Ob auf Lesebühnen, in Literaturhäusern oder Klubs - überall trifft man auf die Namen russischer Autoren. Wie auf den Dichter Alexander Delphinov, der alles in einem ist: Text, Bewegung und Aktion. Geboren 1971 in Moskau, lebt er mittlerweile als Journalist in Berlin. Wer ihn einmal auf der Bühne erlebt hat, weiß wie mitreißend die russische Variante des Poetry Slam oder des RHYTM-N-POETRY sein kann, wie der Dichter selbst seine Vortragsart nennt. Der Text "Legalisiert ES!" entstammt dem Gedichtzyklus "Die ausländischen Ewiger" und ist eine Anspielung auf das berühmte Lied des jamaikanischen Reggae Sängers Peter Tosh "Legalize it!". Was DAS ist? Jeder kennt ES, jeder will ES!
Legalisiert ES!
Legalisiert ES!
Privilegiert ES!
ES hilft bei Asthma,
ES hilft bei Tonsilitis,
ES hilft bei Bronchitis,
ES hilft bei Pneumonitis.
ES nützt Lehrern,
ES nützt Schülern,
ES nützt Eltern,
ES nützt Kindern.
Legalisiert ES!
Privilegiert ES!
ES ist wie ein Sommernachtstraum,
ES ist wie der Kuss des Windes,
ES ist wie eine Reise durch die Stadt der Toten,
ES ist wie aus dem Glanz des Polareises gemacht.
ES ist unverkäuflich,
ES ist im Fernsehen ungebräuchlich,
ES ist in guter Gesellschaft unaussprechlich,
ES ist nicht dies und nicht das, Es ist eben was.
Legalisiert ES!
Privilegiert ES!
ES war einst Gegenstand blutiger Kriege,
ES ward zum Symbol von Not und Lüge,
ES wird von Politikern untern Teppich gekehrt,
ES wirbelt in die Lüfte und umgekehrt.
ES ist weder schwarz, noch wieß,
ES macht weder böse, noch heiß,
ES ist weder religiös, noch weise,
ES ist weder poetisch, noch musikästhetisch.
Legalisiert ES!
Privilegiert ES!
(Uebersetzung: Martina Mrochen)
Die Gäste
Tante Mascha gab ihr Schicksal zum Besten.
Ich ging zur Küche und kochte Tee.
Man stellte die Nachrichten für kurze Zeit an.
Punkt viertel nach sieben erschien Stas.
Tante Mascha trank Duzbrüderschaft mit der Mutter.
Ich bemerkte ein Mädchen, das ich früher nicht sah.
Von der Strasse kam plötzlich einen Schrei.
Grell klingelte das Telefon punkt acht.
Ich rauchte draußen mit dem Bruder von Ira.
Kolja machte die Musik für kurze Zeit an.
Stas erzählte einen blöden Witz über einen jüdischen Uhrmacher.
Halb neun wurde es wirklich dunkel.
Dmitrij Stepanowitsch stritte sich heftig mit dem Vater.
Natascha und Stas rauchten draußen ziemlich lang.
Ich war tierisch hungrig und schluckte Salat.
Man stellte die Nachrichten leise an.
Tante Mascha lachte ja allzu laut.
Dmitrij Stepanowitsch rauchte draußen mit dem Vater.
Von der Strasse bellte plötzlich einen Hund.
Natascha kam zurück allein und schweigsam.
(Uebersetzung: Autor & Paula Boettcher)
Revolution - Konterrevolution
Zuerst war die Revolution
Und dann die Konterrevolution.
Zuerst war die Reformation
Und dann die Konterreformation.
Zuerst war die Revolution
Und dann die Konterrevolution.
Zuerst war die Information
Und dann die Desinformation.
Eine wunderschöne Insel im blauen Ozean
Wurde vom Diktator Papadiablos unterdrückt.
Die imperialistische Clique hatte
Auf hinterhältige Art und Weise die Macht ergriffen.
Die Drogenmafia spinnt ihre Netze
Das Gespenst der Massaker geht umher.
Jahr für Jahr bündeln sie alle Kräfte
Die Intelligenzija mit dem einfachen Volk.
Kommandante Kontramarkos ist bereit, für die Freiheit
Seinen letzten Sombrero zu geben.
Regierungsfeindliche Flugblätter versteckte
Er mutig im Gewehrlauf.
Den Lauf versteckt er im Stuhlbein.
Das Stuhlbein in der Sessellehne.
Er folgt dem internationalen Ideal,
Im Großen wie im Kleinen.
Er liebt ein Mädchen namens Conchita,
Eine liebe Bäuerin und Analphabetin.
Sie spaziert mit ihm im kurzen Röckchen,
Die Lippchen leuchten von rosa Pomade.
Der gute Pater Christophorus wird sie trauen
Er ähnelt einem strengen, rauen Gaucho.
Er ist ein Prediger der Bescheidenheit und des Humanismus
In ihm schlummert grenzenloses Charisma.
Noch wird die wunderschöne Insel im Ozean
Vom Diktator Papadiablos unterdrückt.
Aber die Patrioten und Volksbefreier werden
Mit ihm abrechnen und zum Tanz aufspielen.
Zuerst war die Revolution
Und dann die Konterrevolution.
Zuerst war die Reformation
Und dann die Konterreformation.
Zuerst war die Revolution
Und dann die Konterrevolution.
Zuerst war die Information
Und dann die Desinformation.
(Uebersetzung: Autor & Paula Boettcher)
Freunde!
Freunde! Ergreifst du, so zu sagen, das Wort,
Dann mach doch bitte keine Kautschukresolutionen!
Ich habe aber alles gut vorbereitet,
Dafuer bedanke ich mich bei meinen Aerzten.
Dazu muss ich noch hinzudichten,
Dass ich alle meine Botschaften auswendig kann.
Ich erzaehle euch ein paar Maerchen,
Wie die Welt geheimnisbelastet ist,
Wie Tee in eine Tasse eingegossen wird,
Um sofort ueber den Rand zu stroemen,
Und wie russische Moenche
Kosakenmuetzen aus dem Vielfrasspelz naehen,
Und wie ohne T-Schorts und Hosen
Die Burschen die Maedels lieben.
Freunde! Ich bitte euch rechtherzlich
Meine Studien ernst zu nehmen.
Lassen wir alle Intrige und Machenschaften hinter uns,
Weil ein finanzieller Erfolg schon wartet!
Dass muss ich nochmals betonen, Genossen -
Ein echt frappanter Erfolg wartet schon auf uns!
Ich singe fuer euch ein paar Lieder,
Wie man die Muetzen nach den Moeven wirft,
Wie Abgeordneten neben dem Parlament
Bruederlich die Geldsummen teilen,
Wie ein Fuehrer der Jugendgruppen
Sich den grauhaariger Snurrbart schminkt,
Und wie ohne T-Schorts und Hosen
Die Burschen die Maedels lieben.
Freunde! Wie Schlangen kriechen unsere Jahren,
Eine Schmarre klebt sich zu einer Narbe.
Die Wunderlichkeit der Natur wundert nicht mehr.
Die Komposition strebt nach ihrem Ende.
Aber ich gebe euch verantwortungsvoll einen guten Rat -
Das Leben wie auch die Wahrheit nimmt man besser nackt.
Ich habe fuer euch ein paar Geschichten dargestellt,
Wie der Schimmel aufblueht,
Wie der russische Kuss
Schwaenzelt wie ein Schwanz,
Und wie der Dichter mit einer Einzelzelle geheilt wird,
Und wie Erdoel mit dem Raeucherfisch getrunken wird,
Und wie ohne T-Schorts und Hosen
Die Burschen die Maedels lieben.
(Uebersetzung: Autor & Paula Boettcher)
Bosnia. Bihač-Bosanski Petrovač.
Für Herby, Arny, Wolfgang, Martin, Dr. Matschek und andere
Der Fünftonner brummt, wie eine überlastete Hummel.
Der Konvoi erreicht den Grenzposten in Bihac.
Der Aprilschnee - nur noch Fetzen von klumpigem Matsch.
Weit hinter uns, im serbischen Gebiet - vereiste Serpentinen.
Am Straßenrand das schwarze Gerippe eines Autobusses und ein Mann
Winkt mechanisch hinter der verkohlten Maschine hervor.
"Wagen Eins an Wagen Zwei - bitte kommen!", aus der offenen Tür
Springe ich auf die Erde mitten in einen flimmernden Marktplatz.
Über dem Polizeiwagen weht eine weiß-blaue Fahne wie lebendiges Porzellan.
Die tief gekühlte Landschaft ähnelt einer Ansichtspostkarte aus der Unterwelt.
Jeder Mensch hier trägt eine Zielscheibe auf der Stirn.
Hier kämpfte die legendäre Fünfte Brigade.
Der Funk ist aus. Ich rauche eine "Gauloises" -
Die roten vom Duty Free an der slowenischen Grenze.
Die Landschaft: absolut Dürer! Welch sympathische Hölle!
"Der heilige Führer" kann im Himmel beruhigt schlafen.
Der Plünderer kann uns schon nichts mehr, nicht wie damals, vor 3 Jahren,
Als der mit einem Fuß im Grabe stehende Volvo entladen wurde.
Um das Minenfeld Stacheldraht,
Drum herum eine Moschee, eine katholische Kirche und noch eine orthodoxe.
Im Topf überm Lagerfeuer brodelt Menscheneintopf.
Der Slibowitz läuft im Überfluss, bis zum Erbrechen.
Ein bürgerliches Tischtuch wird auf den Grabtisch gelegt.
Die Soldaten der Bosnischen Volksarmee kämpften hier wie die Teufel.
Die Verteidigungslinie der Enklave war nicht zu durchbrechen.
Erst seit zwei Jahren sind die Kinder wieder zurück.
Worte bleiben an der Zigarette kleben wie Dreck am Schuh.
Eine Tafel Schokolade und Luftballons - für Euch, Balkanesen!
Das ist alles, was ich den Toten hier mitbringen konnte.
Ach so, auch noch grauen Nebel sowie Verbandsstoff für die schneeweißen Wunden.
"Fahr mal! Wir müssen tanken!" - Der Motor springt an und wir fliegen dahin,
Schlagen Pirouetten um verkohlte Quadrate gewesener Häuser,
Um Pfützen aus verwesenden Menschenresten, die uns den Weg versperren.
Von den noch Verbliebenen ist ein jeder bereit
das Leben zu nehmen, am Leben zu bleiben, totzuschlagen oder totgeschlagen zu werden.
Der Fahrer amüsiert sich über meine Dummheit,
Weil ich das Wort "bumsen" falsch verstand.
Ich ziehe mir einen Joint rein und kontere mit der Bitte,
Er solle für mich das russische "Djadja" noch einmal wiederholen.
("Dscha-Dscha! - flüstert Wolf) und ein fremdes Licht
Nicht Morgenlicht, nicht Abendlicht
Erstrahlt von vorn, von oben, von hinten.
Wir fahren, fahren, fahren - durch Landstriche,
Die nichts mehr haben: kein Anfang, kein Ende, keinen Boden, keinen Himmel.
Die Luft ist klebrig wie Fett - am Himmel leuchten Sonne und Mond,
Leuchten Kreuz und Halbmond, purpurrot vor lauter Rost,
Und kriechen wie ein Panzer in dein Gedächtnis,
Graben sich dort ein wie Hufeisen in Staub.
Wir passieren zerstörte Städte, in Staub zerfallene Dörfer, verstümmelte Wälder -
Sie alle Zielscheiben des Dauerbeschusses.
Hinter uns winken zerbrochene Äste,
Wolf, wie ein Rabe, krallt seine Finger ins Lenkrad und
Rollt vogelgleich seine Menschenaugen.
Nichts ist geblieben entlang des Weges
Golubic, Ripac, Dubovsko, Lipa, Vstoce -
Die Zunge findet keine Worte mehr in den Zahnstummeln.
Nur: "NIHIL" - trockene Tropfen, am Ende des Lateins.
Und ich spüre hautnah: das dröhnende unsichtbare Böse,
Die Berge, von Scharfschützen voll gekotzt für die Ewigkeit,
Eine Handfläche, zerschnitten in hundert Frontlinien,
Der Lokal-Rambo, als einer der ersten aus dem Graben steigt,
Eine Dorfgemeinde, die in der Scheune in Flammen aufgeht,