieder erscheinende Möglichkeit, umsonst zu trinken und zu fressen, beschloss er nicht zu verpassen. Nach wenigen Augenblicken saß Alexander, der neun Jahre jünger als der gastfreundliche Hausherr war, am Tisch. Die Freunde entspannten sich bis spät in die Nacht, entspannten sich gründlich, so wie es nur russische Menschen machen konnten...
  Mit den älteren Genschers fand der Flüchtige am nächsten Tag eine gemeinsame Sprache. Die Eltern seines Freundes, Onkel Wanja und Tante Marta, erwiesen sich in Wirklichkeit nicht als solche Spaßverderber. Er war sich seiner Schuld bewusst und ging von selbst zu ihnen und entschuldigte sich aufrichtig. Sie nahnen seine Entschuldigung auch verständnisvoll an und luden den betrunkenen Kerl zu Tisch ein. Sofort begann ein Gespräch. Die Alten öffneten als erste ihre Seelen und teilten ihm ihren Schmerz mit. Sie klagten einstimmig über den nichtsnutzigen Sohn, den man wegen Trunksucht aus der Lackfabrik entlassen hatte. Die Familie bekam sofort Probleme mit dem Kredit. Die Eltern flehten zum Gott, dass er ihrem Sohn eine anständige Frau schicke.
  Auch der Freund des jüngeren Genscher teilte den Alten etwas mit. Als sie erfahren hatten, dass ein junger Mann hierher aus der Ukraine gekommen war, um etwas zu verdienen, boten Iwan und Marta in einstimmig dem Waisen an, beim Sohn zu wohnen.
  Er konnte bis zum Ende des Visums, fast ein halbes Jahr, bleiben. Die Aussiedler interessierten weder Ausländepass noch andere Dokumente des neuen Bekannten. Sie glaubten diesem Jungen, er war für sie wie ein Verwandter, ein sowjetischer Mensch. In der Ersten Nacht des rechtmäßigen Aufenthaltes im Haus des Genschers schlief der Riese lange nicht. Er wälzte sich die ganze Zeit herum, die süßen Gedanken verschwanden nicht aus seinem Kopf. In seine Seele konnte auch für ein halbes Jahr eine einfache menschliche Ruhe einziehen. Am Morgen teilte Koljka dem Touristen, bei dem nach einer Woche alles wie am Schnürchen lief, ein Zimmer zu.
  Der Aussiedler und der Flüchtige spannten sich richtig in die Arbeit, arbeiteten an Tigrans Aufträgen. Für die schwere körperliche Arbeit bekamen sie nicht viel. Ausfälle und freie Tage gab es bei ihnen fast nicht. So eine Arbeitsorganisation der Arbeit gefiel dem Touristen vollkommen, Nikolaj fluchte manchmal über den Mobbing des Deutschen. Er unternahm selbst ziemlich oft Versuche, einen festen Arbeitsplatz zu finden, um ein paar Mark mehr zu verdienen. 'Die Arbeitstränen' eines Fahrers, Schlossers, Klempners und Maurers nutzten nichts, weil er diese Berufe noch in ehemaliger Sowjetunion erlernt hatte. Keine Ruhe gab ihm auch das Arbeitsamt, das fast jede Woche ihm einige Unterlage schickte oder anrief. Die Arbeit, die von den Beamten angeboten wurde, machte den jungen Mann nicht glücklich. Er wollte nicht die Kippen auf den Straßen aufsammeln oder in irgendwelchem Lager Äpfel sortieren. Der Deutsche aus Kasachstan ärgerte sich sehr, wenn ihm, dem Spezialisten, man wesentlich weniger zahlte, als denen die deutsche Ausbildung hatten und viel schlechter arbeiteten. Der junge "Ukrainer" hatte ganz andere Probleme. Diplome und Berufsabschlusse wie sein Freund hatte er nicht. Und alles, was er einst in der Fachschule gelernt hatte, hatte er ganz vergessen. Alexander war bei allen Arbeiten immer nur ein Hilfsarbeiter. Um Ziegel zu schleppen oder mit der Schaufel Gruben zu graben, war ein großer Verstand und großen Fähigkeit nicht erforderlich. Wegen seines Kopfes und seiner Hände war er nicht beleidigt, wie er auch nicht das gesetzlich höhere Einkommen seines Freundes Übel nahm. Zugleich beneidete er ihn sehr. Nikolaj hatte eine schöne Wohnung und konnte legal in diesem Land leben und arbeiten. Zuverlässige Zuflucht für ihn waren auch seine Eltern. Je länger der Riese mit dem Kollegen wohnte und kommunizierte, desto mehr überzeugte er sich von seiner Anständigkeit. Er bezweifelte schon überhaupt nicht mehr, dass der Aussiedler nicht lange allein bleiben wird und eine Freundin fürs Leben finden würde. Abends lachten die Männer sehr oft über die Anzeigen, die in der russischsprachigen Zeitung "Semljaki" veröffentlicht wurden. Die Zahl der Frauen, die sich nach den Männern sehnten, übertraf manchmal das Vielfache der Zahl derer, die Vertreterinnen des schwachen Geschlechtes suchten. Der jüngere Genscher rief in der Regel die Bräute nur am Wochenende und "unter dem Gas' an. Jene baten noch einmal anzurufen, einige verabredeten sich für ein Treffen. Am Morgen vergaß der Frauensucher es schon. Den Wunsch, eine Freundin fürs Leben zu finden entstand auch bei dem Flüchtigen, entstand mehrfach. Jedoch unternahm er dafür nichts, versuchte es nicht einmal. In diesem Land war er ein Gesetzloser. Seine Geheimnisse und Probleme und auch seine Träume teilte er, wie auch früher, niemals und niemandem mit. Alles bewahrte er streng gehütet, jedoch er irrte sich...
  In einem Sonntag beschlossen die Freunde, einen Saunabesuch zu machen. Nikolaj bewunderte oft die 'nackte' Welt ihrer Besucher. Der Tourist aus der Ukraine brannte auch vom Wunsch, sich das anzusehen und gründlich aufzuwärmen und durchzuschwitzen. Er eroberte sich allmählich das paradiesische Leben des Landes und wollte die Freude der Menschen immer mehr und mehr auskosten. Die Sauna befand sich in der Kreisstadt, das Eintrittsticket kostete ziemlich viel. Als Saunaführer war der jüngere Genscher, der ununterbrochen plapperte dem Freund über die Wunder der finnischen Sauna und lobte den Aufgiesser, der so geschickt den Schweiß "heraustreiben" konnte. Alexander benahm sich unter den nackten Frauen und Männern zuerst sehr scheu, später verschwand allmählich die Peinlichkeit, mit jeder Minute mehr. Er verließ immer öfter und öfter seinen Freund, der die ganze Zeit im Schwitzbad saß, und spazierte selbst wie ein Gockel durch die geräumige Halle. Der ehemalige Bewohner des Dorfes Neidjonowka, den Gott mit einem Gesicht und einer Figur belohnt hatte, die man in der menschlichen Welt Schönheit nennt, trat mehrmals an den großen Spiegel heran und bewunderte sich erzwungen. Das Gottesgeschenk bewirkt beim Nackten nicht nur Mut, sondern auch Frechheit. Von der Empfindung der übermenschlichen Demokratie und des Überflusses von Frauen wurde er in einigen Momenten unruhig. Er warf sich auf eine Liege, schloss die Augen und tauchte sofort in philosophische Überlegungen. Er hatte keine Zweifel. Das Bild der ehemaligen sowjetischen Supermacht verblasste vor all dem, was ihr ehemaliger Bürger, der flüchtige Soldat, jetzt sah und fühlte. Sein gesunder Körper, wie es ihm schien, wurde vor der lange Angst, Demütigung und Qualen, die er in der ganze Zeit erleben musste, ein für alle Mal gereinigt. Freudetränen flossen gezwungenermaßen aus den Augen des Riesen, er wollte eine ganze Ewigkeit glücklich sein...
  Nach einer Weile fiel er wieder auf die sündhafte Erde herab und öffnete die Augen. Um ihn herum war alles auch paradiesisch. Die nackten Frauen vor seinen Augen wärmten, wie mit Absicht, seine "Männerlust' auf. Unter den Vertreterinnen des schönen Geschlechts fand er sehr viele nach seinem Geschmack. Um "die Kampflage" seines Penis zu vermeiden, schob der Riese das Handtuch tiefer unter den Bauch und band es mit ganzer Kraft zu. In 'gebundenem' Zustand lag er ziemlich lange, bis sich alles in ihm beruhigt hatte. Dann erhob er sich von der Liege und lief zum Dampfbad. Seine Besucher unterschiedlichen Alters, Geschlechts und der Hautfarbe gefielen dem Touristen immer mehr und mehr. Er zweifelte überhaupt nicht daran, dass unter ihnen es keine Fahnenflüchtigen der Sowjetischen Armee gab. Es erfreute und erschreckte ihn gleichzeitig.
  Die Freunde kamen zum Parkplatz erst am Abend. Nikolaj startete den Motor und rollte auf die Straße. Nach etwa hundert Meter erschien vor ihm plötzlich ein Polizeiauto, die blinkende Leuchtanzeige bat ihn anzuhalten. Er trat mit einem verwunderten Gesicht schnell auf die Bremsen. Er konnte immer noch nicht den Grund des erzwungenen Anhaltens verstehen. Den ganzen Tag hatte er in seinem Mund keinen Tropfen Alkohol, besonders nicht vor dem Saunabesuch. Ein Polizist näherte sich dem Auto und verlangte seinen Führerschein. Genscher setzte ein Pflichtlächeln auf und reichte höflich die Dokumente. Der Offizier überprüfte sorgfältig den Führerschein und schaute aufmerksam den Fahrer hinter dem Steuer an. Dann bat er ihn aus dem Auto auszusteigen.
  Danach entfernten sich die zwei Männer zum Wagen mit den Blinkern. Worüber sie gesprochen hatten wusste der Flüchtige nicht. Während des Aufenthaltes im Haus des Genschers hatte er sich überzeugt, dass sie alle sehr gut deutsch sprachen. Die tatsächliche Kenntnis der Sprache konnte der Tourist aus offensichtlichem Grund nicht beurteilen.
  Nikolaj kehrte zehn Minuten später zurück. Alexander bemerkte sofort, dass sein Freund aufgeregt war. Der jüngere Genscher schwieg den ganzen Weg nach Hause, es schwieg auch der Flüchtige. Er gingen ihm dutzende Varianten durch den Kopf, die die Stimmung des Aussiedlers hätten verderben können. Morgens und in der Sauna war es bei ihm 'alles OK'. Koljka erfüllte die Pflichten des Saunaführers ausgezeichnet, manchmal scherzte er sogar, wenn er um sich die nackten schönen Frauen sah. Jetzt aber sah er aus, als ob jemand ihn am Kopf mit etwas Schwerem getroffen hatte.
  Koljka "öffnete" sich erst am späten Abend, nachdem er sich ein 'Einlauf' erlaubte, ein volles Glas Wodka getrunken hatte. Der Mieter reagierte eindeutig auf die schädliche Gewohnheit des Hausherrn. Er machte sofort ein ernstes Gesicht und räumte "das Gefäß" vom Tisch ab, was "das Ende der Sauferei' bedeutete. Früher tat er es auch ohne jegliche Probleme. Er hatte den Alten sein Wort gegeben, ihren Sohn auf den richtigen Weg zu bringen. Der jüngere Genscher wusste das sehr gut. Diesmal war er bereit, in das Gesicht dessen zu schlagen, wer beabsichtigte ihm das Trinken zu verbieten. Er packte plötzlich den großen Mann an der Hand und sagte hasserfüllt:
   - Du, unverständlicher Riese... Danke dem Gott, dass heute dich die Polizei nicht gefasst hattee. Sie suchten ein verschwundenes Auto, meine Nummer unterschied sich vom dessen Kennzeichen nur in der letzten Zahl... Und das erschreckte mich nicht, mein Pass und der Wagen sind in Ordnung.... Der hochrangige Polizist wollte deine Dokumente überprüfen, es ist noch gut gegangen, weil ihn jemand übers Funkgerät angerufen hatte... Für dich konnte mit einem Schlag das Ende kommen, mich hätten sie auch nicht verschont...
  Der Gesichtsausdruck und die Informationen Nikolajs haben wie ein Pfeil das Herz und die Seele des Mieters durchbohrt. Er setzte sich auf einen Stuhl, griff mit seiner Hand am Rand des Tisches und ist erstarrt, wie ein Kinderschreck. Es schwieg auch der Hausherr, der aus irgendeinem Grund gleichgültig an die Decke sah, als ob dort ihm jemand ein Rezept für die Rettung des flüchtigen Soldaten schrieb. Das lange Schweigen der lebendigen Quelle der Schuld brachte schließlich den jüngeren Genscher aus der Fassung. Er stand schnell auf und goss sich ein Glas Wodka ein, fast maschinell hatte er aus der Dose eine große Gurke herausgezogen. Dann schloss er die Augen und kippte den Inhalt des Glases sich in den Mund...
  Kusnezow sah mit den Tränen in den Augen seinen Freund an, er erkannte ihn jetzt nicht. Nach ein paar Augenblicken hat sich der Mund des Alkoholikers geöffnet und dass, was er sagte, 'tötete' den Riesen auf dem Platz:
  - Du, Schütze Kusnezow Alexander Nikolajewitsch... Wieso betäubst du mein Gehirn? Ich weiß doch, wer du bist und wer du warst erst vor drei Jahren... Deine erfundenen Geschichten kannst du an die Ohren meinen Alten hängen, sie sind sehr zutrauliche Menschen... Ich habe dich noch im vorigen Jahr durchschaut... Bei den Touristen zitterten beim Anblick der Polizeiwagen die Hände nicht. Und du, so groß und stark, pisst immer in die Hosen, es bedeutet, dass du viel Sünden geschaffen hast...
  Die letzte Bosheit des Hausherrn machte den Riesen wütend. Er hat ohne lange nachzudenken den niedrigen und mageren Mann mit der ganzen Kraft ins Kinn geschlagen. Der Schlag hat sich sehr mächtig und sehr heftig ergeben. Der ehemalige Boxer bezweifelte nicht, dass von diesem Schlag sein Ernährer und Retter ein paar Wochen sich erholen würde, nicht weniger. Er selbst fühlte immer noch den Schlag des Hauptmannes Makarows.
  In dieser Nacht schlief der Mieter nicht, ihm war es nicht nach schlafen. Sein Gewissen nagt an ihm, er bedauerte sehr, dass er so widerlich zu seinem Freund war. Koljka hat für ihn sehr viel gemacht. Er verurteilte jetzt ihn schon überhaupt nicht dafür, dass er seine Nase in die Dokumente des Mieters gesteckt hat. Der Riese hätte auch selbst so gehandelt. Der weitere Aufenthalt des Touristen im Haus hängte jetzt von dem ab, der ohne Bewegung im Bett lag. Aus Angst um das Leben seines Freundes und seine Zukunft betrat er mehrmals Nikolajs Zimmer und tastete seinen Puls ab. Alles war normal.
  Der Hausherr ist frühmorgens aufgewacht und war etwas verwundert, als er vor sich die finstere "Fratze" des Touristen sah. Genscher Junior warf ein Blick auf den Leidenden, stand vom Bett auf und fing an heftig mit den Händen den linken Wangenknochen zu reiben. Dann sagte er mit Sarkasmus:
  - So 'züchte' diese russischen Schweine, du wirst sie doch niemals zufriedenstellen... Du Grünschnabel verstehst noch nicht, in welche Schwierigkeiten du meine Alten bringst... Sie erlitten sehr viel Kummer unter dem sowjetischen Regime, und hier ist für sie auch kein Honig...
   Nach einigem Nachdenken murmelte er wieder sich unter die Nase:
  - Übrigens, ich bin auch ein Mensch und will leben, aber nicht so, wie du... Ich, zum Beispiel, möchte in meine Heimat nach Kasachstan fahren und sich eine Braut mitbringen... Wegen dir, Scheintouristen, möchte ich nicht bei den Behörden in den Computer kommen... Mir ist es genug, dass man uns fünf Jahre prüfte um hierher zu kommen und noch mit dem Maulkorb zu starten...
  Der Scheintouriste antwortete auf den belehrenden Monolog des Hausherrn nichts, er stand und schwieg. Nikolaj 'weichte' nur gegen Abend auf und jenes nach der Entschuldigung des nicht stattfindenden Meisters der Division im Boxen. Nach der Versöhnung sind die Männer in den Wald spazieren gegangen. Während des langen Spaziergangs hat der Flüchtige nicht nur die frische Luft geatmet, sondern ist auch dazugekommen etwas sich hinter die Ohren zu 'schreiben'. Sein Gehirn saugte eifrig alles auf, was sein Freund sagte. Koljka warf ziemlich oft sein Kopf zurück und richtete sein Blick auf die Physiognomie des Beleidigers. In den Augen des Riesen herrschten Trauer und Hoffnungslosigkeit. Es bedeutete für ihn, dass sein Mieter wieder heuchelt. In der ganzen Zeit des Spaziergangs bekam der Riese vom älteren Genossen keine lebenswichtigen Belehrungen, gaben sie ihm auch die Alten Genschers nicht. Sie bemerkten fast sofort die Veränderung der Beziehungen zwischen ihrem Sohn und dem schönen Burschen aus der Ukraine. Die Versuche der älteren Menschen etwas über das Geschehen herauszufinden scheiterten.
  Der Sohn schwieg und lachte geheimnisvoll. Der Tourist beruhigte ernst Onkel Ivan und Tante Marta, und versicherte ihnen, dass nichts passiert sei. Bald haben sich die Alten endgültig beruhigt, weiter ging tatsächlich alles gut. Die Freunde bemühten sich über das Treffen mit der Polizei niemals mehr zu sprechen. Wenn es mal bis zu Streitigkeit kam, so wischten sie ihre schmutzige Wäsche nicht in der Öffentlichkeit. Sie fürchteten die schwache Gesundheit der Alten zu verschlimmern. Besonders kränkelte die Mutter von Nikolaj, die drei Operationen hinter sich hatte.
  Für die politische und lebenswichtige Aufklärung empfahl der jüngeren Genscher seinem Freund den Aussiedler Friedrich zu besuchen, der bei seinen Landsleuten öfter zu Besuch war. Alexander hat er empfohlen über seine "Biografie" den Mund zu halten.
  Friedrich Schmidt war in der historischen Heimat der Vorfahren fast ein Ureinwohner, er kam noch in den frühen siebziger Jahren hierher. Zurzeit wohnte er in einer sozialen Wohnung zusammen mit seiner Frau. Sie waren immer und überall zusammen, wie die Nadel mit dem Faden. Das Erwerbsleben hatten sie in Sibirien begonnen, unterrichteten Mathematik an der gleichen Universität. Sie hatten keine Kinder, es legte einen bestimmten Abdruck auf ihr Leben ab, vielleicht auch nicht. Außerhalb den Wänden des Institutes unterschieden sich die Interessen der Eheleute, und dabei sehr stark. Der parteilose Chef der Familie stieß sich in seiner freien Zeit in die Politik, seine Hälfte lief über die Feldern und Wäldern auf der Suche nach den vielfältigen Schmetterlingen. Jeder von ihnen glaubte, dass nur seine Leidenschaft wichtig und notwendig sei, die Begeisterung des Anderen wurde nicht berücksichtigt. Die Hobbys führten nicht selten zu den familiären Streiten. Die einander liebenden Menschen verließen auf eine Weile das allgemeine Sofa und gingen in verschiedene Ecken der Ein-Zimmer-Wohnung zu schlafen. Die Launen der zwei Klugen brachten sie gleichzeitig auch zusammen. Der Ort der Annäherung war die kleine Küche, wo jeder mit seinen Hobbys beschäftigt war. Der Mathematiker las sehr aufmerksam seine Zeitungen und Zeitschriften, die Mathematikerin betrachtete mit großem Interesse den nächsten Unbekannten von den Schmetterlingen. Stammgast in der Küche war der Mann, und es war kein Zufall. Das Hobby der Frau war sehr kurz, nur während des Urlaubes. Im Winter flogen in Sibirien keine Schmetterlinge. Die Politik für den gelehrten Mann blieb in jeder Jahreszeit, Tag und Nacht. Besonders viel 'durchzuarbeiten' hatte Friedrich nach den Parteitagen und Plenums des ZK der KPdSU, das Licht in der Küche brannte manchmal bis zum Morgen. Die Erprobung der Einheit der Parteipolitik und der Naturwissenschaft verwirklichte der Kurator auf den Studenten seiner Gruppe. Er sammelte seine Mündel in der Regel im Studentenwohnheim. Die Studenten ertragen seine "Schrulligkeit" standhaft, in Mathematik hatten sie ein Staatsexamen. Die Hochschulbehörden lobten einstimmig den jungen Assistenten, dann den Kandidaten der Wissenschaft, später den Dozenten für die Ergebenheit den Ideen der Partei. Allerdings solche "Maßstabe" passten ihm nicht.
  Eines Tages kam er in den Parteivorstand der Universität und bot seine Dienste an. Als Bestätigung seiner 'Kompetenz' brachte Friedrich Iwanowitsch ein dickes Heft, in dem die Materialien der Parteiverordnungen sehr gewissenhaft zusammengefasst waren. Nach dem ersten Besuch in der wichtigsten und weisen Parteiorganisation hat der Parteilose den ersten Parteiauftrag bekommen, er wurde als Helfer des Leiters der Gruppe für politische Arbeit ernannt. Bis zur Abreise in die historische Heimat seiner Vorfahren führte er diese Arbeit unter den jüngeren wissenschaftlichen und ingenieurtechnischen Mitarbeiter durch. Er unterrichtete sie sehr gewissenhaft, sogar zu sehr. Die Zuhörer der Gruppe beim Anblick "des roten" Deutschen zogen sich manchmal zurück. Die Gelehrsamkeit und umwerfende Grundsätzlichkeit des Helfers kostete dem Leiter der Gruppe seinen Posten. Der alte Professor, Doktor der historischen Wissenschaften wartete buchstäblich und im übertragenen Sinn auf die Rente, auf dem Lehrstuhl störte ihn niemand. Man hat ihn nicht nur wegen seinem Alter in Ruhe gelassen, sondern auch wegen seiner Wichtigkeit. Der alte Mann mit einem kleinen Rand von grauen Haaren auf den großen kahlen Stellen war eine echte Koryphäe der Geschichtswissenschaft und nicht nur in der Stadt mit vielen tausenden Einwohnern, sondern auch weit außerhalb ihrer Grenzen. Alles und jeder im Institut wusste über seine zahllosen Ehrenämter und "Mitgliedschaften". Wusste davon auch der Helfer des Leiters, der fast ein Jahr im Schatten des Professors ging. Später beschloss er sich 'zu zeigen' und es gelang ihm. Während einer heftigen Debatte in den Seminaren haben die Zuhörer der Gruppe den einfachen Angestellten bevorzugt. Danach ging Friedrich Iwanowitsch als Sieger nicht nur durch "das Plattenbau aus den 60-er Jahren", sondern auch durch die ganze Stadt. Die Ehefrau lachte über ihren Klugen, der immer noch die Sinnlosigkeit des Parteigeschwätzes nicht verstehen konnte...
  In Deutschland hat sich Herr Schmidt beruhigt, hat sich endgültig beruhigt. Der Grund dafür war nicht die Entfernung von Moskau oder Sibirien. Das Leben selbst befreite ihn von dem Schleier vor den Augen. Er hat verstanden, dass das vieljährige Geschwätz der sowjetischen Parteinomenklatur alles in allem nur eine Fiktion und Profanation war. Entfernte sich von ihrem Hobby auch die Dozentin Natalja Iwanowna. Auf den äußerst gepflegten Feldern Schmetterlinge zu fangen wurde für sie unpassend, und das Alter war schon nicht das gleiche. Die Alten vermissten auch die sibirischen Weiten nicht, ganz zu schweigen vom Wunsch in der großen Schlange für ein Stück stinkendes Fleisch zu stehen. Über das Leben in der ehemaligen Sowjetunion waren sie überhaupt nicht schlechter informiert, als diejenigen, die dort lebten. Die moderne Technik schafft echtes Wunder. Die historische Heimat beleidigte die älteren Leute nicht. Sie haben eine anständige Rente und eine schöne Wohnung und im Überfluss freie Zeit. Sie haben auch den bevorstehenden Tod nicht vergessen...
  Über das Erscheinen des hohen und schönen Waisen aus der Ukraine erfuhr das Ehepaar Schmidt von Genschers. Diese und andere begrüßten den Wunsch des Jungen etwas zu verdienen, um für sich was zu kaufen. Die Auswanderer waren aufrichtig aufgeregt, als sie über das Elend der ehemaligen Landsleute in dieser oder jener Republik der ehemaligen Sowjetunion erfuhren. Zur Ankunft des jungen Gastes sind die Kandidaten der Physik-mathematischen Wissenschaften sogar dazugekommen etwas für ihn zu tun.
  Sie besuchten Frau Stoffner, die im deutschen Roten Kreuz arbeitete. Sie unterschied sich durch eine besondere Anständigkeit, sie nahm sich zu Herzen alles Elend und Leid der Menschen unabhängig vom Alter und Kontinenten. Viele Einwohner wussten ihre dienstliche und private Telefonnummer. Sie riefen zu jeder Zeit sie an und boten Kleidung und Schuhe an. Die Deutsche hat die Bestellung von den Bekannten Aussiedler gern angenommen, niemand bezweifelte über die Notwendigkeit der besten Kleidung für den Waisen.
  Über den Besuch seines Freundes teilte Nikolaj den Schmidts am frühen Morgen mit. Das Treffen wurde für den Abend geplant. Die Alten, ob zu ihnen einen nächste Verwandte kam, waren fast den ganzen Tag mit den angenehmen Vorbereitungen beschäftigt. Die Hausherrin backte russische Piroshki mit Kohl, die bei ihr besonders gelungen. Der Hausherr benahm sich viel ruhiger. Der große Kühlschrank war bis zum Rande mit Lebensmitteln aus fünf Ländern der Welt, einschließlich Russland aufgefüllt.
  In einem ziemlich geräumigen Bar stand ein Dutzend Arten von Alkohol. Er hat auch sein Hobby nicht vergessen, er beabsichtigte diesmal den Gast gründlich 'auszufragen'. Friedrich Iwanowitsch wusste sehr gut, dass alle Massenmedien hauptsächlich lügen, der Tourist konnte ihm die Wahrheit erzählen. Der ehemalige Anhänger der kommunistischen Utopie kritzelte auf ein Stück Papier einen kurzen Plan. In Erwartung einer hitzigen Debatte tanzte der alte Mathematiker buchstäblich durch die geräumige Wohnung, wie er vor einem halben Jahrhundert vor Freude tanzte, als er die raumsparenden Wohnung im "Plattenbau aus den 60-er Jahren" bekommen hat.
  Die Gäste sind genau um sechs Uhr abends eingetroffen. Genscher Junior brachte nach dem russischen Brauch für die Gastgeber eine Flasche russischen Wodka mit. Die Alten betrachteten von allen Seiten den Waisen aus der Ukraine, er war auch wirklich nicht schlecht. Zu ihrem Erstaunen war er anständig gekleidet, seine Kleider waren alle deutsch. Die Migranten während Ihres Aufenthaltes in Deutschland haben gelernt etwas zu unterscheiden, und es sind ganz andere Zeiten schon eingetreten.
  In der ehemaligen Sowjetunion sparten die zwei junger Mathematiker ziemlich oft für irgendwelches Defizit an ihren Mund. Friedrich schob ein halbes Jahr das Geld beiseite, um sich eine elegante Pelzmütze zu kaufen. Das junge Talent brannte von der Scham, als einige schlechte Schüler zum Haupteingang der Universität mit neuen "Ladas" heranfuhren oder in der Gaststätte für ganze zwei Rubeln speisten.
  Die Hoffnungen der älteren Leute auf das lebendige Trägers der frischen Information über die ehemalige Sowjetunion haben sich nicht erfüllt. Der Junge antwortete auf die gestellten Fragen aus irgendeinem Grund sehr trocken, einige blieben überhaupt ohne Antwort. Er schwieg auch über die schöne Stadt Kiew, woher er gerade erst gekommen war. Als Vermittler in "den schwierigen" Fragen und Antworten zwischen den Gelehrten und dem Studenten war Nikolaj, er wechselte das Gesprächsthema immer wieder. Schließlich ist alles auf seinen Platz gerückt. Die Junge überließen das Gespräch den Alten, genauer dem Alten. Friedrich Iwanowitsch hat die Zügel in seine Hände genommen und redete fast zwei Stunden darüber, was in seinem "Gehirnlager" es gab.
  Mit dem Besuch des alten Gelehrten blieb der flüchtige Soldat zufrieden. Ihm schien es, dass selbst das Schicksal, der Gott beabsichtigten ihm im weiteren Leben zu helfen. Er "verdaute" langsam alles, was er von den Familien Genschers und Schmidt erfahren hatte. Jetzt erschien vor ihm ein ziemlich deutliches Bild der politischen Erschütterungen, die während seinen Dienstes und Flucht geschehen waren. Er 'blätterte" mit großen Vergnügen die Seiten der Geschichte der Westgruppe der Truppen durch...
  Januar 1991 der Beginn des geplanten Abzugs der sowjetischen Truppen aus dem vereinten Deutschland. Im März wird Motorschützendivision Nr. 207 aus der Stadt Stendal herausgeführt... Im Sommer verlassen die sowjetischen Truppen die deutschen Städte Neuruppin, Halle, Merseburg... Im folgenden Jahr verließen sie Jena, Ries, Zerbst, Dresden... In April 1993 fand der feierliche Abschied der Einheiten aus Schwerin statt... Am 31. August 1994 verlassen Deutschland die Soldaten und Offiziere der 6. abgesonderten motorisierten Brigade, die Teilnehmer des letzten feierlichen Marsches im Treptow Park...
  Der ehemalige Soldat dankte dem alten skrupulösen Wissenschaftler, dass jener so gewissenhaft die Ausschnitte aus den russischen Zeitungen und Zeitschriften über den Abzug der sowjetischen Truppen aufbewahrt hatte. Je mehr Alexander beim Licht der Tischlampe die Blätter des Zeitungspapiers im geräumigen Wohnzimmer der neuen Bekannten las, desto stärker wurde sein Herz zusammengepresst. Er erinnerte sich einen Moment an den intelligenten und ehrlichen Hauptmann Makarow, an seine Kompanie. Der Riese war stolz auf seine Kollegen, die einen angemessenen Beitrag an die Verwirklichung der weltweit größten Operation, den Umzug der Truppen aus dem Westen nach Osten, geleistet haben.
  Von Januar 1991 bis August 1994 waren aus Deutschland nach Russland und in die andere GUS-Staaten 6 Armeen im Bestande von 22 Divisionen und 49 Brigaden, 42 abgesonderter Regimente, insgesamt 546200 Menschen zurückgezogen. Es wurden auch 123629 Einheiten der Technik und Ausrüstung herausgeführt. Es wurden 2 Millionen 750 Tausend 530 Tonnen materiellen Mittel exportiert...
  An diesem Abend waren beim Fahnenflüchtigen der ehemaligen Sowjetischen Armee ziemlich oft die Augen feucht. Um den emotionalen Stress von den Sitzenden zu verbergen, ging er ins Bad und ließ den Tränen freien Lauf. Er weinte sehr leise, weinte nicht wegen der Kränkung für das vieljährige und sinnlose herumwandern. Nein, es war bei weitem nicht so. Der Soldat, der in einem Moment in Nirgendwo verschwundene mächtige Armee, weinte vor Freude, dass es ihm erlaubt wurde in GSSD, WGT zu dienen. Die Geschichte der Menschheit wusste noch nie solche einzigartige nach dem Bestand, der Vorausbestimmung und dem Niveau des Professionalismus Gruppierung der Truppen im Ausland.
  Der Rest der Nacht, der nach dem Besuch zu Schmidts blieb, haben der Fahnenflüchtige der ehemalige WGT und der Sergeant des ehemaligen Transkaukasischen Militärbezirkes einfach durchgesoffen und gefeiert. Das alles machten die jungen Männer prima. Alexander Kusnezow erzählte genüsslich seinem Freund über seine mutige Tat, als er aus dem brennenden Haus ein fünfjähriges deutsches Mädchen gerettet hat. Für diese Heldentat bekam der Gardist vom Armeebefehlshaber eine Namensuhr und ein Urlaub nach Hause. Sergeant Genscher rettete den Zugführer während den taktischen Übungen...
  Das Ehepaar Schmidts zeigte immer mehr und mehr Sympathie dem Touristen aus der Ukraine. Der fast seine ganze freie Zeit in ihrer Wohnung abhängte. Der älterer Mann und der junge Bursche blieben in ihr nicht lange sitzen, nach der herzhaften Mahlzeit der Gastgeberin flüchtigen sie sofort auf die Straße. Der Alte mochte sehr Spaziergänge, allmählich gewöhnte sich auch der Gast an sie. Ihm gefiel es auch, durch den ziemlich großen Park zu wandern. Das lebendige Stück der Natur duftete vom Geruch der Vielzahl von Blumen. Zuerst setzten sich die Männer gern nach der reichlichen Mahlzeit auf die sauberen Bänkchen und tauchten in ihre Überlegungen. Das Schweigen dauerte kurz, als erste begann das Gespräch der zwei Meter Riese. Nach dem ersten Treffen mit den alten Mathematikern beschloss er radikal die Taktik des Verhaltens zu ändern. Um ihn aus dem schweigsamen Menschen in den relativen Schwätzer zu verwandeln trug die herzliche Güte der alten Aussiedlers bei, und nicht nur sie. Bei ihm ist ein grosses Interesse über das Leben des vereinigten Deutschlands, und der ganzen Welt entstanden.
  Die Angst, für das militärische Verbrechen bestraft zu werden, ging immer mehr und mehr in den Hintergrund, er hielt sich selbst schon nicht als ein Verbrecher. Die Sowjetunion war zusammengebrochen, es gab auch keine Sowjetische Armee mehr. Er lebte schon das fünfte Jahr im vereinigten Deutschland...
  Die politische Naivität und das Fehlen der Elementarkenntnisse des jungen Mannes aus der Ukraine zog immer mehr und mehr die Familie Schmidt an ihn. Der Junge interessierte sich legitim für die Politik und scheute sich vom Überfluss der Lebensmittel, Autos und anderen Sachen. Sie konnten sich auch selbst vor zwanzig Jahren, als sie aus dem Land des totalitären Regimes angekommen waren, nicht satt essen. Sie wanderten von morgens bis abends durch die Läden, tasteten alles ab, kosteten mit der Zunge. Es gab auch was für kaufen. Es verging keine Woche, dass auf ihr Konto nicht Geld kam. Die lokalen Deutschen waren sehr unterstützend zu denen, die die stalinistischen Lagern überlebte und die nicht menschlichen Qualen ertrugen. Nach einem Jahr sind die Vertriebenen in die Sowjetunion gefahren, besuchten auch für einige Zeit ihr Heimatdorf an der Wolga. 1941 wurde von hier aus der kleiner Friedrich mit seinen Eltern in Viehwaggons verladen und nach Sibirien umgesiedelt. Die deutschen Touristen besuchten auch die sibirische Stadt, in der ihre Arbeitsbiografie begann. Sie konnten immer noch nicht glauben, dass ganz vor kurzem die Mehrheit der Einwohner und Kollegen sie, als Abtrünnigen und Verräter, mit Schande auf ihre historische Heimat hinausgebeten haben. Das Ehepaar hat die Beleidigungen vergessen. Ein Teil ihrer Ersparnisse schenkten sie der großen Familie der Putzfrau im Institut, anderen Teil gaben sie dem Haus der Invaliden. Das Geld gaben sie persönlich in die Hände. Fürchteten davor, dass die Vorgesetzten es sich in die Tasche stecken könnten.
  Die Zeit ging. Friedrich Iwanowitsch "fütterte" immer mehr und mehr Saschenjka mit verschiedenen Informationen. Ziemlich oft gingen sie in die Geschäften. Etwas im Verhalten des Touristen erregte beim leidenschaftlichen Analytiker Verdacht. Der Junge interessierte sich wenig für die billigen Klamotten aus dem Roten Kreuz, er ging auch zur Disko nicht. Weckten Misstrauen bei dem alten Mann auch seine Fragen. Aus irgendeinem Grund fast alle von ihnen betrafen das Leben der ehemaligen WGT und diejenigen, die aus den Einheiten und Unterabteilungen entlaufen sind.
  Aus diesen Feststellungen, die sich selbst anboten, wurde dem Mathematiker manchmal nicht wohl. Der Tourist aus der Ukraine erschien vor ihm für einige Zeit in der Gestalt eines KGB-Offiziers oder eines Spions. Herr Schmidt beabsichtigte die beunruhigten Gedanken mit seiner Frau zu teilen, aber überlegte sich es anders. Nataschenjka klagte in letzter Zeit immer mehr und mehr über ihre Gesundheit. Als geeignete Figur für die "Überprüfung" seines Verdachts hielt der Aussiedler den jüngeren Genscher, jener verstand den Mund zu halten. Zurzeit besuchte er die Schmidts fast nicht. Kolenjka fuhr immer mit dem Vater ins Krankenhaus zur Mutter, sie beunruhigte das Herz.
  Jedoch nach dem nächsten Treffen mit dem Studenten beruhigte sich Friedrich Iwanowitsch wieder. Er hielt ihn schon nicht mehr für einen Spion, sie waren jetzt auch niemandem nötig. Die ehemalige Nomenklatur des ehemaligen sowjetischen Landes hat schon seit langem alle denkbaren und undenkbaren Geheimnisse dem Westen herausgegeben.
  Und warum sollte er, ein alter Mann, in dem jungen Mann einen Klassenfeind suchen? In seinem Privatleben gab es sehr vieles ähnliches. Jetzt ist die Zeit gekommen gut zu leben, ohne Probleme zu leben. Mit diesen wohltuenden Gedanken begleitete der ältere Mann den Gast und ging zum Bett, mit ihnen wachte er auch auf...
  Der ähnliche Seelenzustand war auch beim Studenten. "Der Fischfang" auf die Informationen beim alten Deutschen versagte nicht, der teilte ihm alles mit, was er wusste. Er benachrichtigte sehr gewissenhaft, als wäre er im Begriff in die andere Welt zu gehen. In dem hat sich der Riese während des Besuches des russischen Restaurants überzeugt. Das Restaurant befand sich nicht weit vom Haus Schmids und deshalb besuchten sie es ziemlich oft. "Die russische Seele", so hieß die Gaststätte, verband sie in irgendeinem Maß mit dem Land, wo sie geboren wurden und ihre besten Jahre lebten. Den Mathematikern gefiel nicht nur seinen Namen, sondern auch alles, was innerhalb des Restaurants gab. Gefielen ihnen auch die Besitzer, die junge Aussiedler waren.
  In den Tagen der großen sowjetischen Feiertage reichten die Plätze drin nicht aus, 'die Russen' kamen aus der ganzen Nachbarschaft an. Während den Feiertagen erschienen die Schmidts dort nicht, sie mochten die Arbeitstage. Zu dieser Zeit war es im Restaurant um vieles ruhiger und gemütlicher.
  Als Herr Schmidt Saschenjka in den Restaurant eingeladen hatte, wollte er nicht nur einfach mit ihm ein wenig plaudern, sondern auch beabsichtigte ihm etwas von seiner Reise nach Russland zu erzählen. Er war dort mit seiner Ehefrau im vorigen Sommer. Jetzt haben sie beschlossen dorthin niemals mehr zu fahren. Der schwere Weg und das Alter ließen über sich spüren. Der Tourist freute sich sehr über den Vorschlag des Lehrers. Begeistert war er auch davon, was er im Restaurant sah. Darin war es alles Russisches, aber vieles war für ihn auch unbekannt und fremd. Führer war Friedrich Iwanowitsch, der den Gast sofort zu seinen kleinen Lieblingstisch führte. Als Kusnezow sich auf ein Stuhl, der etwas einem Klotz aus der Kiefer ähnlich sah, setzte, fing er an den Raum zu betrachten. Er war von der Erfindungsgabe des russischen Besitzers erstaunt.
  Das ganze Möbel war aus Birke oder Kiefer. Auf jedem kleinen Tisch standen russischen Samoware, rein russisch war auch das Geschirr. Herr Schmidt hat sich seine russische Lieblingsmaultaschen-'Peljmeni' bestellt, Alexander 'verstärkte' seine Bestellung mit der Erbsensuppe. Ihm schien es, dass er sie schon eine ganze Ewigkeit nicht aß. In alkoholischen Getränken gab es kein Meinungsunterschied. Die Männer bestellten eine Flasche russischen Wodka für beide.
  Nach dem ersten Glas Wodka tauchte der alte Wissenschaftler erneut in die philosophischen Überlegungen. Diesmal war der Riese von seinen Offenbarungen fassungslos. Er glaubte es nicht, dass der Rentner irgendwelche Probleme in diesem satten Land haben konnte. Alarmierte ihn auch die Form der Präsentation dieser Offenbarungen.
  - Du, mein lieber Mann - begann Schmidt, - denkst wahrscheinlich, dass wir mit meiner Alten keine Probleme haben... Habe ich Recht, mein Saschenjka? Du meinst auch, dass in diesem Land alle glücklich sind?
  Nach der schwierigen Frage hat er schlau in die Augen den Gesprächspartner geschaut, jener schwieg. Schwieg, wie ein Fisch. Sein Schweigen hat den Alten überhaupt nicht
  entmutigt. Er hat wieder fortgesetzt, setzte ohne jede Falle fort:
  - Ich werde dir sofort sagen, dass du dich irrst, dabei dich sehr stark irrst, auf alle hundert Prozent... Ich habe hier im Prinzip alles, aber meine Seele blieb dort, in der ehemaligen Sowjetunion. Sie blieb im rauen und kalten Sibirien, wo ich mein ganzes bewusstes Leben gelebt habe. Auf dieser Erde ist mein Vater umgekommen, er ist aus der Arbeitsarmee nicht zurückgekehrt... Dort ist auch meine Mutter begraben, und haben die ewige Ruhe auch meine zwei Brüder gefunden...
  Für einige Zeit wurde der Deutsche wieder still und schaute seinen Gesprächspartner aufmerksam an. Kusnezow sagte nichts, er schwieg und rührte eifrig mit dem Löffel im Teller mit der Suppe. Er konnte immer noch nicht verstehen, was verursachte die Offenbarungen dieses alten Mannes. In der ganzen Zeit ihrer Bekanntschaft beschwerte sich aus den Eheleuten Schmidts über ihr Leben niemand. Jetzt aber ist es bei dem Alten irgendwie 'ausgebrochen'. Alexander starrte ihn an und schaute nicht weg, wollte sein Unverständnis nicht zugeben. Er reagierte auch auf die Tränen des Aussiedlers nicht. Alexander schaute aufmerksam in die Augen des erfolgreichen und intelligenten Menschen und bezweifelte jetzt schon überhaupt nicht mehr an seinen neuen Schlussfolgerungen.
  Vor ihm saß ein Mensch mit einem sehr komplizierten Schicksal, unverständlich und geheimnisvoll für seine Umgebung, unverständlich auch für den flüchtigen Soldaten. Die Fragen und Probleme, die er mit seinem lebenswichtigen Idol besprechen wollte, sind erzwungen in den Hintergrund zurückgetreten, sind auf eine unbestimmte Zeit zurückgetreten. Erst nach dem zweiten Glas des russischen Wodkas ist Herr Schmidt ein wenig lustiger geworden, seine Tränen sind auch getrocknet. Um den Faden der vorigen Gedanken nicht zu verlieren, hatte er den Mündel lustig gefragt:
  - Saschenjka, du denkst, dass ich das, was ich gerade sagte vergessen habe...? Natürlich nicht, ich halte mich auch jetzt für den großen Lobatschewski... Mein alter Computer gibt nicht auf... Ich bin wieder bereit zu den Überlegungen nach dem russischen Wodka und den russischen Maultaschen...
  Als Bestätigung der Liebe zu den Letzten, warf er ausgelassen ein Paar Maultaschen in den Mund. Alexander hatte zu diesem Moment den Teller mit der Suppe geleert. Der Kindereifer, der beim Gesprächspartner erschien, machte ihm Mut. Er hat den Teller zur Seite geschoben und fragte wie beiläufig:
  - Friedrich Iwanowitsch! Sie meinen, dass die Menschen hier schlecht leben? Ich weiß doch sehr gut und sehe es auch, dass sie gut leben. Sie haben fast alles, keiner von den Deutschen isst nur trockenes Brot...
  Die Frage, des bis jetzt schweigenden Studenten, brachte den ehemaligen Lehrer der Hochschule zum Lachen. Er lachte laut. Er lachte herzlich, zeigte nicht seine Zähne, wie es viele Ortsbewohner machten. Nach dem Lachen antwortete der Lehrer dem jungen Mann nichts. Er hat nur lustig ihm zugezwinkert und mit seinem Glas mit Alexanders Glas angestoßen. Die Männer haben fast gleichzeitig den Inhalt der Kristallgläser in den Mund reingeschüttet. Der Alkohol gab Herr Schmidt ein neuen Impuls zum Nachdenken. Er hat schlau, wie ein alter Fuchs, Alexander angeschaut und sagte mit einem Lächeln:
  - Also, mein lieber Freund, du bist ja einer... Es ist sofort sichtbar, dass du ein praktischer Mensch bist, genauer gesagt materieller... Ich, ungeachtet meines Alters, dachte irgendwie wenig darüber nach... Mir gefallen sogar manchmal solche Menschen, wie du...
  Weiter erklärte er nichts. Er hat wieder schlau gelächelt, und wünschend mit dem jungen Mann gründlich zu diskutieren, stellte eine Frage nach der anderen Frage:
  - Saschenjka! Du denkst wahrscheinlich, dass das Sättigungsgefühl des Menschen, der sogar in einem goldenen Käfig lebt, das Wichtigste ist? Der größte Fehler und der größte irrtum, junger Mann! Es ist noch bei weitem nicht alles, auf alle hundert Prozente noch nicht alles... Ich bestreite nicht, dass ich ein alter Sack und alter Kopf bleibe, aus deren die sozialistischen Gedanken herausfallen...
  Nach seiner Argumentation lachte der Wissenschaftler. Sein Lachen provozierte in irgendeiner Weise seinen jungen Gesprächspartner, der niemals Philosophie studierte. Jetzt hatte er keine Zweifel, dass der Anhänger von Lobatschewski sich irrte. Er stand vom Klotz auf, hob den Arm nach oben, wie es Lenin auf dem Panzerwagen Mals machte. Seine Haltung und Ausdruck seines Gesichts haben dem alten Mathematiker sehr gefallen.
  Er lachte hinreißend, als er sich an eine Episode aus einst sehr populären Filmen über die Revolution erinnerte. Als Herr Schmidt gleichzeitig den triumphierenden Blick des jungen Mannes sah, war er für eine Weile überrascht und sagte leise:
  - Also, Saschenjka! Du ziehst mich wieder in die Sphäre der politischen Intrige ein. Ehrlich gesagt, mochte ich die politische Bildung nicht immer, vor allem am Ende dieses Jahrhunderts ... Ende dieses Jahrhunderts... Obwohl ich mich auch jetzt an einige Gedanken aus den kommunistischen Klassikern erinnere... Vieles ist verschwunden, vieles rührt auch noch bis heute die Seele... Es ist schade darum, dass, die die diesen Ideen so eifrig deuteten, heute sie und auch das große Land verraten haben, zerschnitten auf lebendigem Leibe...
  Für eine Weile nahmen "die Theoretiker" eine Auszeit und schwiegen. Der flüchtige Soldat hatte beschlossen die Pause voll ausnutzen, sein Kopf hatte für einen Moment 'abgeschaltet'. Er konnte nichts auf die Begründung des alten Mannes antworten. Sein Gehirn, wie es ihm schien, bekam Störungen. Er konnte nicht verstehen, wann seine grauen Zellen ihn betrogen. Jetzt oder dann, als er aus der Einheit flüchtete und durch die Wälder schlenderte. Die Angst für seine Handlungen und gleichzeitig, die erscheinende Hoffnungslosigkeit für die Zukunft, wurden seiner Seele und dem Körper übergeben. Alexander begann sofort zu schwitzen, ihm zitterten die Knie, er schloss für eine Weile die Augen. Plötzlich klang die Stimme seines Gesprächspartners:
  - Für mich, mein Saschenjka, ist ein Staubkorn vom Grab der Eltern sehr viel mehr wert als ein "Mercedes" ... Die Heimat war und bleibt die Luft für meine Seele. Ein Mensch ohne Seele - ein Vogel ohne Flügel. Gerade durch die Seele unterscheiden wir uns von den Tieren. Manchmal heuchelt unsere Seele besonders, wenn die Sattheit über den Rand kommt. Aus diesem Grund werden Kriege geführt, unterschiedliche schmutzige Dinge gemacht...
  Zum kleinen Tisch kam die Kellnerin. Die sympathische Blondine beugte sich zum alten Mann und fragte mit einem Lächeln:
  - Friedrich Iwanowitsch, sind Sie mit allem bei uns zufrieden?
  Dann drehte sie sich zu Alexander um und wiederholte mit einem bezaubernden Lächeln die Frage:
  - Junger Mann, sind Sie auch, wie Ihr Großvater, mit allem zufrieden? Oder sollte man für Sie Musik auflegen?
  Kusnezow wurde vom unerwarteten Erscheinen des jungen Mädchens und von ihrer unerwarteten Frage etwas verwirrt, sein Gesicht wurde rot. Er, bemühte sich seine Verlegenheit nicht zu zeigen, stand auf und sagte der jungen Person:
  - Ja seien Sie so gut für uns nur schö-ö-ne mu-si-ik...
  Weiter wurde er stumm und schaute schuldbewusst mal auf seinen Begleiter, mal auf die junge Frau. Aus der nervösen Erstarrung hat ihn die gleiche Kellnerin herausgeführt. Sie, als wäre nichts geschehen, sagte mit einem Lächeln deutsch:
  - Herr Schmidt, das russische Lied ist nur für Sie...
  Danach hob sie stolz den Kopf und hat sich entfernt. Nach ein paar Minuten floss durch den kleinen Saal das Lied über das orenburgische Daunenschaal. Das Lied ist dem Alten sofort durch die Seele gegangen, er beugte sich nach unten, und seine Augen wurden feucht. Die Musik und Wörter des Liedes berührten auch Alexander. Vor seinen Augen sind die Gestalten seinen Eltern erschienen, seine Mutter himmelte diese Melodie an. Sanjka hat damals, in der noch nicht so fernen Zeit, das Lied nicht berührt. Hier aber, in einigen Tausenden Kilometer von Neidjonowka, erreichten die Wörter und die Musik des Liedes sein Herz. Seine Augen wurden feucht, als er sich wieder an die Bestellung seiner Mutter erinnerte. Sie bat oft ihr Sonnenschein die Platte mit ihrem Lieblingslied in der Kreisstadt zu kaufen. Der nichtsnutzigen Sanetschka hat es nicht gemacht... Jetzt aber hörte er, wie verzaubert, mit großer Aufmerksamkeit das geliebte Lied der gestorbenen Eltern. Die Mutter und der Vater, die in eine andere Welt gegangen sind, ruhten auf einen Friedhof, ruhten in der Heimaterde. Ihr nichtsnutziger Sohn saß im fremden Restaurant mit dem russischen Namen und weinte, weinte nach dieser Erde...
  Um überhaupt nicht in Tränen auszubrechen von den zuströmenden Erinnerungen, stürmte der Flüchtige schnell auf die Veranda heraus. Dann ging er zu der grünen Wiese, auf der die Jungen faul Fußball spielten. Er kehrte nach fünfzehn Minuten an den kleinen Tisch zurück, in der Halle führte man zu dieser Zeit sein Auftrag aus. Es klang ein Liebeslied eines Burschen zur jungen Blondine, Alexander war es jetzt nicht nach Frauen. Der Gedanke, dass er auf dieser Erde weder Eltern, noch nahen Menschen hat, nagte mit furchtbarer Kraft seine Seele. Seinen Zustand verstand auch der alte Schmidt sehr gut. Er schwieg und wartete geduldig auf den Moment, als sich sein Saschenjka beruhigen wird. Der alte Mann war wütend auch auf sich selbst. Seine Überlegungen über das Leben verletzte ernst die Seele des Waisen, um den nicht er allein sich sorgte. Er bemerkte, dass die sympathische Kellnerin oft an ihrem kleinen Tisch vorbeiging und aus irgendeinem Grund mit Besorgnis den einsamen Alten anschaute. Sie ist sogar dazugekommen sich bei ihm zu interessieren über den Grund der Abwesenheit seines jungen und schönen Enkels. Der Großvater antwortete ihr nichts, er lächelte nur geheimnisvoll...
  Den Vorschlag des deutschen "Großvaters" auf die Gesundheit des ukrainischen "Enkel" zu trinken, hat Kusnezow mit einem Lächeln auf den Lippen angenommen. Nach dem nächsten Glas des Wodkas redeten die Männer. Auch Alexander hat diesmal beschlossen sich zu öffnen, aber wieder nur bis zu einer gewissen Grenze. Er hat die reine Wahrheit über sein Leben in Neidjonowka erzählt, Alexander hat auch nichts über seine Eltern verheimlicht. Friedrich Iwanowitsch hörte dem unerwarteten Monolog seines Enkels aufmerksam zu und bemühte sich ihn nicht zu unterbrechen. Es erfreute den jungen Erzähler manchmal und manchmal war es beängstigend für ihn. Er bezweifelte aus irgendeinem Grund, dass dieser grauhaarige Mann ihm glauben wird, wieder glauben wird. Die schwierige und gleichzeitig sorglose Kindheit des Sibiriers hat der Alte mit einer großen Anteilnahme wahrgenommen. Seine Kindheit war auch bei weitem kein Honig, er musste viel mehr Unheil schlucken, als dieser bartlose Jüngling. Der Lehrer war auch auf der Seite von Saschenjka, der sich entschieden hat zu kommen um was zu verdienen. Obwohl er auch ein Waise ist, soll er, wie auch alle Menschen auf dieser Erde, essen und sich anständig kleiden. Während seines Monologes ist dem Deutsche plötzlich ein Gedanke über die Adoption als Kind des jungen Burschen in den Kopf gekommen. Herr Schmidt erschrak von der Bürokratie in diesem satten Land nicht. Das Ehepaar hatte keine Kinder und an diesem "Mangel" litten sie sehr. Dieses Gefühl hat sich hier gesteigert, als bei ihnen einen gewissen Wohlstand und Ruhe eingetreten sind. Das ältere Paar spazierte ziemlich oft durch den Park und sah die kleinen Kinder, die ihre Enkel oder Urenkel sein konnten. Dieser schöne Junge wurde für den alten Mann in der sehr kurze Zeit ein naher Mensch. Friedrich wollte jetzt seine Hand berühren und ihm, wie seinem Sohn, etwas Warmherziges sagen, was er noch niemals und niemandem in seinen siebzig Jahren sagte.
  Die mächtige Hand von Saschenjka war so nah, man musste nur ein bisschen die Hand oder die Lippen bewegen. Die Seele des alten Deutschen war ganz auf der Seite des schönen Burschen, jedoch aus irgendeinem Grund war seine Vernunft dagegen. Je mehr und aufmerksamer er in die blauen Augen des Erzählers schaute, desto beunruhigter schlug sein Herz. Er hatte keine Zweifel, dass er etwas nicht ausredet, etwas verheimlicht. Der Wunsch, alles auf seinen Platz zu stellen, hat gesiegt. Friedrich Iwanowitsch, sagte ruhig wie beiläufig:
  - Saschenjka! Wie sieht es bei dir auf dem materiellen Gebiet aus? Suchst du einen billigen ausländischen Wagen? Habt ihr mit Nikolai wahrscheinlich schon seit langem etwas im Auge? Es bleibt nur sich in Auto zu setzen und durch ein Paar Grenzen zu rennen...
  Das war eine Fangfrage, daran zweifelte niemand aus den Sitzenden. Kusnezow war von der Frage überrascht, er brauchte ein paar Augenblicke um zu sich zu kommen. Er hat mit beiden Händen seine Stirn zusammengepresst, als wollte er sein Gehirn vom alkoholischen Nebel zu befreien, dann hat er sein Kopf heftig hoch gehoben und schaute den Lehrer an. Jener erstarrte, wie einer Sphinx, und schaute aufmerksam ihm in die Augen. Die physischen und seelischen Kräfte haben wieder auf irgendwelchen Augenblick den flüchtigen Soldaten verlassen. Er wusste sehr genau, dass der Alte auf die Wahrheit von ihm und nur auf die Wahrheit wartete. Keine Lüge passte jetzt hierher. Das Leben zwang den Fahnenflüchtigen eine Prüfung auf die menschliche Anständigkeit abzulegen, ihm stand es bevor zum ersten Mal in seinem Leben zu machen.
  Sein Gesprächspartner machte es in seinem Leben mehrfach. Seine letzte 'Prüfung' legte er in der erweiterten Sitzung des wissenschaftlichen Rates ab. Den ehrwürdigen Wissenschaftler "peitschte" man schonungslos, 'peitschte' man als ein schuldigen Schüler, nur dafür, dass er sich entschieden hat in die historische Heimat auszureisen, und dadurch die Idealen des Sozialismus jenes Landes, das für sein Lernen eine Menge Geld investierte, verraten hat... Besonders eifrig griff ihn der Rektor des Institutes an, der in der ganzen Gegend als ein Frauenheld und Schurke bekannt war...
  "Der Kampf" der Generationen dauerte nicht lange. Der Blick, des nicht mehr jungen Mannes, drückte wie ein Felsen auf den flüchtigen Soldaten. Er starrte in das runzelige Gesicht des buckeligen Wesens, der in seinem Leben immer eine herausragende Persönlichkeit war, und kam zur eindeutigen Schlussfolgerung. Der Alte wird ihm in diesem Moment sogar einen kleinen Bruchteil der Lüge nicht verzeihen. Er hat ihn schon seit Langem durchgeschaut, ihm blieb es nur die Ergebnisse und Hypothesen zu überprüfen. Alexander senkte niedrig sein Kopf, hat die Zähne zusammengepresst und mit einem Seufzer gesagt:
  - Friedrich Iwanowitsch! Sie sind für mich heute eine Art des Fegefeuers vor dem Gedächtnis an meine Eltern und meinen Urgroßvater, der in Deutschland umgekommen ist....
  Diesmal hat eine echte Beichte des flüchtigen Soldaten stattgefunden. Sein nächster Monolog war klein, aber ziemlich deutlich. Er freute sich auch selbst darüber, dass er von sich die schwere Last, die er all die Jahre trug, gestürzt hat. Früher öffnete er sich vor niemandem, aller Wahrscheinlichkeit nach weil er keine ihm nahestehenden Menschen hatte. Kaschtanka diente für ihn nur als Ersatz für ein Freund, aber auf die Leiden der menschlichen Seele reagierte sie nicht so, wie ein Mensch. Sie sah den weinenden Besitzer nur an und bellte hin und wieder. Nach einer Weile blieb er wieder mit seinen Gedanken und Sorgen allein. Er fand auch keine wirkliche Unterstützung seitens von Nastja...
  Herr Schmidt hörte dem nächsten Monolog von Saschenjka mit einer großen Aufmerksamkeit zu. Die erste Beichte im Leben des jungen Mannes zu unterbrechen hielt er für eine Lästerung. Die Seele des Fahnenflüchtigen der Sowjetischen Armee weinte und reinigte sich. Nach dem Monolog hat er den Kopf gehoben und den Alten angeschaut, der zum ersten Mal im Leben ihm einen nahen Mensch wurde. Der Bereuende wartete mit Tränen in den Augen auf eine Reaktion von ihm, auf eine beliebige Reaktion. Friedrich Iwanowitsch blieb still und zeichnete sehr ruhig mit einer Gabel irgendwelche komplizierte Figuren auf dem Boden des leeren Tellers von den Maultaschen. Seine Zeichnungen zu ordnen beabsichtigte der Sünder nicht, ihm war nicht dazu. Das Schweigen des bejahrten Mannes bedrückte ihn sehr, er fing schon an der Anständigkeit des Deutschen zu zweifeln. Er wollte schon wieder aufspringen und in den Wald weglaufen oder in der Menschenmenge zerstreut werden. Von der Aufregung schwitze er und begann sich umzusehen. Hinter ihm, dem Fahnenflüchtigen, wie es ihm schien, jagte wieder die ganze Welt nach. Zur Zahl 'des Verfolgers' gehörte auch dieser kleinen alten Mann, der so geschickt in seine Seele hinein gedrungen ist und ihm den Kopf verdreht hat... Herr Schmidt, als ob er die Befürchtungen seines Gesprächspartners verstand, hat ihm noch einmal aufmerksam in die Augen geschaut. Dann ist er langsam aufgestanden und hat ihn fest umarmt. Die Männer waren den Tränen nahe und haben schnell das Restaurant verlassen. Die helle Sonne, die aus ihrem Höhepunkt schon ging, setzte weiterhin großzügig fort ihre Strahlen den Menschen zu schenken, die durch die sauberen und gepflegten Straßen des alten deutschen Dorfes huschten. Die Passanten, trotz aller Probleme des Lebens, waren zueinander höflich und umgänglich. Die Autofahrer folgten auch dem Beispiel der Menschen in der Höflichkeit. Ein riesiger Bursche, der unter dem Arm einen niedrigen grauhaarigen Mann hält, drehte sein Gesicht immer wieder zur Sonne.
  Seine Seele jubelte, sie jubelte nicht nur über die Ordnung und das friedliche Leben auf diesem Stückchen Erde. Alexander verstand erst jetzt die Bedeutung von allem, was er ganz vor kurzem im russischen Restaurant getan hat. Die Beichte gab ihm den Anlass für eine realistische Einschätzung dessen, was mit ihm passiert war und jetzt geschah. Als Richter in der schwierigsten Zeit seines Lebens wurde ein Deutscher aus der ehemaligen Sowjetunion. Kusnezow warf immer wieder ein Blick auf den Alten, aber jener setzte fort zu schweigen. Seine Gedanken zu erraten konnte er nicht. Der Lehrer hat kein Wort bis zum Park gesagt.
  Erst nachdem er sich auf ein Bänkchen unter einer Kiefer bequem gesetzt hat, redete er wieder philosophisch:
  - Ja, Alexander Nikolajewitsch... Sie haben eine sehr schwierige Lage. Ehrlich gesagt, bist du nicht zu beneiden... Ich möchte dir gleich eindeutig sagen, dass deine Situation niemand lösen kann. Dir in deinen Angelegenheiten und Sünden wird weder der Gott, noch der Herrscher helfen, und ich auch nicht... Nur du allein, und nur du kannst diesen Ausgang herausfinden... Ich sagte dir schon heute, wenn deine Seele und das Herz in Takt gleichzeitig sind, dann wirst du alles hinkriegen, was du geplant hast. Wenn in diesem Bündel eine Störung ist, so wird der Mensch niemals Ruhe auf dieser Erde finden... Hier wird keine Philosophie helfen... Es ist meine feste Überzeugung...
  Die nächsten philosophischen Überlegungen des Alten haben in irgendeinem Maß den Beichteten entmutigt. Er schaute mit Erstaunen auf seinen Lebenslehrer. Er erwartete eine ganz andere Antwort, eine solche Wendung der Ereignisse gefiel ihm eindeutig nicht. Der siebzigjährige Mann hat ihm nichts konkreten um die Realisierung seines Geplanten, für das er in den Wäldern nicht nur ein Tag verbracht hat, vorgeschlagen...
  Das ganz ruhige Verhalten des Deutschen irritierte ihn immer mehr und mehr. Um nicht auszurasten und unhöflich zu ihm werden, hatte er die Zähne fest zusammengepresst und setzte fort auf den Alten zu starren. Jener setzte nach einer kurzen Überlegung wieder fort:
  - Ein Mensch, der nur nach Anweisungen lebt, ist noch kein Mensch. Er ist ein Roboter nicht mehr. Mich unterrichtet man nach dem einheitlichen Programm, und nicht nur mich... Und was ist daraus geworden? Das Ganze System ist zusammengebrochen... Ich denke, dass jeder zum Glück nur seinen Weg gehen soll. Für einige, je komplizierter und kurvenreicher diese Strecke ist, desto glücklicher sind sie. Den Weg für sich wählt der, wer ihn beabsichtigt zu gehen... Ich wünsche dir, mein Sohn, viel Erfolg bei der Erreichung des persönlichen Gipfels. Nur dann wirst du glücklich sein. Sogar die ganze menschliche Welt wird dir irgendwelche Rezepte nicht geben, diese sind einfach nicht vorhanden...
  Der ununterbrochene "Wortlauf" hat den schweigsamen Menschen aus der Fassung gebracht, schließlich zischte er durch die Zähne:
  - Friedrich Iwanowitsch! Ich hörte bis jetzt Ihnen mit einer großen Ungeduld zu. Eins möchte ich sagen, dass Ihre Ideen und Gedanken mich jetzt nicht wärmen und auch nicht satt machen. Ich bin hier ein hilfloser Sklave. Stellen Sie sich auf meinen Platz oder sogar auf den Platz ihres Sohnes... Hätten sie ihrem Sohn wirklich nicht geholfen?
  Die nervöse Anregung und die Frage des Sünders haben beim Deutschen irgendwelche Erbitterung nicht herbeigerufen. Er hat nur gelächelt und den Finger an die Lippen gehalten. Dieses Zeichen bat den jungen Mann einige Zeit ruhig zu sitzen und zu schweigen. Alexander hat dem Vorschlag des Lehrers zugestimmt. Er wollte sich auch von den weisen Gedanken erholen und begann ohne jede Interesse zur Seite zu schauen. Diesmal dauerte das Schweigen ziemlich lange, bis zu Hause. Nur bevor Herr Schmidt das Tor seines Zaunes öffnete, hat er ihm die Hand zugestreckt und mit einem Lächeln gesagt:
  - Saschenjka, ich habe heute verstanden, dass du auch wirklich dein Schicksal in die Hand nehmen willst. Du bist noch sehr jung und es wird dir gelingen... Vergiss meine Räte nicht... Ich saß an der Sonne und bin zu einigen Gedanken gekommen... Sie erinnern etwas an die mathematischen Schemen. Meine feste Überzeugung, als des mathematischen Alten, besteht darin, dass für das Glück allen und jeden von uns sollte unsere Gesellschaft ohne drei Sachen bleiben. Erstes - ohne Macht; zweites - ohne Geld; und drittes - ohne des ältesten Berufes...
  Nach dem Abschied von dem Alten hat Alexander sich wieder entschieden zu bummeln, die philosophischen Überlegungen des alten Mathematikers gingen aus seinem Kopf nicht heraus. Er ist früher niemals im Leben in die höchsten Materien eingedrungen, ihm war alles egal. Zu der Macht wollte er nicht, und mit diesem Müll sich den Kopf vollstopfen möchte er auch niemals. In Neidjonowka hat man den Verwalter Iwan Lopuschkin, den Hauptvorgesetzten des Dorfes, verschieden genannt. Jemand nannte ihn Iwanuschka der Narren, jemand nannte ihn eine Klette. Für den Riesen war er sowohl das eine, als auch das andere. In der Armee hielt sich die Macht mit der Faust, das hat er sofort erkannt und gefühlt, als er in die soldatische Uniform schlüpfte. Generäle sah der Soldat sehr selten, und sie waren ihm auch egal. Für ihn reichten sein Kommandeur und die 'Alten' aus...
  Geld gab es bei den Vorfahren des Riesen niemals, leere Tasche hatte auch er jetzt. Die Geschichte kennte der flüchtige Soldat sehr schwach und deshalb konnte er etwas über den ältesten Beruf nicht sagen...
  Das Dorf begann in die nächtliche Dämmerung einzutauchen, als Kusnezow in die Wohnung des jüngeren Genscher reingegangen war. Jener lag schon im Bett und las ein Buch. Als der Hausherr die bedrückende Art des Kommenden bemerkte, hat er ihn sofort gefragt:
  - Wieso bist du heute so traurig, hat etwas nicht geklappt? Friedrich Iwanowitsch rief vor ein paar Stunden an und hat etwas von Ihrem Besuch des Restaurants erzählt. Der Alte sagte nichts tödlichen voraus...
  Die Männer schliefen in dieser Nacht nicht. Alexander öffnete sich dieses Mal seinem Freund, aber nicht ganz. Dem alten Schmidt vertraute er mehr, als ihm. Die Reaktion des Aussiedlers auf die Beichte des Sünders unterschied sich sehr von der Reaktion des ehemaligen Lehrers. Sie war im bedeutenden Grade optimistischer, was eine bessere Stimmung der unterdrückten Riese brachte. Nikolai, der schon ein wenig getrunken hat, um sich "aufzuwärmen', fegte sofort einige Argumenten des alten Schmidt zur Seite weg. Er schnalzte geschickt mit dem Finger auf die Nase des Freundes und hat lustig gesagt:
  - Ach, Sanek, unsere Verwandten... Sie lebten immer nach den sogenannten menschlichen Prinzipien... Und was ergab sich bei ihnen? Ja nichts, als einige das Bretzel bekamen, bekammen immer das Loch (die Luft) von ihm... Persönlich beschuldige ich dich nicht, dass du ein schönes Leben haben willst. Alle wollen es, sogar die Afrikaner... Ich war in Paris, dort in etwa zehn Metern vom Eifelturm hatte ein Afrikaner mit einem weißen Weib im grünen Gras ein Geschlechtsverkehr vor Augen den Passanten der ganzen Welt... Wir sind auch Menschen. Du bist doch auch ein Mensch, und unterscheidest dich nicht von denen, die bei uns stehlen und uns betrügen und wie Schweine fressen...
  Nach diesen Worten hat er den flüchtigen Soldaten aufmerksam angeschaut, jener schwieg aus irgendeinem Grunde. Das Schweigen hat ihn nicht aufgehalten, er hat dem Riesen lustig gezwinkert und gedehnt vorgesungen:
  - Und wer mö-o-o-chtet kein-ein schö-o-o-nes Leben, sa-a-ag mi-ir mei-ein Freund, sa-a-ag mi-ir mei-ein Freund...
  Nach dem stürmte Nikolaj zum Kühlschrank, aus dem er eine Flasche Wodka und ein Kochtopf mit der russischen kalten Kwasssuppe "Okroschka" herausgezogen hat... Die Freunde sind spät am Morgen eingeschlafen und sind nur zum Mittagessen aufgewacht. Vom Alexander war der gestrige Schreck wie mit der Hand weggefegt.
  Er hat über die philosophischen Überlegungen von Friedrich Iwanowitsch und die praktischen Räte des Freundes nachgedacht und ist zum Schluss gekommen, dass sein Leben in der unweiten Zukunft nicht sehr schlecht werden kann. Noch einen größeren Optimismus haben ihm die nächtlichen Informationen des jungen Hausherrn gegeben, der vom realen Landleben und außerhalb dessen Grenzen viel mehr, als der Mathematiker mit der philosophischen Neigung, wusste. Alexander, wie es ihm schien, hat sich in dieser Nacht selbst überboten. Während der Feier klopfte er, wie ein stolzer Sperling, nach jedem ausgetrunkenen Glas, sich auf die Brust mit der mächtigen Faust und wiederholte dabei eine und dieselbe Frage:
  - Koljan, und wieso sind wir schlechter als andere, wieso schlechter? Ich will doch auch gut leben, ein Weib und eine anständige Karre haben. Ich werde auch alles haben... Habe ich Recht?
  Der Freund konnte auf seine Überlegungen schon nicht mehr reagieren. Stattdessen ist er geschickt auf den Tisch gesprungen und fing an zu tanzen. Er wechselte plump auf dem Tisch den Platz und es war unverständlich warum er sich mit der Faust auf den Kopf klopfte und mit der Hand die intime Stelle streichelte. Solches Verhalten brachte den halbbetrunkenen Alexander zum Lachen, der, wie auch sein Freund, ein Glas nach dem anderen mit russischer Wodka gern leerte und die russische kalte Kwasssuppe schlürfte.
  Die Spirituosen pressten immer mehr und mehr Informationen aus der "Melone" des Aussiedlers aus. Alexander ist sogar ein wenig nüchtern geworden, als er über die flüchtigen Soldaten erfahren hat, die vor einigen Jahren aus "der Scheißarmee' weggelaufen waren. "Die betrunkene" Information des Freundes hat seine Lebenskraft augenblicklich erhöht und seine Angst vor der Strafe für das Vollzogene verkleinert. Es zeigte sich, dass in Deutschland bis heute Hunderte Entlaufenen aus WGT schlendern. Über sie spricht man
  im Fernsehen und wird in den Zeitungen geschrieben. Die Möglichkeit über die ehemaligen Landsleute zu lästern haben auch einige russischsprachige Zeitungen nicht verpasst. In seinem Gedächtnis hat sich eine Episode, die ihm Nikolai erzählte, von genauso einem Mitmenschen wie er, der die ähnliche Lebensweise führte, 'gefestigt". Der Fahnenflüchtige wohnte ganze fünf Jahre im Auto, um den Deutschen oder den Russen nicht in die Klauen zu geraten. Aus seinem Kopf hat sich auch ein Fakt über ein junges Mädchen, das in der Sowjetischen Armee diente, nicht gelöscht, die für das glückliche Leben sich entschieden hat einen lokalen Deutschen, einen Invaliden, zu heiraten. Das Leben ohne Papiere war für die Flüchtige eine echte Hölle, und der Krüppel hat sich als ein Schuft und ein Monster erwiesen. Er erledigte ziemlich oft speziell sein Geschäft im Bett, um die schöne Brünette zwingen die Scheiße zu putzen. Sie ertrug das alles, schweigend hatte sie auch die sexuelle Lust des erzwungenen Mitbewohners ertragen. Von diesen Tatsachen hat sich Alexander entschieden noch etwas beim Erzähler zu fragen, aber jener wollte keine Kommentare nochmals zu äußern. Er hat nur erstaunt seinen Freund angeschaut und gesagt, dass er diese und anderen Klatsche für so viel verkauft, für wieviel er sie bei den Burschen in der Disko gekauft hat...
  Nachdem der jüngeren Genscher, während einer Sauferei dem Mieter über Hunderte flüchtige Soldaten der ehemaligen Sowjetischen Armee erzählte, verging eine Woche. In dieser Zeit haben die Freunde nicht nur ein Plan der gemeinsamen Handlungen ausgearbeitet, sondern auch etwas für die Einführung des Riesen ins reale Leben des Landes gemacht. Durch seine Bekannten hat Nikolai erfahren, dass im benachbarten Städtchen Liberos es feste 'Schwarzarbeit' gibt. Der Besitzer der Disko brauchte nicht nur eine Arbeitskraft, sondern auch ein mächtigen Burschen, der Ordnung unter der Jugend richten könnte. Alexander hat sich den Namen des Städtchens schnell gemerkt, sowie auch des Chefs der Disko. Das erste Treffen des Türstehers und des Besitzers hat im kleinen Anhänger stattgefunden. Viele Deutsche nutzten diese Anhänger während Ausflügen in die Natur. Vermittler im geschäftlichen Treffen war Nikolai, er war auch der Dolmetscher. Alexander war mit dem Ergebnis des Treffens zufrieden. Der Chef persönlich rief bei ihm ein großes Vertrauen nicht herbei, die Ursache dafür war nicht nur die schlaue Physiognomie des bejahrten Mannes, sondern auch sein Hund. Der kleine Hund nieste ständig und reagierte aus irgendeinem Grund auf den Neuen bissig. Er hatte überhaupt keine Angst vor ihm. Eine Arbeitsstelle hat er gesetzlich und ohne Vermittler, den man auf die Pfote geben musste, bekommen. Deshalb hörte er mit einer großen Aufmerksamkeit auf dem Weg nach Hause Nikolaj zu, der ihm von den Besonderheiten des Arbeitsmarktes in der historischen Heimat der Vorfahren erzählte. Alexander, der immer noch keine Erfahrung in dieser Sache hatte, verwunderte vieles. Er konnte immer noch nicht verstehen, warum der Deutsche ihm über sein Gehalt nichts gesagt hat. Der Fahrer hat seine Befürchtungen ganz ruhig wahrgenommen. Er hat nach seiner Gewohnheit mit der Zunge geschnalzt und auf philosophische Weise gesagt:
  - Du, Grünschnabel, in diesem Land bist du einfach ein Sklave, ein ungelernter Arbeiter... Die Behörden nennen es anders... Deshalb darüber zu fragen, wie viel dieser fette Deutsche mit seinem halbtoten Hund dir in deine Tasche legen wird, ist noch zu früh, sogar sehr früh...
  Die Nacht vor dem Antritt an "die schwarze" Arbeit war für Kusnezow die kürzeste und nicht weil, es Sommer war. Er war wieder in ernsthafte Gedanken eingetaucht. Er hat sich entschlossen das gastfreundliche Haus des Aussiedlers zu verlassen. Beim Flüchtigen wurde es in der Kehle trocken, als er sich für einen Augenblick vorgestellt hat, dass er niemals mehr die Familien Genschers und Schmidts sehen wird.
  Besonders hat er sich zu dem Friedrich Iwanowitsch angezogen gefühlt, der, wie es ihm schien, etwas an seinen gefallenen Urgroßvater ihn erinnerte. Der Urenkel hat bis jetzt auch nichts für die Suche des Grabes des Vorfahren gemacht. Nikolaj hat die Entscheidung des Freundes über das Weggehen ziemlich klug und richtig gefunden. Er hat den großen Burschen fest umarmt und mit Tränen in den Augen gesagt:
   - Du, Landsmann, vergib mir für alles, was falsch war... Ich glaube, du musst weiter gehen... Gehe sehr vorsichtig, die Behörden mögen es nicht, wenn jemand die Linie des Gesetzes übertritt...
   Alexander reagierte auf die Warnungen des Freundes nicht schadensfroh. Er verstand sehr gut, dass er mit seiner Anwesenheit täglich die Menschen gefährdet, die ihm nicht nur das Obdach gewährt haben, sondern auch viel mehr... Für seinen Aufenthalt hat der jüngeren Genscher kein Geld genommen. Er hat mit Kraft die Hand des Riesen zurückgeschoben, der versuchte das Geld in seine Tasche zu stecken, und hat ganz ernst gesagt:
  - Sanek, bewahre diese Kopeken... Sie werden dir noch sehr nützlich sein... Deutschland ist ein teures Land, hier geschieht ohne Geld nichts... Merke es dir für immer....
  Alexander wollte von seiner Absicht nicht zurücktreten, er setzte fort mit der Hand in die Tasche des Freundes hineinzudrängen und redete ebenso ernst:
  - Obwohl ich bettelarm bin, möchte ich deine Güte nicht ausnutzen... Bald werde ich Millionen verdienen und dann werden wir mit dir feiern, wie die Reiche...
  Nach dieser Schlussfolgerung hat er laut aufgelacht, es hat auch Genscher gelacht. Die jungen Männer lachten nicht davon, dass sie einst wirklich Millionen verdienen können. Sie wussten sehr gut, dass sie in diesem Land niemals reich werden. Hier ist alles bereits erobert und verteilt. Die lebenswichtige Situation wusste jeder von ihnen im Voraus, wussten es auch viele andere... Der jüngere Genscher, als ob er beabsichtigte ein Strich unter dem Ergebnis der unerfüllbaren Phantasien zumachen, hat mit einem spöttischen Lächeln durch die Zähne gezischt:
  - Sanek, ich strebe übrigens nicht zu den großen Reichtümern... Ich möchte nicht Millionen haben und jede Stunde vor Angst vom Klo nicht herunterkommen. Mir würde es übel vom Geruch der Scheiße mit den Spuren des Betrugs und der Gewalt ganzer Generationen... Ich bezweifle auch nicht, dass die Satten einst 'ihres Verdientes' bekommen werden...
  Dann hat er schadenfroh gelacht und führte mit der Hand über den Hals seines Freundes. Von dem unangenehmen Gefühl ist jener etwas zusammengefahren und hat einen sauren Ausdruck gemacht.
  Der flüchtige Soldat mit dem umfangreichen Rucksack hinter den Schultern hat das gastfreundliche Haus des Aussiedlers früh am Morgen verlassen, die Gastgeber schliefen noch. In der linken Tasche seiner Hosen lagen genau zweitausend Mark. Noch zweihundert Mark befanden sich in seiner rechten Tasche, das Geld für den Aufenthalt hat Genscher doch nicht genommen. Dieses ganze Kapital hat der ehemalige Mieter während der Zeit, nachdem er das Militärstädtchen in Dachbau verlassen hat, angespart...
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  Kapitel vier. Beigeschmack des Glücks.
  
  Der erste Arbeitstag des russischen Türstehers lief schief. Grund war das Fehlen der deutschen Sprache. Am Anfang machte der Inhaber der Diskothek, Herr Fischer, einen Rundgang durch die Objekte. Alexander musste außer seiner Hauptarbeit, am Eingang stehen und auf Ordnung achten, noch nicht nur den riesengroßen Saal, wo etwa 500 tanzende Menschen Platz hatten, sondern auch weit über deren Grenzen hinaus putzen.
  Der Arbeitsaufwand entmutigte den jungen Mann in keiner Weise. Beim Erhalten von wichtigen Anweisungen richtete Alexander immer wieder seinen Blick auf den rothaarigen Chef. Der Deutsche sah in den Augen des russischen Jünglings Anzeichen der Ergebenheit und deshalb phantasierte er immer mehr und mehr. Er hatte keine Zweifel, dass dieser russische Dummkopf alles auf den Kopf für einen stinkenden Pfennig stellen würde. Der wollte wirklich sehr arbeiten. Das Geld in seinen Taschen verdampfte wie das Wasser unter der glühenden Sonne.
  Von der ersten Stunde seines Aufenthaltes an in den Objekten bemerkte der Riese, dass der lange Deutsche irgendwie für ihn keine Sympathie empfand. Der Alte sah seinen Arbeiter offensichtlich gleichgültig an, er suchte das Mützchen seines kleinen Hündchens. Es winselte wegen der Hitze langweilig. Die Unaufmerksamkeit gegenüber seiner Person war ihm egal, er brauchte nur Geld. Er schaute immer die ganze Zeit ergeben dem Chef auf den Mund oder auf seine mageren Hände, mit denen er ziemlich oft während der Anweisungen gestikuliert hatte. Kusnezow hatte den Inhalt der Anweisungen praktisch nicht verstanden, er hatte nur die ganze Zeit seinen Mund bis zu den Ohren geöffnet und gelächelt. Sein blendendes Lächeln hatte dem Deutschen manchmal imponiert. Herr Fischer rieb sich mit großer Zufriedenheit seine Hände, in seine Objekte waren nur Ausländer gekommen. Auch der russische Dummkopf hatte sich gefunden...
  Nach einer Stunde Arbeit floss dem neuen 'Sklaven' der Schweiß wie in Strömen. Im Inneren des Zeltes und rundherum war so viel Schmutz, so viel wie es nie während seines ganzen Aufenthaltes im Klub in Neidjonowka gegeben hatte. Mit der Dämmerung kamen Züge von Jugendlichen zur Diskothek. Der Ordnungshüter, in schwarzem Anzug und weißem Hemd mit einer gepunkteten Krawatte, unterschied sich sehr dadurch von denen, die zum Tanzen gekommen waren. Die Mehrheit, die gekommen waren, waren nachlässig gekleidet gewesen. Einige von ihnen erinnerten Alexander an den Penner 'Onkel' Wanja, der am Abend im Rayonzentrum 'Isumrudnoje' herumspazierte. Der neue Türsteher hatte bei Beginn der Diskothek praktisch nichts gemacht. Er stand nur am Eingang mit einer verantwortlichen Physiognomie und schaute, schaute nur. Viele junge Leute versuchten, mit dem schönen Ordnungshüter ins Gespräch zu kommen, aber alles war nutzlos. Er antwortete nicht und blinzelte mit Eifer mit den Augen und mit solchem Eifer zeigte er auch mit der Hand in Richtung der Kasse und des Saales, woher laute Musik ertönte. Der Tanz dauerte bis zum frühen Morgen. In dieser ganzen Zeit entfernte sich der Türsteher nur ein paar Mal von seiner Arbeit und nur für natürliche Notwendigkeiten. Erst nachdem, als im Saal etwa zehn leidenschaftliche Tänzer geblieben waren, lockerte er sein Schauen. Er ging ohne besondere Eile um die Zelte herum spazieren. Plötzlich ertönte von der Ferne ein lauter Pfiff.
  Kusnezow schaute sich ungewollt um und sah auf dem Parkplatz einige Jungs. Sie standen neben einem Auto und stritten sich über irgendwas. Er entschloss sich, auf all das nicht zu reagieren, aber plötzlich wiederholte sich der Pfiff. Er drehte sich wieder um, einer von den Jungs winkte hoffnungslos in seine Richtung.
  Der Türsteher ging ohne Lust zu den Jungs hin, es waren sechs Personen. Er bemerkte auch zwei Mädchen, die in einem neuen 'Opel' saßen. Zum Herangekommenen sprang gleich ein Junge von kleinem Wuchs, der stark nach Alkohol roch. Der 'Kurze' gestikulierte lebhaft mit den Händen und sprach irgendwas laut in deutscher Sprache. Kusnezow reagierte überhaupt nicht auf Aufforderungen oder Hinweise des verspäteten Tänzers. Er reagierte auch nicht auf die Händchen des Deutschen, die, wie es ihm vorgekommen war, sich gleich an seinem Hals oder Gesicht festklammerten. Das Gegenüberstehen dauerte nicht lange. Der junge Deutsche, am wahrscheinlichsten 'Die Autorität' der kleinen Gruppe, war letzten Endes total wütend geworden. Auf seine Schimpfwörter reagierte der Große in keiner Weise. Der Alkohol hatte dem 'Krirze' Kräfte für den weiteren Dialog mit dem Türsteher verliehen, den er vor dem Öffnen der Diskothek gesehen hatte. Daniel hatte schon damals verstanden, dass der Inhaber für den Abend eine neue Marionette gefunden hatte, die immer Ausländer gewesen waren. Aber dieses 'Subjekt' unterschied sich auffallend von vorherigen weißen und schwarzen, jungen und alten. Der heutiger Türsteher war sehr groß von Wuchs und anständig gekleidet und auch keine Missgestalt.
  Die Schönheit und Sanftmut des besonderen Ausländers hatten den betrunkenen sehr geärgert und er hatte beschlossen sich zu 'entladen'. Er zog seine Jeans noch weiter herunter und ging entschlossen auf den schweigenden 'Riesen' zu. An seinem Erfolg zweifelte er nicht, wie er auch nicht zweifelte, dass er nach dem Sieg Sex mit der schönen Angela haben würde, die im Auto saß. Er machte paar Schritte vorwärts, der 'Stille' reagierte nicht. Er reagiert auch dann nicht, als er dem 'Riesen' Zigarettenrauch ins Gesicht pustete...
  Alexander stand und schaute mit Staunen auf das zweibeinige Wesen, das offenbar übertrieben hatte. In seiner Neidjonowka hätte er ihm schon längst die Zähne ausgeschlagen.
  Auch jetzt hielt sich der weggelaufene Soldat zurück. Er hatte sich für immer Genscher Juniors Äußerung gemerkt, dass die Deutschen während der Arbeit nicht aus Vergnügen lächeln, sondern wegen der Angst sie zu verlieren.
  Das hatte er jetzt genau verstanden und deshalb ertrug er weiter das Affenverhalten des Jünglings. Er blickte nur von dem 'Kurzen' auf seine 'Mitsäufer' und dann auf die Mädchen, die im 'Opel' saßen. Alle 'wieherten' sie wie satte Pferde. Der 'Kurze' war ganz außer sich. Er zeigte dreist mit dem Finger auf die Schulter des 'Großen' und zählte alle Nationalitäten auf, die er kannte. Der große Junge, wie der Deutsche feststellte, war kein Türke und auch nicht aus Jugoslawien... Erst nachdem er das Wort 'Russe, Schweine' ausgesprochen hatte, gab es eine Reaktion vom Türsteher und dazu eine sehr schnelle. Plötzlich befand sich der 'Kurze' in der breiten Hose in der Luft und 'landete' auf dem roten 'Opel'. Alexander setzte mit ganzer Kraft das 'zweibeinige Wesen' hin, setzte es so stark hin, dass es einen betäubenden Knall oder Knirschen gab. Die jungen Deutschen schlossen aufgrund des unerwarteten Ausgangs, wie auf Befehl, ihre Münder und hörten auf zu wiehern. Plötzlich hörte das Lachen auch im Auto auf. Die 'Autorität', die noch nicht ganz zu sich gekommen war, saß bedrückt auf seinem Auto und schaute ängstlich in das wütende Gesicht vom 'Iwan'. An der Nationalität des russischen Bären hatte er keinen Zweifel gehabt. Kusnezow war auch wirklich einem Tier ähnlich, das man lange nicht gefüttert und dann statt eines schönen fetten Fleischstückes einen abgenagten Knochen gegeben hatte. Jetzt hatte er sogar vor einer besoffenen Menge keine Angst, er war bereit, jeden zu ersticken, der sich traute ihn zu beleidigen. Dieser Missgeburt hatte er erlaubt, ihn zu beleidigen nur wegen der Angst, seine Arbeit zu verlieren... Das Entgegentreten des Russen der besoffenen Menge ging ziemlich schnell zu Ende. Alexander traute sich nicht, weiter seine Fäuste zu gebrauchen, darüber hinaus hatten die Jungs Angst vor seiner Kraft bekommen. Ein gemäßiger Waffenstillstand hatte begonnen. Kusnezow beschloss, ihn zu nutzen und ging zu einem kleinen Tisch unweit vom Eingang in die Diskothek. Am Tischchen saß er fünf Minuten und knirschte immer mit den Zähnen. Angst, als solche, hatte er keine gehabt. Im Falle eines Überfalls von Jugendlichen hatte er vorgehabt, das Tischchen zu benutzen, dass er ohne Bedauern auf den Köpfen der Besoffenen zerschlagen hätte. Zu seinem Glück musste er das nicht machen. Nach einer Weile raste der rote 'Opel' mit einer verrückten Geschwindigkeit vom Platz und verschwand in der Dunkelheit, bald folgte ihm noch ein Auto...
  In dieser Nacht hatte der Türsteher wegen schlechter Laune nicht geschlafen. Er war sich sicher, dass morgen Herr Fischer Bescheid über das Geschehen wissen würde. Wie er auch nicht gezweifelt hatte, dass bei der nächsten Diskothek die Deutschen ihn nicht in Ruhe lassen würden. Das Gesetz der Menge galt auch hier, nicht nur in seiner Neidjonowka. Am Morgen weckte man den Neuen sehr früh. Die herbeigelaufene Deutsche, die nicht schlecht russisch konnte, überbrachte ihm die Bitte seines Chefs. Er sollte Wache am Haus der Mutter des Chefs stehen. Im Haus der Mutter sollte eine Firma die Wasserzähler auswechseln. Einige von den Hinweisen hatte er verstanden, andere nicht. Er konnte nicht verstehen, warum er den Eingang von irgendwelchen Firmen bewachen sollte. Noch einmal bei der Frau nachzufragen, traute er sich nicht. Sein Chef mochte diejenigen nicht, die seine Anordnungen nicht gleich verstanden. Er konnte auch nicht ausschließen, dass die hübsche Hausfrau nicht die Geliebte des Chefs ist und ihm alles sagen könnte. Letzten Endes kam Kusnezow zu einem eindeutigen Schluss. Er sollte die Handwerker in Empfang nehmen und in den dritten Stock, wo die alte Frau, Herrn Fischers Mutter wohnte, begleiten. Nach dem zustimmenden Nicken des neuen Türstehers lächelte die Deutsche und verschwand plötzlich. Sie war zufrieden, dass der Russe die Hinweise von Frau Emma Fischer verstanden hatte. Die Alte war in Sorge um ihr Hündchen Kati, die die Handwerker hätten wecken können. Deshalb hatte sie sich entschlossen, eine Wache aufzustellen, die sollte sehr vorsichtig klopfen, wenn die Handwerker kamen. Die Alte wie auch ihr Hund hatten außer Nachtruhe noch tagsüber zwei Stunden 'Staatsruhe'. Von 13:00 bis 15:00 Uhr herrschte in den Wohnhäusern des Landes Ruhe. In dieser Zeit stand alles still, besonders in diesen Häusern und Eingängen, wo Rentner wohnten. Sie verwendeten den 'Zusatz' hundert Prozent für den Schlaf. Die Ruhestörer waren für viele Nachbarn richtige Feinde geworden. Frau Fischer hatte wegen sich keine Sorgen, im Laufe von neunzig Jahren lagen ihr Schlaf und Appetit in der Norm. Sie hatte nur Angst um ihre vierbeinige Freundin, die an diesem Morgen schlecht gefressen hatte. Der Hund hatte Bauchweh. 'Kati' hatte einige Mal Stuhl auf der grünen Wiese, auf der die ausgelassenen Knaben Fußball spielten. Kinder mochte die Alte nicht. Das Hündchen Kati hatte sie sehr lieb, das hatte auch Angst vor diesen Knaben... Alexander ging zum Haus der Mutter seines Chefs dreißig Minuten vor der angegebenen Zeit und hat gleich begonnen, gewissenhaft zu wachen. Während des Hin- und Herlaufens hörte er nicht auf, über die Konsequenzen der gestrigen Schlägerei nachzudenken. Am Vormittag hatte der Chef ihn nicht zu sich gerufen, es beruhigte ihn, aber machte ihn auch aufmerksam. Er schoss immer wieder mit den Augen die Passanten 'an' mit der Hoffnung, seinen Chef zu sehen und ihm seine Unschuld zu erklären.
  Der Handwerker der Firma kam pünktlich um 13 Uhr. Alexander reagierte gleich auf den kleinen Bus, auf dessen Seiten verschiedene Röhren darauf gezeichnet waren. Aus dem Bus war ein junger Mann ausgestiegen und sicheren Schrittes in Richtung des Hauses gegangen, wo in der Hitze Kusnezow 'weidete'. Die Wache ist mit seiner ganzen Geschwindigkeit dem Handwerker entgegengeeilt und hat ihn sehr laut in deutscher Sprache begrüßt. Der Deutsche, der in seinen Händen eine Mappe und einen kleinen Koffer hatte, nuschelte etwas und ging in einer unabhängigen Art weiter zum Eingang, wo Frau Fischer wohnte. Alexander, der bereit war, seine Aufgaben fleißig und gewissenhaft zu erledigen, überholte ihn und drückte mit voller Kraft auf den Klingelknopf gegenüber des Familiennamens seines Chefs. Um sicher zu gehen, drückte er noch einmal, dann noch einmal... Nachdem sich die Eingangstür geöffnet hatte, lief er rasch, wie auf Flügeln, nach oben, um als Erster an der ersehnten Tür zu sein...
  Die Visite bei der Mutter seines Chefs war die erste und die letzte in seinem Leben. Er hatte noch nicht die Wohnungstür geöffnet, als vor ihm die alte Physiognomie der Mutter von Herr Fischer erschien. Dem Aussehen nach war die Alte hundert Jahre alt, nicht weniger. Als sie vor sich den großen Menschen sah, verwandelte sie sich plötzlich. Die Kinnbacken zitterten, die Äuglein brannten vor Hass, ihr Blick hatte die Physiognomie des Stehenden verschlungen. In diesem Moment hatte sie einer Toten ähnlich gesehen. Alexander erstarrte vor Angst einen Moment. Er hatte immer noch nicht den Grund des seltsamen Verhaltens des älteren Wesens verstanden, dass auf seinen Armen einen kleines, mageres Hundchen mit großen hängenden Ohren hielt. Das Tier winselt faul und drückte seinen kleinen Kopf an die magere Brüste der Frau, die hin und wieder einen wütenden Blick auf den Arbeiter ihres Sohnes warf, dann hat sie ihren grauen Kopf geneigt und küsste zärtlich das Tierchen auf die Nase. Aus den Augen der Alten flossen Tränen...
  Unbekannt, was später passiert wäre, wenn hinter dem Rücken des Riesen nicht der Firmenmitarbeiter erschien, der froh lächelte und entschlossen in die Wohnung ging. Vor ihm veränderte sich die Alte plötzlich. Sie gab ihm die Hand und blühte mit einem breiten Lächeln auf. Von dem 'Überfluss' an Zähnen bei der Alten prallte Kusnezow ungewollt zurück. In diesem Moment schloss sich die Tür vor seiner Nase. Der Firmenmitarbeiter kam nach 10 Minuten heraus, der Riese hatte die ganze Zeit die Tür bewacht. Er wollte seine Arbeit bis zu Ende führen, wenn er auch nicht verstanden hatte, warum die Alte ihm gegenüber so 'gleichgültig' und zum Firmenmitarbeiter so höflich war. Der Klempner schaute den stattlichen Schönling an, der gehorsam auf dem Treppenabsatz stand, und sagte im perfekten Russisch:
  'Nun, was, Russe... Ich sehe, dass du die ersten Schritte in diesem Land machst... Warum hattest du die Alte so geärgert? Und auch das Tier war mit dir unzufrieden...'
  Alexander begann sich zu rechtfertigen:
  'Ach, was habe ich und der Hund damit zu tun? Ich... ich... habe alles richtig gemacht...'
  Der Firmenmitarbeiter ging die Treppe runter, Kusnezow folgte ihm.
  Noch bevor er die Bustür aufschloss, sagte der Fahrer:
  'Du, Schönling, dich kann man gleich an der russischen Fresse erkennen... Ich, mein Landsmann, habe hier schon an die Zwanzig mitgemacht. Meine Fresse ist schon zugewachsen genau wie auch bei der Alten, die aus der Tschechoslowakei gekommen ist.' Danach ließ der Deutsche aus der ehemaligen Sowjetunion den Motor an und verschwand hinter dem Haus. Alexander stand noch lange neben dem Parkplatz und dachte über die Worte seines ehemaligen Landsmannes nach, den die Alte so höflich begrüßt hatte. Wegzugehen, ohne sich von der Mutter des Chefs zu verabschieden, war er nicht bereit. Er wollte diese Frau wieder sehen und wollte sich einfach fixieren lassen, um beim Treffen mit dem Sohn in irgendeinem Maße sich für den gestrigen Vorfall zu entschuldigen. Den heutigen hatte er überhaupt nicht verstanden. Diesmal beschloss er, nicht auf die Klingel unten beim Eingang zu drücken, sondern einfach durch die offene Tür reinzugehen, durch die gerade zwei Mädchen gegangen waren. In kürzester Zeit war er an der Tür und klopfte sehr vorsichtig an. Als die Frau des Hauses den verständnislosen Russen vor sich sah, nahm sie plötzlich tierische Gestalt an und mit Speichel auf den Lippen begann wild zu schreien:
  'Raus, raus, raus...'
  Bis zur Dunkelheit lief Alexander in der Stadt herum. Sein Kopf dröhnte ihm von der nervlichen Anspannung, bei ihm ging alles schief. Er rief sich das gestern Abend und heute Geschehene bis ins kleinste Detail ins Gedächtnis zurück. Die Schlussfolgerung war nicht zufriedenstellend. Der Chef würde nie die nervliche Erschütterung seiner Mutter entschuldigen. Die Mutter hatte Angst gehabt, dass der Klempner mit seinem Klingeln die Ruhe ihres lieben Hundchens Kati stören könnte und deshalb hatte sie sich entschlossen, den Russen als Wache hinzustellen. Die gute Absicht der Deutschen hatte der Russe erst jetzt verstanden, aber es war zu spät. Die Auseinandersetzung mit den Jugendlichen, im Vergleich zu diesem Vorkommnis, stand an zweiter Stelle. Den Wunsch, alles hinzuschmeißen und auch seinen Chef, verfolgte immer mehr und mehr Alexander. Er ging entschlossen in Richtung seiner bewohnbaren Unterkunft. Das Licht im Wagen, der neben dem Zelt stand, anzuschalten, traute er sich nicht. Tastend öffnete er die Schranktür, nahm danach drei Würstchen und drei Brötchen raus. Dieses Tagesessen hatte ihm der Hausherr für seine Arbeit festgelegt. Die Verpflegung für den Neuen war sehr dürftig, zu sparen am eigenen Leib hatte ihn das Leben gezwungen. Er hatte beim Deutschen jetzt die Probezeit gehabt. Die Dauer der Probezeit wie auch sein Gehalt für den Türsteher war ein Geheimnis 'unter sieben Siegel'. Während seiner Überlegungen merkte er nicht, wie er auf einmal alle seine Essensvorräte ohne Trinken aufgegessen hatte. Der Beschluss, von dem Inhaber der Diskothek wegzugehen, war für diesen halbhungrigen Russen eindeutig. An den reichen Deutschen hatte er keine Frage mehr gehabt...
  Auf den Bahnsteig eines kleinen Bahnhofes war es menschenleer und still, was den Weggelaufenen sehr verwunderte. Auf dem Bahnsteig und im Bahnhof von Isumrudnoje waren immer Tag und Nacht Menschen. Hier war er ganz alleine. Mit Rucksack spazierte er fast zwei Stunden ziellos rund um den Bahnhof herum und in den anliegenden Straßen und traf niemanden. Vom Nichtstun und von der Ziellosigkeit ging es im ganz schlecht, irgendwelche Lösungen und neue Gedanken gab es im Kopf auch nicht. Kusnezow beschloss, sein Spaziergang zu verlängern. Neben der Tankstelle, die sich ganz am Ende des Städtchens befand, hatte seine Aufmerksamkeit eine nicht große Karte der Stadt und der Umgebung geweckt. Der östliche Teil der Karte gefiel dem Riesen mehr, dort gab es mehr Wälder, gab es auch einen See. Das wilde Leben in der jüngsten Vergangenheit hatte ihn wieder gelockt und nicht nur wegen der frischen Luft. Der weggelaufene Soldat und Militärverbrecher, als den er sich immer betrachtete, hoffte, im Wald Nahrung und Schutz zu finden...
  Zum Wald, der nicht weit weg vom See war, wo Alexander vorübergehend bleiben wollte, erreicht er erst nach längerer Zeit und mit Vorsicht. Mit der letzten S-Bahn fuhr er zu der kleinen Station 'Kinderblumen', weiter ging er zu Fuß. Unterwegs gelangte er in ein Dorf, aber traute sich nicht dort zu übernachten. Die Siedlung war nicht besonders groß, alle Häuser sah man wie 'auf der Handfläche'. Angst hatte er auch vor der Jugend, die neben dem Kulturhaus lärmte. Der Reisende wollte keine Zwischenfälle und ging mit sicherem Schritt in Richtung See. Nach zehn Minuten erblickte er den Wald und beschleunigt seinen Gang. Als er den Waldrand erreichte, blieb er plötzlich stehen. Der Nachthimmel, der bisher dunkel war, wurde auf einmal hell und rosarot vom Blitz, ein lautes Donnern war zu hören. Kurz darauf kamen gewaltige Wasserströme auf die Erde herunter, der Wald rauschte vom starken Wind und stöhnte sogar. Während des Ansturms der Naturkräfte ließ sich Alexander auf den Boden herunter und weinte bitter, in diesem Riesenwald hatte er Angst, hineinzugehen. So eine Angst hatte er schon lange nicht mehr gehabt, der Wald war immer sein Freund und eine sichere Unterkunft gewesen. Der starke Windstoß und die gewaltigen Wasserströme, die auf Mensch und Wald runtergekommen waren, waren schnell vorbei. Statt des vorher rosaroten Himmels gab es eine große Decke von dunkelblauen Wolken. Ringsum war Stille eingetreten. Der Eremit lag ganz nass und müde im Gras und hatte Angst sich zu bewegen, jetzt hatte er vor allem und vor allen Angst. Nach einer gewissen Zeit schlief er ein, schlief wie ein Toter, als wäre diese Nacht für ihn die letzte auf der Erde...
  Er wachte früh am Morgen auf. Auf der Erde herrschte immer noch Dunkelheit. Die Angst ging für eine Weile bei dem erwachten Menschen weg und er rannte in die vor ihm aufbrechende Dunkelheit. Je weiter er in den Wald rannte, desto ängsticher wurde er. Vor Angst blickte er sich nach allen Seiten um. Es kam ihm vor, als versteckte sich irgendwer im Gras oder im Busch. Angst jagten ihm auch die hohen Kiefern, ie auf ihn fallen und zerdrücken wollten. Er bewegte immer schneller und schneller seine Füße und Hände, um die Angst zu vertreiben. Dann wurde er langsamer und blieb stehen. Nach einer kurzen Pause lief er wieder weiter. Aber die Kräfte schwanden ihm immer mehr und mehr. Neben einer großen Kiefer ließ er sich aufgrund der Müdigkeit auf die Füße herunter und begann tastend altes Gras für ein Bett zu ziehen. Nach kurzer Zeit schlief er ein... Die helle Morgensonne holte den weggelaufenen Soldaten ins Leben zurück. Das Naturlicht hatte ihn nicht nur geweckt, sondern auch erschreckt. Als er die Augen öffnete, konnte er erst gar nicht richtig zu sich kommen. Er dachte, dass jemand ihm mit der Taschenlampe in die Augen leuchtete. Kusnezow sprang auf und griff genau so schnell mit beiden Händen hinter den Kopf in der Hoffnung, dort eine Maschinenpistole zu finden. Eine Waffe hatte er neben sich nicht gehabt, es gab auch nicht Kaschtanka. Nach fünf Minuten war er wieder ganz zu sich gekommen... Als ihm bewusst geworden war, dass er heute wie auch gestern ein Verbrecher blieb, brachte diese Tatsache ihn zur Verzweiflung. Er ließ sich langsam auf den Rücken hinunter und schaute durch Tränen auf die Sonne. Hoffnungslosigkeit und Apathie zum Leben herrschten in seiner Seele fast bis zum Mittag. Unklar, wie lange bei ihm so ein Zustand gedauert hätte, wenn er auf seinem Weg nicht eine kleine Hütte gefunden hätte, wie sie Jäger ziemlich oft als Hinterhalt gegen Enten oder Tiere bauten. Der Flüchtling entschloss sich hier zu bleiben. Bis zum Mittag hatte er schon eine neue Bleibe, die war fast nicht schlechter als die, die ihm Fischer zur Verfügung gestellt hatte. Alexander freute sich auch über den See, der sich dreihundert Meter von der Hütte befand. Er hatte auch schon die Umgebung durchforscht, großen Verkehr gab es nicht in der Nähe. Eine bestimmte Gefahr war vom Anfang an das deutsche Dorf, dass sich fünf Kilometer vom See entfernt befand. Diese Siedlung mit schwer auszusprechendem und unverständlichem Namen umkreiste er zwei Mal, um wichtige Objekte zu finden. Die Polizei und andere gefährliche Subjekte hatte er nicht ausgemacht. Sowjetische Militärobjekte in dieser Gegend zu suchen, wäre nach seiner Meinung ein Unsinn. Zum Abend hatte er sich völlig beruhigt. Und nicht ohne Grund. Eine Bleibe hat er gehabt, voll war auch sein Magen. Der Einzelgänger hatte gut im Geschäft des Dorfes eingekauft. Delikatesse hat er nicht gekauft, Geld gespart. Er wollte jetzt mehr auf Gewerbe (Fischfang u. a.) setzen. Der See war nicht nur sehr schön, sondern auch reich an Fisch. Er hatte Glück. Im Busch, der zehn Meter vom Wasser weg war, hatte er eine selbstgemachte Angel mit zwei Haken gefunden. Würmer zu beschaffen war leicht. Hier hat er auch eine verrußte Kasserolle gefunden. Daran, dass dies alles einem Landsmann gehörte, zweifelte der ehemaliger Soldat nicht. Wegen dieses Fundes sprang er vor Freude fast hoch. Nach längerem Putzen mit Sand und Grass war das Geschirr fast wie neu. Während der Arbeit bedankte er sich in der Seele bei den sowjetischen Soldaten und Offizieren, die ihre freie Zeit in der Natur verbracht hatten und frische Fische schmausten. Ohne Fische blieb er auch nicht. Er hatte es geschafft, bevor er zum Schlafen ging, am neuen Platz einige nicht große Fischchen zu fangen, deren Namen er nicht kannte. Der Junge hatte in Sibirien selten gefischt und schrieb alle gefangenen Fische den Karauschen zu. Das Fischhandwerk hatte er auch nicht vollständig bei Fähnrich Tschernow erlernt. Diese Nacht schlief der Flüchtling ruhig. Er hatte zum ersten Mal in seinem Leben vor dem Schlafengehen gebetet, sein eigenes Gebet. Den Inhalt irgendeines Gebetes kannte er nicht, den hatte ihn niemand gelehrt. Die Lehrer in der Schule hatten alle einstimmig behauptet, dass es einen Gott nicht gibt. Alle Schüler stimmten dem zu, er bildete auch keine Ausnahme. Petjka Sorokin, der Tischnachbar, glaubte an Gott und musste dafür ziemlich oft büßen. Er war zwei Jahre älter als Sanjka und hatte oft geweint, wenn er zum jungen Riesen spielen kam. Es verging keine Woche, dass Petjkas Eltern nicht in der Schule bei Direktor oder Dorfverwaltung eingeladen wurden. Sie wurden überall beschimpft, dass ihr Sohn nicht nach sowjetischer Art lebt. Die älteren Sorokins tranken keinen Selbstgebrannten, sie hatten auch keinen Fernseher. Der junge Sorokin war kein Oktjabrjonok und auch kein Pionier, lernte trotzdem gut. Sanjkas Eltern hatten nie in den Gott geglaubt und deswegen waren sie misstrauisch gegenüber den gläubigen Siedlern. Sanjkas Mutter begann an Gott zu glauben erst dann, als Nikolaj, ihr Mann, verschwunden war. Sie ging zu den Nachbarn und nahm eine kleine Ikone. Sie stellte die Ikone in die vordere Ecke, danach faltete sie ein kleines Blatt Papier auseinander und begann das Gebet zu lesen. Der Sohn hatte es zufällig verfolgt und Tränen auf dem Gesicht der Mutter gesehen. Er hatte in dieser Zeit keinen großen Wert auf Tränen und Gebete gelegt. Er hatte sich mehr auf die Miliz verlassen, die versprochen hatte, den Vater zu finden. Zeit verging, der Vater war immer noch nicht da. Die Gleichgültigkeit zum Gebet verflüchtigt sich beim jungen Mann immer mehr und mehr ... Den Wunsch, vor dem Schlafengehen zu beten, wurde am stärksten durch Erinnerungen an seine Kindheit und an seinen Geburtstag hervorgerufen. Die Mutter hatte oft erzählt, wie ihr Sanjka auf die Welt gekommen war. Der Junge wurde im Herbst, Ende September, damals war ein heißer Tag, geboren. Bei der Entbindung war die Mutter der Nachbarin Darja Sorokina dabei. Die Alte Akulina hat dabei gebetet und den Gott gebeten, dass Kusnezows Kind gesund, groß und schön aufwachsen sollte. Die Eltern dankten oft der Hebamme für die Gebete: der Sohn wuchs nicht nur jeden Tag, sondern jede Stunde. Sanjka war mit fünfzehn Jahren der Allergrößte in Neidjonowka, auch in Bezug auf Schönheit war er nicht zu kurz gekommen.
  Aber sein Kopf 'lahmte' etwas. Das hatten alle Dörfler zugegeben, einiges hatte er auch selbst zugegeben. Am meisten litten die Eltern unter seinen Absonderlichkeiten, für die er immer ein leibliches und teures Kind war. Zum Geburtstag kauften sie immer dasselbe Geschenk - gezuckerte Kondensmilch.
  Die Dosen mit dem blauen Aufkleber standen auf den Regalen zu allen Zeiten und bei allen Verwaltern. Sanjka hatte immer darauf gewartet und sich über sein übliches Geschenk gefreut. Die Mutter kaufte an diesem Tag immer zwei Dosen gezuckerte Kondensmilch. Das Geburtstagkind nahm mit einem Lächeln gleich beide Dosen, danach 'wog' er sie mit Händen. Die 'leichtere' nahm er für sich, die 'schwerere' gab er den Eltern. Der Inhalt des Geschenkes war blitzschnell alle. Der Junge bohrte mit einem scharfen Pfriem in den Dosendeckel einige Löcher und saugte gleich die Milch aus. Die Eltern hoben einen Teil vom Geschenk des Sohnes bis zum Abendessen auf, damit er auch am Abend seinen Lieblingsschmaus hatte.
  Die Erinnerungen an die Eltern riefen in dieser Nacht beim Flüchtling auch eine gute Geste zu Gott hervor. Mit seiner Hilfe hatte sich wieder ein Hoffnungsfünkchen für die Zukunft angezündet...
  Aus seiner 'Wohnung' kam Kusnezow erst am Mittag heraus, kam nur im Slip heraus und ging vorsichtig in Richtung See. Am Ufer gab es zwei Brückchen, von ihnen konnte man nicht nur ins Wasser springen, sondern sich auch darauf sonnen. Vor dem Badengehen durchforstete der Flüchtling die Umgebung gründlich. Die Angst vor der deutschen Polizei und Militärstreife zwang ihn, das immer und überall zu machen. Um den See herum gab es keine Gefahrenquellen. Nur in der Seemitte bemerkte er einen Menschen, der ruhig auf einer aufblasbaren Matratze lag und genau so ruhig mit den Händen im Wasser planschte. Alexander wollte abwarten und nichts riskieren. Er setzte sich runter und versteckte sich im dichten Gras, das um den See herum wuchs. Nur an den Brückchen war das Gras akkurat gemäht. Der im Versteck Sitzende wusste selber nicht warum er den, der auf dem Schwimmmittel auf der Badematratze sich sonnte, beobachten wollte. Er kroch sehr vorsichtig nach Militärart in Richtung des in der Nähe liegenden Brückchens. Er war sich sicher, dass der Schwimmer oder die Schwimmerin letztendlich hier heranschwimmen würden. Das andere Brückchen, das sich auf der anderen Seite des Sees befand, schloss der Flüchtling aus irgendeinem Grund aus. In seinen Vermutungen lag er nicht falsch. Nach zwanzig Minuten nähert sich das Schwimmmittel, auf dem ein Mensch lag, dem Ufer. Kusnezow, der sich hinter dem Busch versteckte, schaute angespannt den an, der ruhig, der wie auch vorher, auf dem Bauch lag und langsam mit den Händen ruderte. Erst danach, als das Mittel am Brückchen anlegte, hatte der Riese keine Zweifel mehr. Auf der aufblasbaren Matratze befand sich ein Mädchen. Schon fünfzig Meter vom Ufer aus konnte er ihre langen schwarzen Haare sehen, die von ihrem Kopf herunter hingen, und ihre Lockenspitzen strichen manchmal das Wasser. Das Mädchen stand schnell von der Matratze auf und betrat leicht das Brückchen. Vom Gesehenen schrie Alexander fast. Sie war nackt. Die Sonnenstrahlen spielten auf ihrem braungebrannten und sehr schlanken Körper. Die Unbekannte schritt fest mit ihren schlanken Beinen auf dem Holzbelag, beim Gehen wippten ihre straffe Brüste leicht ... Beim unerwarteten Erscheinen dieses schönen Mädchens wollte Kusnezow Atem holen und bewegte leicht den Fuß. Plötzlich gab es ein Knirschen, unter seinem Fuß brach ein trockener Ast oder etwas Anderes. In diesem Moment blieb die Nackte stehen und war verblüfft... Zehn Meter von ihr weg saß im Busch ein unbekannter Mann, vor Angst schrie sie laut auf und warf sich schnell ins Wasser. Alexander stand auf und erstarrte für einen Moment. Er konnte immer noch nicht verstehen, warum die nackte Schwimmerin wieder sich in den See geworfen hatte. Nach einer Zeit hörte er einen schrillen Schrei, das war ein Hilferuf. Kusnezow war sich sicher, er sprang aus seinem Versteck hervor und rannte weiter zum Brückchen. Zwanzig Meter vom Ufer weg sah er das Mädchen, das wirklich am Ertrinken war. Die Arme schlug stark mit den Händen ins Wasser und schaffte um sich herum eine große Spritzfontäne. Sie hat ab und an fürchterlich um Hilfe geschrien. Der Riese dachte nicht lange nach, machte einen Anlauf und stieß sich mit allen Kräften vom Brückchen ab. Zehn Meter war er im Wasser gelaufen, bis das Wasser ihm bis zum Hals reichte. Einen Augenblick blieb er stehen, blieb stehen in dem Bewusstsein, dass er selbst nicht so richtig schwimmen konnte. In Neidjonowka gab es keinen Fluss, in seiner Kompanie hatte er nur zwei Mal Schwimmunterricht. Der Schütze hatte zweimal Ungenügend bekommen, ungeachtet dessen, dass der Zugskommandeur ihn mit einem dicken Knüppel angetrieben hatte. Das Schwimmen des starken Sibiriers hatte bei den Zuschauern in Militäruniform nur ein Gelächter hervorgerufen. Der Untergeordnete des Hauptmanns Makarow konnte ohne Problem Wasser schlucken, wenn da nicht seine Größe gewesen wäre...
  Jetzt hatte er keine Zeit darüber nachzudenken. Auch ihm hatte der Tod gedroht. Er, als hätte er ihn geahnt, entschloss sich zu handeln, zu handeln, um sein Leben zu retten und das Leben derer, die aus Angst vor dem Unbekannten sich ins Wasser geworfen hatte. Alexander wühlte mit großer Mühe das Wasser um sich herum mit Händen auf und zuckte gleichzeitig mit den Füßen. Nach einigen Augenblicken spürte er, dass sein starker Körper sich etwas vorwärts bewegt hatte. Das hatte ihm Vertrauen in seine Kräfte gegeben, dass er das Mädchen retten konnte, das immer noch schrecklich schrie. Ihr Kopf verschwand mal und tauchte dann wieder auf. Bald schwamm er zu ihr heran und schrie laut in russischer Sprache:
  'Fass mich am Hals an, nur schneller... Schneller... Kusnezow konnte nichts mehr sagen, ihn selbst zog es unter das Wasser. Aus Angst, unter dem Wasser beerdigt zu werden, schlug er verzweifelt ins Wasser. Es half ihm nicht, sein Kopf tauchte ab und zu unter Wasser. Die Angst vor dem heranrückenden Tod forderte den jungen Mann wieder auf, ruhig und vernünftig zu handeln. Dazu hatte noch in der Kindheit Jurka Basargin, sein Mitschüler, ein richtiger König eines nicht großen Brunnens, aufgerufen. Der hatte immer und überall Abenteuer im Wasser gesucht. Es war ein vernachlässigter alter Brunnen, der sich im Nachbardorf befand. Der Junge sprang in dieses Loch ohne jegliche Sicherung. Sanjka Kusnezow, der Allergrößte aus seiner Klasse hatte Angst vor dem Wasser gehabt... Die Ertrinkende hielt sich schnell mit einer Hand am Männerhals fest, mit der anderen Hand hatte sie begonnen, langsam zu rudern. Alexander, als wären zu ihm nach dem Willen Gottes die Kraft und Ruhe zurückgekehrt, folgte dem Beispiel des Mädchens. Die jungen Leute kamen erst zu sich, als sie am Ufer angekommen waren. Kamen an und ließen sich gleich auf die Erde fallen. Sie lagen auf dem Boden, eine Handlänge entfernt und atmeten schwer. Niemand von beiden wollte die Auge öffnen und nicht nur, weil die Sonne hell schien. Der Junge und das Mädchen ließen in ihren Köpfen all die schreckliche Revue passieren, was mit ihnen vor einigen Minuten hätte passieren können. Und das Allerschrecklichste für die Menschen hieß Tod. Kusnezow, der am Ufer zwei Meter weg vom Wasser lag, hatte noch nicht vollständig die Bedeutung seiner edlen Tat begriffen. Er konnte immer noch nicht glauben, dass er lebte und wie früher atmen und denken konnte. Der Gedanke darüber, dass er und keiner Anderer, der Grund der Handlungen der Unbekannten war, die sie fast zum unsinnigen Tod brachte, zwang ihn, die Augen zu öffnen und das Mädchen anzuschauen. Er öffnete seine Augen halb und hob vorsichtig den Kopf und senkte ihn gleich wieder. Die Unbekannte lag neben ihm mit geschlossenen Augen und weinte leise. Aus den Augen flossen Tränen...
  Die hellen Sonnenstrahlen machten sich immer stärker bemerkbar. Kusnezow dachte schon an niemanden und an nichts mehr. Sein gesunder und starker Körper hatte sich erholt, erholt hatte sich auch seine Seele. Er erhob ungewollt seinen Kopf und staunte. Das junge Mädchen mit den langen schwarzen Haaren lag weiter ruhig, als ob um sie herum niemand gewesen wäre. Sie hatte nur etwas ihre schlanken Beine unter sich geschlungen, als wollte sie ihre Nacktheit verstecken.
  Kusnezow wurde etwas mutiger und erhob sich wieder vorsichtig. Er hatte in seinem Leben noch nie so nah einen nackten Frauenkörper gesehen. Das ruhige Verhalten der jungen Dame brachte immer mehr und mehr seine sexuellen Gefühle in Wallung... Er richtete immer mehr und mehr seinen aufmerksamen Blick auf ihr Gesicht. Es war schön, mager und etwas länglich. Er konnte nur ihre Augen nicht sehen, sie waren fest geschlossen. Um sich etwas abzukühlen und seine Anständigkeit zu zeigen, legte er sich auf den Rücken. Nach fünf Minuten erhob er sich wieder. Er hatte keine Zweifel, seine schöne Nachbarin schlief. Während des Schlafens schluchzte sie leise auf und manchmal seufzte sie schwer. Für Alexander sah es so aus, dass es ihr schlecht ging und er kam schnell wieder auf die Beine. Er stand so schnell auf, dass bei ihm irgendwas knirschte und zwar im linken Fuß. Er hatte erst jetzt verstanden, dass sein Organismus als Anfangsschwimmer unter diesen extremen Bedienungen eine sehr schwere Belastung ertragen musste. Aber ihm war es jetzt nicht nach Wehwehchen. Der Mann mit der kräftigen Figur und den außergewöhnlichen Kräften betrachtete aufmerksam den nackten Körper des schlafenden Mädchens. Er schaute ihn sehr ruhig an und bewunderte ihn. Der Körper war wirklich sehr jung und sehr zart. Er hatte sogar bemerkt, dass die, die er gerettet und sein eigenes Leben riskiert hatte, sehr auf sich achtete. Die Nägel auf ihren schönen Fingern waren akkurat geschnitten und rot lackiert. Er hatte sein Blick auf ihr Gesicht gerichtet, dann nach unten, noch weiter nach unten... Sein Blick blieb auf der Scheide stehen, die mit schwarzen lockigen Haaren...umgegeben war. Weiter das alles anzuschauen, konnte er nicht mehr. Er ließ sich augenblicklich auf den Sand herunter und spreizte mit Löwenkräften die schlanken Beine des Mädchens auseinander. Fast gleichzeitig schob er sein Glied in die Scheide hinein und drückte leidenschaftlich seine Lippen auf die Lippen der Unbekannten...
  Erst nachdem sich am Himmel Wolken bildeten und es anfing zu nieseln, liefen die jungen nackten Leute in den Unterschlupf des Flüchtlings. In der ganzen Zeit, als sie sich geliebt und unter der Sonne gelegen hatten, sagt keiner von ihnen ein Wort. Jetzt lachten sie und schauten sich ohne Scham gegenseitig an. Kusnezow konnte nicht verstehen, warum die nackte Schönheit lachte. Sein Gesicht wurde rosa, als das Mädchen einen leidenschaftlichen Blick auf ihn richtete, die seine erste Liebe ihn seinem Leben wurde. Gegen Abend jagte ein starker Wind die schwarzen Wolken auseinander und das Wetter wurde schön.
  Die Unbekannte kam aus dem Versteck heraus und ging zu einem Baum am Ufer des Sees, wo in einer großen Tasche ihre Kleider lagen. Alexander begleitete die Deutsche nicht, er schaute nur sehnsüchtig seiner ersten Liebe nach. Von dieser Feststellung wurde es ihm in der Seele leicht. In dem fast Vierteljahrhundert, das er auf der Erde lebte, war er noch nie so glücklich wie heute gewesen. Die Freudengefühle fegten wie ein starker Wirbel oder Orkan in einem Augenblick alle seine Probleme und Sorgen weg. Er ließ sich schnell in sein selbstgebautes Bett fallen und ist sofort eingeschlafen. An diesem Abend vergaß er das Beten...
  Erika Krüger kehrte in die 'Wohnung" zu ihrem Retter erst nach drei Tagen zurück, wenn auch sie früher hatte kommen wollen. Den Wunsch, wieder in den Armen des jungen und schönen Russen zu liegen, hatte sie am selben Abend, als sie duschte und den Morgenmantel anzog. Sie ging oft zum Kleiderschrank mit dem Ziel, sich die schönsten Kleider herauszusuchen. Ging zu ihm, öffnete den Schrank und machte ihn wieder zu. Sie war sich so lange unsicher, bis sich die dunkle Decke der Sommernacht auf das kleine Dorf heruntergelassen hatte. Sie könnte dem Russen auch in der Nacht eine Visite machen, wenn es nicht die dunklen Wolken und den feinen Regen gegeben hätte.
  Den lange anhaltenden Regen mochte Erika nicht. In der Regel hatte sie an diesen Tagen in der Schule nichts gemacht, so auch im Werk, wo sie das Küchengeschirr mit der Glasur abdeckte. Viel Geld hatte sie nie gehabt, materiell konnten ihr auch ihre Eltern nicht helfen. An ihre Mutter konnte sie sich nicht erinnern, sie starb ein Jahr nach ihrer Geburt. Bald hatte der Vater eine andere Frau ins Haus gebracht, aber mit ihr war kein Leben. Die erwachsen werdende Tochter hatte ihn nie danach gefragt, warum er allein lebte. Er starb einen Monat vor dem Fall der Mauer. Der Ingenieur hatte mit großer Energie den Sozialismus auf deutschem Boden mit aufgebaut, auch mit solcher Energie ihn 1989 zerstört. Als noch relativ junger Mann starb er nach dem dritten Schlaganfall. Er starb an dem Tag, als Erika achtzehn wurde. Die Tochter ging statt des Vaters auf die menschenvollen Straßen. Sie klopfte mit Tränen in den Augen und bis zu Schmerzen mit ihren kleinen Fäusten an die verhasste Mauer und trank in dieser unvergesslichen Nacht das Bier dieses Landes, das sie vor kurzem noch gelehrt wurde, nicht zu lieben und im Gegenteil sogar zu hassen... Die Euphorie des satten Kapitalismus verschwand bei der jungen Arbeiterin schnell. Nach einem halben Jahr hatte das kleine Werk geschlossen, sie blieb ohne Arbeit. Aber an diesem Abend gab es im Kopf der schönen Brünetten viel mehr frohe als trübe Gedanken. Die Quelle ihrer Freude war der junge Mann, den sie ganz zufällig am See getroffen hatte. Er hatte sie sehr erschreckt und gleichzeitig vorm Tod gerettet und nicht nur das. Erika, die in einem weichen Bett lag, hatte für einen Moment diese Welt 'verlassen" und war wieder im Meer leidenschaftlicher Küsse und Liebe, die ihr der unbekannte Mensch gegeben hatte. Sie hatte, als sie heute am Ufer unter der brennenden Sonne lag, nicht gemerkt, wie sich ihre Augen geschlossen hatten, wegen der Angst und Müdigkeit, als sie um Hilfe gerufen und mit den Händen ins Wasser geschlagen und gewünscht hatte, um Ufer zu sein. Ihr Retter war gerade der, der unverständlicherweise hinter einem Busch saß. Je mehr sie über ihn nachdachte, desto sicherer war sie sich in ihrer Vermutung. Der, der ihr als Erster die helfende Hand reichte, war ein russischer Junge. Davon war sie gleich überzeugt, als er ihr etwas am See laut zu schrie. Worum der starke Mann gebeten und was geschrien hatte, konnte Erika damals nicht verstehen. Die Angst beherrschte ihre Seele und ihr Herz. Jetzt hatte sie ruhig darüber nachgedacht, warum der Russe sich an dem See befand. Aus dem Kreisgebiet Zunden waren die sowjetischen Militärs vor fast zwei Jahren weggegangen. In den Jahren ihres Aufenthaltes hatte sie einiges über die Gewohnheiten der Russen erfahren. Vor nicht so langer Zeit waren sie in der Regel an den See in großer Gesellschaft oder auch zu zweit gekommen. Sie hatten sich selten allein erholt oder getrunken. Vieles aus dem Leben der sowjetischen Armee hatte sie auch vom Vater erfahren. Hans Krüger hatte bei der Bahn gearbeitet und war mit dem Transport russischer Technik und Personals zu Militärübungen beschäftigt. Er hatte seine Tochter in den russischen Laden mitgenommen. Erika liebte russische Waffeln, dem Vater gefiel der russische Wodka... Alexander wartete ungeduldig auf Erika und ging ziemlich oft am See herum. Während der Zeit ihrer Abwesenheit war er zwei Mal im in der Nähe liegenden Dorf Springer. Er dachte, dass sie gerade hier wohnen könnte. Das schöne Mädchen mit den langen schwarzen Haaren hatte er auf der Straße nicht getroffen. Sie war auch nicht in dem kleinen Laden, wo es sowohl Lebensmittel als auch andere Waren gab. Die erste Nacht nach der Heldentat und seiner erster Liebe mit dem schönen Mädchen war für ihn sehr ruhig und sogar ein wenig göttlich. Die folgenden Nächte waren für den Flüchtling ein richtiger Albtraum. Er hatte sich ständig herumgewälzt und konnte nicht schlafen, das Bett wurde für ihn auf einmal hart. Aus diesem Grund verließ er sehr oft sein Versteck und zupfte Gras und sammelte es. Danach legte er es gleichmäßig auf dem Holzboden auseinander. Es verging noch keine Stunde, als er sich schon wieder anfing zu drehen. Unbekannt woher, gab es auf einmal irgendwelche Käfer, die auf seinem Körper krabbelten. Der Riese kratzte sich deswegen oft, so sehr, dass unter seinen Nägeln Blut- und Hautreste blieben. Um das Jucken irgendwie zu lindern, lief er zum See und sprang ins Wasser. Das Wasser war warm und gleichzeitig erfrischend. Die Deutsche, wie es Alexander vorgekommen war, war eine ganze Ewigkeit abwesend, kam zum See nach drei Tagen. Sie kam um fünf Uhr abends. Er fischte zu dieser Zeit, fischte mit großer Lust. Je öfter er die Angel warf, desto mehr machte sein Gehirn einige Feststellungen. Am Abend biss der Fisch mehr an und das freute ihn. Am Ufer lagen schon vier Karauschen, ziemlich große. Erika Krüger kam mit Herzklopfen zu dem bekannten Wald und See. Sie schloss nicht aus, dass die Spur ihres Retters schon lange verschwunden war. Und alle ihre drei schlaflosen Nächte wären für sie nur unnötige Aufregungen gewesen. Sie trat vorsichtig aus dem Wald heraus und sah den See aufmerksam herum an. Ihr Herz begann freudig zu schlagen, als sie die bekannte Gestalt des großen Mannes sah. Er hatte sich im dichten Gras versteckt und hatte die Angel im Blick. Eine fremde Person hätte den Fischer nicht bemerkt, auf seinem Kopf saß ein Kränzchen aus Birkenzweige. Der 'Robinson" brachte Erika zum Lachen und sie wollte mit unterdrücktem Lachen unbemerkt zur Angelstelle des Mannes, der ihr richtige Liebe geschenkt hatte. Bei diesem Gedanken erinnerte sie sich an Peter, mit dem sie ihr 'Erstes Mal' hatte erleben wollte. Sie war gleich in der ersten Nacht enttäuscht. Der Arbeitskollege war bald außer Atem, wie ein Hase. Sie schickte am nächsten Abend den Pechvogel weg, er hat auch selbst seine 'Sünde' verstanden und belästigte sie nie wieder. Der taktische Trick, den Russen zu foppen und erschrecken, gelang der Deutschen nicht. Alexander hatte an diesem Tag den Platz zum Fischen besonders sorgfältig ausgesucht, der Grund dafür war das heiße Wetter. Er war sich sicher, dass bei so einer Hitze viele Leute zum Baden und sonnen kommen würden. Er hatte Recht. Schon am frühen Morgen ertönte und erschallte im Wald und am See herum der Lärm von Autos und Motorrädern. Die Besucher des schönen und stillen Sees waren meistens junge Leute. Viele von ihnen schrien laut, einige veranstalteten lustige Konzerte auf dem Wasser. Die Anwesenheit der Leute ärgert Kusnezow, er war seit dem Morgen in Angst und Schrecken. Er hatte sogar seine Laubhütte verlassen und seinen Rucksack im Wald versteckt. Es konnte sein, dass ein Pärchen beschloss, sich in die Laubhütte zurück zu ziehen. Die Angst verfolgte ihn und zwang ihn, sehr vorsichtig zu sein. Er hatte wieder, wie auch vorher, alles Mögliche und Unmögliche getan, um seine Spuren zu verwischen oder die Möglichkeit für ein erfolgreiches Weglaufen vorzubereiten. Eine Stunde vor dem Fischen, während des erzwungenen Spazierganges im Wald, fand er zwei runde weiße mit rotem Rand Schilder, auf denen ein Bild von einem Soldat war und in russischer Sprache stand: 'Stehen bleiben! Hier wird geschossen!' Kusnezow freut sich über diesen Fund. Nach einigen Minuten hatte er nicht weit von der Laubhütte, am Anfang des Weges zu ihr, diese Warnschilder mit großer Freude aufgestellt. Er war sich sicher, dass die heimischen Deutschen Angst hätten, in seine Hütte zu gehen, wenn sie die bekannten Wörter in russischer Sprache sahen. Erst nach diesem Schutz entschloss sich der Flüchtling, fischen zu gehen. An der Sicherheit seiner Unterkunft hatte er fast keine Zweifel. Erika wusste gewiss nichts über die Eigenheiten und Probleme ihres Jungen und schlich leise kichernd wie eine Katze vorsichtig zum Angelplatz. Nach zwei Metern blieb sie stehen und war verblüfft. Im Gestrüpp weder ihr Retter noch seine Angel. Einen Augenblick war sie enttäuscht, hatte sogar Sehnsucht nach dem bekommen, der sie vor drei Tagen aus dem Wasser gezogen hatte. Sie drehte langsam ihren Kopf zur Seite und befand sich plötzlich in den starken Armen des Russen, der seit kurzem ihr Herz und ihre Seele besaß.
  Er nahm sie auf die Arme und küsste leidenschaftlich ihre Lippen. Und alles Andere war für sie wie unter einem göttlichen Schleier. Wohin der russische Riese sie trug, wusste sie nicht. Sie presste sich nur stärker und näher an seine mächtige Brust. Sogar der Geruch des männlichen Körpers, eine Mischung von Fisch und Gras, störte sie nicht. Nach einiger Zeit waren sie tief im Wald. Sie hatte gemerkt und auch gefühlt, mit welcher Vorsicht dieser starke und sehr schöne Riese sie auf die Erde legte und ihre Beine auseinander bog. Die schöne Deutsche mit den langen schwarzen Haaren leistete überhaupt keinen Widerstand gegen die tierische Kraft und die männliche Zärtlichkeit des Russen ...
  Diesen Abend und diese Nacht verbrachte Erika Krüger in der Hütte des russischen Soldaten. Für sie war nicht nur der Abend wunderschön, sondern auch diese Nacht. Wunderschön waren auch die gewesen, die sich in der Hütte befanden. Alexander saß auf dem Stuhl, der ab und zu knarrte, und hielt auf seinen Knien das nackte Mädchen. Er war auch selbst nackt. Das junge Pärchen von schönen Naturgeschöpfen verstand auch selbst nicht, warum es so eine Form 'der Kleidung' ausgesucht hatte. 'Modemacherin' war wahrscheinlich Erika, die gern auf der Badematratze nackt schwamm, und ihren Slip unter den Bauch legte. An diesem Tag war ihr nicht nach einem Slip. Der Unbekannte hatte sie aus dem Wasser ganz nackt herausgezogen und in diesem Zustand ans Ufer gelegt. Wie damals hatten der große Junge und das schlanke Mädchen auch jetzt keine Angst vor ihrer Nacktheit. Im Gegenteil, sie wollten sie leidenschaftlich, brauchten sie sogar, wie Reisende, die nicht nur erschöpft von einer mehrtägigen Reise waren, sondern auch vor Durst starben, was viel schlimmer als der Tod war. Die Nacktheit der schönen Menschen, die sich vom ersten Augenblick an verliebt hatten, diente als Elixier der Leidenschaft, die sie wie im 'Sumpf' versinken ließ. Für eine Zeit befreiten sie sich von dem Sumpf und gaben sich der Zärtlichkeit hin, danach tauchten sie wieder in die Welt der bisher unbekannten Gefühlen und Seligkeit. Die jungen Leute begriffen, dass sie in dieser Welt erst die ersten Schritte machten. Je länger sie es machten, desto weniger glaubten sie verschiedenen Büchern, Ansichten und Meinungen, mit denen irgendeiner sich bemüht hatte, Lücken des sexuellen Stumpfsinnes zu füllen. Für diese Deutsche und diesen Russen existierte kein Sexalphabet. Maß für alles war ihr Liebe, ihre Liebe auf den ersten Blick. An den Tisch setzten sich die jungen Leute erst in der Nacht, der Mondschein herrschte schon lange über dem stillen See. Alexander freute sich sehr, dass Erika eine Flasche Kognak und etwa zehn gegrillte Würstchen mitgebracht hatte. Sie küsste ihn auf die Wange und bedankte sich bei ihrem Retter in gebrochenem Russisch:
  'Danke dir, mein russischer Freund dafür, dass ich am Ufer heraus kroch... Dank dir lebe ich... Noch mal Danke...'
  Der ungewöhnliche Inhalt des Trinkspruches und der starke Akzent bei den russischen Wörtern machten den Riesen sehr fröhlich. Er lachte laut und drückte die nackte Schönheit an sich, sagte danach auch in russischer Sprache:
  'Ich bin sehr froh, dass ich so ein schönes Fischchen wie dich gerettet habe ...
  Er küsste das Mädchen auf den Mund. Nach dem Kognak schaute Kusnezow aufmerksam auf die Deutsche und seufzte schwer. Er bezweifelte, dass sie den Inhalt seines Trinkspruches verstanden hatte, seine Andeutung. Sie konnte wahrscheinlich noch nicht verstehen, wer sie jetzt für den Flüchtling war, der ohne Heimat geblieben war und einige Jahre als Eremit in der Fremde lebte...
  Die Wahrheit über sich zu erzählen, traute sich Alexander Kusnezow nicht, nicht an diesem Abend, auch noch nicht nach einer Woche. Seine folgende Version hatte die Deutsche gleich geglaubt. Seine verlogene Geschichte hatte er ihr während des nächsten Besuches aufgetischt. Erika hörte mit großem Interesse den Aussiedler an, dessen Frau und Tochter nach Russland fuhrten, und er sich auf eigenen Wunsch erholte. Die Information des Jungen machte die Brünette sehr traurig, so, als hätte man sie ausgetauscht. Am folgenden Abend kam sie nicht zum See, sie hatte die ganze Nacht im Bett durchgeweint. Die ganze Welt war nicht mehr lieb. Die Besuche beim Retter wurden immer seltener. Mit der Zeit wurden sie immer kürzer und kürzer. Die Liebe des jungen Mädchens zum Deutschen aus Russland wurde mit jedem Tag geringer. In der Hütte und während des Spazierganges im Wald weinte Erika nicht. Um nicht anzufangen zu weinen, schaute sie oft zur Seite oder wechselte das Gesprächsthema. Sie hatte auch sein merkwürdiges Verhalten bemerkt, dass er oft schwieg oder unpassend sprach. Aber alle seine Eigentümlichkeiten hatte sie auf ihre Kappe genommen. Mit der russischen Sprache hatte sie in der Schule immer Probleme. Die nervliche Entlastung für die schöne Deutsche begann erst zu Hause. Sie, als wäre sie von irgendwem oder durch etwas erschrocken worden, schloss die Wohnung ab und zog die Vorhänge an den Fenstern zu. Sie schaltete auch den Fernseher nicht an, obwohl sie früher Tag und Nacht Fernsehen schaute. Sie dachte, dass die Dunkelheit ihr hilft, für immer den russischen Jungen zu vergessen, der ihr die erste Liebe und Zärtlichkeit geschenkt hatte. Die Selbstverleugnung vor der Außenwelt schützte sie nicht vor dem Wichtigsten. Erika wusste in ihrer Seele und ihrem Herzen, dass sie ohne den schönen Riesen nicht mehr auf dieser Welt leben wollte. Vor diesen schrecklichen Gedanken hatte sie Angst und deshalb unternahm sie alles, um sie aus dem Kopf herauszubekommen. Aber es gelang ihr nur für einen kurzen Moment. Nach dem nächsten Besuch des Sees hatte die Unglückliche sich das Wort gegeben, dass sie ab morgen die Türschwelle der Hütte nicht mehr überschreiten würde. Auch das Leben selbst nahm Korrektive im Verhältnis zwischen der Deutschen und dem Russen vor. Die einheimischen Beamten hatten Erika in einer Woche Fortbildungskurse zur Bürosekretärin versprochen. Erika musste das Angebot annehmen, sonst konnte man ihr Lebensunterhalt streichen...
  Alexander konnte nach seiner Lüge, dass er ein Aussiedler aus Russland ist, gleich auffallende Veränderungen im Verhalten der Deutschen bemerken. Seine erste Liebe erlosch mit jedem Besuch bei ihm immer mehr, das war für ihn sehr furchtbar. Er sah und fühlte, dass sich dieses schöne Mädchen nur wegen ihm Sorgen machte und litt. Er hatte keine Zweifel, dass die Gefühle des Mädchens ihm gegenüber aufrichtig waren. Das freute ihn sehr, auch er selbst war bis über beide Ohren in das schlanke Mädchen verliebt. Der Einsiedler wusste nicht, was er unternehmen sollte, als Erika unter verschiedenen Vorwänden strebte, möglichst schnell seine Hütte zu verlassen oder den Spaziergang zu beenden. Sie ging in der Regel, ohne ihm einen Kuss zu geben. Alexander kompensierte oft ihren 'Mangel'. Erika nahm diesen Kuss als ein unbedeutendes Ereignis auf und ging mit einem gleichgültigen Blick auf den geliebten Riesen schnell weg. Das Desinteresse des geliebten Mädchens gegenüber seiner Person ärgerte sehr den russischen Flüchtling. Nach ihrem Weggehen konnte er sich lange nicht beruhigen, machte sich Sorgen. Er ging mal in den Wald, dann wieder lag er lange im Bett und schaute auf einen Punkt an der Decke. Irgendwelche kluge Gedanken gab es nicht im Wald und auch nicht im Bett. Es war auch unsinnig, das Fahrrad neu zu erfinden. Er müsste nur ehrlich seine Biographie erzählen, besonders,dass er das Militär verlassen hatte. Danach hätte man ruhig auf die Reaktion des jungen Mädchens warten sollen, das, wie er meinte, sogar große Sorgen um ihn hatte. Seine verspätete Information konnte zum Allerschlimmsten führen. Die Gefühle des Mädchens zu ihm verloschen mit jedem Tag, vielleicht auch mit jeder Stunde. Nach dem nächsten Weggehen der Deutsche nahm er sich vor, beim nächsten Besuch unbedingt die Wahrheit zu sagen. Sie kam und ging wieder, alles blieb bei Altem. Die Wahrheit sagte Kusnezow auch dann nicht, als er entgegen seiner Angst und des Risikos mit Erika in das Dorf Springer ging, wo sie wohnte. Sie machten in aller Ruhe einen Spaziergang durch die Hauptstraße, die ganz im Grün versunken war, und dann gingen sie in einen Laden hinein. Beim Herausgehen aus dem Laden saen sie eine Gruppe von jungen Leuten, die laut lachten und mit offenem Interesse den großen Junge anstarrten, der neben dem schönen Mädchen ging und schwieg. Als Erika sah, dass einer von den Jungs in ihre Richtung kam, fasste sie Alexander schnell an die Hand und ging mit beschleunigtem Schritt in Richtung eines kleinen Parks. Dabei flüstert sie aufregt leise:
  'Wieder läuft mir die Scheiße über den Weg... Ich bin derer überdrüssig...'
  Über wen sie sprach, fragt der Russe sie nicht. Ihm war es unangenehm, es zu tun. Er hoffte, dass sie selber in der Lage war, mit den einheimischen Jungen zurechtzukommen. Er wollte auch nicht unter die 'heiße' Hand von Erika kommen, bei der heute fast nichts geklappt hatte. An diesem Tag hatte sie fast immer geschwiegen und über irgendetwas nachgedacht. Mit Tränen in den Augen hatte sie sich von ihrem Freund verabschiedet. Für einen Augenblick hatte sich Alexanders Seele geöffnet und er hatte fest ihre Hand genommen, danach zärtlich und geheimnisvoll gesagt:
  'Erika komm morgen Abend... Ich will dir etwas Wichtiges, sehr Wichtiges erzählen... Dieses Wichtige musst auch du wissen, weil wir so nicht weiterleben können...'
  Wegen dieses sehr Wichtigen ihres lieben Freundes hatte Erika die ganze Nacht nicht geschlafen. Sie suchte in ihrem Kopf die Geheimnisse des morgigen Treffens, aber fand nicht Wichtiges für sich. Diese Nacht war für sie die anstrengendste und längste, nachdem sie sich so richtig in den Deutschen aus Russland verliebt hatte...
  Alexander Kusnezow ging nach zwölf in der Nacht schlafen, die Nacht war heute außergewöhnlich warm und eigenartig. Er, angezogen in Sportanzug und Sportschuhe, hatte noch sehr lange durch das Fenster in der Hütte den Mond beobachtet. Dem Riesen war es vorgekommen, als ob er ihm zublinzelte, als fände er die morgige Beichte gut. Mit diesen Gefühlen schlief er ein. Er hätte wahrscheinlich bis Mittag gepennt, wenn ihn nicht ein schreckliches Knirschen oder Lärm geweckt hätte. Was es war, konnte der Schlafende anfangs nicht verstehen. Er öffnete die Augen und war verdutzt. Über ihm war nur noch der Himmel... Der entstandene Gedanke verblüffte den Flüchtling, seine Hütte hatte irgendeiner angegriffen. Und nicht nur angegriffen, sondern auch noch angezündet. Kleine Flammenzungen hatten die Hütte von allen Seiten 'geschleckt' und wurden immer stärker. Kusnezow spannte sich wie eine Feder für einen Augenblick und sprang schnell heraus. In wenigen Augenblicken war er außerhalb der Hütte und in diesem Moment bekam er etwas Schweres auf den Kopf. Er ließ sich langsam auf den Boden runter, seine dichten schwarzen Haare wurden aus irgendeinem Grund feucht. Trotz des Schmerzes erhob sich Alexander, danach ließ er sich wieder auf die Knie herunter. Die Angst um sein Leben zwang den starken Organismus zu kämpfen. Auf taumelnden Beinen rannte er in die Dichte des Waldes. Nach zwanzig Metern schaute er sich um. Es gab keine Zweifel, ihn verfolgte jemand. Wegen der Dunkelheit konnte er die Gesichter derer nicht sehen, die sich entschlossen hatten, mit ihm brutal fertig zu werden. Je schneller er lief, desto mehr verließen ihn die Kräfte. Er spürte schon den starken Atem der lebendigen 'Unsichtbaren', sie kamen immer näher und näher an ihn heran. Plötzlich tauchten vor ihm zwei Figuren auf. Alexander haute mit allen Kräften einen Unsichtbaren mit seinem Körper um, den anderen brachte er mit seiner Faust zu Boden und lief wieder weiter. Hinten hörte er Schreie und Gestöhne. Nach einer gewissen Zeit, hatte es für den Flüchtling den Anschein, dass die Verfolger zurückblieben. Aber er hatte sich schwer getäuscht. Auf dem Weg aus der Dichte des Waldes erschien wieder irgendeiner. Er entschloss sich jetzt, zielgerichtet zu gehen und ging selber dem Unsichtbaren entgegen. Als er bei ihm war, schlug er mit ganzer Kraft dem Verfolger in den Bauch. Gleich gab er einen schrecklichen Schrei ab. In diesem Moment berührte etwas Scharfes den Rücken des Soldaten und hielt sich für einige Zeit auf seinem Oberschenkel auf. Erst als er auf den Weg, der zu Erikas Dorf führte, herausgelaufen war, spürte er, dass ihn die Kräfte verließen. Als hätte ihn irgendwer verhext, ließ er sich langsam auf den Boden herunter...
  Erika Krüger hat sich für das wichtige Treffen lange angezogen, aber sich einfach gekleidet. Als sie sich vor dem Spiegel bewunderte, war sie sich sicher, dass das hellblaue Shirt mit den sehr kurzen schwarzen Shorts ihrem Bekannten sehr gefallen würde. Auch sie gefiel sich jetzt selbst, wie noch nie vorher. Die dichten langen Haare, die sie mit einem weißen Band zusammenband, und der lange Pferdeschwanz standen ihr sehr gut. Sie warf hin und wieder den Pferdeschwanz von einer Schulter auf die andere herüber und lachte vor Freude. Einen Moment lang bewunderte sie auch ihre schlanken Beine, die über den Sommer gründlich braungebrannt waren und eine Schokoladenfarbe hatten. Etwas Essbares hatte sie dieses Mal nicht mitgenommen. Sie hatte geplant, mit dem Linienbus, der nicht weit vom See vorbeifuhr, am Abend mit dem Freund ins Nachbardorf ins Restaurant zu fahren. Das Restaurant war sehr klein, aber gefiel ihr. Sie war mit dem Vater noch zu sozialistischen Zeiten ziemlich oft dort gewesen. Hans Krüger hatte nie seine Regel gebrochen, er hatte immer seine Prämien für ein gutes Essen und Trinken ausgegeben. Erika hatte immer mit großem Appetit Schnitzel mit Salat gegessen und über ihren Vater gelacht wie er halbbetrunken eine junge Kellnerin für sein verdientes Geld betrunken machte...
  Etwas Wichtiges aus dem Mund des geliebten Aussiedlers an diesem Abend zu hören war nicht gegeben. Aus irgendeinem Grund hatte er sie nicht an der Weggabelung abgeholt, wie er es auch früher gerne gemacht hatte. Er war auch nicht an seinem Angelplatz. Diese dem russischen Gentleman ungemäße Art beunruhigte die Frau Krüger sehr. Sie ging mit Tränen in den Augen zu seiner Hütte. Ihr wurde es fast schlecht, als sie schon von Weitem die halbverbrannten Reste der Hütte sah. Den Gestank des Brandes und Rauches roch man bereits am Ufer, als ein starker Wind ihr über das Gras und Büsche blies. Das, was sie jetzt sah, löste bei ihr einen Schock aus. Sie ließ sich langsam auf den Boden herunter und weinte. Dieser Platz, wo sie vor noch kurzem saßen und sich liebten, war eine richtige Brandstätte. Die Hütte war weg. An ihre Existenz erinnerten nur die vier Metallpfosten, auf denen das Dach der Hütte festgemacht war. Das Feuer hatte fast alles herum vernichtet, sogar bis zu den zwei kleinen Birken hin, auf ihnen hatte der schöne Aussiedler noch gestern seine Karauschen getrocknet. Empörung und Hass gegenüber dem russischen Mann flammten plötzlich in der Seele der Weinenden auf. Sie hatte keine Zweifel mehr, dass der russische Bär sie einfach benutzt, ihre Liebesgefühle geschändet hatte. Erika hatte sich zum ersten Mal in ihrem Leben in einen Mann verliebt, der jung und schön war und einen russischen Namen trug. Er war jetzt von ihr weggelaufen und hatte sich entschlossen, alle Spuren zu verwischen. Deswegen war es für sie kränkend und bitter. Sie ging zu Fuß nach Hause und weinte die ganze Zeit. Sie beschloss, für immer mit dem Menschen fertig zu sein und ihn auch für immer aus ihrem Kopf zu verbannen. Sie wollte auch nie wieder mit den Männern etwas anfangen. Das junge Mädchen hatte nicht vor, von ihrem Schwur zurückzutreten...
  Den Morgen erlebte Alexander Kusnezow zehn Kilometer von dem Dorf Springer entfernt, wo er vor kurzem mit Erika im Laden war. Die Wunde, die einer von den Verfolgern ihm mit dem Messer zugefügt hatte, war nicht groß, aber tief. Zum Glück war der Knochen des Oberschenkels nicht verletzt, ihm macht das starke Bluten Sorgen. Er spürte schon den Blutverlust, ihm war es schwindelig. Er ruhte sich oft aus, ruhte aus und bewegte sich wieder in unbekannte Richtung. Der Flüchtling wusste genau, je weiter er von der vertraut gewordenen Gegend wegging, desto sicherer würde es für ihn. Er verwandelte sich wieder in ein verfolgtes und schutzloses Tierchen, den Alle und Alles verfolgten, Tag und Nacht verfolgten. Früher hatte er vor der Polizei und Militärstreife Angst, jetzt hatte er vor den jungen Leuten Angst. Daran, dass sie ihn in der Nacht verfolgten, hatte er keine Zweifel. Ältere und Alte konnten ihn nicht mit so einer Geschwindigkeit verfolgen. Je weiter er sich von der Hütte entfernte, desto mehr dachte er nach, wer den Abschaum auf seine Spur geführt hatte. Schuld am Geschehenen hatte er nicht, er hatte nie Spuren hinterlassen. Die Vorsicht, multipliziert einige Mal mit Angst, hatte ihn gezwungen, immer auf der Hut sein. In seinen Überlegungen blieb er immer öfter und öfter beim geliebten Mädchen stehen. Er schloss nicht aus, dass sie ihren Freundinnen etwas gesagt hatte. Einen Teil der Schuld sah er bei sich. Er hatte sich nicht bemüht, Erika an die Vorsichtsmaßnahmen während ihres Wald- und Seebesuches zu erinnern. Schreckliche Gedanken über den Verrat der Deutschen rückte der Russe nach hinten. Er konnte sich nicht vorstellen, dass das schöne Mädchen absichtlich die Polizei oder irgendwelchen Abschaum auf seine Spur gelenkt hätte. Er rief sich ziemlich oft Erikas Gestalt, ihre leidenschaftliche Liebe ins Gedächtnis zurück. Er schämte sich, dass er das Mädchen verdächtigte. Sie war das Teuerste, was er auf dieser Welt hatte...
  Otto Schröder, Erikas Mitschüler, war außer sich, als er im Laden seine Freundin mit einem schönen sehr großen jungen Mann sah. Er hatte seit der Kindheit Wege zu seiner Nachbarin gesucht, die ihn immer auf Abstand hielt. Dieser 'Liebhaber' war ihm unbekannt. Seine Wut wurde noch stärker wegen des seltsamen Verhaltens des Mädchens. Sie, als bemerkte sie nicht ihren jungen Mitbewohner, hatte demonstrativ die Hand des Riesen genommen und ihn in Richtung Park gezogen. Otto war sich sicher, dass er bei Weitem keine Konkurrenz für den war, der so behutsam die Hand des Mädchens hielt. Er hatte sie zum ersten Mal mit einem Kavalier gesehen. Die Nachbarin ging aus irgendeinem Grund den Jungs aus dem Weg. Er machte nach der Schule alles Mögliche und Unmögliche, um mit ihr eine Romanze zu beginnen. Sie bemerkte Umwerben des Verliebten nicht, wie sie auch die Anderen nicht bemerkte. In der letzten Zeit ist sie an den Abenden irgendwohin verschwunden. Das hatten fast alle im Dorf mitbekommen. Sie war nicht zu Hause, nicht zum Tanz, als wäre sie vom Erdboden verschwunden. Erikas Erscheinen, dazu noch mit so einem Schönling, verschärfte die Flamme des Hasses und Neides ihrem Auserwählten gegenüber. Otto, der klein von Wuchs war und ziemlich mollig, hatte beschlossen, sich an dem Mädchen zu rächen, so richtig sich zu rächen, dass sie sich das ganze Leben daran erinnern würde... An diesem Abend beschlossen Otto und seine vier Freunde, die Scheiben in der Wohnung der jungen und schönen Stolzen nicht zu zerschlagen.
  Alle von ihnen waren sich sicher, dass sie sich jetzt in den Armen des langen Vollidioten befand. Alle ergingen sich nur in Vermutungen, wo diese Treffen stattfanden. Die Freunde hätten vielleicht noch lange über den Platz des Aufenthaltes der Verliebten diskutiert, wenn nicht Günther, Ottos bester Freund gewesen wäre. Er sah das Pärchen vor einigen Tagen am Ufer des Sees. Die jungen Leute hatten sich gründlich mit Alkohol eingedeckt, spät in der Nacht waren sie in den alten sowjetischen 'Moskwitsch' gestiegen und zum See gefahren. Die Verliebten hatten sie am See nicht entdeckt und deshalb durchsuchten sie gründlich den Wald. Dabei stießen sie auf die Hütte ...
  Erst am zweiten Tag, nachdem Alexander Kusnezow seine Hütte verlassen musste, entschloss er sich auszuruhen. Er hätte sich auch weiter in unbekannte Richtung bewegen können, wenn sich nicht seine Wunde bemerkt gemacht hätte. Das Blut floss immer noch, sogar trotz des Verbandes, den er aus seinem Unterhemd machte. Der Verwundete schließ die Möglichkeit aus, sich ans Krankenhaus zu wenden, er hatte auch nicht vor, sich an die Menschen zuwenden, um Hilfe zu bitten. Jeder Deutsche würde beim Anblick des blutigen Menschen die Polizei rufen. Die Kräfte schwanden von Stunde zu Stunde, bemerkbar machte sich auch der Hunger. Erst spät in der Nacht, als in der Gegend alles ruhig wurde, näherte sich der Flüchtling einem Wohnort. Er kroch unbemerkt zu einem kleinen Häuschen am Rande des Dorfes und sah eine grüne Tonne, in dem die Bewohner Lebensmittelreste sammelten. Er ging stark mit dem rechten Bein hinkend zur Tonne und öffnete sie vorsichtig. Die Tonne war voll und das freute ihn sehr. Er nahm zwei Plastikbeutel und verschwand unbemerkt in der Dunkelheit. Die Beute war nicht reich. In einem Beutel gab es zwei Pfannkuchen und ein halbes Glas saure Sahne. Der andere Beutel war mit Kartoffelschalen und Damenbinden gefüllt... Nach einer Stunde nahm Kusnezow am anderen Ende des Dorfes eine warme Decke und zwei Betttücher von der Wäscheleine herunter. In dieser Nacht beruhigte sich seine Wunde etwas.
  Am Morgen, als die ersten Sonnenstrahlen auf die aufgewachte Erde herunter kamen, begann der Flüchtling gründlich mit der Selbstbehandlung. Das ständige Gehen hatte dem Heilen der Wunde geschadet. Er fürchtete auch die Menschen, die ihn bemerken und die Polizei benachrichtigten konnten. Deshalb entschloss er sich, am Tag zu verstecken und in der Nacht weiterzugehen. Weil er keine Medikamente oder Salben hatte, legte er auf die Wunde verschiedene Blätter aus dem Wald. Welche Gräser oder Blätter es waren, ob sie ihm helfen würden oder nicht, wusste er selbst nicht. Das Leben zwang ihn dazu. Die wundertätige Kraft der Natur hatte er nie verneint. Er erinnerte sich an Oma Jelisaveta Jaschina, die eine richtige Naturheilerin war. Alle Einwohner von Neidjonowka suchten bei ihr Hilfe. Sie hatte auch Alexanders Vater geholfen. Mit ihrer Hilfe konnte er für immer seine Bauchschmerzen vergessen.
  An diese Oma wandte sich auch Alexander, als bei einer Streiterei der Nachbar Mischka mit einem Stock seine Hand sehr verletzte. Die Ärzte des Kreiskrankenhauses wollten ihm die stark geschwollene Hand amputieren. Die Eltern des Unglückskindes rannten mit Tränen in den Augen zu Jelisaweta. Nach einem Monat war die Hand des Schülers geheilt. Die Siebzigjährige nutzte statt Messer Aufgüsse aus Gräsern und Gebete. Den Inhalt des Gebetes verstand der Junge nicht. Die Frau betete ganz leise. Er war sich sicher, dass Oma Lisa Gott gebeten hatte, den bösen Geist des jungen Pioniers zu verjagen.
  Es verging noch eine weitere Nacht. In dieser Zeit ließ der Flüchtling etwa zwanzig Kilometer, nicht weniger, hinter sich. Eine Orientierung unterwegs hielt er nicht für notwendig, er sah darin keinen Sinn. Er ging einfach so, ging auf Gut Glück. In seiner Seele und Herz herrschten wieder Kälte und Leere. Anderen Menschen glaubte er nicht, für ihn waren sie nichtsnutzige Wesen. Er empfand auch keine Liebesleidenschaft mehr zu Erika. Jetzt war er wieder ein Mensch ohne einen bestimmten Wohnort und ohne Staatsangehörigkeit. Penner und Gott in einer Gestalt. Die eingebrochene Einsamkeit hatte ihn völlig ausgelaugt. Tagsüber saß er im Wald oder versteckte sich in den Sonnenblumenreihen. Er legte sich auf den Boden, legte die Decke unter den Kopf und schlief gleich ein. Ihn weckten in der Regel die Sirenen von Krankenwagen oder schreckliche Träume, die ihn fast immer begleiteten. Auch Hunger und Durst setzten ihm zu. In der dritten Nacht unternahm der Flüchtling einen erneuten Gang nach Lebensmittel. Diesmal war die Tonne für Lebensmittelreste leer, was ihn sehr ärgerte. Aus Enttäuschung schmiss er die Tonne um. Plötzlich wurde alles rundherum dunkel und es donnerte. Es fing zu regnen an, so stark, dass sein Sportanzug sofort nass wurde. In den abgetragenen Sportschuhen blubberte das Wasser, die Wunde fing zu schmerzen an. Kusnezow schaute aufmerksam in die Dunkelheit hinein in der Hoffnung, irgendwas für sich zu finden, wo man sich unterstellen konnte. In Wirtschaftsgebäude und Häuser wollte er nicht hinein gehen, er hatte Angst entdeckt zu werden. Auf einmal sah er nicht weit vor sich einen Zaun. Im Zentrum eines Platzes oder einer Haltestelle leuchtete eine große Laterne, die an einem hohen Pfosten hing. Er lauerte eine Zeit. Rundherum war nächtliche Stille, die hin und wieder durch den Donner unterbrochen wurde.
  Er blickte sich nach allen Seiten um und ging langsam zur Lichtquelle...
  Nach fünf Minuten saß er schon auf der Bank unter dem Schirm eines kleinen Ziegelturms und schaute sich aufmerksam die gegenüber aufgestellten Gräberkreuze an. Er hatte jetzt vor ihnen keine Angst, wenn er auch in der Kindheit nie allein auf den Friedhof gegangen war. Er hatte immer gedacht, dass die toten Einwohner ihn einfach beißen oder zu sich nehmen könnten. In dieser Nacht verschwand die langjährige Angst irgendwohin. Am wahrscheinlichsten deshalb, weil es fremde Tote waren, die er nie kannte und nicht kennen wollte... Der Gedanke, dass auf diesem Friedhof auch sowjetische Menschen beerdigt seien könnten, kam Alexander ganz zufällig. Seine Gleichgültigkeit gegenüber den ewig liegenden Deutschen hätte sicher weiter bestanden, wenn nicht die schreckliche Kälte gewesen wäre. Er fror nicht nur wegen des kalten Regens, sondern auch wegen des Sitzens. Er stand lustlos auf und ging lässig über den ziemlich großen Friedhof. Nach einigen Minuten donnerte es nicht mehr, nur in der Ferne im Horizont sah man noch Blitze. Es war eine richtige Totenstille eingetreten, sogar der Nieselregen konnte sie nicht stören. Aber auf Alles das reagierte der Mensch nicht, der ziellos zwischen den Kreuzen umher wanderte. Ganz in der Ecke des Friedhofes gab es ein kleines Denkmal. Im Unterschied zu allen anderen, kleinen und großen, hatte das Denkmal einen fünfzackigen Stern. Für einen Augenblick schlug sein Herz unruhig, er beschleunigte seinen Gang und war gleich an einem Grab. Darüber, dass hier sowjetische Menschen beerdigt waren, hatte der Flüchtling keine Zweifel. Er kauerte sich hin und las aufmerksam die Namen der gefallenen Offiziere und Soldaten. Alle Inschriften waren in russischer Sprache geschrieben. In der Mitte der Metallplatte hatte er gesehen und leise gelesen:
  'Kusnezow, Iwan Pantelejewitsch. 25.09.1910 - 05.05.1945JJ.' Der junge Mann ließ sich vor Überraschung auf den Boden herunter, er bekam keine Luft mehr. Seine Kräfte hatten ihn für einen Moment verlassen. Er glaubte immer noch nicht, dass er so unverhofft das Grab des Urgroßvaters gefunden hatte. Er erinnerte sich an den Traum mit der Mutter und weinte. Alexander zweifelte jetzt an der Prophezeihung des gestorbenen Mütterchens nicht mehr, die im Namen Gottes ihren einzigen Sohn gebeten hatte, durch das Leben tapfer und entschlossen zu gehen. Er streichelte zärtlich mit der Hand mal die kalten Buchstaben, mal den großen Stern und schluchzte stark. Sein Weinen in dieser Stille klang wie ein beunruhigendes Sturmläuten, das immer die Menschen in schweren Zeiten versammelte. Der Urenkel des gefallenen Soldaten hatte keine Angst vor dem Sturmläuten und auch nicht vor seinem Weinen. Durch dieses Weinen reinigte sich seine Seele, die Seele des Gerechten und des Sünders. Manchmal wandte er durch den Schleier des Nebels, der ihm die Augen bedeckte, wieder seinen Blick auf die russischen Namen. Alle zwölf sowjetischen Offizieren und Soldaten waren drei Tage vor dem großen Sieg gefallen. Unter den Gefallenen war auch sein Urgroßvater, ein Bürger der Sowjetunion, ein einfacher Soldat der sowjetischen Armee, die die Welt von der braunen Pest des Faschismus gerettet hatten. Für einige Zeit stürzte sich der Urenkel des gefallenen Siegers in Überlegungen. Er stand auf den Knien vor dem Denkmal der Gefallenen und schimpfte über sich, weil er den Stammbaum seiner Vorfahren nicht kannte. Als Sanjka Schüler und auch ein erwachsener Junge war, war er ein Faulenzer. Er hatte sich nie für das Leben seiner Großväter oder Großmütter interessiert. Seine Mutter hatte mal gesagt, dass sein Uropa in Deutschland gefallen war. Wo er beerdigt war, wusste sie auch nicht. Antonida hatte immer das Gedenken an den Uropa ihres Sohnes und an alle Gefallenen hoch gehalten und weitergegeben. Familie Kusnezow ging zusammen mit ihrem Sohn zum Denkmal des Sowjetischen Soldaten, das am Klubhaus stand. An diesem Feiertag waren die Blumen immer ausverkauft. Ein wenig wusste der Flüchtling auch über seinen Opa. Er wohnte in Neidjonowka und war ein guter Stallknecht. Er kam ganz zufällig und eigentlich sogar sinnlos ums Leben. Der Mann hatte das Dach des Kornspeichers repariert und stürzte ab. Das Dach war nicht sehr hoch, aber der Opa fiel unglücklich herunter und verletzte sich schwer. Nach einem Jahr starb er. Die Erziehung des einzigen Sohnes Nikolaj, Alexanders Vaters, lag bei der Frau des Verstorbenen. Die Großmutter lebte auch nicht lange. Nikolaj Kusnezow wurde mit achtzehn eine Vollwaise... Die Uhr auf dem Rathaus schlug drei Uhr in der Nacht. Die Uhrschläge unterbrachen für einige Zeit seine Überlegungen. Von der frischen, sogar etwas kalten Luft fröstelte es ihn. Einen Lauf auf den Wegen zu machen, um sich gründlich zu erwärmen, verhinderte die wieder blutende Wunde. Er setzte sich auf die Bank und machte einen Verband. Der Schmerz verringerte sich und es blutete nicht mehr. Das führte beim Flüchtling zu einer Verbesserung der Laune und er ging wieder in Richtung des ihm teuren Grabes. Er schaute durchdringend den bekannten Namen an und lächelte. Er merkte erst jetzt, dass sein Uropa und er, sein Urenkel, am selben Tag geboren waren. Diese zufällige oder verhängnisvolle Übereinstimmung gab ihm neue Impulse für Überlegungen. Jetzt hatte er keine Zweifel mehr, dass es wirklich sein Vorfahre war. Dazu erinnerte er sich noch an den Vatersnamen des Urgroßvaters. Die Mutter hatte ihn ihm mal genannt. Der Name Pantelej war für den Jungen etwas schwierig gewesen auszusprechen. Er hatte sich an ihn erinnert, als vor ihm die Gestalt des Mannes Pantelej Wintenko, des einzigen Fahrers im Dorf, erschien. Er war ein erstklassiger Fahrer, er war in der Lage, auf jedem Weg und bei jedem Wetter den Auftrag des Verwalters erfüllen. Im Kopf des Riesen erschien er öfter nicht als Fahrer, sondern sogar als Himmels- und sogar heiliger Mensch. Pantelejs Heiligkeit bestätigte die Praxis. Eines Tages lud er seine Freunde ein, um auf sein neues Auto anzustoßen. Das Sowchosauto 'SIL' war wirklich schön. Die Männer fuhren zur Baugrube, die mit Wasser gefüllt war, dort badeten sie und feierten. Auf einmal änderte sich das Wetter, ein schreckliches Unwetter brach herein. Der Blitz zerhackte den Himmel. Es passierte etwas Schreckliches. Während des Feierns schlug ein Blitz in die drei Freunde ein. Zwei waren auf der Stelle tot. Der kahlköpfige Pantelej kam mit dem Schrecken davon...
  Je länger der Urenkel vor dem Grab des gefallenen Urgroßvaters saß, desto mehr hasste er sich. Hasste sich dafür, dass er so sorglos mehr als zwei Jahrzehnte auf dieser Erde lebte. Er lebte nicht so wie die meisten Menschen, sogar nicht so wie seine Landmänner und Mitschüler. Das Gedächtnis über die heldenhafte Heldentat der Offiziere und Soldaten, die in diesem Grab lagen, zerriss fast seine Seele. Er begriff immer mehr und mehr seine Feigheit. Nur wegen seiner Feigheit konnte er sich immer noch nicht in diesem Land einleben. Von all diesen Gedanken verfiel er in Hysterie und weinte laut. 'Die Unterhaltung' des Lebenden und zwischen dem in der anderen Welt, dauerte ziemlich lange. Worüber sie mit einander gesprochen hatten, wusste und hörte keiner. Das wusste einzig und allein Gott, der nach seinem Willen das Schicksal des Uropas und seines Urenkels bestimmte. Alexander gab erst jetzt in seiner Beichte vor seinem Vorfahren ehrlich zu, dass der Rotarmist Iwan Kusnezow in seinen fünfunddreißig Jahren viel mehr gemacht hatte als er, der Deserteur der WGT. Er war nicht nur wie Abschaum und ein Feigling weggelaufen, sondern hatte außerdem noch dieses Land verraten, für das Millionen Menschen ihr Leben geopfert hatten... Die Uhr schlug fünf Mal. Plötzlich wehte ein starker Wind. Er war so stark, dass es dem Riesen, der an der Ecke des Friedhofes saß, vorkam, dass er die alleinstehende Kiefer neben dem Grab der sowjetischen Soldaten mit den Wurzeln rausreißen würde. Augenblicklich wurde der Himmel schwarz und es blitzte. Es gab ein betäubendes Donnern, von dem dem Einzelgänger der Atem stockte. Manchmal erschien es ihm, als würde der da oben sich ärgern und beschließen ihn zu bestrafen. Vor der plötzlichen Angst vor Gott und vor seiner Seele erschrak er und fasste mit der Hand an den Granit des Grabes. In diesem Moment flog etwas Leuchtendes und Unbekanntes an seinem Ohr vorbei in Richtung der alleinstehenden Kiefer und unmittelbar danach hörte man das betäubende Donnern...
  Der nächtliche Besucher des Friedhofes erwachte nach zwanzig Minuten und konnte seinen Zustand nicht verstehen. Er bewegte langsam die Hände, danach öffnete er die Augen. Der Himmel über ihm war sauber, ohne Wolken. Die Uhr schlug sechs Mal, die Schläge brachten ihn ins Leben zurück. Er erhob sich langsam und schaute in die Richtung des alleinstehenden Baumes, einer von seinen Zweigen war völlig abgebrannt. Irgendwo hatten kleine 'Feuerzungen' den starken Baumstamm geleckt, mit der Hoffnung, die Kiefer abzubrennen. Von dem Anblick lief über seinen Rücken eine Gänsehaut. Er schaute sich nach hinten um und stand still. Aus der Tiefe des Brudergrabes kam Rauch heraus... Vor Angst lief er weg...
  Erst nachdem er sich im Wald befand, begann er etwas zu verstehen. Der Physiklehrer hatte den Schülern von Kugelblitzen erzählt, die nicht nur Vieles in Brand setzten, sondern auch einen Mensch töten konnten. Diese Erscheinung, die an dem Brudergrab passierte, war für Alexander nicht anderes als die Himmelsstrafe des Uropas für die Tat, die sein Urenkel beging. Daran hatte er keine Zweifel...
  Erika Krüger hatte die ganze Woche schlechte Laune. Der Grund war der Verrat des Russen, der sie von Anfang an belogen hatte. Um das alles zu vergessen, beschloss sie zur Disko zu gehen, um sich Luft zu machen. Viele Jungs wollten mit dem jungen und schönen Mädchen tanzen, sie wies auch niemanden ab. Otto Schröder kam am späten Abend in die Disko. Erika war zu dieser Zeit schon müde und entschloss sich auszuruhen. Sie ging an die Luft und gleich tauchte vor ihr die bekannte Gestalt ihres Mitschülers auf, der betrunken war und sich ungeniert benahm. Er trat zu ihr heran und zog sie mit Kraft an sich, danach versuchte er sie küssen. Erika beschloss, den aufdringlichen Kavalier von sich wegzustoßen. Sie stieß ihn so kräftig weg, dass der auf dem Boden landete. Ringsherum lachte man, es lachte auch die ehemalige Mimose. Sie sah mit nicht verborgener Freude den Besiegten an. Er war ihr jetzt besonders ekelhaft. 'Der Kurze' stand langsam vom Boden auf und zischte mit Bosheit durch die Zähne:
  'Du, pass auf... Ich habe deinen Langen bestraft... Bald bestrafe ich auch dich...'
  Nach diesen Worten lachte er so unnatürlich und ging in den Raum, woher laute Musik und Lachen der Tanzenden drang. Die Worte und Drohungen des Mitschülers durchdrangen wie ein Blitz das Herz und die Seele der jungen Deutschen. Sie eilte nach Hause. Diese Nacht konnte sie lange nicht einschlafen. Sie dachte über den russischen Junge nach, der ihre Liebe geworden war. Alles Schlechte, was in ihr nach dem Feuer entstanden war, verschwand augenblicklich. Jetzt hatte sie nur noch darüber nachgedacht, wann dieser Aussiedler wieder kommen würde, der für sie allerzärtlichste und teuerste Mensch. Er gefiel ihr nicht nur sein Äußeres, sondern auch als richtiger Mann. Während der kurzen Treffen mit ihm hatte sie sich wie hinter einer Steinwand gefühlt. Aber die Wellen von freundlichen Erinnerungen und den folgenden Hoffnungen verflüchtigten sich bei ihr immer mehr und mehr, als sie sich als Frau an der Seite des Russen sah. Sie wollte nicht, dass ihr zukünftiger Mann untreu war. Sie wollte, dass er für ihr ganzes Leben der einzige Mann war. Die Einwohnerin des Vereinigten Deutschlands stand immer noch unter dem Einfluss der sozialistischen Moral und sozialistischen Lebensweise. Der Vater hatte ihr beigebracht, immer die Sitten und die Ordnungen des Landes zu achten und zu befolgen. Im Leben der ehemaligen Gesellschaft, fand sie, als Mitglied der Freier Deutschen Jugend, für sich vieles Nützliches und Notwendiges. Sie unterschied sich auch bis zum heutigen Tag stark von ihren Gleichaltrigen, die mit vollen Händen die Früchte der gekommenen Demokratie 'aßen'. Etwas von ihr und dem Alten fand sie auch bei dem russischen Alexander, der sich anständig benahm. Sie hatte auch bemerkt, dass er nicht mit Geld um sich warf. Das Letztere hatte sie nicht den Vorzügen oder Nachteilen des Geliebten zugeschrieben. Bei ihr selbst, als Arbeitslose und Vollwaise, war die Geldbörse auch leer. Ihre Geldbörse leerten auch verschiedene wirtschaftliche Veränderungen. Mit jedem Monat stiegen die Preise für Ware und Dienstleistungen ...
  Der Sonntagmorgen nahm für die schöne Erika einen guten Anfang. Das Wetter war wie auf Bestellung. Die Uhr zeigte zehn Uhr morgens, aber die Sonne 'arbeitete' schon voll. Sie hatte sich in Ordnung gebracht und ging auf die Straße. Überall waren keine Menschen, viele lagen noch in den Betten. Das Fehlen von Menschen freute sie, sie spazierte ohne Eile durch die bekannten Straßen. Danach ging sie zum Dorfrand und langsam in Richtung See, wo sie sich vor einer Woche unter seltsamen Umständen von dem Russen verabschiedet hatte. Den Wunsch, ein nächstes Mal den See zu besuchen, hatte sie nicht. Sie wusste genau, dass der verheiratete Mann kaum noch an den See kam. Außerdem musste Alexanders Familie vor zwei Tage zurückkehrt sein.
  Plötzlich rauschte an ihr ein Auto vorbei und gleichzeitig ertönte das Knarren der Bremsen. Auf den schwarzen Mercedes hatte sie ihre Aufmerksamkeit nicht gewandt. Ihre Freunde hatten nicht so viel in den Taschen, um ein teures Auto zu kaufen. Aus dem Auto sprang ein junger Mann und kam ihr entgegen. Als er bei ihr war, fragte er auf gebrochenem Deutsch nach dem Weg. Erika antwortete lustlos auf die gestellte Frage des Unbekannten. Sie hatte keine Zweifel, dass der Afrikaner nicht schlechter als sie den Weg kannte. Er wollte nur ein zufälliges Mädchen für einen langen Weg oder Abenteuer. In ihren Vermutungen lag sie richtig. Nach einiger Zeit fragte er nicht mehr nach dem Weg. Im Gegenteil - er bot ihr seinen Fahrdienst für ein so schönes Mädchen zu jedem beliebigen Punkt Europas an. Die aufdringlichen Angebote des Fahrers lehnte Erika höflich ab. Danach ging sie Richtung des Dorfes...
  Der Gedanke darüber, dass bei Alexander vielleicht an diesem Sonntag der Wunsch entsteht, am See zu angeln, kam der Laufenden beim Anblick des Linienbusses, der die Haltestelle anfuhr. Ohne lange nachzudenken sprang sie schnell in den Bus und im nächsten Augenblick kam ihr ein schrecklicher Gedanke in den Kopf. Sie wollte nicht glauben, dass Otto und seine Zechbrüder ihren geliebten Russen töten könnten... Zum Platz des Brandes, wo früher die Hütte stand, ging sie zuletzt. Hier erinnerte nichts mehr an die leidenschaftlichen Nächte, die sie mit dem Russen verbracht hatte. Mit schweren Gedanken stand Erika neben der ehemaligen Behausung, Tränen würgten sie. Unerwartet hörte sie hinter sich eine Stimme, die sie aus Millionen von Stimmen erkannt hätte:
  'Erika, Erika... Ich bin hier, komm her und hilf mir...'
  Anfänglich war die junge Person verzweifelt. Ihr schien es, dass dies keine irdische Stimme war, aber sie gehörte ihrem Geliebten. Daran zweifelte sie nicht. Nach einiger Zeit hörte sie wieder die ihr bekannte Stimme, diesmal reagierte sie und drehte sich um. Danach machte sie ein paar Schritte zur Kiefer und blieb stehen. Sie machte noch einen Schritt und stockte. Weiter zu gehen hatte, sie keine Kraft mehr. Neben dem Baum lag bis zu den Herzschmerzen ihr bekannter Mensch, ein naher und gleichzeitig ein fremder.
  Im liegenden Mann konnte sie für einige Zeit nicht ihren Liebsten erkennen, der früher schön und stattlich, stark und zärtlich war. Dieser, der um Hilfe bat, erschreckte sie durch sein Aussehen.
  Erika schaute ängstlich den nicht starken Menschen an. Seine Haare waren zottelig, oben am Kopf sah man eine breite Schramme von irgendeinem Schlag. Der Mann röchelte schwer und winkte mit der Hand das Mädchen zu sich, das vor Angst stillstand. Sie stand immer noch bestürzt da. Die unverständliche Angst und die unerständliche Entfremdung zu einem richtigen Penner, deren Zahl im Dorf von Tag zu Tag wuchs, gaben ihr keine Kraft, um sich weiter zu bewegen. Auch das Gesicht des Mannes flösste ihr Angst ein, es war hohlwangig und blass. Der Bart und die Borsten auf den eingefallenen Wangen machten ihn älter. Auch die Kleidung des Liegenden wirkte auf Erika abstoßend. Sein Sportanzug war an vielen Stellen zerrissen, an den Knien waren große Löcher, durch die große blutende Hautabschürfungen sichtbar waren... Ihr war es unmöglich, den blutenden Unbekannten weiter anzuschauen. Sie schrie auf und machte einige Schritte vorwärts. Danach blieb sie stehen und ließ sich wieder rasch nach vorn reißen, ließ sich auf die Knie herunter und schrie aus vollem Halse auf...
  Die blauen Augen des Mannes kannte sie sehr gut, sie gehörten dem, den sie zum ersten Mal in ihren Leben liebte, richtig liebte. Nicht nur liebte, sondern ihm auch ihre ganze Liebe restlos schenkte. Je länger die schöne Frau in die Augen des Penners schaute, desto mehr verflüchtigten sich ihre Zweifel, dass es ihr Retter und Geliebter war. Kniend sprach sie leise vor sich hin:
  'Sanja, Saschenjka, du bist wieder bei mir... Ich habe so lange auf dich gewartet und mir Sorgen gemacht... Du, mein lieber...'
  Während ihres Flüsterns wischte Erika hin und wieder die Tränen von ihren Augen. Sie wischte auch mit ihren zärtlichen Händen die Tränen von den Augen und den eingefallenen Wangen ihres geliebten Russen, den sie einige Minuten lang nicht erkannt hatte. Alexander wie auch seine Freundin genierte sich wegen der Tränen nicht. Er hatte sie wahrscheinlich auch gar nicht bemerkt. Die Tränen waren für ihn ein Ventil für das ganze Erlebte. Mit Tränen in den Augen kehrte er wieder hierher zurück, als er verstanden hatte, dass es ihm ohne seine geliebte Deutsche nicht möglich sein würde, auf dieser Erde zu leben. Erst nachdem Erika ihn endgültig erkannt und sich beruhigt hatte, umarmte sie ihn leidenschaftlich und küsste ihn fest. Er erwiderte ihre Küsse. Für einen Augenblick öffneten sich ihre Lippen. Das Mädchen beugte ihren Kopf nach unten und erschrak. Der untere Teil des rechten Schenkels war ganz blutig, der einst weiße Verband war rot und schmutzig. Sie berührte mit zitternden Händen die Wunde und verlor fast das Bewusstsein. Durch die dicke Schicht des Verbandes drang plötzlich Blut heraus...
  Erika zog schnell ihr Handy aus der Jeanstasche heraus und begann die Rufnummer des Krankenwagens zu wählen. Aber sie konnte nur ein paar Zahlen wählen, als sie Alexanders sehr schwache, aber gleichzeitig herrische Stimme hörte:
  'Ruf nicht an, ich bitte dich sehr', bat er. 'Ruf nicht an, Erika...'
  Sie ließ für einen Augenblick das Telefon ruhen und blickt mit Erstaunen auf den Liegenden. Sein jämmerliches Aussehen und seine Tränen hatten sie aufmerken lassen. Sie konnte immer noch nicht verstehen, warum er keine professionelle medizinische Hilfe wollte. Das Unverständnis, sogar der Stumpfsinn des Russen hatten sie sehr wütend gemacht. Die Angst davor, dass er wegen des Blutverlustes sein Bein oder sogar sein Leben verlieren könnte, zwangen sie, wieder entschlossen zu handeln. Sie drückte wieder die Tasten des Handys... In diesem Moment sprang Kusnezow, den unmenschlichen Schmerz im Bein überwindend, schnell auf und schlug das Telefon der Frau mit der Faust aus den Händen. Vom unerwarteten Schlag schrie sie laut auf und fiel auf den Boden. Nach wenigen Augenblicken befand sie sich in einer festen Umarmung des Bärtigen. Er küsste ihr ganzes Gesicht und bat mit Tränen in den Augen nachdrücklich:
  'Erika! Mach es nicht, ich erkläre dir später alles... Mach es nicht, meine Liebe...'
  Besiegt verstand sie immer noch nicht das seltsame Verhalten ihres Siegers, schaute mit Staunen in seine blauen Augen und flüsterte leise:
  'Ich verstehe dich nicht... Ich verstehe dich immer noch nicht... Sascha, ich verstehe nicht...'
  Die erste Nacht nach der unverständlichen und geheimnisvollen Trennung verbrachten der Flüchtling der WGT Kusnezow und die arbeitslose Deutsche Krüger im Wald nicht weit vom See. Bevor sie zusammen ein Bett aus weichen Kieferzweigen errichtet hatten, schaffte es Erika, nach Hause zu fahren, um alles Notwendige für die Behandlung zu holen. Sie brachte auch etwas an Lebensmitteln. Alexander hatte nicht erwartete, dass sich seine Liebste als eine echte Zauberin der Medizin erweisen würde, obwohl sie niemals Medizin studiert hatte. Sie desinfizierte die Wunde sorgfältig mit Spiritus, dann legte sie einen sterilen Verband an. Nicht schlechter behandelte sie auch die Dutzenden Schürfwunden, die fast an allen Stellen des Körpers des Riesen zu finden waren.
  Gegen Abend saßen die jungen Leute bequem eingerichtet sich friedlich gegenüber auf dem Bruchholz und aßen. Erika überwachte sehr streng, dass ihr Geliebter es mit mit dem Essen nicht übertrieb. Als Alexander sich ein wenig gestärkt hatte, beschloss er sich 'zu öffnen", ein Rückzug hatte es keinen Sinn mehr. Seinen Zustand verstand auch Erika, die ziemlich oft in seine blauen Augen sah und angespannt auf etwas wartete. Das sehr Wichtige, das der Russe ihr noch vor einer Woche zu sagen versprach, verband sie mit seinem seltsamen Verhalten heute. Sie konnte es auch jetzt immer noch nicht verstehen, warum er Angst vor Ärzten hatte. Überhaupt enttäuschte sie das weitere Verhalten ihres Bärtigen. Statt einer ernsthaften Erklärung begann der Russe sich wie ein kleines Kind zu benehmen. Nach der Mahlzeit klopfte er sich fröhlich auf den Bauch, nuschelte etwas und begann zu erzählen, wie er in der Kindheit auf einem eisernen Ofen die Sonnenblumenkerne röstete. Dann ging er zu den Schulgeschichten über. Die aufgeregte Erika verstand aus dem Monolog des Geliebten nicht alles. Jedoch von den lebendigen Geschichten und den gleichen Gesten Alexanders wurde sie in das Gespräch miteinbezogen. Sie fragte mehrmals nach, wenn sie den Grund des hinreißenden Lachens des Partners nicht verstehen konnte. Jener konnte aus irgendeinem Grund ihr nicht wirklich die Bedeutung des russischen Wortes 'Bekloppter' aus dem ländlichen Jargon erklären. Welche Wörter hatte ihr Geliebter im Kopf nicht nur 'herausgesucht", nur um dieses Wort ins Deutsche zu übersetzen.
  Es half ihr auch seine Erklärung darüber nicht, dass es 'Bekloppte" in seinem Neidjnowka von Tag zu Tag immer mehr und mehr gab. Schließlich griff der Lehrer der russischen Sprache zu den Gesten. Er ließ sich auf die Knie herunter, schlug sanft mit der Hand auf seinen Kopf und rief dreimal laut:
  'Ich bin bekloppt, du bist bekloppt, sie sind bekloppt...'
  Von dem Zirkus des Lieblingslehrers lachte die Nichtverstehende laut und begann, wie auch er, mit der Faust sich auf den Kopf zu klopfen und mit großem Eifer zu schreien:
  'Ich bin bekloppt... Ich bin kaputt, es ist kaputt, du bist kaputt... Ich bin beklo-oppt...'
  Von diesem Moment an erschien im Wortschatz der beiden Verliebten ein neuer Ausdruck 'Herr Kaputt". Es gefiel Alexander sehr...
  Nach der komischen Erzählung über seine Kindheit bat der Russe Erika um den See spazieren zu gehen, jene lehnte nicht ab. Mit diesem Spaziergang wollte er ihr beweisen, dass er sich wesentlich besser fühlte. Es war auch in Wirklichkeit so. Die Wunde machte sich nur beim schnellen Gehen bemerkbar. Erika beruhigte sich bald auch wirklich. Sie umarmte den Riesen am Rücken und fragte ihn über Sibirien und überhaupt über die Sowjetunion aus. Kusnezow antwortete auf einige Fragen sehr kurz, auf andere gab er längere Erklärungen. Über das, was in der ehemaligen Sowjetunion geschah, wusste er selbst nichts. Deshalb 'wich' er ziemlich oft aus. Ihm war es jetzt nicht nach Politik und auch nicht nach den Bären auf Tschuktschenhalbinsel. Er bereitete sich auf die Beichte vor seinem Lieblingsmädchen vor... Die erste Nacht nach der unerwarteten Trennung war für die jungen Leute in irgendeiner Weise besonders. Der Bürger der ehemaligen Sowjetunion Alexander Nikolajewitsch Kusnezow, er auch der Fahnenflüchtige der WGT, öffnete ganz seine Seele der geliebten Deutschen. Nur eins verheimlichte er vor ihr. Den Besuch des Massengrabs, in dem sein Urgroßvater ruhte, ließ er hinter den sieben Siegeln, behielt er für sich. Er hielt sich im Vergleich zum Helden für eine einfache Nichtigkeit...
  Erika, im Unterschied zu seiner vorhergehenden Erzählung über die Bewohner von Neidjonowka, mischte sich jetzt in die Beichte des russischen Burschen nicht ein. Sie mischte sich nicht ein, trotz der Tatsache, dass sie einige Wörter, sogar Sätze nicht verstand. Nochmals zu fragen traute sie sich auch nicht. Sie schaute nur sehr aufmerksam in die Augen ihres Freundes und schwieg. Selbst in der Dunkelheit, die immer mehr und mehr und nicht nur seine Augen, sondern auch sein Gesicht verbarg, fühlte sie die seelische Verwirrung des geliebten Menschen. Sie wollte manchmal selbst auf ihre Schultern, in ihr Herz und in ihre Seele einen Bruchteil des Leidens nehmen, das auf die Schultern des flüchtigen Soldaten drückte. Um ihn irgendwie zu unterstützen, drückte sie immer wieder seine kräftige Hand...
  Kusnezow stand nach fast einer Stunde der Beichte schnell vom 'Bett" auf und ging zum See. Erika blieb alleine sitzen. Sie verstand sehr gut, dass ihm es jetzt sehr schwer zu Mute war. Schwer nicht nur wegen der vieljährigen körperlichen Müdigkeit, sondern auch wegen des ganzen Erlebten. Gleichzeitig bedauerte sie ihn nicht nur, sondern war auch stolz auf ihn. Der Russe hatte seinen Mut zusammengenommen und schließlich seine Seele geöffnet, die die ganze Zeit blutete und jammerte... Die Einsamkeit von der Außenwelt brauchte jetzt nicht nur der flüchtige Russe, sondern auch sie. Sie, wie auch er, wie auch alle Menschen, wünschten sich gestern und heute Glück, einfaches menschliches Glück. Dafür zerbrach sie vor ganz kurzem mit ihren Fäusten die Berliner Mauer, die den Menschen nicht ermöglicht hatte, glücklich zu sein. Gestern und jetzt stellte sie sich das Leben ohne diesen russischen Burschen, der die Grenze des Gesetzes der totalitären Gesellschaft übertreten hatte, nicht vor.
  Er wie auch sie wollte und will ein glücklicher Mensch sein. Bei diesen Gedanken weinte das Mädchen unerwartet. Sie verstand es erst jetzt in diesem Wald und in dieser Nacht, dass das menschliche Glück nicht bei einem einsamen Mensch sein konnte, es konnte nur gemeinsam mit einem geliebten Menschen sein.
  Alexander kehrte zu seiner Freundin nach einer halben Stunde zurück. Er kehrte gereift und beflügelt zurück. Alexander saß auf einer kleinen Brücke neben dem See und beschloss, seine Zukunft mit der schwarzhaarigen Deutschen zu vereinen. Gerade sie konnte jetzt sein weiteres Schicksal bestimmen. Für den Flüchtigen gab es nur zwei Wege aus der entstandenen Situation. Wenn die Deutsche ihn richtig verstehen und seine lebenswichtigen Entscheidungen unterstützen würde, bliebe er in diesem Land. Andernfalls würde er sofort dorthin zurückgehen, wo er geboren und aufgewachsen war. Es hatte auch noch Geld für dorthin, in der Tasche befand sich seine Militärkarte mit dem roten Umschlag.
  Über die Rückkehr des geliebten Bärtigen hatte sich Erika sehr gefreut. Sie verstand sehr gut, dass nur sie und niemand anderer auf dieser Erde in diesen Moment sein Schicksal bestimmte. Mit ihm zusammen zu sein oder ohne ihn, hatte sie nicht erst jetzt entschieden. Sie hatte es schon früher bestimmt, als sie sich zum ersten Mal am See begegneten. Nach dem Geständnis des Mannes hatten sich ihre Gefühle der Liebe und der Zuneigung zu dem russischen Riesen hundertfach vermehrt. Sie freute sich auch darüber, dass es nur erfundene Geschichten über Familie und Kinder waren. Erika erschraken jetzt auch die bevorstehenden Schwierigkeiten nicht, die morgen oder nach einer Woche entstehen könnten. Das Leben im Land wurde von Tag zu Tag 'schwerer'. Anstelle der versprochenen Demokratie und Milch mit Honig, die die Politiker des Vereinigten Deutschlands versprachen, bekam sie und wie sie Hunderttausende das Loch von der Brezel... Zu zweit konnte man diese Schwierigkeiten viel einfacher und leichter überwinden...
  Der Russe setzte sich vorsichtig aufs Bett und schwieg. Erika ging sicher zu ihm und küsste ihn fest. Dann sagte sie mit Tränen in den Augen:
  'Du, mein Lieblingsmärtyrer... Ich werde immer nur auf deiner Seite sein... Ich möchte nicht, dass unser Leben irgendwelche Politiker oder Militärs bestimmen... Niemand und niemals wird unsere Liebe zerstören... Bist du damit einverstanden, mein Liebster?'
  Es kam keine Antwort, aber das störte die junge Frau überhaupt nicht. Die starken und zarten Hände des Mannes zogen sie schon aus... Nach ein paar Augenblicken befand sie sich schon im Strudel der Leidenschaft und Zärtlichkeit. Sie freute sich auch sehr über die zarten Worte des geliebten Menschen:
  'Danke dir, meine Liebste... Der Gott und meine Mutter haben unsere Bitten erhört... Sie wiesen uns auf den rechten Weg, den Weg des Glücks und der Liebe... Ich liebe dich meine Erika...'
  Frühmorgens kam das junge Paar mit dem Linienbus in Springer an. Fast zwei Wochen steckte Alexander seine Nase auf die Straße nicht heraus, behandelte fleißig sein Bein. Er machte alles Mögliche, damit die Wunde schnell verheilte. Die Verliebten beabsichtigten nach Spanien zu reisen, um dort sich zu erholen und zu sonnen. Kusnezow hatte wegen seiner Krankheit stark gelitten, aber er war auch sehr glücklich über die geschäftliche Aktivität seiner Geliebten. Ihr gelang es, in den Zeitungen eine private Ferienwohnung an der Mittelmeerküste in der schönen Region von Spanien - Lloret de Mar zu finden. Tausend D-Mark für ein Paar und Erholung für zwei Wochen erschienen ihnen wie ein Geschenk des Himmels. Sie kamen auch fast umsonst zum Meer, der Sohn des Freundes von Erikas gestorbenen Vaters, nahm sie mit dem Auto mit.
  Peter war nicht nur von der eleganten Limousine fasziniert, sondern auch von der Blondine, die das moderne Wunder der Technik hatte. Karin, die in München wohnte, fand auf eine Zeitungsanzeige einen Freund für den Sommer. Bis jetzt bedauerten die jungen Leute es überhaupt nicht. Die Tochter reicher Eltern und der Sohn arbeitsloser wissenschaftlicher Mitarbeiter quartierten sich in einem komfortablen Hotel ein. Alexander und Erika gingen in die private Wohnung.
  Die Einzimmerwohnung befand sich im dritten Stock eines kleinen Hauses, das sich einem großen Markt anschloss. Die Nähe des Marktes mit vielen Verkäufern und Käufern erschrak die jungen Leute nicht, sie beabsichtigten, die ganze Zeit zu baden und sich zu sonnen. Die Hausherrin unbekannter Nationalität nahm die russischsprachigen Mieter sehr willkommen auf. In ihren siebzig Jahren hatte sie allerlei mögliche Tricks und Streiche der vielsprachigen Kunden ertragen müssen, aber das Geld brauchte sie auch. In dem halben Jahrhundert der Arbeit mit Urlaubern hatte sie nie Pech. Sie kam immer mit den lokalen Behörden und der Polizei aus. Ihre Mieter kamen an und fuhren ab auch ohne Probleme. Und dieses junge Paar aus Deutschland verursachte bei ihr keine Probleme. Die Alte sah aufmerksam den Reisepass der schönen Frau Krüger an und lächelte nachsichtig, als ihr junger Freund aus irgendeinem Grund seinen Pass nicht finden konnte. Vollkommen möglich, dass die Besitzerin der bescheidenen Villa versucht hätte, über den Russen zu meckern, wenn ihm seine clevere Freundin nicht geholfen hätte. Sie zog aus der Tasche den Geldbeutel heraus und bot im perfekten Deutsch der Hausherrin das Geld für die ganze Zeit des Aufenthaltes an. Die Alte steckte mit einem Lächeln das Geld in einen kleinen Safe. Zu den Deutschen hatte sie mehr Vertrauen als zu den Russen. Sie schloss auch nicht aus, dass dieses Pärchen, wie auch viele ihre Kunden, ihre Wohnappartements früher verließen. Dieses gegenseitige Einvernehmen brachte ihr gute Einkünfte. Sie lächelte wieder und zeigte mit der Hand auf die Treppe. Alexander, vielleicht vor Angst oder vom unerwarteten guten Ausgang mit dem Pass, errötete stark und eilte nach oben. Die neuen Mieter warfen den Koffer unter das Bett und eilten sofort zum Meer. Es war nur fünf Minuten zu Fuß entfernt. Das Meer war märchenhaft schön. Die helle Sonne, als ob sie die Neuankömmlinge begrüßte, glänzte fröhlich auf der breiten Oberfläche des Wassers, die weit über den Horizont hinaus ging. Alexander war zum ersten Mal im Leben am Meer und sprang eine Weile vor Freude in der Nähe des Wassers, er füllte mit Eifer seine Lunge mit der heilsamen Meeresluft. Dann beschloss er, trotz seiner Angst und auf Risiko selbständig ein paar Meter zu schwimmen. Er bewegte sich entschlossen vorwärts, das Wasser ging ihm bis zum Hals. Danach bewegte er stark, wie besessen, seine Arme und Beine. Nach ein paar Sekunden hatte das Meerwasser den Neuling irgendwie gehoben und er schwamm schon ohne jede Angst zwei dutzende Meter durch. Seinem Beispiel folgte auch Erika. Als die Verliebten genug gebadet und sich am Strand gesonnt hatten, gingen sie in ein kleines Restaurant, das sich fast am Wasser befand. Kusnezow zog nicht die Einrichtung, sondern sein russischer Namen des Restaurants an. Das 'Samowar" hatte nur wenige Besucher, von den etwa zehn kleinen Tischen waren nur zwei besetzt. Alexander bat seine Freundin galant zu Tisch und gab eine Bestellung auf. Erika interessierte das Menü und alles andere überhaupt nicht. Sie saß brav am kleinen Tisch und beobachtete mit einem Lächeln ihren Freund, der sich perfekt in Russisch mit dem jungen Kellner Anton unterhielt. Sie teilte auch genüsslich mit ihrem Freund den russischen Wodka und die sibirischen Maultaschen. Nach dem Restaurant schlenderte das junge Pärchen durch die sauberen Straßen der Kleinstadt. An diesen Abend gefielen ihnen nicht nur ihre Straßen und die eleganten Hotels, sondern auch die Menschen von allen Ecken des Planeten Erde. Den ersten Tag im sonnigen Spanien beendeten sie auf einem Markt, wo der Russe für Erika ein bescheidenes Souvenir kaufte. Die Halskette aus Bernstein gefiel ihr sehr und sie küsste sanft den Gentleman auf die Wange. Der glückliche Kusnezow nahm leicht das Mädchen in seine Arme und setzte sie sich auf die Schultern. Auf seinen starken Schultern hatte sie die Tür ihrer Wohnung erreicht. Das Bett der Hausherrin war für die Verliebte an diesem Abend sehr gemütlich und intim...
  Das sonnige Land mit dem herrlichen Meer zog die Deutsche und den Russen immer mehr und mehr an. Sie entdeckten fast jede Stunde für sich hier etwas Neues und Unbekanntes. Ein Beweis dafür war Barcelona. Die zwei Touristen, die hierher mit einem Bus in einer kleinen Gruppe ankamen, besuchten fast alle berühmten Sehenswürdigkeiten der Stadt. Besonders eifrig nahm Alexander alles und jedes. Erika fotografierte ihn in der Nähe des Denkmals von Columbus und neben dem legendären kubanischen Revolutionär Ernesto Tschegewary im Museum der Wachsfiguren. Für eine Weile vergaß der Russe sogar die Anwesenheit des schönen Mädchens, jene nahm es ihm nicht übel. Sie verstand sehr gut, dass seine Heimat Neidjonowka in der Anzahl der Sehenswürdigkeiten ihrem Dorf Springer unterlegen war, ganz zu schweigen von dem schönen Barcelona.
  Zu Ende der ersten Woche waren die Touristen aus Deutschland ganz schön braun gebrannt. Auch hier stach Alexander hervor. Erika ärgerte sich in diesem Zusammenhang manchmal sehr, sie ärgerte sich nicht, weil ihr Freund faulenzte und stundenlang unter den brennenden Sonnenstrahlen lag. Der Grund war ein ganz anderer. Sie beunruhigten die Schönheit und der kräftige Körperbau des einfachen Burschen aus dem fernen sibirischen Dorf, nach dem sich junge Mädchen immer wieder umschauten. Und nicht nur sie... Erika wurde einmal während des Spaziergangs fast unhöflich zu einer alten Frau, die wie auch sie, auf einem Bänkchen unter der Zypresse Alexander gegenüber saß. Er saß in Badehosen mit geschlossenen Augen und dachte über etwas nach, keine Aufmerksamkeit dem menschlichen Strom zuwendend. Die bezaubernde Brünette hatte die ziemlich starke Neugierde der Alten ihrem Freund gegenüber sofort bemerkt. Sie nahm sogar ihre Sonnenbrille ab, um ihren schmachtenden Blick abzufangen. Die Alte starrte weiter. Erika, wie elektrisiert, stand schnell auf und begann um die Bank, auf der die Unbekannte saß, zu kreisen. Wieder Null Emotionen und keine Bewegungen. Um die Freche von den schlechten Gedanken über ihren Geliebten sicher abzulenken, eilte sie schnell weg. Ihr folgte sofort auch der verwunderte Riese. Er konnte immer noch nicht verstehen, welche Fliege in der Sonne seine Geliebte gebissen hatte. Nach einer Weile konnte Erika nicht widerstehen und drehte ihren Kopf nach hinten. Die Neugierige mit der Hand an der Stirn blickte weiter starr in die Richtung des sich entfernenden Pärchens. Der vorletzte Tag des Aufenthaltes am Ufer des Mittelmeeres brachte Alexander Kusnezow eine echte Überraschung, die mit seinem Dienst verbunden war. An diesem Tag beschlossen die Verliebten, nirgendwohin mehr zu fahren. Sie hatten schon genug Eindrücke. In der verbleibenden Zeit hatten sie vor, sich einfach zu entspannen und körperliche Energie zu tanken. Erika brauchte Kraft für die Jobsuche, auch der Riese hatte sich neue Hoffnungen gemacht. Er hoffte immer noch eine Beschäftigung zu finden, er wollte nicht auf der Tasche der Deutschen liegen. Es gab auch noch einen weiteren Grund. Ihr ziemlich bescheidenes Leben am Meer fing allmählich an sie zu stören. Wegen Geldmangels gingen sie immer mehr und mehr zu 'Wasser- und Sonnenprozeduren' über. Die schönen 'Tafeln Schokolade" wandten wie auf Befehl die Gesichter von Restaurants ab, von denen ein angenehmer Duft von köstlichen Gerichten kam.
  Drei Tage vor der Abreise waren sie gezwungen, auf grausamste "Diät" überzugehen. Sie kauften pro Tag für jeden eine Flasche Milch und zwei Brötchen. Für mehr hatten sie kein Geld.
  Die Uhr zeigte elf, als sie an den Strand kamen. Alexander tauchte sofort ins Wasser und danach streckte er sich sofort auf dem Sand aus. Erika mochte sehr das Meerwasser und badete weiter. Der Riese schloss seine Augen, manchmal träumte er, manchmal dachte er nach. Etwa zehn Meter von sich entfernt hörte er die russische Sprache, die hier keine Seltenheit war. Für einen Moment lauschte er. Ein unbekannter Mann bat irgendeine Allotschka ihn zu küssen, jene lachte fröhlich und sagte immer wieder:
  'Also, du, mein Ernährer, wenn ich dich küsse, wirst du dann mich auf dem Schiff auf den Meeresgrund bringen, Fische anzuschauen...'
  Der Ernährer schwieg eine Weile, dann sagte er laut:
  'Nun, diese Frauen, gib ihnen immer alles für etwas und für jemanden... Ob ich dir noch nicht alles gegeben hätte...'
  Die Stimme des Mannes schien ihm für ein Moment sehr bekannt, aber er beschloss, den Kopf nicht zu heben. Er war sich zu hundert Prozent sicher, dass es hier von ihm weder Verwandte noch Freunde gibt. Er rollte sich auf den Bauch und schloss die Augen. Die scheinende Sonne bewirkte immer mehr stärker, dass er einschlief...
  Es ist nicht bekannt, wie lange Alexander geschlafen hätte, wenn Erika nicht mit der feuchten Handfläche über seinen Wipfel sanft gestreichelt hätte. Dann schnalzte sie mit dem Finger an seinem Ohr und sagte fröhlich auf Deutsch:
  'Herr Kaputt! Du wirst so auch den ganzen Tag verschlafen, und mir nichts lassen...'
  Kusnezow reagierte auf den Schnalzer des Mädchens und auf ihre Stimme nicht. Er murmelte etwas vor sich hin und 'quetschte' sein Körper noch mehr ins farbige Badetuch hinein. Wegen des heißen Sandes, wie ein glühender Ofen, konnte er nicht wirklich einschlafen. Nicht weit von ihm hörte er wieder die russische Sprache. Die klangvolle und melodische Stimme der unbekannten Alla zog für einen Moment seine Aufmerksamkeit wieder an. Und nicht nur das. Die Frau, als ob sie jemand kitzelte, sagte laut:
  'Nun, mein Sarsenbajtschik, gehen wir zum Hotel... Ich will auf dem spanischen Strand nicht nur gebraten sein, sondern ich möchte auch etwas... Natürlich, mein Geliebter, nicht hier vor Augen dieser Menge...' Der sexuelle Vorschlag irgendeiner Allotschka an einen unbekannten Mann machte den Riesen sehr neugierig. Sogar die etwas bekannte Stimme des unsichtbaren Sarsenbajtschik interessierte ihn jetzt nicht, jener war ihm egal. Ihn interessierte das Äußere des Mädchens, das, wie er vermutete, sehr hübsch sein musste. Alexander hob langsam sein Kopf und nach ein paar halbnackten Körpern sah er die, die gerade erst angedeutet hatte, ein Bett mit irgendeinem Sarsenbajtschik zu teilen. In seinen Vermutungen irrte sich der Neugierige überhaupt nicht. Allotschka war in der Tat eine Schönheit. Besonders auffällig waren ihre flauschigen Haare. Die weißen Haare trotz ihrer Nachlässigkeit, die durch das Liegen auf dem Sand verursacht war, waren prächtig. Alexander war es erst jetzt aufgefallen, dass nicht nur er, sondern auch die nebenan liegenden Männer dieses schlanke und braune russische Mädchen immer wieder mit den Augen verschlangen. Ihm fiel sofort der bekannte Name ein, der fast allen unverheirateten Frauen der ehemaligen Sowjetunion verliehen wurde. Er hatte keinen Zweifel daran, dass das Wort "Hure" nicht vergessen wird, auch von denen nicht, die sich aus irgendwelchen Gründen außerhalb des einst großen Landes befanden. Die Männer aller Altersgruppen und Hautfarben aus der ganzen Welt mit dicken Geldbeuteln kauften buchstäblich die russischen Schönheiten auf... Mit diesen Gedanken beruhigte sich der neugierige Philosoph auch. Er drehte sich auf die Seite und küsste sanft Erika, die unter den Sonnenstrahlen einschlief, auf die Wange...
  Nach ein paar Minuten kehrte die Neugier gegenüber der Landsfrau bei Alexander wieder. Er hob den Kopf. Der Mann und die Blondine saßen mit dem Rücken zu ihm. Er stand langsam auf, dann zog er seine Badehosen richtig und ging zum Wasser. Auf dem Weg zum Wasser blieb er stehen und schaute von der Seite auf den unbekannten Sarsenbajtschik, der das Gesicht der schönen Frau wörtlich ableckte. Von der Seite sah es aus, ob dieser graue Mann mit asiatischen Gesichtszügen und dieses schöne Mädchen, die einander leidenschaftlich küssten, nach wenigen Augenblicken zum Schafott gehen würden, wo man ihnen die Köpfe abhieb. Der Asiat bemerkte als Erster die starre Neugier des großen Mannes in der schwarzen Badehose. Er ignorierte kurz seine junge Vergnügung und zischte verächtlich russisch durch die Zähne:
  'Al-lja, Allotschka... Und was möchte dieses zweibeinige Glied von uns? Wieso starrt er uns so an, ob ich ihm etwas schulde...'
  Nach diesen Worten drehte er sich zu der Blondine um und befand sich wieder in ihrer Umarmung. Kusnezow hielt es nicht aus und grunzte laut. Die Aufdringlichkeit des großen Fremden brachte den verliebten Asiaten ganz aus der Fassung. Er sprang wie von der Tarantel gestochen auf und zischte wieder wütend:
  'Was willst du, nicht russische Schnauze? Hast du es vom Leben satt oder möchtest was auf die Schnauze kriegen?'
  Die Wut und der Zorn des kleinen Zwerges störten den körperlich fitten Touristen aus Deutschland überhaupt nicht, er blieb ruhig, sogar sehr ruhig. Er lachte nur fröhlich und grinste aus irgendeinem Grund ausgelassen. Solch ungewöhnliches Verhalten des Riesen verursachte beim Asiaten die nächste Hassflut. Der Knirps beugte sich nach unten und holte stark aus, hoffend beim Fremden die Zähne zu treffen. Und in diesem Augenblick fühlte er einen starken Schmerz in seinem linken Arm. Alexander wich dem Schlag sehr geschickt aus und drehte fast blitzschnell den Arm seines Gegners hinter seinem Rücken um. Der Angreifer schrie vom furchtbaren Schmerz stark auf und sank langsam auf die Knie. Sofort lief Allotschka hinten zu Kusnezow herbei und fing an, im fließenden Russisch an seine Adresse solche Flüche loszulassen, dass einige von den Russen, die im Sand nebenan und einen Kilometer weg lagen, nicht ohne Vergnügen anfingen, sich nach der Quelle der Muttersprache umzuschauen.
  Es ist nicht bekannt, wie das Spiel mit Worten und Muskeln ausgegangen wäre, wenn Alexander sich nicht in den Sand neben dem Knirps hätte fallen lassen und nicht laut aufgeschrien:
  'Nun, Farid, du erkennst mich gar nicht... Und also, komm, erkenn mal deinen Landsmann und Kollege...'
  Der Kasache erholte sich etwas vom toten Griff des starken Riesen und begann mit offenbarem Unverständnis und Misstrauen den Beleidiger anzusehen. Nach ein paar Augenblicken sprang er schnell auf und schrie:
  'Du, Kusnez.... Sofort fühlte man deine Pferdestärke... Also, du bist es, mein Landsfreund...'
  Mit diesen Worten sackte er wieder auf die Knie und warf sich mit aller Kraft auf den Körper des Riesen, der etwas vor sich hin murmelte. Die Freunde verwandelten sich in einem Augenblick in einen lebendigen einheitlichen Ball aus zwei Männerkörpern, die noch ziemlich lange in dem heißen Sand rollten und einander mit den Fäusten schlugen. Bald hatten sie von der reinen Männerbeschäftigung genug und gingen, verfolgt von den Blicken der geweckten wie auch erschrockenen Passanten, friedlich zum Wasser, um sich in Ordnung zu bringen.
  Nach einer Weile bildete sich am Ufer des Mittelmeeres eine kleine Gruppe von Touristen, die aus zwei Männern und zwei Frauen bestand. Farid und Alexander schauten sich immer noch weiter aufmerksam an. Manchmal klopften sie eifrig einander auf die Schultern, manchmal auf den Kopf. Die Frauen benahmen sich viel ruhiger. Allotschka gewann sofort nach dem Bekanntmachen eine interessante Freundin aus dem reichen Deutschland, die dazu auch nicht schlecht russisch sprach. Die Blondine war auch Erika sympathisch. Sie mochte sehr ihre Direktheit und Klarheit in der Kommunikation.
  Alexander erkannte mit großen Schwierigkeiten in dem alten grauhaarigen Mann den ehemaligen Soldaten der Sowjetischen Armee Ischakow. Farid, der noch keine dreißig war, sah viel älter aus. Sein grauer Kopf zeigte, dass nach dem Abschied am Kontrollpunkt das Leben des Landsmannes des Riesen kein Zuckerschlecken war. Der Vorschlag, das Treffen zu feiern, kam von Farid, der Regimentskamerad unterstützte ihn gern. Die Freunde gingen zum Hotel 'Rosamar". Das fünfgeschossige Hotel, das sich einige Dutzend Meter vom Meer befand, hob sich unter den übrigen Gebäuden hell hervor. Auf den fragenden Blick seines ehemaligen Kameraden darüber, was mit den Frauen machen sollte, schaute Ischakow mit einem Lächeln zu deren Seite und sang lustig eine Strophe aus einem bekannten Lied: 'Zuerst vor allen Dingen Flugzeuge. Aber die Mädchen? Die Mädchen später'.
  Die Frauen bemerkten das Verschwinden ihrer Männer und winkten ihnen fröhlich mit den Händen hinterher. Das bedeutete, dass jedes Paar den heutigen Abend auf eigene Faust verbrachte.
  Das Hotel begeisterte Alexander nicht nur durch sein Aussehen, sondern auch durch seine innere Pracht. Prächtig waren auch Farids Appartements, die aus drei Zimmern bestanden. Kusnezow ging etwa zehn Minuten durch die Wohnappartements des Freundes mit den Rechten eines Gastes, bis jener sich duschte. Besonders begeistert war er vom großen Schlafzimmer mit einem sehr breiten Bett, auf das ohne jeden Zweifel, die Zenitabteilung mit dem Kompaniechef zusammen passen würde. Ihm gefiel auch der kleine Eichentisch neben dem Bett, auf dem eine große Vase mit schönen Rosen stand. Im riesigen Kühlschrank des Freundes befand sich eine Unmenge von Wein, Wodka und Bier. Der Luxus des Zimmers, in dem sich Farid mit Allotschka erholte, unterschied sich auffallend, sogar sehr auffallend, von jenem Zimmer, wo die zwei jungen Leute wohnten, die aus dem reichen und wohlhabenden Deutschland kamen. Ischakow hatte sich geduscht und kam ins Zimmer. Sein Freund saß jämmerlich auf dem weichen Ledersessel und dachte über etwas nach. Als er es merkte, fragte er ihn sehr ernst:
  'Nun, Sanek, wieso lässt du den Kopf hängen? Wir haben uns so viele Jahre nicht gesehen und wieso bist du traurig... Für solch eine sauere Fratze gibt es heute keinen Grund... Ich werde jetzt überlegen, wie ich meinen Regimentskameraden und Freund besser bewirte, und du lauf ins Bad und wasche dein Bauch...'
  Eine Stunde später verließen die Freunde das elegante Zimmer und gingen nach unten, wo sich das Restaurant befand. Hier war auch alles sehr schön. Den Gast ergriff besonders die Schönheit der glänzenden Wände und der Spiegeldecke. Die Männer setzten sich an einen kleinen Tisch in der Ecke, sofort kam ein Kellner. Farid gab die Bestellung auf. Nach dem ersten Glas russischen Wodkas redeten die ehemaligen Kameraden. Das erste Wort bei allem führte Farid. Kusnezow antwortete nur hin und wieder auf die Fragen des Armeegenossen und das sehr kurz. Er änderte auch diesmal seine eisernen Regel nicht: die Nase nicht hinauszustecken und den Mund zu halten. Und er hatte auch nichts zum Prahlen. Im Laufe der Jahre seiner Einsiedelei im vereinigten Deutschland hatte er, der Fahnenflüchtige, noch nichts für die Realisierung seines erwünschten Traumes unternommen. Und in Spanien war er ganz zufällig. Zwei Wochen wärmte er seinen Bauch nicht ohne Erikas Hilfe.
  Die Verschlossenheit des ehemaligen Regimentskameraden ärgerte Ischakow überhaupt nicht. Der Boxer war ein schweigsamer und stiller Mensch auch in der Armee gewesen. Farid hatte sich nach dem zweiten Glas ganz erregt. Er wollte unbedingt seinem besten Freund alles erzählen, was er im Laufe der Jahre erlebt hatte. Alexander beobachtete sehr aufmerksam seinen Landsmann, der mal wie aus dem Maschinengewehr plapperte, mal mit den Fäusten auf den Tisch klopfte. Manchmal schien es ihm, dass er mit der Faust den riesigen Kopf des Kellners, der ihren Tisch bediente, gleich treffen würde. Der schwarzhäutige Junge verstand, dass der kleine Asiat mit dem grauen Kopf ein ziemlich reicher Besucher war und wollte ihn deshalb gründlich verwöhnen. Er machte es ausgezeichnet.
  Er gelang ihm rechtzeitig, sein Glas mit den Spirituosen nachzufüllen, eifrig wischte er auch mit dem Mopp den Fußboden von dem auf, was aus dem Mund des betrunkenen Erzählers 'flog". Es vergingen keine fünf Minuten, dass der Afrikaner an dem kleinen Tisch, wo man sehr laut redete und sehr laut fluchte, nicht vorbeiging. Die russische Sprache verstand der Diener nicht, aber das hinderte ihn nicht, gut 'zu verdienen'. Nach etwa einer Stunde war Farid gründlich voll und beschloss, sich ein wenig zu entleeren. Der Kellner verstand sofort den Wunsch des Kunden. Er griff ihn geschickt unter den Arm und begleitete ihn vorsichtig bis zur Toilettenkabine. Nach etwa zehn Minuten landete der Freund des Riesen nicht ohne die Hilfe des gleichen Afrikaners vorsichtig auf der kleinen Ledercouch. Der Diener verneigte sich sehr nett und nickte sogar dreimal tief seinen Kopf, als der neue Kasache mit einem Lächeln ihm eine Banknote im Wert von hundert Dollar gab. Kusnezow bemerkte sofort die Kaufmannsgeste des Freundes. Er lächelte und sagte leise:
  'Landsfreund!... Ich sehe, dass du wieder die Munition unserer berühmten Gruppe der Truppen in Deutschland verkaufst... Farid, bist du schon ein General oder hast du jetzt andere Kanäle?'
  Ischakow schaute mit einiger Mißgunst auf den, der ihm jetzt die Frage gestellt hatte. Eine gewisse Zeit schwieg er. Aller Wahrscheinlichkeit nach verdaute er in seinem Kopf die Frage des Freundes. Er sah heute oft in die ziemlich traurigen Augen des einst emporsteigenden Armeeboxers und Kameraden. Er verstand immer noch nicht den seelischen Zustand Alexanders, der wesentlich weniger Alkohol als er trank. Er verstand seine Falle, grinste sauer und sagte:
  'Nun, du Boxer, bist du vom Mond gefallen? Ich schmeiße mit diesem Geld und Dollars um mich, weil ich sie jetzt habe... Und für morgen habe ich auch schon vorgesorgt...'
  Ischakow schwieg wieder eine Weile. Auch Kusnezow schwieg, der nicht erwarten konnte, die Quellen des großen Kapitals des Freundes, der in der Armee nichts Hervorragendes darstellte, zu erfahren. Der neue Kasache zögerte offenbar mit der Antwort. Eine ähnliche Reaktion hatte der Riese erwartet. Nur wenige der reichsten Männer wagten sich, über die Herkunft ihrer Profite zu sprechen. Auf dem Gesicht des Kasachen leuchtete für eine Weile ein Lächeln und er trank ein Glas Wodka beiläufig aus. Dann stocherte er mit der Gabel auf dem Teller und warf auch beiläufig ein paar Scheiben Lachs in den Mund. Alexander beobachtete mit großer Aufmerksamkeit seine Handlungen. Er zweifelte schon überhaupt nicht mehr daran, dass Farid seine Karten aufdecken würde. Seine Seele jubelte sogar etwas, als sein Freund das nächste Glas Wodka austrank und durch die Zähne redete:
  'Nach der Armee war mein Le-ben wie eine schwar-ze Wolke... Bei uns in der Stadt eigneten sich die ehemaligen Partei-, Sowjet- und Komsomolarbeiter alles und jedes an. Ich lebte und arbeitete in diesen Häuschen nicht. Ehrlich gesagt, mein Landsfreund... Ich begann von Null... Bis zu der Eins mit vielen Nullen musste ich ziemlich lange gehen... Zuerst fuhr ich nach Moskau, um Klamotten zu besorgen. Mein Einkommen war nicht dick, gab alles den Weibern ab... Damals war ich sehr hungrig auf die Weiber und sie hatten auch kein Geld. Ich glänzte doch vor Schönheit weder damals noch jetzt...'
  Die Gedanken des neuen Kasachen über die Frauen und Männerschönheit brachten den Gesprächspartner zum Lachen. Er wollte auf die Männer und auf die Frauen trinken. Farid erwiderte seinen Toast gern. Eine geraume Zeit beschäftigten sich die Freunde mit dem Essen. Alexander konnte aus irgendeinem Grund immer noch nicht richtig erkennen, was für Delikatessen er aß und wer sie bestellte. Das lächelnde Gesicht des jungen Afrikaners näherte sich ihm manchmal, manchmal verschwand es irgendwohin. Nach dem Toast auf das starke und schwache Geschlecht schaltete Farid sein 'Kleinhirn" voll ein. Er, wie man es nur konnte, zog mit Kraft seinen Freund an sein Gesicht und sagte mit einem Seufzer:
  'Du, Bursche, denke nicht, dass ich mit den Klamotten eine Menge Geld machte... Ich habe dieses Geld sehr lange gesucht... Ich kaufte Vieh in meinem Kreis, dann ein wenig weiter weg. Mit einem Partner lernte ich zu stehlen, Sibirien ist doch groß... Die grünen Scheine brachten mich auch zu weiblichen Freuden... Diese Schlampen ließen mich früher auf einen Kanonenschuss nicht heran, aber jetzt konnte ich wählen... Heute amüsiere ich mich mit Allotschka, vor einem Monat war es Maschenjka... Die Sekretärinnen wähle ich selbst, ich wähle sie unter einer Bedingung... Sie sind ohne irgendeine Widerrede einverstanden gewesen...'
  Die Auswahl der Frauen nach "dem sexuellen" Prinzip amüsierte den halbbetrunkenen Alexander. Er sah den quasselnden Eroberer der weiblichen Herzen freundlich an und sagte ausgelassen:
  'Nun, du, mein Landsfreund, du bist ein Prachtkerl... Ich sehe, dass du sehr vieles in diesem Leben erreicht hast... Ich muss zugeben, dass ich dich ein bisschen sogar beneide, besonders um deine Allotschka...'
  Der rein menschliche Neid des Freundes verwirrte Farid überhaupt nicht. Die Erwähnung Allotschkas, seiner jetzigen Geliebten, goss ihm noch mehr Öl ins Feuer. Er war in diesen Moment bereit, seinem Freund alle denkbaren und undenkbaren Geheimnisse anzuvertrauen. Ihn bestach auch der Neid des Freundes zu seinem Erfolg. Farid weinte vor Freude. Dann grunzte er mit offensichtlichem Eifer und schnatterte:
  'Du, mein älterer Bruder deines jüngeren Asiaten... Ich werde dir unbedingt heute eine weibliche Überraschung machen... Ich schwöre dir, ich gebe dir das Wort des ehemaligen Kameraden...'
  Auf die Eidesversicherungen seines Freundes reagierte der Riese nicht. Er sah nur sehr aufmerksam in das dunkle Gesicht seines Freundes und lachte aus irgendeinem Grund. Wieso er jetzt lachte, über wen oder worüber, verstand er auch selbst vernünftigerweise nicht. Eins wusste er sehr deutlich. Sein Lachen war von erheblicher Bitterkeit und Bedauern über seine Vergangenheit und von noch einem größeren Teil Angst um seine Zukunft.
  Die jungen Männer kamen ins Hotelzimmer um Mitternacht. Alexander mit den Rechten eines relativen Nüchternen zog mit großer Sorgfalt seinen Freund aus und legte ihn auf das breite Bett. Allotschka war nicht im Bett. Der Gast ging ins Nebenzimmer auf das Sofa und schlief sofort ein. Man weckte ihn genau um vier Uhr in der Früh. Er öffnete ungern die Augen und sah vor sich ein junges Mädchen mit einem roten Umhang auf den Schultern.
  Nach ein paar Augenblicken sank der Umhang schnell auf den Fußboden und vor ihm stand eine nackte Frau. Der Duft ihres Parfüms berauschte ihn und er streckte der Blondine seine Hände entgegen...
  Nach der nächtlichen Saufparty kamen die Freunde erst am späten Morgen endgültig zu sich. Zu dieser Zeit war für sie schon das Frühstück vorbereitet. Alexander verspätete sich offensichtlich zu Tisch. Er saß in einer geräumigen Badewanne und dachte über den nächtlichen Besuch der schönen Blondine nach. Daran, dass sie eine Russin war, hatte er keine Zweifel. Wie er auch nicht zweifelte, dass der nächtliche Schmetterling nicht Alla gewesen war. Er schrubbte eifrig mit dem Schwamm seinen mächtigen Körper und bedauerte in irgendeinem Maß, dass er Erika betrogen hatte. Sie hatte sehr vieles Nützliche für ihn getan und nicht nur für einen Menschen, sondern auch für einen Militärverbrecher. Er beabsichtigte, auch weiter mit ihr zu leben.
  Farid bemerkte sofort das grimmige Gesicht seines Freundes und beschloss deshalb, ihn ein bisschen aufzumuntern. Er lud ihn mit einem Lächeln zu Tisch und sagte ausgelassen:
  'Nun, wie geht es dir, mein Freund? Ich war ganz allein in der Nacht und du hast mit der Blondine, wie ich sehe, sehr viel geleistet. Aber deine Schnauze ist aus irgendeinem Grund trüb, als ob du irgendwo auf Übung warst oder eine Schubkarre mit Ziegeln schlepptest...'
  Kusnezow antwortete auf die sarkastische Bemerkung des Freundes nichts. Er nahm nur ein großes Glas russischen Wodka und trank es in einem Zug aus... Nach einer Stunde saßen die Männer an einem kleinen Tisch am Strand und schlürften träge das kühle Bier.
  Das Essen und das Bier bestellte Farid. Alexander sah mit einiger Bestürzung auf den ehemaligen Regimentskameraden, als der bei dieser oder jener Bestellung immer lächelte. Er lächelte auch bei der Abrechnung. Der neue Kasache warf tatsächlich mit Geld um sich, solches Geld hatte der Tourist aus Deutschland nicht, hatte es niemals gehabt. In der Gesäßtasche der Sporthose hatte er einen einzigen Schein im Wert von zwanzig D-Mark. Er hatte vor, dieses Geld, während des Treffens mit seinem Landsmann auszugeben. Je mehr der flüchtige Soldat sich mit dem ehemaligen Armeekollegen unterhielt, desto düsterer wurde es in seiner Seele. Farid hatte nicht nur eine Menge Geld, sondern war auch über alle Ereignisse sowohl in Kasachstan als auch in Spanien informiert. Er hatte immer wieder sein Handy in den Händen und führte mit jemandem Gespräche, manchmal in russischer, manchmal in kasachischer Sprache. Kusnezow sah neidisch auf seinen Freund, der beschäftigt war und vielleicht spielte er dem 'Deutschen" nur einfach was vor. Alexander überhörte die geschäftlichen und privaten Gespräche des neuen Kasachen, sie interessierten ihn nicht. Er saß im Sand und starrte auf das Meer hinaus. Die riesige Wassermasse, die mit dem Horizont verschmolz, riefen in ihm Gedanken über die Vergangenheit und Zukunft hervor. Er grinste lustig, als er sich an den Geographieunterricht erinnerte, in dem seine Lieblingslehrerin Galina Iwanowna dem faulen und dummen Riesen eine dicke Zwei gegeben hatte. Sanjka erzählte nicht nur gar nichts über das Mittelmeer, sondern konnte es auch auf der Landkarte nicht finden. Er starrte nur mit leerem Blick auf die Frau und lächelte aus irgendeinem Grund...
  Die Freunde lagen am Strand bis zur Mittagszeit. Keiner von ihnen wollte zum Mittagessen gehen, beide waren satt. Um die Frauen machten sie sich auch keine Sorgen. Farid rief am Morgen, als er sich noch im Bett befand, seine Allotschka an. Die Freundinnen hatten die Nacht fröhlich und sorglos verbracht. Sie fuhren mit dem Reisebus und bewunderten die Nachtlandschaft. Alla benachrichtigte den Chef, dass sie im Falle von Langeweile unbedingt zurückkommen würden. Als Alexander von der guten Stimmung der Frauen erfuhr, beruhigte er sich. Seine Seele beruhigte sich allmählich auch nach der 'Sünde". Für sich stellte er fest, dass die nächtliche Blondine nicht nur nett, sondern auch sehr leidenschaftlich war. Die Hitze nahm immer mehr und mehr zu. Die Freunde hatten genug gebadet und sich gesonnt, sie beschlossen spazieren zu gehen. Der Spaziergang durch das bergige Gebiet war für sie nützlich und notwendig. Die kühle Brise erfrischte angenehm ihre Köpfe und trug zu neuen Gesprächen bei. Wie auch zuvor war Farid der Führer. Er litt wahrscheinlich sogar unter dem Strom der neuen Ideen und machte öfter Unterbrechungen. Er setzte sich mal auf die kleinen Bänkchen, die an dicke Klötze erinnerten, mal setzte er sich auf die erhitzten Bergblöcke. Das Interesse für das geschäftliche Geschwätz des Freundes verschwand bei Alexander immer mehr und mehr. Er ging immer mehr in sich. Je mehr Farid seine Erfolge in der Wirtschaft lobte, desto stärker entstand beim bettelarmen Russen der Wunsch, in seine Heimat nach Sibirien zu fahren und dort ein eigenes Geschäft zu organisieren. Am eigenen Erfolg hatte er keine Zweifel. Auf einem der Berggipfel beschlossen die Freunde, eine Rauchpause zu machen und sich gründlich zu erholen. Farid setzte sich auf einen Stein, dann zog er ein Päckchen Zigaretten heraus und zog stark den Rauch in sich ein. Alexander verzichtete auf das Rauchen. Bei solch einer Hitze war ihm schon von der reichlichen Nahrung und dem Bier übel. Für Ischakow waren die reichliche Tafel und Rauchtabak eine alltägliche Norm. Die tiefen Züge der teuren Zigaretten fügten ihm Kräfte bei und er ging wieder zu den wichtigen Lebensgedanken über. Er hatte wieder einmal genüsslich den Zigarettenrauch eingesogen, dann schaute er auf den düsteren Freund und sagte mit einem Seufzer:
  'Ach, Kusnez, wenn wir zusammen früher gewusst hätten, welchen Unterschied zwischen dem Geschwätz unseres politischen Offizier und dem wirklichen Leben es gab, so gäbe es viel weniger Brennholz... Ich bin zu meinen Verwandten mit dem Militärkoffer und Album gekommen... Bei ihnen war es auch leer, das magere Gehalt hatte man jahrelang nicht ausgezahlt... Die Lage bei deinem Freund war faul, sehr faul... Manchmal wollte ich sogar ein Fähnrich werden, sie hungerten niemals in der Armee...'
  Danach zog er sich das weiße T-Shirt und die Shorts herunter. Als er nur noch die Badehosen anhatte, streckte er sich auf der Steinliege aus. Nach ein paar Minuten schnarchte er. Der Riese wollte nicht sich sonnen oder schlafen, er saß neben seinem Freund und schwieg. Die glühende Sonne wärmte weiterhin ordentlich. Alexander wollte für einen Moment wieder nach unten heruntersteigen und ins Wasser eintauchen. Auf seinen Vorschlag, zum Strand zurückzugehen und zu baden, reagierte Farid nicht. Er lag mit verschränkten Händen hinter dem Kopf und geschlossenen Augen und atmete ruhig weiter. Nach einer Weile zog sich sein Freund auch aus und legte sich auf die Liege. Kusnezow schloss die Augen, aber der Schlaf kam nicht. Nachdenken wollte er auch nicht, in seiner Seele und in seinem Kopf war es leer.
  Nach einer Weile zog ihn jemand stark. Er öffnete ungern die Augen. Vor ihm saß Farid, der mit den Händen die verbrannte Haut von dem Bauch eifrig abriss. Solche Beschäftigung brachte Alexander zum Lachen. Und er fragte, wie zur Entschuldigung für seine Taktlosigkeit, mit spöttischem Lächeln seinen Freund:
  'Farid, hast du für mich was Neues während deines Schlafes vorbereitet? Ich höre dir aufmerksam zu...'
  Der Kasache lächelte schlau, klopfte sich auf den roten Bauch und sagte philosophisch:
  'Eins, mein Freund, sollten du und ich uns deutlich einprägen... Keine Macht, weder rot noch weiß und keine andere wird dem Sklaven Glück geben... Der einfache Mensch muss das Glück in die eigenen Hände nehmen... Vor fünf Jahren war ich ein kleiner Fisch... Vor Elend und Kraftlosigkeit weinte ich ziemlich oft...'
  Plötzlich schwieg er eine Weile, dann wandte er sich wieder an Alexander und sagte:
  'Hier, Sanek, schau meinen Rücken an... Das sind die Spuren meines Vermögens... Sie schmerzen mir immer noch, besonders in der Nacht... Schlecht ist auch das, dass in letzter Zeit mein Herz nicht richtig arbeitet. Es fing schon in der Armee an, ich ging damals zum Militärarzt...'
  Kusnezow sprang schnell von der Liege und fing an, aufmerksam den Rücken des mageren Mannes zu betrachten. Quer über seinem Rücken war eine breite Narbe von einem Messer oder einem anderen scharfen Gegenstand sichtbar. Er schaute mitleidig auf seinen Freund. Gestern und sogar heute hatte er die Narbe nicht bemerkt. Für einen Moment trafen sich die Augen der jungen Männer, keiner von ihnen wandte den Blick zur Seite. Farid seufzte schwer und sagte mit einer gewissen Erleichterung:
  'Mir half in jener Nacht Gott... Es hätte mein Ende sein können...'
  Die kurze Geschichte, die ihm sein Freund erzählte, schockierte den flüchtigen Soldaten zutiefst. Ischakow, um ans Geld zu kommen, stahl aus privaten Haushalten und auch in der Sowchose Vieh, dann verkaufte er es weiter. Während eines Überfalls auf den Hof eines Großbauers weckte den Bauer ein Wachhund. Er eilte sofort in die Scheune, wo etwa ein Dutzend wohlgenährte Ochsen standen. Farids Begleiter gelang es zu fliehen, er aber war zu gierig, um abzuhauen. Er wollte nicht ohne Beute weggehen, da für hatte er auch gelitten. Als der Besitzer den Banditen sah, riss er von der Stallwand eine Sense und schlug mit ganzer Kraft auf den Dieb ein. Ein schrecklicher Schmerz durchbohrte blitzschnell seinen Rücken, es half ihm auch das dicke Hemd nicht. Der wohlgenährte Besitzer der Ochsen schlug den kleinen Kasachen fast zu Tode. Er packte ihn am Kragen und zog ihn durch den ganzen Garten. Dann warf er ihn mit ganzer Kraft in einen kleinen Graben, der den Hof umgab... Farid stahl wieder weiter...
  Etwas erzählte er auch über seinen entfernten Verwandten, der bei der Miliz arbeitete. Der Major stahl nicht, aber er hatte genug Geld. Der Handel mit ausländischen Autos brachte dem ehemaligen Afghanen viel mehr Gewinn als irgendwelche Kühe dem ehemaligen Soldaten WGT. Nicht ohne seine Hilfe organisierte Farid sein Geschäft. Der Besitzer der Autowerkstatt hatte sofort Kunden. Nach einem Jahr eröffnete er ein Lebensmittelgeschäft. Noch ein Jahr später hatte er schon drei ähnliche Geschäfte...
  Nach dem Spaziergang gingen die Freunde zum Meer herunter. Dann badeten und setzten sich an einen kleinen Tisch. Offenbar hatte keiner den Wunsch sich zu betrinken. Die Erinnerungen an den ehemaligen Wehrdienst rührten die Männer. Farid weinte ein wenig, Alexanders Augen wurden auch feucht. Die jungen Männer, die sich nach einigen Jahren wieder getroffen hatten, verstanden, dass der Militärdienst für sie eine echte Schule des Lebens war und bliebe. Erst nachdem der Strand völlig leer geworden war, beschlossen sie sich zu trennen. Farid umarmte zum Abschied seinen Freund fest und sagte mit Tränen in den Augen:
  'Weißt du, Kusnez, wenn du nachdenkst aus Deutschland zu verschwinden, so komm zu mir. Ich werde dir immer helfen... Ich gebe dir mein Ehrenwort... Und zum Schluss möchte ich dir noch sagen... Noch mein Großvater sagte mir das. Die Heimat bleibt für immer die Heimat. Obwohl ich auch ein Kasache bin, wenn auch ein Asiat, aber ein naher Asiat. Und das gibt mir Kräfte... Du frisst dort reichlich, aber du bist dort fremd, ein Fremder... Das fremde Land nimmt nur deine Kräfte...'
  Bei Kusnezow zeigten sich plötzlich Tränen. Sie verursachten wahrscheinlich bei Farid die nächste Runde vertraulicher Gedanken. Er drückte noch einmal seinen Freund mit Kraft an seine Brust und sagte bestimmt:
  'Oh, mein Landsfreund... Ich sehe, dass es dir ganz schlecht geht, wenn bei solchem Athleten und solchem gutaussehenden Mann Tränen laufen... Ich werde mich über dich immer freuen, dass schwöre ich dir auf das Andenken an meine Mutter und meinen Vater. Sanjka, komm zu uns... Bei uns gibt es viel Platz und für unsere Zeit wird alles ausreichen... Ich fürchte mich manchmal, ehrlich gesagt, vor diesen Bettlern und schließe alles in meinem dreistöckigen Schloss ab... Immerhin denke ich, dass sie es nicht wagen werden, gegen uns die Hand zu erheben, ganz zu schweigen von irgendwelchen Revolutionen...'
  Kusnezow schlenderte nach dem warmen und rührenden Abschied mit dem ehemaligen Militärkameraden noch ein paar Stunden am Meer entlang. In den winzigen Raum der alten spanischen Frau wollte er nicht gehen, es zog ihn auch nicht zu Erika. Die geistige Verwirrung, die nach dem tränenreichen Abschied von Farid auftrat, hatte ihn völlig überwältigt. Er heuchelte überhaupt nicht, als er dachte, dass das Leben bei diesem Kasachen und nichtsnutzigen Soldaten ziemlich gut geworden war. Aus Neid zu den Erfolgen des Freundes presste sich bei dem ziellos schlendernden Mann sein Herz schmerzvoll zusammen. Aus seinen Augen flossen Tränen. Ihm war es peinlich vor dem Landsmann, der es schaffte, zu soviel Geld zu kommen, von dem, der schöne und starke Mann nicht einmal träumte...
  Erika traf ihren Liebsten mit Tränen in den Augen. Sie war wegen seiner langen Abwesenheit beunruhigt. Allotschka rief sie vor ein paar Stunden an und teilte ihr mit, dass ihr Sarsenbajtschik schon seit langem im Bett schnarchte. Kusnezow berührte in dieser Nacht den Körper seiner geliebten Deutschen nicht, sie streckte ihm die Hand auch nicht entgegen. Sie lag neben ihm und quälte sich mit Gedanken darüber, was an jenem Abend und in jener Nacht geschehen war, als sie den Russen allein mit dem Kasachen Farid gelassen hatte. Der Name und das Aussehen des Freundes von Kusnezow amüsierte das junge Mädchen sehr. Das geheimnisvolle Verhalten des schönen und großen Mannes beunruhigte und alarmierte sie sehr. Mit diesen unruhigen Gedanken schlief sie auch ein. Vor dem Einschlafen bat sie Gott darum, dass am morgigen Tag der Abreise nach Hause und an allen nachfolgenden Tagen bei ihr und Alexander alles gut sein sollte...
  Der erste Tag nach dem Urlaub brachte dem jungen Paar nichts Frohes. Es gab bei ihnen auch am nächsten Tag keine Freude. Am dritten Tag gab es eine gewisse Hoffnung für Freude, aber nur für Erika. An der Tür eines Lebensmittelgeschäftes in der Kreisstadt Zunden sah sie ganz zufällig eine Anzeige, dass man dringend Verkäufer suchte. Nach einiger Zeit saß sie schon im Büro des Direktors und hörte auf seine Anweisungen. Der Mann unbekannter Nationalität erzählte ihr in gebrochenem Deutsch mit einem starken unverständlichen Akzent von der bevorstehenden Arbeit als Kassiererin. Darüber, wie viel sie zahlen würden, sagte er nichts. Danach fragte auch die Gekommene nicht. Am Ende des Gesprächs führte Herr Schwarz die junge Person, die sehr hungrig war zu arbeiten, zu einem großen Porträt, auf dem der Besitzer von Dutzenden, sogar Hunderten Geschäften im Vereinigten Deutschland dargestellt war.
  Den sehr langen Familiennamen des Lebensmittelmagnaten bis zum Fallen der Berliner Mauer hatte Erika noch niemals gehört. Mit Mühe sprach sie ihn auch jetzt aus. Den Alten mit der großen buckeligen Nase und den riesigen abstehenden Ohren hatte sie niemals vorher gesehen und kannte ihn auch nicht. Und jetzt brachte er ihr auch keine besondere Freude. Die Preise für die Lebensmittel stiegen in diesem Geschäft mit jedem Tag. Die schöne Frau betrachtete sehr aufmerksam aus Anstand das alte, aber sehr reiche Wesen.
  Demjenigen, der ihn im Geschäft als Erster sehen würde, stand bevor, sofort ins Büro zu laufen und die Leitung zu informieren.
  Das Geschäft öffnete man um acht Uhr morgens. Die Neue kam zur Arbeit fast eine Stunde vor der Öffnung. Der Chef war noch nicht im Büro, stattdessen saß eine unbekannte Frau mittleren Alters. Erika begrüßte die unbekannte Chefin höflich, fast alle Zähne zeigend, und nickte nett. Dann ging sie zur Kasse und sprang leicht auf den kleinen Sessel. Es schien ihr, dass er extra für sie gemacht war. Kunden gab es im Geschäft noch nicht, dass freute sie auch. Von dem zuströmenden Glücksgefühl träumte sie sogar. Aber träumen konnte sie nur ganz kurz. Nach etwa fünf Minuten kam der stellvertretende Direktor des Geschäftes und führte sie ins Lager.
  Nach einer sehr kurzen Einführung der Chefin fing Erika an, die Karren mit allerlei Paketen und dem Gemüse zu beladen. Dann schob sie die schweren Warenkörbe in den Verkaufsraum und räumte die Lebensmittel in die Regale ein. Sie war auch dazugekommen, im Kühlhaus einige Zeit zu sein, aus dem sie ein paar hundert Hühnchen auslud. Herr Schwarz, als ob er die gestrigen Anweisungen vergessen hätte, gab ihr durch seine Stellvertreterin immer wieder neue Aufgaben.
  Erst gegen zwei Uhr nachmittags hatte Erika die erste Möglichkeit, eine Pause zu machen. Sie konnte kaum ihre Beine bewegen, ging durch die Hintertür des Lagerraumes hinaus und setzte sich auf ein Bänkchen, auf dem zwei Obdachlosen saßen. Die alten Männer schlürften träge Bier aus kleinen Fläschchen und schwatzten über etwas. Die Arbeiterin schloss vor Müdigkeit die Augen und atmete tief die frische Luft ein. Das sich einstellende Hungergefühl gelang ihr, für eine Weile zu unterdrücken. Plötzlich bremste ein Auto. Das sitzende Mädchen öffnete die Augen und erstarrte... Aus einem neuen 'Mercedes" stieg ein gebeugtes altes Männchen heraus, das sehr schlampig gekleidet war. In der Hand hielt er eine Plastiktüte. Das Aussehen des Besitzers des Luxuswagens hatte Erika nicht erschreckt. An die eigenartige Kleidung einiger Bewohner hatte sie sich schon gewöhnt. Sie erschrak jetzt wegen ganz etwas Anderem.
  Der Alte war, wie zwei Tropfen Wasser ähnlich dem, dessen Porträt im Geschäft hang. Vor der plötzlich erscheinenden Angst vor dem Chef sprang Erika von der Bank und schrie laut auf. Dann lief sie zum Haupteingang des Supermarktes. Nach ein paar Sekunden war sie schon im Büro des Direktors. Der Chef war vom plötzlichen Besuch des Lebensmittelmagnaten sehr durcheinander. In der ganzen Zeit seiner Arbeit hatte er selbst nie den Alten zu Gesicht bekommen. Er wusste eins genau, dass der in den Banken Hundert Millionen D-Mark hatte und auch noch drei Geliebte. Wieso es drei waren und nicht mehr und nicht weniger, konnte Herr Schwarz selbst auch nicht verstehen. Das hatte erst vor kurzem ihm ein Reporter der lokalen Zeitung ins Ohr geflüstert, der einen großen Artikel über das Geschäft geschrieben hatte.
  Die weiteren Ereignisse entwickelten sich sehr schnell. Alles leitete der Direktor des Supermarktes ein. Er schickte sofort die Neue, die weiteren Handlungen des ankommenden Magnaten zu überwachen. Sie, als die jüngste und schönste, sollte den Reichen für einige Zeit aufhalten. Wie es zu machen war, dazu gab ihr niemand Ratschläge. Sie beschloss auf eigenes Risiko zu handeln. Zuerst lief sie, um sich zu überzeugen, zum riesigen Porträt. Sie hatte keine Zweifel mehr. Dieser alte Mann und jener auf der Straße waren Zwillinge. Sie hatte sich noch einmal überzeugt, dass sie in ihren Handlungen Recht hatte. Danach verließ sie sehr sicher mit einem blendenden Lächeln das Geschäft und ging in Richtung des kleinen grünen Parks.
  Zu ihrem Erstaunen war es dort ruhig, sogar sehr... Das reiche Wesen saß auf dem Bänkchen mit dem enthülltem Glatzkopf unter den trüben Sonnenstrahlen und schlürfte faul Bier. Die ihr bereits bekannten Alten machten dasselbe. Das Verhalten des Chefs erfreute Erika sehr. Vor Freude setzte sie sich auf das Bänkchen gegenüber...
  Im Supermarkt herrschte zu dieser Zeit ein echtes Chaos. Herr Schwarz presste seine Hand an das Herz, lief durch das Geschäft und tobte buchstäblich. Wieso er schrie, warum er mit den Händen stark herumfuchtelte, verstand er auch selbst nicht. Aber er bezweifelte überhaupt nicht, dass alle Untergebenen ihn verstanden. Nach zehn Minuten war jeder und alles in bester Ordnung. Seine Assistentin hatte einige wichtige Änderungen in einigen Papieren vorgenommen. Sicher entkamen auch die drei Afrikaner, die im Lagerhaus das Gemüse für ein symbolisches Gehalt sortierten. Die zwei dunkelhäutigen Schülerinnen des Verkäufers waren auch verschwunden. Frau Krüger setzte der Chef nicht ein. Sie erfüllte jetzt eine sehr wichtige Mission...
  Erika erschien mit dem Magnaten erst nach einer halben Stunde. Dem Alten gefielen sehr die Umgänglichkeit und das bezaubernde Lächeln des schönen Mädchens. Am Eingang in den Supermarkt verabschiedete er sich warm von der jungen Person und küsste sogar leicht ihre Hand. Die Neue war vom unerwarteten Glück im siebten Himmel. Mit einem glücklichen Gesicht kam sie auch zum Direktor, der aus irgendeinem Grund sehr ernst war und wie eine Wache beim riesigen Porträt des Lebensmittelmagnaten stand. Dem Mann mit der unbekannten Nationalität zuckte aus irgendeinem Grund die linke Hand. Wegen seiner Nervosität bemerkte er wahrscheinlich nicht die herankommende Brünette. Der gesamten Belegschaft des Supermarktes zitterten die Hände und die Knie. Es wurde die nächste Welle der Kündigung erwartet, niemand wollte auf die Straße hinausgeworfen werden. Die Anwesenheit einer wichtigen großen Person oder die Wahrscheinlichkeit eines größeren Diebstahls fühlten auch die zahlreichen Kunden. Einige von ihnen fingen an, einander sehr aufmerksam zu betrachten, hoffend im Nachbarn die wichtige Person oder den Dieb zu erkennen...
  Das Ende des Ereignisses trat nach etwa fünf Minuten. Der Millionär, der aus irgendeinem Grund anstand, kam ruhig zur Kasse heran und begann aus einer kleinen Plastiktüte leere Bierflaschen herauszuziehen. Der Direktor und Erika folgten jeder seiner Bewegung sehr aufmerksam. Keiner von ihnen konnte das sehr außergewöhnliche Verhalten des Alten verstehen. Die Neue drehte unerwartet den Kopf zur Seite und sah die zwei, nicht rasierten Obdachlosen an. Sie standen am Eingang ins Geschäft und winkten aus irgendeinem Grund dem allmächtigen Alten mit den Händen...
  Ihr rutschte das Herz in die Hosen. Daran, dass sie sich in der Bestimmung der Identität des Inhabers einer Vielzahl von Geschäften grausam geirrt hatte, zweifelte sie schon überhaupt nicht mehr. Mit Tränen in den Augen schaute sie auf das Porträt des Alten mit den riesigen abstehenden Ohren, dann richtete sie ihren Blick auf den Obdachlosen und ging langsam weg. Nach einer Weile hörte sie hinter sich im gebrochenen Deutsch nur ein Wort, das Wort 'Scheiße', dass eben auch "Scheiße" bedeutete...
  Trotz des Misserfolges im Geschäft unterzukommen, gab Erika nicht auf. Sie suchte weiter nach Arbeit. Eine anständige Stelle fand sie nicht, das ärgerte sie sehr. Vor Hoffnungslosigkeit kam sie ziemlich oft sehr traurig nach Hause, manchmal mit Tränen. Alexander konnte dem Kummer seiner Freundin nicht helfen. Er fand sich selbst keine Stelle, wenn er Tag und Nacht mit dem Hintern das Sofa mit dem Hintern breit drückte oder fernsah. Ihm war es sehr peinlich, seiner Geliebten in die Augen zu schauen, für die er auch eine Last und ein Schmarotzer war. Davon wurde er oft wütend und wollte, um die Probleme des Lebens zu vergessen, sich richtig betrinken. Einmal hatte er es getan, hatte sich gründlich besoffen. Erika sah zum ersten Mal ihren Freund so betrunken und hatte sich sehr erschrocken.
  Sie erstarrte vor Angst, als der Riese mit einer Fahne sie auf seine Arme nahm und ins Bett trug. In dieser Nacht war er so leidenschaftlich wie nie zuvor, aber auch gleichzeitig sehr grob. Sie unterwarf sich ergeben dem mächtigen Wesen. Erst nachdem er sich ausgetobt hatte und sich mit dem Rücken zu ihr umdrehte, gab sie den Tränen freien Lauf. Sie hatte noch niemals im Leben so bitter geweint. Sie weinte nicht nur, weil ihr geliebter Russe so betrunken war. Das erschreckte sie nicht besonders. Sie war immer noch schockiert davon, was mit ihr buchstäblich erst vor ein paar Stunden heute passiert war.
  Erika suchte schon am ersten Tag nach dem Urlaub in der neuesten Zeitung nach Stellenangeboten. Sie fand drei für sie passende und rief sofort an. Die zwei ersten musste sie streichen, weil die Stellen schon besetzt waren. Beim dritten Anruf antwortete niemand. Sie rief am nächsten Tag, dann noch am übernächsten Tag und nach einer Woche. Wieder antwortete niemand. Erst nach zwei Wochen kam aus dem Hörer eine Männerstimme. Erika war schon nach einer halben Stunde beim Besitzer der kleinen Firma, die sich mit dem Ausverkauf von Kinderwaren beschäftigte. Der Chef der Firma, ein Mann in den Fünfzigern mit einer großen Warze auf der linken Kinnhälfte, rief bei ihr keine besonderen Sympathien hervor.
  Sein Verhalten alarmierte sie aus irgendeinem Grund von der ersten Minute an. Herr Müller betrachtete das Gesicht der zukünftigen Sekretärin aus irgendeinem Grund sehr sorgfältig, sie hatte nicht nur ein sehr sympathisches Gesichtchen, sondern auch sehr schlanke Beine. Nach einem ziemlich langen Gespräch versicherte er Erika eine hundertprozentige Beschäftigung. Es blieb nur noch, die Papiere auszufüllen. Sie beschloss dem Russen nichts darüber zu sagen, nichts zu sagen, um es nicht zu beschreien. Sie hatte vor, ihn an ihrem ersten Arbeitstag zu überraschen.
  Alles Weitere ging eindeutig nicht nach dem Plan der jungen Deutschen. Frau Krüger kam mit den notwendigen Papieren zum Chef, wie vereinbart, genau um zehn Uhr morgens. Der Besitzer war schon da und empfing das Mädchen freundlich. Dann sah er ihre Unterlagen sehr aufmerksam durch. Eine Straftat fand er in ihrer Biografie nicht. Sie selbst war auch darüber nicht besorgt. Sie war keine Kommunistin in der ehemaligen DDR gewesen, strafrechtlich wurde sie auch nicht verfolgt. Darüber, wie sie die Berliner Mauer brach, beschloss sie zu schweigen. Das machten damals Hundert Tausende wie sie...
  Der zukünftigen Sekretärin war es unbekannt, dass Herr Müller auf den Plätzen nicht gestreikt und die Mauer nicht eingestürzt hatte. Bei der ehemaligen sozialistischen Macht war er ein kleiner Angestellter, aber doch ein Beamter. In diese Stadt, die am Ufer der Elbe lag, kam er vor fünf Jahren, kam, um in die Welt des Unbekannten einzutauchen. Und nicht nur deshalb. Er hatte sich buchstäblich einen Monat nach dem Verschwinden der DDR auf der politischen Weltkarte von seiner Frau scheiden lassen. Magda war nicht nur eine schöne Frau, sondern hatte auch einen sehr hohen Posten in ihrer Heimatstadt. Für Gerhard wurde es sofort klar, dass es mit solch einer einst wichtigen Person kein schönes Leben geben würde. Er bezweifelte überhaupt nicht, dass die neuen Behörden sie nicht in Ruhe lassen würden. Hier war es besser und viel ruhiger. Wegen der angenehmen Erinnerungen an die Vergangenheit litt der Mann oft an Schlaflosigkeit. Er schluckte Tabletten oder wandte sich dem Kognak zu.
  Das offizielle Treffen des Chefs mit der jungen Schönen endete sehr erfolgreich. Herr Müller zeigte der jungen Frau Krüger ihren Arbeitsplatz als Sekretärin. Das Zimmer war klein, aber sehr gemütlich und hell. Dem Mädchen gefielen sehr der Tisch und der Sessel, sie kam sogar dazu, darin eine Zeit zu sitzen. Sie bemerkte auch in der Ecke des Zimmers einen kleinen Glastisch, auf dem eine Flasche Sekt stand und ein paar Bananen lagen. Den Vorschlag des Chefs, für Erikas erfolgreichen Anfang der Arbeit anzustoßen, lehnte sie nicht ab. Mit großem Vergnügen trank sie auch ein Glas Sekt auf seine Gesundheit aus. Mehr Sekt zu trinken stand ihr nicht bevor. Schuld daran war der Chef selbst. Sie war nicht dazugekommen, nach dem zweiten Glas Sekt Luft zu holen, als sie sich plötzlich in seinen starken Händen befand. Nach ein paar Augenblicken begann er mit beiden Händen ihr die Jeans herunterzuziehen. Er schnaufte dabei wie eine überlastete Dampflokomotive. Erika verstand nicht sofort, was mit ihr geschah.
  Sie kam erst dann tatsächlich zu sich, als der Firmenchef ihren rosa Slip zerrissen hatte und seine Hand an ihre Scheide drückte. Was weiter im Vorzimmer des Direktors der Firma geschah und warum es geschah, daran erinnerte sie sich undeutlich. Weiter agierte sie wie eine gefangene Löwin, die bewaffnete Männer umkreisten. Sie lag mit dem Rücken auf dem kleinen Glastisch mit hoch gestreckten Beinen und sah mit Bosheit und Hass ihren Vergewaltiger an. Er verlor, wahrscheinlich in der Hoffnung, dass die Neue ruhig sein würde, für eine gewisse Zeit seine Wachsamkeit und begann, ruhig seine Hosen abzulegen. Das beschloss Erika auszunutzen. Sie drehte ihren Kopf zur Seite um und sah am Rande des kleinen Tisches die halbleere Sektflasche. Sie packte sie sofort und schlug mit ganzer Kraft auf den Kopf des Chefs, von dessen Teil es schon tropfte...
  Über den Vorfall im Anmelderaum der Firma beschloss Erika an diesem Abend Alexander nichts zu sagen. Und ihm war es nicht nach ihren Problemen zu Mute. Er schlief wie ein Toter. Sie dachte in dieser Nacht sehr lange über den Sinn des Zusammenlebens von Männer und Frauen nach und kam zu einem ziemlich interessanten Ergebnis - für die Mehrheit der Männer ist Sex zusammen mit Gewalt das Wichtigste in ihrem Leben. Keine Ausnahme war auch ihr russischer Fahnenflüchtiger, den sie noch gestern so sehr geliebt hatte. In dieser Nacht brach in ihrer Seele etwas in Bezug auf diesen Menschen. Warum es passierte, verstand sie selbst noch nicht ganz...
  Kein Glück bei der Arbeitssuche hatte auch Alexander trotz der unglaublichen Bemühungen seiner Freundin. Erika durchsuchte fast alle Zeitungen. Die Arbeit war in der Regel schwer und sehr niedrig bezahlt. Aber das erschrak den Russen nicht. Er war mit allem und jedem einverstanden. Erika verstand ihn sehr gut und beschäftigte sich mit jeder Einladung zur Arbeit bis zum Ende. Sie rief selbst persönlich an und machte Termine aus, zu denen sie zusammen mit ihrem Freund ging. Alles war vergeblich. Ohne notwendige Dokumente stellte man nicht ein. Man übernahm ihn auch nicht wegen des Mangels an Kenntnis der deutschen Sprache. Mehrfache Versuche Alexanders scheiterten, das Deutsche sich in den Kopf und das Gehirn einzuprägen. Wieso es so war, konnte er auch selbst nicht verstehen, obwohl er gute Voraussetzungen für 'die Sprache" hatte. Erika begann ziemlich oft mit ihm Deutsch zu sprechen, aber nach ein paar Minuten rutschte er irgendwie wieder ins Russische. Im Endeffekt ergab es sich, dass nicht sie ihm Deutsch beibrachte, sondern er ihr Russisch. In seiner Seele verbarg er schon nicht mehr, dass sein Wunsch, die Sprache der Einwohner des reichen Landes zu lernen, allmählich begann bei ihm zu verschwinden. Besonders nach dem Treffen mit Farid am Meer...
  Für sich einen Job zu finden, gelang es Kusnezow erst nach einem Jahr und das im Spätsommer. Er fand ihn in einem nahe gelegenen Dorf nicht weit von Springer. Hatte ihn gefunden nicht ohne die Hilfe seiner Freundin. Den Dorfbewohner Herrn Kremer kannte Erika schon seit langem. Bei den Kommunisten und Demokraten unterschied sich der Alte durch nichts. Der Rentner hatte weder in der Jugend noch im Alter eine wirtschaftliche Begabung. Der Sohn war das Gegenteil des Vaters, der unverständlich für Erika sehr schnell reich geworden war. Er hatte ein Geschäft in Dresden, wo er einst studiert hatte. Davon, dass er ein paar Männer für einen Monat brauchte, hatte sie ganz zufällig erfahren, als sie den Vater des Unternehmers an der Bushaltestelle traf. Am nächsten Morgen stellte sie den Russen dem vor, bei dem er beabsichtigte zu arbeiten. Der Chef war etwa dreißig Jahre alt, nicht älter. Seine Jugend rief bei Alexander eine gewisse Sympathie für ihn hervor und nicht nur aus diesem Grund. Er schaute neidisch auf den neuen Supermarkt, der nach den Plänen des Besitzers am ersten September öffnen sollte. Der Arbeitgeber war zufrieden mit allem, 'womit " der Russe kam. Er fragte nach keinen Dokumenten, für seinen Beruf interessierte er sich auch nicht. Der Deutsche versprach ihm fünf D-Mark pro Stunde zu zahlen.
  Wie viel er seinem Kollegen zahlte, wusste Kusnezow nicht und es interessierte ihn auch nicht. Und selbst den Afrikaner, mit dem ihm bevorstand zu arbeiten, war es unmöglich, danach zu fragen. Der junge Bursche mit der dunklen Haut sprach Englisch sehr gut, aber Deutsch überhaupt nicht. Der Besitzer richtete sein Augenmerk auf den Afrikaner, der sich auch wirklich als eine gute Fachkraft erwies. Michael verlegte geschickt Linoleum, strich Fenster. Alexander war bei ihm als Hilfskraft. Jeden Morgen bekamen die Schwarzarbeiter vom Chef persönlich ein Arbeitsobjekt, er versuchte, sie in einem beträchtlichen Abstand voneinander zu halten. Er ärgerte sich sehr, wenn er den Schwarzen und den Weißen zusammen sah. Aber er machte keine Bemerkungen in diesem Zusammenhang. Am nächsten Tag nahm er Veränderungen vor, um weitere Verluste der Arbeitszeit zu verringern. Der Chef selbst verschwand manchmal für eine Weile, an seiner Stelle übernahm sein Töchterchen die Aufsicht. Das Mädchen, das zehn Jahre alt war, nicht älter, lief immer wieder durch den Supermarkt. Am Ende der Arbeit war Kusnezow geschafft, aber das Schwierigste und Schlimmste stand ihm noch bevor. Udo, so hieß der Eigentümer, schaute nach einer sorgfältigen Prüfung der erfüllten Arbeit in sein Notizbuch. Dann machte er darin irgendwelche Vermerke. Erst danach zahlte er. Während der Verteilung der Arbeit und bei der Abrechnung sprach Herr Kremer immer nur Deutsch, was den Russen sehr ärgerte. Er verstand die Sprache nicht und konnte deshalb nichts dagegen dem arroganten und sehr schlauen Deutschen sagen. Er hatte keinen Zweifel, dass der ehemalige Ingenieur viel besser russisch spricht als er Deutsch. Beim Besitzer des Supermarktes war alles, wie bei einem talentierten Musiker, nach Noten geregelt. Seine wissenschaftliche Ausbeutung der Schwarzarbeiter wunderte den Russen überhaupt nicht. Er überzeugte sich davon schon früher bei Anderen durch seine bittere Erfahrung. Aus diesem Grund ging er nicht auf die Palme, das alles war vergeblich. Gewerkschaften gab es hier nicht, es war auch kein politischer Vertreter da. Alexander schaute bei der Abrechnung nur aufmerksam auf den Tisch, auf dem ein paar Scheine und ein Häufchen Kleingeld lagen. Darüber, dass der Deutsche nicht gern mit großen Scheinen zahlte, hatte er sofort bemerkt. Auch für zehn Stunden harter Arbeit bekam der Bürger der ehemaligen Sowjetunion keine großen Scheine. Als Alexander das Geld bekam, rannte er schnell aus dem Büro und unterwegs zählte er es. Dann drehte er sich zum Supermarkt um und fluchte genüsslich russisch...
  Erika freute sich sehr darüber, dass ihr Freund einen Job gefunden hatte. Sie holte ihn immer an der Bushaltestelle ab. Ermüdet, aber leuchtend vor Freude, sprang der Riese vom Trittbrett auf die Erde und umarmte sie zart. Dann gingen sie in die Bierkneipe, die sich direkt neben der Haltestelle befand. Kusnezow und seine Freundin waren hier keine Stammgäste. Sogar jetzt, als er anfing zu arbeiten, leisteten sie sich nicht viel. Sie bestellten für jeden ein kleines Weinglas Bier und eine Tüte Salzstangen. Am kleinen Tisch saßen sie auch nicht lange. Dem Schwarzarbeiter schmerzten die Hände und der Rücken von der schweren körperlichen Arbeit, er wollte sich sehr gern auf das Sofa hinlegen. Erika interessierte sich selten für die Produktionserfolge ihres Geliebten. Er schwieg in der Regel auf ähnliche Fragen, die sie ihm stellte. Manchmal schaute er ihr schlau in die Augen und lächelte. Sie versuchte nicht bis zur Wahrheit durchzudringen. Sie wusste sehr gut, dass ihr Saschenjka kein Abgeordneter des Bundestags war und mit dem Hintern nicht den weichen Sessel drückte, sondern etwas fuhr oder schleppte.
  Der Russe war auch selbst nicht begeistert von seinem Job. Darüber, dass er die Fußböden wischte oder die Erde neben dem Geschäft ebnete, wäre für Erika auch in Wirklichkeit nicht interessant gewesen zu hören. Er hielt es für unanständig, sie mit den Fragen über ihre Arbeitssuche zu belästigen, er wollte auch kein Salz in ihre Wunde noch einmal streuen. Seine Freundin war immer noch ohne Job. Eine richtige Arbeitsstelle hatte sie nicht. Immerhin eine 'Schwarzarbeit' hatte sie gefunden. Ihren kleinen Nebenverdienst hielt sie vor ihrem Russen geheim. Nachdem er zur Arbeit gegangen war, setzte sie sich in einen Bus und fuhr in die Kreisstadt Zunden in die Wohnung einer älteren Frau. Die Frau zahlte für das Putzen der Wohnung und Waschen der Wäsche fast kein Bargeld. Sie zahlte mit allerlei Schmuckstücken oder mit neuen Klamotten. Erika verkaufte dies alles auf dem Markt neben dem Bahnhof. Käufer hatte sie immer. Hauptsächlich waren es Ausländer und Aussiedler. Mit einem von ihnen traf sie sich erst vor kurzem, als sie zusammen mit Alexander über den Flohmarkt ging. Ihm hatte der kleine Wecker in Form des russischen Bären sehr gefallen und er kostete auch nur zehn D-Mark. Ihre Versuche ihm es auszureden, die Uhr zu kaufen, waren erfolglos. Er tat es trotzdem. Er hatte nichts Eigenartiges im Verhalten des Verkäufers bemerkt, aber Erika fand keinen Platz. Sie stand neben dem kleinen Tisch und warf hin und wieder einen Blick auf den 'Russen', dem sie vor zwei Monaten den Wecker für nur fünf D-Mark verkauft hatte. Nikolaj war über seinen Handel sehr froh. Er dachte, dass das junge Pärchen auch Aussiedler waren und schickte ihnen deshalb einen Volkswitz hinterher, von dem nicht nur Frau Krügers Ohren, sondern auch ihre Nase erröteten...
  'Die Schwarzarbeit' flog für den Flüchtigen sehr schnell vorbei. Der Chef des 'schwarzen' und 'weißen' Arbeiters hatte ihn auf dem Objekt ganz genau gehalten, keine Stunde mehr. Das nächste Objekt für den Einsatz seiner Körperkraft fand Alexander durch die Anzeige in der russischsprachigen Zeitung "Semljaki", die er am Kiosk gekauft hatte. Die Anzeige fand er sehr interessant, deshalb rief er an. Der Lagerraum, wo ihm bevorstand zu arbeiten, befand sich in der Kreisstadt. Kaum hatte er die Schwelle der nächsten Arbeitstelle übertreten, freute er sich unheimlich. Hier war für ihn alles bekannt und russisch: die Menschen, die Anzeigen und die Aufschriften an den Wänden. Ausnahme waren nur die Preisschilder auf allerlei Paketen und Säcken, die waren in Deutsch. Mit der Organisation der Arbeiten im Lagerhaus beschäftigte sich eine Frau, eine Aussiedlerin. Sie verteilte nicht nur geschickt verschiedene Aufträgen, sondern kam auch sehr gut mit dem besonderen Jargon der Männer zurecht. Der Neue war gleich am Anfang seiner Arbeit schockiert, als er sah und hörte, wie das 'dünne' Wesen, das man einfach russisches Weib nannte, auf die nichtsnutzigen Arbeiter sehr geschickt schimpfte. Nach ein paar Minuten war sein Schock vergangen. Alles war wie früher. Die Arbeit im Lagerhaus war primitiv, irgendwelche Vorrichtungen zum Entladen oder Beladen von Waren gab es nicht. Alles und immer wurde mit Körperkraft gemacht. Bis zur Mittagszeit entluden drei Burschen, zu denen auch der Flüchtige gehörte, zwei mächtige schwere LKWs. Die Sachinja, so nannten die Männer die Chefin untereinander, setzte sofort das Trio in ein anderen Teil des Lagerhauses ein, um Säcke mit Kartoffeln zu schleppen. Eine Rauchpause wie in der sowjetischen Zeit und Armeezeit gab es nicht. Sie trat ganz unerwartet ein, als jemand die Chefin anrief. Sie setzte die unermüdlichen Arbeiter in Kenntnis, dass sie nach zwanzig Minuten wieder ins Lagerhaus käme und ging zielgerichtet zum Ausgang. Dann begann sie mit einer unabhängigen Art die Türen zu schließen. Wegen ihrer unerwarteten Handlungen biss er sich der Neue fast auf die Zunge). Er wollte schon eine ganze Weile für ein natürliches Bedürfnis auf die sich im Hof befindende Toilette gehen.
  Er, ohne zu zögern, ging ein paar Schritte in Richtung der flinken Sachin, die aus ihrer Tasche die Schlüssel herauszog, um das Tor von außen zuzuschließen. Für einen Moment blieb er stehen. Er konnte immer noch nicht 'kultiviert" im Kopf die persönliche Bitte bearbeiten, dass er mal muss, und dann sie der, die ihm kaum zum Nabel reichte, beizubringen. Plötzlich kam aus der Menge eine dünne Männerstimme:
   'Anna Iwanowna! Schließen Sie uns bitte nicht ein... Jemand muss mal raus zu Wind...
   Ein fast engelhafter Appell des ziemlich intelligenten Mannes, der auf Zehenspitzen zu der Frau herankam, hatte keine Wirkung auf sie. Die Bitte ärgerte sie nur. Sie blickte verächtlich auf ihren befristeten Arbeiter und zischte durch die auseinander stehenden Zähne:
  'Du, schau, was für ein Cleverer sich gefunden hat... Ihm wäre es zu Wind wünschenswert... Ich habe solche Scheißer viel gesehen... Ich nehme den ganzen Tag den Slip nicht ab und das alles wegen dem Wind... Dank dem Wind verlieren wir Hunderte von D-Mark...'
  Weiter beschloss sie nicht zu reden. Höchstwahrscheinlich war der Anruf sehr wichtig oder sie selbst wollte zu Wind gehen. Die fünf Männer beobachteten demütig wie Erstklässler, wie die Frau die Tür zumachte und mit dem Schlüssel abschloss. Sie war noch nicht dazugekommen, in das Auto zu steigen, was durch das große Fenster zu sehen war, als Koljan, so hieß der Kollege des intelligenten Mannes, von irgendwoher eine Flasche russischen Wodka brachte. Sofort bildete sich ein Männerkreis. Ihnen schloss sich auch der Flüchtige an. Er hielt seine natürlichen Bedürfnisse zurück, trank mit Genuss ein halbes Glas Wodka aus und aß eine Gurke. Den Alkohol hatte nur Innokentij nicht angerührt, der Intellektuelle. Er schwieg aus irgendeinem Grund während der kleinen Feier. Das Schweigen wurde auch auf die übertragen, die die Flasche 'geleert' hatten. Nach einer Weile unterbrach Koljan die Stille. Bevor er den Mund öffnete, warf er mit ganzer Kraft die leere Flasche in die Tiefe des Lagerhauses. Die Flasche machte eine Pirouette, landete auf irgendwelchen Kisten und zerbrach. Er grunzte vor Freude, drehte sein Gesicht zum Intellektuellen um und erklärte stolz:
  'Weißt du, Ikone... Ich bin hier schon ein paar Wochen und bin mit allem zufrieden... Ich sage ehrlich, ich fühle mich gut hier... Hier ist alles heimisch, sogar unser russischer Wodka...'
  Dann drehte er sich zu Alexander um und fragte heiter:
  'Also, und dir, junge Mann, gefällt es dir hier nicht und überhaupt nicht?'
  Als er den erstaunten Blick des mächtigen Riesen sah, wurde er sofort still wie ein Mäuschen und ging zur Tür des Lagerhauses. Weiter sprach niemand mehr und über nichts. Alle gingen auseinander, wer wohin. Kusnezow hatte das Gefühl, dass es aus einer Stelle gleich 'ausreißen' würde, deshalb beschloss er, sich mehr zu bewegen. In der Bewegung vergaß er für eine gewisse Zeit die Toilette und das, was er seit langem dort machen wollte. Ihm schien es, dass die Freche schon ihre Mündel vergessen hatte. Von diesem schrecklichen Gedanken schwitzte er. Er schrie fast vor Freude auf, als sich die Türen öffneten und die Chefin mit einem Lächeln auf dem Mund zischte:
  'Nun, meine Herren Scheißer... Wer möchte zur Toilette, laufen Sie... Und vergessen Sie nicht, dass ihr alle bei mir arbeitet...'
  Unter dem fröhlichen Lachen der Frau und drei Männer eilten Alexander und Innokenti zum Ausgang. Nach der Toilette entschieden sie, sich nicht zu beeilen, ins Lagerhaus zu gehen. Die Initiative, ein wenig zu bummeln bat dem jungen Mann der Intellektuelle an. Die frische Luft und die langersehnte natürliche Erleichterung verführten dazu, aber der Spaziergang fand nicht statt. Die Männer waren noch nicht dazugekommen, auf den Fußweg zu 'zusteuern', als aus der Tür des Lagerhauses Koljans Physiognomie erschien. Er winkte rasend mit der Hand in Richtung derer, die ein bisschen zu faulenzen beabsichtigten.
  Die acht Arbeitsstunden im Lagerhaus waren schnell vergangen. Die russische Chefin, wie auch der Deutsche Kremer, rechnete mit den Arbeitern einzeln ab. Alexander, der Neue, ging als Letzter ins Büro rein. Anna Iwanowna empfing den hochgewachsenen Burschen mit einem Lächeln, er lächelte auch. Er sah aufmerksam in die Augen der noch relativ jungen Frau und quälte sich mit dem Gedanken, wie ihn heute diese Person 'bereicherte'. Er erwartete keinen großen Lohn. Der Mann am Telefon versprach ihm fünf D-Mark pro Stunde. Die Chefin zog aus dem Geldbeutel zwanzig Mark heraus und reichte sie ihm, der machte erstaunt große Augen. Sie hatte wahrscheinlich eine ähnliche Reaktion des Arbeiters erwartet. Sie stand ruhig vom Tisch auf und ging auch ruhig zu einem großen Schrank. Dann öffnete sie ihn und zog eine kleine Plastiktüte heraus. Dann setzte sie sich wieder an den Tisch und sagte mit einer olympischen Ruhe:
  'Außer der Bezahlung mit Bargeld gibt es bei uns noch Bezahlung mit all dem, womit unser Lagerhaus reich ist...'
  Kusnezow wusste nicht, was diese Tüte enthielt. Er beabsichtigte auch nicht, sie zu öffnen. Er lächelte nur sauer und schwieg. Seine Unzufriedenheit an seinem ersten Arbeitstag zu zeigen, riskierte er nicht. Er wusste nicht, was ihn morgen in diesem reichen und sehr demokratischen Land erwartete. Das 'kulturelle" Verhalten des Neuen freute die Aussiedlerin. Sie sah zum ersten Mal im Lagerhaus solch einen gutaussehenden Mann. Es war kein Vergleich zu ihrem Mann, der einst das Lenkrad in einem kleinen kirgisischen Städtchen drehte. Fast vor dreißig Jahre setzte sich die junge Deutsche zum ersten Mal im Leben in ein Taxi in der Nähe des Bahnhofs. An diesem Tag gab sie auch zum ersten Mal ihre Adresse dem jungen Fahrer Peter. Ihre erste Nacht verbrachten der Taxifahrer und die Studentin auch im öffentlichen Auto. Ihr Mann hatte keine hervorragenden Fähigkeiten weder dort noch hier. Er soff überall Bier. Nebenbei verdiente er auch nichts und nie. Deswegen gab es zu Hause fast jeden Tag Auseinandersetzungen. Der erfahrene Taxifahrer und die Ingenieurin mit dem 'Zwei-Cent- Gehalt" erlebten das Licht des Kommunismus nicht. Sie wie auch Millionen andere einfache Sterbliche hatten die Kommunisten einfach betrogen...
  In der historischen Heimat der Vorfahren musste der diplomierte Metallurge aus dem Nichts heraus handeln. Anfangs war es sehr schwer, aber jetzt wurde es leichter. Es gäbe noch weniger Probleme, wenn sich ein richtiger Bursche für ihre einzige Tochter Tanetschka gefunden hätte. Alles hing von den Bräutigamen ab, würdige für sie gab es nicht. Die Chefin warf ihr Auge auf den schönen Burschen wie eine Frau, sie beneidete sogar sein Mädchen, das er sicher hatte. Solche Männer lebten sehr selten allein. Sie hatte auch selbst nichts dagegen, mit ihm in die Welt der Jugend einzutauchen...
  Anna Iwanowna fürchtete natürlich, jetzt sofort ihre geheimen Gedanken dem wenig bekannten Menschen zu öffnen. Aber eine Andeutung in Bezug auf ihre Tochter beschloss sie immerhin zu machen. Vielleicht biss er jetzt an, vielleicht auch erst später. Alles konnte in diesem Leben passieren. Sie hatte selbst niemals gedacht, dass sie im Alter in Deutschland leben würde und noch etwas haben würde...
  Als sie sich von dem Neuen verabschiedete, hielt sie ihm mit einem Lächeln ihre Hand hin. Dabei schaute sie ihm aufmerksam in die Augen und flüsterte zärtlich:
  'Junger Mann... Morgen werde ich auf dich zur gleichen Zeit in meinem Lagerhaus warten...
  Kusnezow gab schweigend der Frau die Hand und ging mit einem sauren Lächeln aus dem Büro heraus. An der Bushaltestelle setzte er sich auf ein Bänkchen, hielt seinen Atem an und öffnete das Paket. Von dem, was er sah, war er schockiert. In der Tüte waren ein kleines Paket Kartoffeln und zwei Päckchen Karotten. Im Geschäft kostete so was fünf D-Mark, nicht mehr. Erika erwartete eine so zeitige Rückkehr ihres Freundes nicht und war deshalb sehr verwundert. Noch mehr war Alexander überrascht, als er die Tür zu Wohnzimmer öffnete und den Raum betrat. In der Mitte des Zimmers stand ein Tisch, der bis zum äußersten mit allerlei Gerichten gedeckt war. Einige davon hatte er schon lange nicht mehr gegessen.
  Die fröhliche Hausherrin beantwortete keine seiner Fragen. Sie presste bloß ihre Lippen zusammen, schwieg und tanzte fröhlich um ihren Geliebten und um den Tisch herum. Manchmal sang sie vor sich irgendwelche deutsche Liedchen hin. Sie lüftete das Geheimnis ihrer frohen Stimmung und der festlichen Vorbereitungen auch am Tisch nicht. Der Russe schaute mit Bewunderung und Staunen seine schöne Frau an und freute sich auch über etwas Unerwartetes und Geheimnisvolles. Er freute sich wie ein kleines Kind auf die Überraschung. Er erkannte Erika jetzt nicht wieder, die mit ihm eine ganze Flasche Champagner teilte. Der Alkohol machte sie überhaupt nicht betrunken. Sie lachte nur kindlich und zeigte ihm mit dem Finger auf die Stirn.
  Sie lüftete ihrem Liebsten das Geheimnis erst in der Nacht, als er sie auf den Händen ins Bett trug. Als sie sich in der Umarmung ihres Liebsten befand, flüsterte sie:
  'Mein Geliebter Saschenjka.... Bald wirst du ein Bürger unseres Landes sein...'
  Kusnezow verstand noch nicht ganz, was ihm seine Liebste ins Ohr flüsterte. Eins wusste er ganz genau, dass sie ihm etwas sehr Wichtiges sagte, wofür er so lange litt. Nicht nur er litt, sondern auch sie, die Deutsche der ehemaligen DDR, die sich in ihn, den Militärfahnenflüchtigen, tatsächlich verliebt hatte. Er starrte in ihr schönes Gesicht und wischte ihr die Tränen ab, die aus ihren Augen flossen. Seine Tränen, die Tränen der Aufregungen aus der Vergangenheit und der Hoffnungen für die Zukunft, bemerkte er nicht.
  Am Morgen ging Kusnezow nicht zur Arbeit ins Lagerhaus. Die Verliebten hielten es für eine sinnlose Beschäftigung. Ihnen war auch nicht danach. Die Informationen, dass die Führungen Deutschlands und Russlands eine Entscheidung getroffen hatten, die Fahnenflüchtigen aus der ehemaligen Westlichen Gruppe der Truppen nicht zu verfolgen, erfuhr Erika aus der deutschen Zeitung. Zeitungen kaufte sie fast jeden Tag, in der Hoffnung, einen Job zu finden. Sie las diese kleine Nachricht mehrmals durch, las sie mit Tränen in den Augen. Sie war glücklich wie niemals zuvor. Jetzt hatte sie die Möglichkeit, wie auch alle Menschen das tägliche menschliche Glück zu erleben. Ihr Glück war ohne den russischen Soldaten, der das Gesetz gebrochen hatte, um zu leben und zu lieben, unmöglich. Mit diesen Gedanken hatte sie den festlichen Tisch gedeckt, den Tisch der gegenwärtigen und zukünftigen Liebe für ihre gemeinsame Familie. Sie dachte auch im Bett daran, als sie die leidenschaftlichen Lippen des geliebten Russen blutig biss.
  Sie kamen zum Rathaus genau um zehn Uhr morgens. Beide waren aufgeregt, besonders Alexander. Er konnte immer noch nicht an die Möglichkeit einer solchen Entscheidung glauben. Auf alle Fälle hatte er vorgesorgt, ging nicht in den Raum hinein, blieb auf der Straße. Er stand vor einem kleinen Park und schaute sich immer wieder um. Erika kam nach zwanzig Minuten zu ihm, kam in gedrückter Stimmung. Er bemerkte es sofort. Als Alexander erfuhr, dass die örtlichen Beamten keine Anordnungen in Bezug auf die russischen Fahnenflüchtigen bekommen hatten, regte er sich sehr auf. Er begann mit den Fäusten auf den nebenan stehenden Baum zu schlagen und zu fluchen. Erika brach plötzlich in Tränen aus, als sie ihn beobachtete, und begann etwas vor sich hin zu flüstern. Zwei Tage verließen die Besucher des Rathauses nicht die Wohnung. Sie wollten niemanden sehen und hören. Besonders der Riese tobte. Er warf aus dem Schrank alle deutschen Zeitungen und hätte fast den Fernseher zertrümmert. Ihm schien es, dass alles, worüber man schrieb und berichtete, eine Lüge war. Das junge Pärchen erholte sich von dem Schock erst nach einer Woche. Sie gingen zu ihrer Freude und ihrem Erstaunen sogar noch stärker als zuvor hervor. Sie beschlossen sich nicht zu ergeben.
  Es verging ein Monat. Für sie war er äußerst erfolgreich. Erika bekam einen Job in der Kreisstadt im Altersheim als Putzfrau. In ihrem Dorf gab es überhaupt keine Arbeit, fast alle waren auf Sozialhilfe angewiesen. Verschiedene Kurse für die jungen Deutschen waren einfach eine Farce. Die Abschlüsse gaben keine Garantie für eine Beschäftigung. Niemand träumte von einer angesehenen Arbeit. Manche Menschen gingen weiterhin in den Westen des Landes, dort gab es aber auch Probleme...
  Nachdem Erika eine Arbeit gefunden hatte, beschäftigte sich Kusnezow immer häufiger mit seinen Gedanken, von denen er nicht leben konnte. Der Wunsch, ins russische Lagerhaus zurückzukehren, tauchte bei ihm mal auf, dann verschwand er wieder. Er hatte im Prinzip nichts dagegen, dort zu arbeiten, aber ihm passte das fast symbolische Gehalt nicht. Die Hoffnungslosigkeit drückte immer mehr und mehr auf den jungen Mann. Er, um überhaupt nicht verrückt zu werden, setzte sich in den Bus und fuhr nach Zunden. Dieses kleine Städtchen zog ihn immer mehr und mehr an. Viele Straßen waren ihm bekannt, sogar heimisch. Hier befand er sich im Strom der Menschen, was irgendwie seine Lebenskraft hob. Er wanderte manchmal stundenlang durch die Stadt, aber er ging niemals in das einzige Altersheim, wo seine Liebste arbeitete. Er wusste sehr gut, dass es ihr nicht nach russischen Anekdoten war. Er sah auch selbst, dass die Arbeit sie sehr ermüdete und sie sich wegen ihres 'Berufes' schämte. Keine von den ortsansässigen deutschen Frauen, vor allem den jungen, arbeitete in diesen Einrichtungen. Nach der Arbeit saß Erika sehr lange in der Badewanne und wusch sorgfältig ihren Körper. Dann sprühte sie viel Parfüm auf, als ob sie ihm beweisen wollte, dass es auf ihrem zarten und jungen Körper keine Reste des Alters oder irgendwelcher menschlichen Krankheiten gab. Der Russe selbst führte nie Gespräche über die Alten oder über irgendwelche Altersheime, schonte immer ihren Ehrgeiz. Er hatte auch kein Recht dazu, weil er, der starke und gesunde Nichtstuer, auf dem armseligen Gehalt der zutraulichen und anständigen Deutschen 'saß'. Das einzige Nützliche, was er für das Familienbudget machen konnte, war zu sparen.
  Die Notwendigkeit dieses 'Verfahrens" verstand er von Tag zu Tag und mit jeder Stunde mehr. Etwas gelang ihm in dieser Hinsicht zu machen. Er ging durch das Dorf immer öfter zu Fuß. In das billigste Geschäft 'Aldi" fuhr er mit dem Fahrrad. Er verringerte auch die Fahrten in die Kreisstadt. Erika gefiel sein Wirtschaften nicht. Sie machte alles Mögliche, damit der Kühlschrank immer voll war. Aber das Alles beruhigte das Nervensystem des Flüchtigen nicht. Sanjka Kusnezow aus einem entfernten sibirischen Dorf wollte mehr in diesem Leben. Nicht für eine billige Flasche Bier wanderte er durch die Wälder und lebte fast die ganze Zeit als Einsiedler.
  Alexander kehrte immer wieder zu seinem männlichen Idol - Farid zurück. Aus Neid zu den Reichtümern des Regimentskameraden wollte er manchmal am liebsten weinen. Der Gedanke, seine Rufnummer zu wählen und den Landsfreund anzurufen, verfolgte ihn fast jeden Tag und Nacht. Er öffnete manchmal sein Notizbuch und schloss es dann wieder. Die Scham erwürgte ihn buchstäblich. Er, um nicht schwach vor dem Freund zu werden, verbarg immer häufiger das Notizbuch etwas weiter weg von sich. In einigen Momenten wandte er sich von der menschlichen Welt an Gott und bat ihn um Hilfe, er kehrte auch zum prophetischen Traum seiner Mutter zurück...
  Es kam der Samstag. Alexander fuhr in diesen Tag gewöhnlich nach Zunden, um seine Erika abzuholen. Sie beendete um drei Uhr nachmittags ihre Arbeit und danach spazierten sie durch die Stadt. Bis zum Treffen am Bahnhof blieb ihm noch eine Stunde. Er ging in den Park, in dem es immer sehr voll war. Nicht weit von seinem Eingang befanden sich mehrere Marktzelte. Klamotten und Schmuckstücke interessierten Alexander diesmal nicht. Er ging langsam zum kleinen künstlichen See und bewunderte fasziniert den mächtigen Springbrunnen, der in seiner Mitte war. Plötzlich rief ihn jemand mit seinem Namen, er drehte sich um.
  Von dem Gesehenen setzte sich Kusnezow fast. An einem der kleinen Tische, die entlang am Ufer des Sees aufgestellt waren, saß der unglücklicher 'Scheißer' Innokentij, 'die Ikone". Neben ihm saß Erika, die sich auch wie er immer noch nicht vom unerwarteten Treffen mit dem Freund erholt hatte. Die Männer, wie alte Freunde, lachten, bewegten sich aufeinander zu und umarmten sich dreimal nach russischem Brauch. Keiner von ihnen hatte erwartet, dass sie sich einmal wieder begegneten. Der Riese maß an dem einzigen Tag seiner Arbeit im Lagerhaus, ehrlich gesagt, keine große Bedeutung der Persönlichkeit des schweigsamen Mannes zu.
  Der Intelligente war schon in den Jahren, dem Neuen war er egal. Jeder hatte seine eigenen Probleme, seine eigenen Kopfschmerzen. Jetzt hatte wahrscheinlich das Schicksal die Arbeiter gezwungen, sich wieder zu begegnen. Innokentij freute sich über das Treffen mit dem Riesen. In seinen Augen blitzten Fünkchen, als er erfuhr, dass dieser junge Bursche der Freund der schönen Deutschen Erika war, die er auf dem Flohmarkt nicht ohne Hilfe des russischen Händlers Nikolaj kennengelernt hatte.
  Die drei ehemaligen Erbauer des Sozialismus fanden in nur wenigen Minuten eine gemeinsame Sprache. Ein Punkt der Gemeinsamkeit war nicht nur der russische Wodka, sondern auch die deutschen Würstchen mit Senf. Die Männer begannen nach dem ersten Glas zu plaudern, Erika beteiligte sich nicht am Gespräch. Sie saß und beobachtete den Strom der Menschen, der sich endlos um den schönen See bewegte. Manchmal hob sie den Kopf mit dem Gesicht nach oben zur Sonne, die trotz des späten Sommers noch den Spazierenden mit Großzügigkeit ihre Strahlen und Wärme schenkte. Kusnezow verhielt sich beim Gespräch mit der Ikone vorsichtig. Er hatte Angst, etwas Wichtiges aus seinem Leben auszuplaudern. Im Prinzip gab es in seinem Leben nichts Superungewöhnliches. Davon überzeugte er sich noch einmal, als er die Geschichte über das wirklich einzigartige Leben seines Gesprächspartners hörte.
  Innokenti Poljakow diente nach dem Abschluss der Militärbildungseinrichtung in der GSSD, die fünf Jahre waren sehr schnell vergangen. Dann kam Kasachstan, später wurde er demobilisiert. Der Major im Ruhestand ging nach Moldawien, wo er in seiner Jugend eine sympathische Deutsche kennengelernt hatte. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion beschloss er, in die historische Heimat der Vorfahren seiner Frau, der Russlanddeutschen Polina Rudel, zu fahren. Der ehemalige Offizier hatte bis zur letzten Minute nicht daran geglaubt, dass ihm das Schicksal gönnen würde, ins Ausland auszuwandern. Einer der Beamten schüchterte den noch relativen jungen Mann damit ein, dass die Deutschen den kaum zu sich lassen würden, der noch vor kurzem mit der Waffe in der Hand das totalitäre Regime verteidigt hatte. Die Poljakows warteten auf die Dokumente für die Ausreise genau fünf Jahre. In dieser Zeit wurde die Ikone ganz grau.
  Sie waren hierher gekommen und auch hier gab es Probleme. Die deutschen Behörden schickten die Aussiedler in den Osten, wo das Leben von Tag zu Tag immer mehr stagnierte. Den 'Russen" stand bevor, drei Jahre an einem Ort zu leben, sonst erhielten sie keine Hilfe. Der ehemalige Militäringenieur bat seine Frau zu versuchen, sich eine Unterkunft im Westen des Landes zu suchen, aber sie war entschlossen dagegen. Ein Jahr nach der Ankunft des Ehepaares besuchten sie das kleine Städtchen Rosslau, wo vor dreißig Jahre der junge Leutnant den Offiziersdienst begonnen hatte. Sie waren auch nach Leipzig, dem letzten Dienstort in der DDR, gefahren. Es schien, dass hier alles wie früher war. Allerdings schien es nur so... Hier war alles anders: die Menschen, Häuser und sogar die Luft...
  Je mehr der Rentner das Gespräch über sein Leben führte, desto schwerer wurde es in der Seele des Riesen. Für einen Moment befand er sich wieder in der Kompanie des Hauptmanns Makarows, unter seinen Kameraden. Von den angenehmen Erinnerungen an seinen Aufenthalt in der WGT wurden sogar die Leute um ihn herum ihm vertrauter. Jetzt leugnete er überhaupt nicht, dass seine vieljährige Abgeschiedenheit ihn verbittert und sogar wild gemacht hatte. Nur Dank seiner Geliebten legte er die Maske des Hasses und der Entfremdung zu den Menschen allmählich ab. Er drehte sich um und schaute aufmerksam auf Erika. Sie bemerkte seinen Blick und lächelte strahlend. Alexander streckte unbemerkt seine Hand zu seinem Mädchen hin. Nach wenigen Augenblicken waren ihre Hände eins...
  Plötzlich trat jemand von hinten zu Innokentij heran und klopfte ihm auf die Schulter. Das junge Pärchen reagierte zuerst nicht auf das Erscheinen der unbekannten Frau, jeder war mit sich selbst beschäftigt. Alexander hörte weiter mit offenem Mund dem Monolog der 'Ikone" zu. Erika trank langsam das kühle Bier und schaute herum. Erst nachdem Innokentij schnell vom Tisch aufsprang und die Frau zu umarmen begann, warf der Riese einen Blick auf sie. Sie war im gleichen Alter wie der Mann, war sympathisch und schlank. Das Erscheinen von Ira, so stellte sie sich den jungen Leuten vor, änderte radikal das vorige 'Regime" des Zeitvertreibes der Erholenden. Die 'Ikone" gab die führende Position fast augenblicklich ab. Moderatorin am kleinen Tisch wurde die Neue, die das Gespräch mit der 'Ikone" mal deutsch, mal russisch führte. Dies erregte auch die Aufmerksamkeit des Riesen. Er beabsichtigte schon, den kleinen Tisch zu verlassen und mit Erika um den See spazieren zu gehen. Irgendwann entstand am Tisch eine Pause. Innokentij nutzte die Atempause. Er rannte schnell in ein kleines Restaurant, das sich nur einen Katzensprung vom See befand, und brachte von dort eine Flasche Kognak und vier große Gläser Bier. Nach dem ersten Toast auf die Gesundheit des Gastes setzte die Ältere das Gespräch wieder fort. Die Jungen störten sie nicht. Sie schwiegen und beobachteten mit einem Lächeln die, die sehr ungezwungen einander von ihrem Leben erzählten. Die Neue wurde für den Riesen immer vertrauter...
  Der Krieg zerriss mit lebendigem Leibe die deutsche Familie, die in Königsberg lebte. Iras Großvater diente damals in der Hitlerarmee und verteidigte Berlin vor den sowjetischen Truppen. Als kleines Mädchen geriet ihre Mutter in Gefangenschaft und wurde von einem sowjetischen Soldaten vergewaltigt. Später war sie in Litauen, wo sie zwei Jahre im Haus einer wohlhabenden Frau arbeitete. Dann brachte man den 15-jährigen Teenager ins Kinderheim in der Stadt Grodno in Weissrussland. Sie hatte keine Dokumente, die ihre Identität nachwiesen. Magda blieb dort zwei Jahre und weinte fast jeden Tag. Die Sprache ihrer Feinde war ihr unbekannt, aber sie hatte 'goldene" Hände. Der Führung gefiel der Fleiß des deutschen Mädchens.
  Nicht zuletzt spielte auch eine Rolle, dass sie ein Stalinporträt gut gestickt hatte, für das sie eine Urkunde erhielt. Danach vertraute ihr die Leitung an, andere in der Stickerei zu unterrichten. Im selben Waisenhaus traf die junge Lehrerin den Fahrer Eugen. Der Weißrusse hatte schon lange ein Auge auf das schöne Mädchen geworfen. Sie beschlossen zu heiraten. Magda hatte sofort Probleme. Sie war sechzehn Jahre alt, aber sie war ohne Pass und ohne Familiennamen. Der Direktor redete ihr ein, einen russischen Familiennamen oder einen revolutionären anzunehmen. Aber sie wollte weder eine Petrowa, noch Iwanowa, ganz zu schweigen von Sowjetskaja oder Oktjabrjskaja sein. Sie wollte nur eine Deutsche sein und den Familiennamen ihrer Vorfahren tragen.
  Die örtlichen Behörden kamen ihr entgegen, aber nicht ganz. Sie verweigerten ihr die sowjetische Staatsangehörigkeit und gaben ihr nur eine Aufenthaltsgenehmigung. Über das Dokument, in dem stand, dass Magda Müller eine Bürgerin der Deutschen Demokratischen Republik war, war die Lehrerin überglücklich. Bald heirateten die jungen Menschen, der Bräutigam war dreiundzwanzig, die Braut siebzehn. Ein Jahr später zog das Paar in das Dorf Andruschowka im Schtschutschinski Gebietsbezirk Grodno zu Eugens Eltern. Hier wurde auch Ira geboren, die Tochter der Deutschen des sozialistischen Deutschlands und des Vaters aus der sowjetischen Republik Weißrussland...
  Die Geschichte der Frau faszinierte den angetrunkenen Alexander sehr. Eine Menge Neues von ihr über sie erfuhr jetzt auch Poljakow, der noch als sowjetischer Offizier Ira ganz zufällig kennengelernt hatte, als er seinen Sohn in den deutschen Kindergarten brachte. In seinen Augen standen Tränen. Um nicht ganz in Tränen auszubrechen, warf er seine Blicke mal zu Alexander, mal zu Erika. Viel Wasser war geflossen, nachdem das Ehepaar Müller den Militäringenieur, der die internationale Pflicht zum Schutz der führenden Grenzen des Sozialismus erfüllte, in die Sowjetunion zum neuen Dienstort verabschiedete.
  Als Poljakow auf der Erde der Vorfahren seiner Frau und seines ehemaligen Dienstortes ankam, beschloss er, die Spur der schönen Ira zu finden. Die Freunde fanden schnell einander und trafen sich öfter. Das kleine Städtchen Zunden war der Bewohnerin der schönen Stadt Leipzig sehr gut bekannt. Hier war ihr Mann Wolfgang, ein Zeichenlehrer, geboren und aufgewachsen. Heute war er nicht mitgekommen, war zu Kursen. Es kam auch Innokentijs Frau Polina nicht, sie war vor einem halben Jahr verstorben.
  Iras Monolog löste bei den Sitzenden nicht nur Tränen oder Bedauern aus, sondern auch Lachen. Die ehemalige Lehrerin der russischen Sprache zwang die Männer buchstäblich, sich vor Lachen die Bäuche zu halten. Hinreißend lachte auch Erika, als Ira von der Geburt ihrer kleinen Schwester erzählte. Zu ihrem Entstehen trugen die Offiziere des Komitees für Staatssicherheit bei. Magda und Eugen lebten damals in der kleinen Stadt Lida. Die Eheleute arbeiteten im Betrieb, wo auch Fachkräfte aus dem sozialistischen Deutschland arbeiteten. Als der Offizier des Komitees für Staatssicherheit erfuhr, dass Magda Müller fließend Deutsch sprach, rief er sie in sein Büro. Die Aufgabe war sehr einfach. Sie sollte alles mitteilen, worüber die Deutschen sprachen. Die Kranfahrerin versuchte abzulehnen. Der Vorgesetzte schaute die hartnäckige russische Deutsche sehr streng an und sagte heftig:
  'Genossin Müller, in unseren Händen liegt Ihr ganzes Schicksal... Eins möchte ich Ihnen sagen, dass eine gute Arbeit sehr gut bezahlt wird...'
  Weiter erklärte der Offizier nichts, die Deutsche erriet es auch selbst. Über den Aufenthalt im Kabinett des Tschekisten erzählte Magda ihrem Mann nichts, sie fürchtete um seine Gesundheit. Eugen hatte sehr oft Herzschmerzen. Sie entschied sich für einen anderen Weg, um aus dieser besonderen Aufgabe herauszukommen. Sie wurde schwanger. Sie wurde schwanger trotz der sehr schlechten Lebensbedingungen. Das Paar mietete ein winziges Zimmer bei einer alten Frau am Rande der Stadt. Im Winter war es unmöglich dort zu leben. Das Trinkwasser fror manchmal im Behälter ein. Ziemlich oft mussten sie in der Oberbekleidung schlafen. Das Interesse des Offiziers des Komitees der Staatssicherheit an der schwangeren Frau verschwand bald. Das spezielle Erscheinen der Schwester verursachte allgemeines Lachen bei den Zuhörern. Die Erzählerin schaute die Sitzenden an und sagte heiter:
  'Mit einem Wort, meine gegenwärtigen Herren und gestrigen Genossen... Lassen Sie uns auf unser Leben trinken... Ich werde nicht verbergen, dass es in der Vergangenheit nicht immer gut war... Trotzdem würde ich mit großem Vergnügen noch einmal durch die schönen Straßen der sozialistischen Vergangenheit spazieren gehen...'
  Alle hoben ihre Gläser und stießen zusammen an. Alexander leerte in einem Atemzug den Inhalt und starrte Ira an. Sie war jetzt für ihn ein echtes Symbol der Frau und der Menschenwürde. Er hatte sich nicht im Geringsten verstellt, vor einer Stunde war diese Unbekannte für ihn einfach noch fremd gewesen. Und jetzt beabsichtigte er auch nicht, irgendwelche Kontakte zu ihr zu suchen. Es beunruhigte ihn was ganz anderes, was ihm, einem Mann, einem jungen und schönen Burschen, fehlte. Das Begreifen, dass er niemals Willensstärke hatte, dass er immer vor Schwierigkeiten zurückwich, machte ihn wütend.
  Er blickte ziemlich oft von den Sitzenden weg und presste seine Zähne zusammen. Jetzt hasste er sich selbst für seine Feigheit, für die Unfähigkeit, seine lebenswichtigen Ideale umzusetzen. Er verglich sich mit den Sitzenden, was diese Menschen erlebt hatten, und gelangte zu einem sehr enttäuschenden Ergebnis.
  Den ganzen Weg über nach Hause schwieg Alexander. Er starrte ins Fenster des Busses und dachte immer wieder nach. Nur manchmal presste er die Handfläche seines geliebten Mädchens fest zusammen. Jene antwortete ihm auch mit einem festen Händedrücken. Sie liebten sich in dieser Nacht nicht. Der Flüchtige war einfach in der Stimmung dazu. Er fühlte auch den Verfall seiner physischen und seelischen Kräfte. Im Bett liegend, wurde ihm immer deutlicher die Sinnlosigkeit seines Aufenthalts in diesem Land bewusst. Auch Erika schwieg, sie machte sich sehr viele Sorgen um ihren Russen.
  In dieser Nacht wünschten sie zum ersten Mal in der ganzen Zeit ihres gemeinsamen Lebens einander nicht eine gute Nacht. Sie küssten auch einander nicht. Frau Krüger ging am Morgen alleine zur Bushaltestelle, Kusnezow blieb im Bett. Dort lag er fast bis zum Mittag. Den Kühlschrank rührte er auch nicht an. Er wollte nichts machen, ihm war alles gleichgültig. Erst nachmittags ging er auf die Straße heraus und beschloss, alles ruhiger und nüchterner von sich aus zu betrachten. Die Gedanken flogen wie aufdringliche Fliegen in seinen Kopf hinein und stachen immer zu...
  Alexander beschloss, diesmal nicht in die Stadt zu fahren. Er brauchte Ruhe und Einsamkeit. Ihn zog es wieder zurück in den Wald, um dort allein zu sein. Bis zum Wald waren es etwa fünf Kilometer, vielleicht auch mehr. Die große Entfernung erschreckte den jungen Mann nicht. Am Rande des Dorfes ging er in eines kleines Restaurant und kaufte eine Flasche 'Gorbi". Er trank den Wodka "Gorbatschow" nur einmal und spucktefast ein halben Tag lang. Aber nicht deshalb, weil er den ehemaligen sowjetischen Herrscher schrecklich verachtete. Er mochte keinen Wodka, der weniger als vierzig Prozent hatte. In den deutschen Geschäften war dieser eine große Seltenheit.
  Kusnezow kam zum Wald und blieb stehen. Der Wald lockte ihn unerbittlich wieder in seine Umarmung. Für einige Zeit schloss er seine Augen und schaltete von der Außenwelt ab. Die Waldluft kitzelte angenehm in seiner Nase, das Rauschen der Bäume beruhigte seine Nerven. Als er genug von der heilsamen Luft eingeatmet hatte, öffnete er seine Augen und ging zielgerichtet in die Tiefe des Waldes. Nach ein paar Metern setzte er sich auf eine stark gebeugte Birke, die neben einer mächtigen Kiefer stand. Die Tränen kullerten und kullerten aus den Augen des mächtigen Riesen und fielen auf die zarte weiße Rinde der Birke. Der Einsiedler befand sich wieder in der Gefangenschaft trauriger Gedanken. Um den Hass auf sich für eine gewisse Zeit zu vergessen, führte er den Flaschenhals zum Mund. Der Wodka 'ging" aus irgendeinem Grund nicht und es ärgerte ihn sehr. Er schloss die Augen und öffnete weit den Mund. Nach einigen Schlucken schaute er mit Verachtung die gerippte Flasche und das blaue Etikett an. Dann fluchte er genüsslich und weinte laut. Seine Seele befand sich wieder in der Gefangenschaft der Gleichgültigkeit und der Apathie. Der Flüchtige öffnete wieder nach einer Weile seinen Mund und drückte zwischen den Zähnen den Hals der gerippten Flasche zu, danach warf er kräftig seinen Kopf nach hinten...
  Der Fahnenflüchtige der einst mächtigen Armee kehrte in die Wohnung der Deutschen Erika Krüger spät am Abend zurück. Er kam mit der festen Absicht zurück, Deutschland zu verlassen. Er hatte es satt von der wandernden Lebensweise in diesem reichen Land. Jetzt zweifelte er schon überhaupt nicht mehr, dass seine Entscheidung, die Einheit zu verlassen und zu desertieren, ein fataler Fehler war. Ihn tröstete auch Erika nicht, die ihm ihre ganze Seele und Liebe schenkte. Die schöne Deutsche konnte seine seelische Leere, das Verstehen seiner eigenen Untauglichkeit, nicht ausfüllen. Jetzt widerten ihn auch allerlei Reichtümer und Werte dieses Landes an, zu deren Vermehrung er persönlich kein Gramm an Bemühungen beigetragen hatte.
  Zu Hause wartete auf Alexander die nächste Überraschung. Für die hatte wieder die unermüdliche Erika gesorgt, die sich mit dem Schicksal der Putzfrau im Altersheim fast zufrieden gab. Die nächste Sauferei des geliebten Menschen nahm sie als selbstverständlich hin. Sie wusste sehr gut, dass die Mehrheit der russischen Männer im Falle eines großen Misserfolges und auch der großen und nicht nur großen Feiertage, oft in die Sauferei gerieten. Auch ihr Russe stellte keine Ausnahme dar. Daran, dass Herr "Kaputt" sich heute betrinken würde, hatte sie keine Zweifel. Sie hatte schon gestern den seltsamen Zustand ihres Freundes bemerkt. Ihre Überraschung 'bekam' Sanetschka frühmorgens, als er gründlich ausgeschlafen war. Blass wie Kreide eilte er sofort zum Kühlschrank und leerte eine Flasche kaltes Bier. Dann ging er auf den Balkon und rauchte. Erika kam fünf Minuten später, kam ganz nackt. Sie kannte die Schwächen ihres Russen, der ihren nackten Körper immer bewunderte. Er warf ziemlich oft von ihr im Bett die Decke herunter. Der Russe biss auch diesmal auf ihren Köder an. Er warf nachlässig die Kippe über den Balkon und zog sie mit Kraft an sich...
  Erikas Informationen kippten wie ein Tornado für einige Zeit alle Pläne des Flüchtigen um. Er beschloss wieder einmal zu versuchen, das Glück in der Heimat seiner geliebten Frau zu finden. Er hätte niemals gedacht, dass dieses sehr zarte zerbrechliche Geschöpf so mutig um sein Glück kämpfen würde. Gerade dank Erika, versprach die Deutsche Ira Müller alles Mögliche und Unmögliche zu tun, damit der Militärfahnenflüchtige der ehemaligen Sowjetunion eine deutsche Aufenthaltserlaubnis bekam. Dem jungen Pärchen versprach auch Innokentijk zu helfen. Kusnezow nahm sich Zeit zum Überlegen bis zum neuen Jahr, weiter hin und her zu laufen, war sinnlos. Flüchtige wie ihn gab es im reichen Land genug. Laut Angaben der Organisation des Schutzes der Menschenrechte der BRD (der deutschen Gesellschaft des Friedens) wurden bis zum Abzug der Westlichen Gruppe der Truppen (WGT) aus ihrem Bestand 600 Flüchtlinge registriert, die um politisches Asyl im Land gebeten hatten. Bis zum Jahr 1997 lehnten die deutschen Behörden den russischen Fahnenflüchtigen politisches Asyl ab, obwohl die Geheimdienste sie davon überzeugten, dass den Fahnenflüchtigen in ihrer Heimat eine Gefängnisstrafe bis zu 20 Jahren oder eine Todesstrafe drohte. Erst unter dem Druck der Abgeordneten des Bundestags aller Fraktionen änderte die Regierung ihre Entscheidung. Die Fahnenflüchtigen der Sowjetischen Armee bekamen das Recht als politische Flüchtlinge.
  Bis zum Neuen Jahr blieben fast zwei Monate. Bei den jungen Leuten lief alles wie gewohnt. Erika arbeitete, Alexander faulenzte. Er konnte keinen Job finden. Er war nicht nur arbeitslos, sondern auch ohne eine bestimmte Staatsangehörigkeit. Ihm reichten der Mut und der Wille nicht aus, um das Recht, in diesem Land zu leben, zu kämpfen. Zu einem Beamten zu gehen, kostete für ihn nicht viel Mühe. Es beunruhigte ihn was ganz Anderes. Es war das Schrecklichste und Beängstigendste. Er bezweifelte überhaupt nicht, dass die deutschen Beamten ihm keine Lüge verzeihen würden. Sie wollten nur die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit wissen. Ihm stand bevor, von der Schießerei mit der Polizei, über den Friseur und sogar darüber, wie er Geschäfte und Höfe bestahl, zu erzählen. Die Zweifel schlichen sich immer tiefer in seine Seele ein. Seine beunruhigten Gedanken teilte er nicht mit Erika, sie hatte selbst genug Sorgen. Die Hoffnungslosigkeit herrschte wieder in der Seele des Flüchtigen. Er war wieder gereizter und wandte sich immer öfter der Flasche zu. Erika beobachtete mit Schrecken, wie der junge Mann wegen des Stresses sich veränderte. Nicht nur sie bemerkte es, er sah es auch selbst. Buchstäblich ein Monat nach der 'Überraschung" erschienen in seinem dicken Haarschopf graue Haare, und es wurden von Tag zu Tag immer mehr. Um Erika mit den grauen Haaren nicht zu erschrecken, legte er sich eine kurze Frisur zu. Sein Gesicht veränderte sich auch. Auf der Stirn und unter den Augen erschienen erste Falten, die weder am Tag und noch in der Nacht verschwanden. Auch das moralische Klima zwischen den einst nahen Menschen verschlechterte sich. Der Russe schwieg Tag und Nacht, auch die Deutsche schwieg. Sie fand immer öfter ihre Beruhigung in den Tränen.
  Sie weinte in der Regel nach der Arbeit, wenn sie ermüdet durch die Straßen von Zunden schlenderte, um den nächsten Plan zur Rettung ihres Freundes, der sich immer mehr von ihr entfremdete, auszuarbeiten. Sie fing auch an, die Begegnungen mit denen zu vermeiden, die beabsichtigten ihm zu helfen. Der Grund dafür war das ziemlich seltsame Verhalten des russischen Burschen, der bis jetzt sein Schicksal noch nicht bestimmen konnte. Wieso er sich so quälte und nicht nur sich, diese Frage stellte sie sich mehrfach. Sie fand keine Antwort. Trotzdem suchte sie immer wieder nach Wegen zur Rettung des geliebten Menschen. Ein nächster kam recht bald.
  Am ersten Tag der Weihnachtsfeiertage hatte Ira Müller die jungen Leute zu sich zu Besuch eingeladen. Sie freuten sich sehr über die Einladung. Besonders Alexander freute sich darüber, der sehr die große Stadt sehen wollte. Er hatte als Soldat ziemlich oft von den Offizieren schmeichelhafte Äußerungen über eine der schönsten Städte des sozialistischen Deutschland gehört. Die Eingeladenen fuhren zur der fast fremden Frau und bedauerten es nicht im Geringsten. Die Gesellschaft, die aus einem Dutzend Menschen bestand, war, sozusagen, vertraulich. Hier waren auch die 'Ikone" und eine Aussiedlerin. Es kam auch ein Ehepaar der Deutschen, das im benachbarten Eingang des Hauses wohnte. Die Gäste machten sich schnell miteinander bekannt und setzten sich an den Tisch. Dann gingen sie durch die nächtliche Stadt spazieren.
  Die Stadt war auch in Wirklichkeit schön. Am nächsten Abend waren Erika und Alexander schon wieder zu Hause. Sie tauschten sich fast bis zum späten Abend ihre Eindrücke aus, über Leipzig und über die, denen sie zum ersten Mal in ihrem Leben begegnet waren. Als Erika das glückliche Gesicht ihres Freundes sah, hoffte sie darauf, dass das Eis zu schmelzen begann, und er ein erfülltes Leben zu leben beginnen würde. Allerdings irrte sie sich sehr. Das Treffen mit der Deutschen aus Russland Berta Bär und dem
  Deutschen Peter Reimann brachte Alexander wieder zum Nachdenken. Diese Überlegungen unterschieden sich in vieler Hinsicht davon, woran er noch gestern oder sogar vor einer Stunde gedacht hatte. Je mehr er sich in den Lebensweg der neuen Bekannten vertiefte, desto mehr schmerzte sein Herz vor Hilflosigkeit und sogar Sanftmut. Der Flüchtige war besonders von der Geschichte, die die Aussiedlerin erzählte, betroffen. Berta gehörte zur Nachkriegsgeneration. Das deutsche Dorf mit dem russischen Namen Stepanowka, wo sie geboren wurde, befand sich am Fluss Tobol. Das Mädchen erkannte früh den Preis der Arbeit und des Wissens. Nach der Mittelschule studierte die Besitzerin einer Medaille an dem Handelwirtschaftlichem Institut in Nowosibirsk. Dann kam die Arbeit, verschiedene Posten. Es kam auch die erste Liebe, die aber zerbrach. Ihr Mann war untreu, die Scheidung zogen sie ohne jeden Nervenkrieg durch. Eine lange Zeit fand die junge Frau sich keinen Platz, sie durchlebte diese Zeit sehr schwer. Es gab auch Gründe dafür, dabei sehr wichtige. Ihr Mann, ein ehemaliger Elektriker, hatte dank ihrer Beharrlichkeit und ihrem Talent ein Fernstudium an einem Institut absolviert und wurde Ingenieur. Nach einer Weile wurde man auf den Emporkömmling aufmerksam und wählte ihn zum Stellvertretenden Vorsitzenden des Gewerkschaftskomitees der Fabrik. Der Vater von zwei kleinen Kindern verbrachte fast die ganze Zeit bei der ehrenamtlichen Arbeit. Zu Hause krümmte er keinen Finger.
   Die ganze Hausarbeit machte seine Frau. Sie kochte und wusch die Wäsche, renovierte die Wohnung. Auf ihren zerbrechlichen Schultern lagen noch der Garten und die Arbeit, wo sie mehr als der 'Familienvater' verdiente. Zuerst gewöhnte sich der gesellschaftlich aktive Mensch an die Partys, später an die Frauen...
  Es kam die Perestrojka.
  Die Armut und Rechtlosigkeit klopften immer öfter an der Tür der einst wohlhabenden Familie. Nach langem Nachdenken beschloss Berta, in die historische Heimat ihrer Vorfahren auszuwandern. Sie kam dort ein Jahr nach dem Fall der Berliner Mauer an und geriet in den Osten des Landes. Die Behörden lenkten immer weitere neue Ströme von Aussiedlern hierher. Es gab hier alle Arten von Kursen, aber keine Arbeit. Berta gelang es, dank ihrer guten Deutsch- und Russischkenntnisse, eine Stelle als Dolmetscherin in einer Firma zu bekommen. Es wurde materiell ein wenig leichter. Bald bekam auch ihr Leben einen Sinn. Sie traf einen Mann, der im gleichen Alter war und ähnliche Ansichten auf das Leben und die Welt hatte.
  Wladimir war Russe, er kam aus Russland. Er kam hierher, nicht um ein sattes Leben zu haben, sondern um seelische Beruhigung zu finden. In der ehemaligen Sowjetunion entwickelte sich sein Leben zuerst ziemlich gut. Nach dem Abschluss der Universität arbeitete er im Stadtbezirkskomitee der Partei, später ging er in die Wissenschaft. Er verteidigte erfolgreich seine Dissertation, zwei Jahre später schrieb er eine Monographie. Der junge Wissenschaftler arbeitete immer mehr und mehr: hielt Vorlesungen, seine Werke wurden in den Zeitungen veröffentlicht, schrieb Bücher. Die Jahre vergingen. Der Mensch mit den großen Fähigkeiten als Theoretiker und Denker konnte die Kluft zwischen Theorie und Praxis der herrschenden Partei nicht mehr aushalten. Er begann der Partei Briefe zu schreiben, in denen er seine Sicht auf die Dinge zum Ausdruck brachte. Die stimmten ziemlich oft mit den allgemeinen Einstellungen nicht überein. Der Störrische fiel den Behörden sofort auf. Man rief ihn, der 'fünf Minuten Professor' würde, ins Stadtbezirkskomitee, dann ins Stadtkomitee der Partei. Dort schimpfte man mit ihm ein wenig, warnte ihn. Er ließ nicht locker, fuhr in die Hauptstadt. Nach einer Woche fand die Sitzung des Büros des Stadtbezirkskomitees der Partei statt. Den Ledersessel des Parteivorsitzenden besaß Filatow, sein ehemaliger Ausbilder der Abteilung, die einst der renommierte Wissenschaftler geleitet hatte. Der Sekretär schaute während Erörterung der Personalsache seines ehemaligen Kollegen dem Wahrheitssucher nicht in die Augen. Er studierte die ganze Zeit aufmerksam irgendwelche Papiere. Der Beamte erinnerte sich wahrscheinlich an etwas aus seinem Leben, als er dem ersten Sekretär des Stadtbezirkskomitees der Partei darüber Meldung machte, was unter den verantwortlichen Mitarbeitern der wichtigsten Institution los war. 'Das Schwitzbad" dauerte für den Wissenschaftler fast eine Stunde.
  Den Kommunisten Morosow hatte man auch hier nicht verstanden. Und niemand wollte ihn auch verstehen. Die an dem großen Tisch Beratenden standen mit beiden Händen und Füssen vollkommen hinter den allgemeinen Richtlinien der älteren Führung der Partei. Keiner von ihnen wollte alle seine möglichen Privilegien und Zuschläge (Boni) verlieren. Der Abschluss der Auseinandersetzung in der Personalsache trug in einem gewissen Maße eine historische Schattierung. Eines der Vorstandsmitglieder hatte noch den Mut, seine eigene Meinung in Bezug auf den sich irrenden Kommunisten zum Ausdruck zu bringen. Der Direktor des Kühlwerks, der Morosow sehr gut kannte, schaute in Richtung der Kreisleiter und sagte mit einem offensichtlichen Unverständnis:
  'Genossen Mitglieder des Parteibüros... Ich kenne Wladimir Iwanowitsch seit langem... Alle Aufträge, die er von unserer Kommunistischen Partei bekam, erfüllte er immer in Ehren... Diesen Kommunisten bezeichnen sogar seine Feinde als einen genialen Menschen und begabten Organisator... Heute hat unsere Partei die nächste Strategie auf eine langfristige Perspektive ausgearbeitet... Unser Parteigenosse hat noch alle Möglichkeiten, sich uns anzuschließen... Er soll sich nur von der besten Seite zeigen... Ich verstehe immer noch nicht, wieso Kommunist Morosow so außergewöhnlich zu denken begann...'
  Für eine Weile wurde es still in der Halle. Alle schauten aus irgendeinem Grund wieder in die Unterlagen. Es schwieg auch der Vorsitzende, er hatte immer vor Morosow Angst. Er fürchtete ihn in der Abteilung, fürchtete ihn auch jetzt, als er sich auf den Sessel der Kreisverwaltung setzte. Morosow hob den Kopf in der eingetretenen Stille und schaute aufmerksam die Sitzenden an. Fast alle diese Menschen kannte er. Noch vor kurzem krochen sie vor ihm und boten ihm ihre Dienste an. Er verzichtete immer auf die verschiedensten Delikatessen. Morosow selbst brachte die große Tasche mit der Wurst zurück in die Wohnung des Direktors des Fleischkombinats. Am Morgen kanzelte er den Speichellecker sehr streng ab. Jetzt sah der Wissenschaftler vollkommen andere Menschen. Er war mit ihnen in einem Raum, in dem gleichen Land, sogar in der gleichen Partei ... Allerdings hatten sie unterschiedliche, sogar entgegen gesetzte Ansichten über die Entwicklung der Gesellschaft, über dieses Leben...
  Morosow hob die Hand und meldete sich zum Wort. Er beschloss, nicht viel zu sagen, gegen die Beratenden war er machtlos. Und dieses Verständnis bestärkte ihn in seiner Überzeugung. Der Kommunist mit zwanzigjährigem Dienstalter sagte trocken und deutlich:
  'Eines der Mitglieder des Präsidiums hat sehr richtig darauf hingewiesen, dass der Kommunist Morosow außergewöhnlich angefangen hat zu denken... Ich verneine das nicht, wie ich auch nicht leugne, dass ich mit solchem nicht ordinären Denken lebenslang lebe. Dank diesem nicht ordinären Denken stehe ich auch jetzt hier auf diesem Teppich...'
  Im Saal gab es Gelächter. Diesmal lachte auch Filatow. Das Lachen des 'Stinktiers", so nannten die Frauen der Gesellschaft 'Wissen' den Glatzkopf für seine häufigen Toilettenbesuche, verärgerte Morosow überhaupt nicht. Er lächelte nur, lächelte in sich hinein. Morosow zweifelte schon überhaupt nicht mehr an seinem Sieg. (Angenommen war er nur in seinen Gedanken, sogar in seiner Theorie, aber es war, wie er glaubte, sein persönlicher Sieg). Mit dieser Erkenntnis zog er aus der Innentasche des Jacketts das Parteibuch heraus und legt es auf den Rand des rot gedeckten Tisches. Nach ein paar Augenblicken ging er aus dem Saal und schloss fest hinter sich die Tür. Dann sank er sehr langsam auf einen Stuhl. Seine Hände waren feucht, sein Gesicht mit Schweiß bedeckt. Das Herz des Parteilosen schlug unruhig...
  Kusnezow, der im Nachdenken versunken war, sympathisierte immer stärker mit der Russlanddeutschen Berta, die während des Spaziergangs durch die Stadt das Intimste zwischen ihr und ihrem Freund erzählte. Er beneidete diese älteren Leute, beneidete sie sehr stark. Ihr Leben war romantisch und unterschied sich auffallend von dem der anderen. Er lächelte, als vor ihm für einen Moment das Bild der schönen Aussiedlerin erschien, die von einigen Schrulligkeiten der klugen Bewohner der Dreizimmerwohnung erzählte. Berta und Wladimir wohnten erst fünf Jahre zusammen und jeder Tag war für sie auf eine besondere, eigene Art interessant.
  Jede beliebige häusliche Arbeit lief bei ihnen nicht ohne philosophische Argumentationen ab, manchmal stritten sie sogar. Es ging bei ihnen auch während der Auslandsreisen nicht ohne interessante Unterhaltungen ab. Diese Menschen waren in Seele und Geist eins, was ihre Liebe majestätisch und stark machte. Sie, die Kinder des Sozialismus, für den sie und ganze Generationen ihrer Vorfahren gelebt und gekämpft hatten, durchlebten sehr schwer alles, was in der Welt passierte. Besonders schwer durchlebte es Morosow, der sich in jeder freien Minute an den Tisch setzte und etwas schrieb. Nach einer Weile erfuhr Berta, dass er Liebesgeschichten schrieb. Nach einem Jahr freuten sie sich gemeinsam über seinen ersten veröffentlichten Roman, dann kam der zweite, der dritte folgte... Das Schaffen verhalf dem älteren Mann immer wieder zu neuen Kräften. Er wandte sich wieder der Geschichte zu.
  Er fing an, wie er selbst ziemlich oft sagte, ein sehr dickes und sehr kluges Buch zu schreiben. Wladimir starb an seinem Geburtstag, er wurde an diesem Tag genau siebzig. Er hatte sich trotz seines fortgeschrittenen Alters immer sehr gut gefühlt, war gesund. Sein Tod war in gewissermaßen von seinen lebenswichtigen Einstellungen, die er niemals änderte, vorherbestimmt. Einiges war daran geheimnisvoll und sogar schrullig. Der Alte verband die Hauptmeilensteine seines Lebens fast immer mit seinem Geburtstag. An diesem Tag traf er zum ersten Mal Berta. Am Tag seines Engels begann er Romane zu schreiben...
  Im Abschiedsbrief schrieb er mit seiner schwungvollen Handschrift: 'Ich lebte auf dieser Erde nicht so, wie viele existierten und existieren... In die andere Welt gehe ich bewusst, ich hoffe auf eine Rückkehr...'.
  Auf dem Tisch lag das Manuskript des Wissenschaftlers, 'das sehr dicke und kluge Buch'. Der Autor beschrieb darin, laut seinen Notizen, sein ganzes bewusstes Leben. Auf dem Titelblatt war deutlich mit Rotstift der Titel seines Werkes 'Überlegung eines sowjetischen Schizophrenen' draufgeschrieben. Nach diesen Worten stand ein sehr fettes Fragezeichen. Berta machte nach dem Tod ihres Freundes alles so, worum er sie früher gebeten hatte. Morosow wurde eingeäschert, seine Asche verstreute sie auf einem deutschen Fluss. Ein Jahr nach seinem Tod wurde nach dem Roman des Schriftstellers in einem der GUS-Staaten ein Spielfilm produziert. Für sein Manuskript interessierte sich auch ein Historiker desselben Landes. Der Professor versprach der wissenschaftlichen Arbeit des verstorbenen Kollegen eine weltweite Zukunft...
  Die Geschichte über den Lebensweg vonr Berta Bär gab Kusnezow Optimismus in vielerlei Hinsicht, aber die Erzählung des deutschen Peter Reimann führte diesen Optimismus fast auf absolut Null zurück. Ira Müllers Nachbar war etwas mehr als dreißig Jahre alt, im gleichen Alter war auch seine Frau Katerina. Nach dem Fall der Berliner Mauer gab es für den ehemaligen Offizier der Nnationalen Volksarmee der DDR (NVA) in der Heimat keinen Arbeitsplatz. Und es war niemand da, um ihm zu helfen. Viele der Bekannten wandten sich vom Vertreter des einst angesehenen Berufes einfach ab. Es kam sogar noch schlimmer. Einige der Feinde schrieben auf den Toren seiner Garage beleidigende Wörter. Einmal zerschlug man sogar die Windschutzscheibe seines alten "Moskwitsch", der nicht weit vom Haus stand. Man gab auch der Frau des ehemaligen Offiziers keine Ruhe. Ihr kündigte man im Laden eine Woche nach der Gründung des Vereinigten Deutschlands. Die jungen Eheleute ertrugen die Erniedrigungen standhaft. Sie bemühten sich, die ganze freie Zeit in der Natur, weit von den Menschen zu verbringen. Dort kamen sie für einige Zeit zur Ruhe, wenn obwohl ihre Nerven bis zum Äußersten angespannt waren. Erst nach einem Jahr gelang es dem Mann, eine Arbeit zu finden, die für ihn nicht angesehen war und schlecht bezahlt. Peter machte Wachdienst in einem großen Werk im Süden des Landes, nach Hause kam er nur an den Wochenenden und auch das nicht immer. Katerina hatte im Kindergarten begann als Putzfrau. Der Ehemann und seine Frau sahen sich wochenlang nicht. Jeder von ihnen war nur froh darüber, dass sie keine Kinder hatten. Sonst wäre es noch schlimmer gewesen. Keiner von den Beiden hätte sich wegen seiner Arbeit mit der Kindererziehung beschäftigen können. Wenig Freude erhielten die Eheleute auch von den neuen Kollegen. Peter, ein Mensch mit akademischer Ausbildung, regte sich nicht nur über die viele Nationalitäten der Wachleute auf, sondern auch über ihren geistigen Gesichtskreis. Nicht begeistert von dem Personal im Kindergarten war auch die ehemalige Leiterin des Ladens. Iras Nachbarn hatten nicht vor, eine revolutionäre Perestrojka im Vereinigten Deutschland, nachdem sie erlebt hatten, durchzuführen. Sie hatten sich mit ihrem Schicksal abgefunden und trugen langsam ihr 'Päckchen". Das hatte Kusnezow gleich verstanden, als er sich mit ihnen unterhielt. Die früher die russische Sprache lernten, traten von Anfang an gerne in Kontakt mit Frau Müllers schönen und jungen Freunden. Aber ein aufrichtiges Gespräch hatte es weiter nicht gegeben. Die von Erika und Alexander gestellten Fragen beantworteten die Deutschen aus irgendeinem Grund lustlos. Nach einiger Zeit verließen sie die Gesellschaft überhaupt ... Das Gesehene und Gehörte während des Gastbesuches bei Ira rief bei dem Flüchtling widersprüchliche Gefühle hervor. Er bezweifelte schon gar nicht mehr, dass es auch in diesem Land, das für ihn immer ein Vorbild war, Probleme gab, sogar sehr ernste. Deswegen wurde es in seiner Seele unruhig, in den Augen standen Tränen.
  Das Neue Jahr kam unbemerkt. Vorbereitungen zur Feier unternahmen die Jungen nicht. Ihnen war auch nicht danach. Der Russe war beunruhigt. Er, wie es für Erika manchmal aussah, hatte sich einfach in sich eingeschlossen. Nicht nur in sich eingeschlossen, sondern starb noch lebendig. Deshalb wartete sie mit großer Ungeduld auf den Ausgang. Sie hatte auf diesen Ausgang gerade an diesem Feiertag gewartet. Sie wusste noch aus der Geschichte, dass bei den Russen es Sitte ist, an den Feiertagen irgendwelche Geschenke oder Überraschungen zu machen. In ihrer Annahme hatte sie Recht. Die Uhr an der Wand hatte gerade zwölf Mal geschlagen. Alexander als Tischherr hatte einen Toast auf Erikas Gesundheit ausgesprochen und ihr Erfolg im gerade begonnenen Jahr gewünscht. Danach hielt er das Sektglas zu ihrer Seite hin und prostet laut zu. Plötzlich erklang eine Melodie. Erika nahm schnell das Handy. Farid, Alexanders Freund, den sie zum ersten Mal in Spanien am Mittelmeer gesehen hatte, rief an.
  Kusnezow rannte blitzschnell zum Mädchen und riss ihr das Telefon aus den Händen. Die Männer gratulierten einander zum Neuen Jahr, danach redeten sie noch und redeten. Erika maß dem keine große Bedeutung zu. Jetzt machte sie sich um was ganz Anderes Sorgen. Sie schaute sehr aufmerksam ihren Geliebten an. Der Riesenmann weinte, die Tränen rollten auf seine eingefallenen Wangen. Sie rannte zum Schrank nach einem Taschentuch, da sie vorher wusste, dass ihr nichtsnutziger Riese nie eins bei sich hatte, abgesehen von den
  Papiertaschentüchern, die alle Bewohner Deutschlands benutzen. Sie hatte einige Schritte vorwärts gemacht und blieb stehen, als sie Alexanders Stimme hörte. Er, der das kleine Telefon bis zum Schmerz in der Hand zusammenpresste, sagte bestimmt und deutlich ins Telefon:
  'Farid, ich komme unbedingt. Ich werde morgen ankommen... Ich mache alles dafür, um zu beweisen, dass ich, Alexander Kusnezow, ein echter Mann war und bin ... Farid, du brauchst daran nicht zu zweifeln...'
  Diese Worte ihres geliebten Menschen, durchbohrten Erika wie ein Blitz . Sie, in einer bewegungslosen Pose erstarrt, stand einen Schritt vom schönen Jüngling und wusste nicht wie weiter. Vor einigen Augenblicken war vor ihr ein naher und lieber Mensch, jetzt stand vor ihr ein schon fremder Mann. Jetzt gab es zwischen ihr und diesem Russen, dem sie ihre ganze Liebe gegeben und fast alle seine Probleme auf ihre schmale Schultern genommen hatte, wie es ihr jetzt schien, nichts Gemeinsames mehr. Mit Tränen in den Augen rannte sie ins Nebenzimmer und schloss dicht hinter sich das Zimmer. Sie zweifelte nicht mehr, dass ihr schweres Glück mit diesem unverständlichen Russen von diesem Augenblick an verschwunden war, verschwunden für immer.
  Die erste Nacht des begonnen Jahres war für die junge Deutsche und den jungen Russe kalt und unfreundlich. Sie lagen in einem Bett neben einander und hörten das Schlagen ihrer Herzen. Aber diese Menschen und ihre Herzen und sogar ihre Seelen hatten nichts gemeinsam. Jeder schwieg und dachte nur über seins nach. Erika mit Tränen in den Augen unternahm in dieser Nacht den nächsten Versuch, das Besondere des Charakters des russischen Jungen mit so einem schweren menschlichen Schicksal zu verstehen. In dieser Nacht gelang es ihr.
  Das Herz und die Seele des Mannes wollten leben, wollten ein ungewöhnliches Leben, das nur er verstand und kein Anderer. Den Träumen des geliebten Menschen hatte sie beschlossen nicht entgegenzustehen...
  Kusnezow wachte sehr früh auf. Erika saß schon auf dem Sofa und dachte über etwas nach. Keiner von ihnen begann als Erster das Gespräch. Jedem war es in der Seele schlecht. Die Vorbereitungen auf die Reise nahmen keine lange Zeit in Anspruch. Er nahm keine Kleider, besaß auch keine. Er steckte seinen Militärausweis und Tausend Deutsche Mark in die Tasche, das war alles, was er im vergangenen Jahr verdient hatte. Der Abschied der jungen Leute war sehr trocken. Alexander schaute aufmerksam in Erikas Augen und sagte unter Tränen:
  'Erika, meine Erika, mach dir keine Gedanken... Ich liebe dich sehr... Verstehe mich richtig, meine Liebe... Ich bin ein Mann und muss beweisen, dass ich, als Mensch, noch fähig bin / in der Lage bin, noch etwas Nützliches auf dieser Erde zu machen...Ich bin mir sicher, dass es mir in meiner Heimat gelingen wird ...'
  Nach diesen Worten umarmte er sie fest und küsste sie stark auf den Mund. Danach drehte er sich um und ging entschlossen hinaus. Erika rannte ins Zimmer und schaute durch das Fenster. Ihr Geliebter ging festen Schrittes zum Busbahnhof. Sie bekreuzigte mit zitternder Hand das Fenster und fiel auf die Knie. Danach bat sie Gott um Hilfe für jenes Schaffen, das der flüchtige Soldat aus der westlichen Gruppe der Truppen vorhatte zu erledigen...
  ... Genau drei Jahre vergingen, nachdem Alexander Kusnezow in die Heimat zurückgekehrt war. Die Führungen Russlands und Deutschlands erfüllten ihre Versprechungen, keine der Mächte verfolgte die Militärflüchtlinge. Es bedeutete das Ende des kalten Krieges. Es ging das erste Jahr des dritten Jahrtausends zu Ende. Eine der Zeitungen Kasachstans hatte darüber berichtet, dass aufgrund von Herzbeschwerden der erfolgreiche Geschäftsmann Farid Ischakow verstorben war. Die Leitung der Firma hatte Alexander Kusnezow übernommen, sein Stellvertreter. Der neue Leiter war erst dreißig Jahre alt...
  ...Nach einem Jahr informierte dieselbe Zeitung ihre Leser, dass der Leiter der Firma Alexander Kusnezow, einer der wohlhabensten Menschen des Landes, die Ehe mit der Bürgerin der BRD Erika Krüger geschlossen hatte... Nach neun Monaten kam bei den jungen Eheleuten ein Sohn zur Welt. Sie gaben ihm den Namen Farid...
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  Inhaltsverzeichnis:
  
  
  
  
  
  Kapitel eins. Mache dem Andenken deines Urgroßvaters keine Schande ...... 5
  
  Kapitel zwei. Der Teufelsentschluss ................................................................... 107
  
  Kapitel drei. Das Hundeleben ............................................................................. 147
  
  Kapitel vier. Beigeschmack des Glücks ............................................................. 241
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  Wladimir Welikij wurde am 25. September 1950 in Russland geboren.
  Seit dem 26. Dezember des Jahres 1999 lebt er in Deutschland, in Stuttgart.
  Der Lebensweg des Doktors der Geschichte, des Schriftstellers und des Publizisten ist alltägliches Schaffen, vielseitiges Schaffen. Er ist Autor und Mitverfasser vieler Bücher und anderer wissenschaftlicher Werke. Von ihm sind sieben Romane erschienen.
  
  Das Leben von Doktor Welikij war zugleich auch dornenvoll. Sein Versuch gegen die Gründsätze des totalitären Regimes in der UdSSR aufzutreten hat tragisch für ihn geendet. Er war gegen seinen Willen in die Psychiatrie eingewiesen. Lange Jahre war er unter der Kontrolle von Partei- und anderen Organen.
  
  
  Die Hauptfigur des Romans 'Eidbrecher" Alexander Kuznezow leistet seinen Wehrdienst in der 'Gruppe Sowjetischer Streitkräfte in Deutschland" in der DDR.
  Er kommt in eine Kompanie, wo die Faust und Kraft herrschen, wo die menschliche Würde vernichtet wird. Einmal war der junge Soldat außerhalb der Kaserne und hat eine andere Welt gesehen. Nach langer Überlegung verlässt er seine Militäreinheit. Einige Jahre hat sich der Deserteur vor der deutschen Polizei und den Patrouillen der Sowjetarmee versteckt. In dieser Zeit hat sich in der Welt Vieles verändert...
  Unter ungewöhnlichen Umständen trifft Kusnezow auch seine große Liebe, Erika Krüger...
  
  
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